Die Beute (6) Wie Dr. M. unsere Fa. übernahm

Arbeitswelt Ein Fall von Mobbing? Tony wird heftig angefeindet, doch so leicht gibt er nicht auf. Ribanna Rubens berichtet. 6. In der Schlangengrube

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Zwei, drei Monate, nachdem Tony angefangen hatte, wurde er wieder zu einem Gespräch mit Sebastian M. in dessen Büro gebeten. Sie hatten wenig miteinander zu tun und das Verhältnis zwischen ihnen war kühl, weil Tony inzwischen begriffen hatte, dass die Sorge des Prokuristen etwas falsch zu machen größer war als sein Wunsch überhaupt etwas zu tun.

Zu dieser Zeit sprach seit Tagen jeder in der Firma darüber, dass Manni, das Urgestein vom Kundendienst, wegen eines Herzproblems demnächst ins Krankenhaus musste und danach auf ärztlichen Rat hin eine Kur und daran anschließend einen längeren Urlaub antreten sollte.

Manni ist eine Institution der Krisenbewältigung, jemand dem tagaus tagein zahlreiche Pannen und Notfälle bei Kunden zu verhindern und zu beseitigen in Fleisch und Blut übergegangen ist und der bisher nie länger als höchstens zwei Wochen am Stück abwesend war und Berge von Urlaub vor sich herschob.

Die Aussicht auf eine längere Ausfallzeit eines so wichtigen Troubleshooters, bei dem andere nur zu gern ihre Probleme abluden, löste eine Atmosphäre echter Beunruhigung aus und nicht wenige machten sich ernsthaft Sorgen, was passiert, wenn der Kundendienst rund acht Wochen lang ohne ihn auskommen muss, eine Situation, die nach Stress und eigenen Anstrengungen roch.

Auch wenn dies einem Außenstehenden übertrieben erscheinen mag, die Lage war insofern tatsächlich etwas brenzlig als Marius K. kurz zuvor den zweiten Mitarbeiter des Kundendienstes entlassen hatte, so dass auch keinerlei eingearbeitete Vertretung zur Verfügung stand.

Sebastian M. fragte Tony in dem Gespräch, ob er einverstanden wäre, während Mannis Abwesenheit im Kundendienst auszuhelfen und aus praktischen Gründen für diese Zeit gleich ganz dorthin umzuziehen. Er wisse aus den Personalunterlagen, dass Tony schon früher eine solche Tätigkeit ausgeübt habe, sagte er und fuhr fort:

In einer kleinen Firma muss man sich gegenseitig helfen. Von Ihren Aufgaben in der EDV sind Sie natürlich vorübergehend entbunden.

Tony überlegte kurz. Es geht also nur um eine Vertretung und nicht um eine dauerhafte Versetzung?, fragte er.

An Ihren Aufgaben ändert sich grundsätzlich nichts. Sie werden später an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren und bis dahin wird hoffentlich auch das neue Vertriebskonzept vorliegen, zu dem ich leider viel zu wenig komme, beeilte sich Sebastian M. zu versichern, damit wir über den weiteren Ausbau der EDV sprechen können. Mit dem marketing.manager hat ja alles vorzüglich geklappt.

Tony wusste nicht, ob es sich um eine Frage oder um eine Anweisung handelte, sah aber keinen Grund abzulehnen und dachte auch, dass angesichts der Langeweile, die ihn täglich umgab, eine Abwechslung mit etwas mehr Beschäftigung ihm nur gut tun könne. Und womöglich, wer weiß, überlegte er, vielleicht ergab sich sogar eine Perspektive für die Zukunft. Jeder muss schließlich sehen wo er bleibt ...

Dieser Teil unserer Verwaltung, zu dem auch der Kundendienst gehört, ist in einem älteren Seitentrakt untergebracht, gleich gegenüber dem Aufenthaltsraum im ersten Stock, zu dem man nur durch die große Montagehalle über eine steile, im Halbdunkel liegende Metalltreppe gelangt, also ziemlich weit weg vom Schuss, während die restlichen Angestellten sehr viel prestigeträchtiger im fein herausgeputzten Hauptgebäude residierten. In diesem Trakt, man merkte es gleich, wenn man hereinkam, herrschte eine Art Bunkermentalität, als würden sich dort alle jene treffen, die sich zu wenig beachtet, zu wenig anerkannt oder sonstwie zurückgesetzt fühlten und eine innere Oppositionshaltung pflegten. Es herrschte ein fast intimes, verschworenes Miteinander der circa acht oder zehn Männer und Frauen, die dort arbeiteten und sich drei ineinander übergehende Räume teilten, deren Zwischentüren zumeist offen standen und Rufkontakt ermöglichten. Der letzte Raum in der Reihe, in dem zwei Schreibtische standen, gehörte dem Kundendienst allein, ein bei gutem Wetter angenehm sonniges Zimmer mit freiem Ausblick, das zwar in jedem Winkel mit uralten Unterlagen auf Stühlen und in verstaubten Regalen ziemlich vollgestopft war, aber auch eine große Zahl von kräftig grünenden Topfpflanzen beherbergte und einen altmodisch anheimelnden Eindruck machte. Vor dem Seitentrakt entlang zog sich eine Galerie, von der aus man in die lärmerfüllte Halle hinabblicken konnte, wo Männer in grauen Kitteln oder blauen Latzhosen hin- und her wanderten oder an halbfertigen Maschinen schraubten.

