Die Beute (7) Wie Dr. M. unsere Fa. übernahm

Arbeitswelt Kollegin Eva bittet Tony zu einem vertraulichen Gespräch. Was sie ihm zu sagen hat, versetzt Tony in Rage ... Ribanna Rubens berichtet. 7. Das Nachspiel

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Soweit so gut, könnte man sagen, nichts weiter passiert. Die Sache hatte jedoch noch ein Nachspiel, einen Epilog, wenn auch nur einen ganz kleinen, der aber fast noch besser war als das ganze Stück vorher, und das kam so:

Einige Tage, nachdem Tony in sein altes Büro zurückgekehrt war, rief ihn Eva an und sagte zu ihm, dass sie ihn sprechen müsse. Eva ist eine sehr nervös veranlagte Person, die keine Hektik verträgt und deshalb manchmal etwas launisch oder wankelmütig wirkt, aber im Grunde ein ganz gutmütiges Wesen hat.

Ja natürlich, antwortete Tony, worum geht’s denn?

Nein, nicht jetzt, nicht gleich, wehrte sie ab und will stattdessen einen Termin abmachen.

Tony war ziemlich verwundert über diese Aufforderung. Zwar wird ihr wegen ihres Platzes auf der Chefetage ein gewisser Respekt zuteil, dennoch erwartete niemand, dass sie etwas Persönliches oder gar Geheimnisvolles mitzuteilen hätte, außerdem ist Tony allein in seinem Büro, so dass er ungestört reden kann, aber da sie es so haben will, vereinbart er mit ihr einen Termin für den folgenden Tag. Tony überlegte die ganze Zeit, was sie bloß von ihm wollen könnte, und dass sie ihm sicher etwas Vertrauliches mitteilen wollte, aber was denn nur oder über wen, darüber konnte er nur rätseln.

Er geht also und meldet sich am nächsten Tag zur verabredeten Zeit bei ihr. Sie hat es nicht eilig und sagt, man solle sich erstmal einen Kaffee holen.

Gut, von mir aus auch das, denkt Tony, und so begeben sie sich in die Teeküche auf der anderen Seite des Ganges und bereiteten sich ihre Getränke, Espresso und Cappuccino, in dem hochmodernen Kaffeeautomaten zu, den Marius K. angeschafft und samt freies Kaffeepulver gestiftet hat, und reden über Belangloses. Eva erklärt Tony die Finessen der Kaffeemaschine, die er nicht kennt, da er dort nie hinkommt.

Danach führt sie ihn in einen kleinen, fensterlosen Raum, der hinter ihrem Büro liegt und .. hauptsächlich zur Aufbewahrung von Büromaterial dient, für das sie zuständig ist. Sie erklärt Tony, es sei ihre Höhle, die gelegentlich von ihr und anderen auch als intimer Besprechungsraum genutzt werde und zeigt sich ganz verwundert, dass er diese Höhle gar nicht kennt, macht Bemerkungen und gibt Erklärungen, während Tony schon gespannt wie ein Flitzbogen ist, was in aller Welt sie denn von ihm wollen kann und wofür um Gottes willen sie eine so lange Einleitung braucht.

Schließlich beginnt sie aber doch über den Grund der Verabredung zu sprechen, und zwar erläutert sie ihm, sie sei von dieser Mannschaft dort drüben gebeten worden - weil doch von dieser niemand mit ihm selber sprechen könne, eben weil die Situation doch so schwierig sei, deshalb müsse sie ihm etwas sagen, ihm etwas mitteilen, ihn auf etwas aufmerksam machen, um ihm Nachteile zu ersparen, damit er etwas dagegen tun könne, und die ganze Zeit, während dieses langen Präludiums, als Tony sie schon ermahnen will, doch bitte endlich zur Sache zu kommen, spielte so ein leises, wissendes Lächeln um ihre Lippen, was ihm schon zu denken gab.

Wenn Tony später auf diesen Vorfall zurückkam, musste er an dieser Stelle immer fast lachen, obwohl er die Situation damals weiß Gott nicht komisch fand, weil alles so dramatisch anfing und so entsetzlich banal endete.

Denn, kurz gesagt, sie eröffnete ihm, dass seine Kollegen und Kolleginnen aus dem Seitentrakt, Jan-Erik und die anderen, ihn aus purer Nettigkeit wissen lassen wollten, dass man während seines Aufenthaltes in ihrem Nachbarbüro einen merkwürdigen Geruch an ihm wahrgenommen hatte, ein ganz seltsamer, eigentümlicher Geruch sei von ihm ausgegangen, ja vielleicht hat Ihr Deo versagt, sagte Eva und lächelte weise, das kann ja mal vorkommen.