Da Tony schon über einige Jahre Erfahrung in einer ähnlichen Abteilung verfügte, macht er sich wenig Gedanken, fast ist es, als wäre er schon immer dort gewesen, das ist doch ein Heimspiel, denkt er leichtsinnigerweise und richtet sich ganz selbstbewusst an dem freien Schreibtisch ein. Manni weist ihn noch einige Tage ein, bevor er seinen Urlaub antritt und alles scheint rundherum in schönster Ordnung zu sein.

Außer Tony ist zusätzlich ein gewisser Jan-Erik als Vertretung eingeteilt, der als Versanddisponent im Nachbarbüro sitzt und schon früher gelegentlich bei Bedarf im Kundendienst ausgeholfen hat. Mir selber ist dieser Jan-Erik gerade in meiner Anfangszeit in der Firma immer sehr gefällig und hilfsbereit, fast schon etwas zu beflissen gegenübergetreten, ein Typ um die Mitte Dreißig von einigermaßen drahtiger Gestalt, allerdings nur um die 1.60 groß, also jenseits aller männlichen Ideale, worüber er selber gern scherzte und sich völlig frei von jedweden Komplexen gab. Herr M. schickte ein Rundschreiben per Email an alle Abteilungen, in dem er die Regelung der Vertretung bekannt gab.

Die Arbeitsverteilung war noch von Manni her so geregelt, dass es mehrere Eingangskörbe gab, die auf einem separaten Tisch standen und in die die Eingangspost, nach Bearbeitungskriterien unterteilt, hineinsortiert wurde. Tony machte sich auch gleich mit Feuereifer an die Arbeit, um die Körbe möglichst leer zu halten und wenigstens das Nötigste zu erledigen.

Später wusste er nicht mehr wirklich, wann die Sache anfing aus dem Ruder zu laufen und eine frostige Atmosphäre sich auszubreiten begann. Er erinnerte sich nur, dass Jan-Erik am Anfang öfters versuchte, ihn in Gespräche über Marius K. und Sebastian M. zu verwickeln, ihm eine Meinung zu entlocken, die natürlich nur eine abfällige sein konnte. Tony zeigte sich aber an solchen Gesprächen wenig interessiert, nicht weil er für Geschäftsführer oder Prokurist besondere Sympathien hegte, die er beide nicht für allzu fähig hielt, sondern weil er zum einen ziemlich beschäftigt war und weil zum anderen Tatsachen eben Tatsachen sind und er sich von solchen Möchtegern-Debatten wenig versprach. Oder es lag daran, dass Herr M. bei der Urlaubsregelung die Rangfolge nicht explizit festgelegt hatte und Jan-Erik sich ganz einfach im Besitz der älteren Rechte bzw. aufgrund längerer Betriebszugehörigkeit in einer besseren Position wähnte, Tony merkte nur, dass immer weniger Nachschub in die Körbe kam, während um ihn herum das abweisende Verhalten zunahm und eine feindselige Stimmung wie mit Händen zu greifen war. Dann blieben die Eingangskörbe plötzlich leer und verschwanden schließlich ganz, bis Tony sie nach kurzer Suche auf Jan-Eriks riesigem Schreibtisch entdeckte, wo sie von zahllosen Unterlagen bereits völlig übersät und verdeckt waren.

Er fragte Jan-Erik, was er tun solle, aber der zuckte nur die Achseln und sagte, Sie können hier nichts tun, und gab ihm ein paar Akten zum Wegräumen in einen Schrank, der in der Mitte des Raumes stand, so dass Jan-Erik selber dort ständig vorbeikam.

Tony lachte und sagte, dazu würden seine Talente wohl gerade noch reichen.

Als Jan-Erik ihm daraufhin einen Blick zuwarf, als hätte er eine Ungeheuerlichkeit begangen, begriff Tony endlich, dass die Sache ernst war und es sich nicht um eine vorübergehende Laune handelte.

Die Auseinandersetzung spitzte sich dann schnell zu und entwickelte sich zu einer fast lautlosen Schlacht. Niemand sprach mehr mit ihm, außer süffisante Kommentare, die nicht direkt an ihn gerichtet, aber doch in seiner Hörweite im Nachbarbüro gesprochen waren. Auch hier vertrödelte er jetzt den Tag mit belanglosen Dingen, zumal Jan-Erik das Telefon ebenfalls zu sich umgestellt hatte, und saß seine Zeit allein vor dem leeren Schreibtisch ab, ein ebenso lächerlicher wie qualvoller Zustand, während der völlig überlastete Jan-Erik sich mit endlosen Überstunden brüstete, abends manchmal bis acht, neun Uhr im Büro saß und sogar samstags arbeitete, aber nichts abgeben wollte und die Arbeit vor ihm versteckte.

Schließlich schlug Tony Krach und Herr M. nahm sich notgedrungen der Sache an, der Jan-Erik dann auch zurückpfiff.

Am nächsten Tag standen die Eingangskörbe wieder an ihrem alten Platz.

Für Tony blieb dieser Ausbruch von Feindseligkeit eine merkwürdige, unerklärliche Begebenheit, die ihn mehr verletzte als er zugeben wollte, da er eigentlich mit Kollegen immer problemlos ausgekommen war und erst später begriffen wir, dass Jan-Erik einer der Trabanten war, die um die Sonne kreisten, und Tony die Rituale durchbrochen hatte.

Während Jan-Erik doch derjenige sein wollte, den alle bedauerten, der arme Jan-Erik, der nun all die Arbeit hat, so dass alle ganz hilfsbereit sind, weil doch der arme Kerl die ganze Verantwortung trägt und das Schlimmste verhindern muss, und alles wegen Herrn K. und Herrn M., die zwar beide keine Ahnung haben, wie man ein Unternehmen leitet, aber leider doch die Chefs sind, denen man gefallen muss. Wie froh müssen deshalb Herr K. und Herr M. sein, dass sie Jan-Erik haben, wahrscheinlich auch anstandslos Jan-Eriks viele Überstunden bezahlen, so war es jedenfalls vereinbart, wie ich aus erster Hand weiß, und niemand weit und breit, der seine Verdienste schmälern könnte, er ist der Held der Stunde, der die Katastrophe abwenden soll, und dann kommt Tony, die noch kein halbes Jahr in der Firma ist und sagt, ist doch alles gar nicht so schwer, lasst mich nur machen, und man versteht fast, dass er ihn gehasst hat.

Ich habe doch nur zwei Monate Vertretung gemacht und niemandem etwas weggenommen, und dann drehen die Leute um mich herum irgendwie durch als wären sie von einem gemeingefährlichen Koller befallen, sagte Tony zu mir, als wir darüber sprachen.

Du siehst zuviel dahinter, versuchte ich ihn zu trösten. Es gibt solche Intriganten, die sich nur wohlfühlen, wenn sie Zwistigkeiten säen. Vergiss es ...

Sie denken, ich bilde mir was ein, weil ich mich nicht verrückt machen lasse, und das ärgert sie. Versteh' ich sogar irgendwie, ich hab' mir die Vertretung nicht ausgesucht, meuterte Tony weiter. Aber wo kommen wir denn da hin, wenn jeder gleich zum Boykott aufruft oder sich wie 'n Köter festbeißt, bloß weil man jemanden nicht abkann. Jeder glaubt doch immer, er wäre höchstpersönlich von den größten Idioten umgeben, ist dir das schon mal aufgefallen?! Das ist doch alles total bekloppt …

Die Heftigkeit, mit der er sprach, zeigte, wieviel verletzter Stolz in ihm wütete.

Weißt du eigentlich, dass sie die zweite Stelle im Kundendienst jetzt doch neu besetzen wollen?, fragte ich ihn. Liz hat den Anzeigentext schon vorbereitet aber Herr M. ziert sich mal wieder ...

Ja, weiß ich, antwortete Tony mürrisch. Hat mir Jan-Erik schon über beide Arschbacken grinsend aufs Butterbrot geschmiert, ätsch, da hast du dich wohl verrechnet … Stimmt ja auch.

Kurze Zeit später taten alle so, als wäre nie etwas geschehen. Eine Zeitlang mied mich Jan-Erik, ich nehme an, weil er wusste, dass ich auf Tony nichts kommen ließ und er mit seinen Intrigen bei mir nicht landen konnte. Doch danach begann er wieder um mich und mein Büro herum zu schleichen, versuchte harmlose Gespräche anzuknüpfen, mir seine Hilfsbereitschaft aufzudrängen, wie früher, als würde mich ein Höfling umgarnen. Brrr … Klar verabscheut er mich insgeheim, aber er reißt sich zusammen, weil ich eine Person in der Nähe des Zentrums der Macht bin, mit der er es sich nicht verderben will, sondern hofft über mich meiner Sonne etwas einflüstern zu können. Ich kostete mein kleines Privileg denn auch weidlich aus und behandelte diesen Schleimer mit gebührender Kühle, was ihn aber nicht davon abhielt es alle paar Tage aufs Neue zu versuchen. Nachdem allerdings die Firma verkauft worden war und andere Dinge uns beschäftigten, arrangierten wir uns stillschweigend und waren fortan immer ausnehmend höflich zueinander.

Fortsetzung folgt

Hinweis: Namen wurden geändert, Ähnlichkeiten sind Zufall.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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