Tony sagte später, es sei ein entsetzlicher Moment gewesen. Eva, die ihn so taxierend ansah, und er mit ihr zusammen in diesem kleinen Raum, und wie er errötete, während sie die ganze Zeit lächelte und in dieser selbstgewissen Manier das Wort „Deo“ aussprach, als müsse jedes Kind darüber Bescheid wissen, als müsse das ganze Universum von der ungeheuren Bedeutung des Deodorants für unsere Zivilisation vollkommen durchdrungen sein. Dagegen hatte Tony „Deo“ bisher immer eher für einen Frauenartikel gehalten und wagte nicht zuzugeben, dass er überhaupt keines benutzte.

Das geht diese wildgewordene Truppe einen Scheißdreck an, wie du riechst, selbst wenn du wie eine ganze Horde Godzillas stinkst, fauchte ich.

Du meinst doch nicht wirklich, dass ich …?, fragte er entsetzt.

Aber nein, beteuerte ich. Sie wollen sich einen billigen Triumph verschaffen, sich weiden an deiner Zerknirschung, einfach lächerlich, sich als deine Beschützer aufzuspielen …

Ich verstehe das nicht, bekannte Tony merklich ratlos, am Anfang waren alle so nett, vielleicht meinen sie es ja wirklich gut …

Nein, sie meinen es nicht gut, beharrte ich, diese jämmerlichen Amateure. Fragt sich nur, wer von ihnen auf die hirnverbrannte Idee gekommen ist, in so einem Morast zu waten. Das ist schlimmer als wenn sie verbreiten, du wärst 'ne faule Sau und würdest den halben Tag im Büro schlafen. Sie sollen sich um ihre eigenen asozialen Gewohnheiten kümmern. Jan-Erik hat Schuppen auf dem Pullover und Eva rennt ständig zum Rauchen aufs Klo.

Tony strubbelte mein Haar und lachte.

Weißt du was, Rübchen? Das Schlimme ist, das würde überhaupt keiner merken, selbst wenn ich den ganzen Tag im Büro schlafe …

Allerdings war Tony auch nicht auf den Mund gefallen. Im Gegenteil, ich habe seine Schlagfertigkeit in zugespitzten Momenten immer bewundert. Er sagte also ganz nonchalant zu Eva, nachdem er sich wieder gefasst hatte, dass seine Frau ihm ein neues Herrenparfüm geschenkt habe, etwas ganz Spezielles, Exklusives und sündhaft Teures, eine Aufmerksamkeit zum letzten Hochzeitstag. Geruch wäre deshalb der völlig falsche Ausdruck, es handle sich vielmehr um einen Duft, zwar ein ziemlich herber, in der Nase kribbelnder Duft, der nicht jedem gefällt und vielleicht auch etwas gewöhnungsbedürftig ist, aber alles in allem doch nicht anstößig, eine Geschmackssache eben.

Und es täte ihm wahnsinnig leid, fügte er treuherzig hinzu, wenn es die anderen gestört hätte. Das hätte man ihm doch sagen können. Und schließlich habe er sich ja dort auch nur sehr kurz und nur im Nachbarraum aufgehalten.

Eva guckte dann ziemlich irritiert und wusste nicht recht, ob Tony es ernst meinte oder sie veralbern will. Daraufhin redete Tony immer weiter, um das Gespräch nicht abrupt abbrechen zu lassen, erzählte drauflos von seiner Kindheit, wie er und seine Geschwister als arme Leute Kinder in der Nachkriegszeit in einem baufälligen Haus gelebt hätten, in dem es kein mit Kacheln und Fliesen ausgestattetes Badezimmer sondern nur den kalten Kran in der Küche und ein provisorisches Klosett auf dem Hof gab und statt mit Klopapier wurde der Hintern mit zerschnittenen Zeitungsstücken geputzt. Er wisse auch noch, fuhr Tony fort und lachte, wie er immer kalte Kartoffelstücke aus dem Trog des Nachbarhundes klaubte und sich selber einverleibte, so lange bis er an einem Bandwurm litt und und ein Besuch beim Onkel Doktor fällig wurde. Keine angenehme Sache, Sie wissen schon … Erst nachdem die Eltern ein eigenes Haus gebaut hatten, kamen allmählich Hygieneartikel ins Haus und er bekam die erste Zahnbürste seines Lebens wie eine Kostbarkeit überreicht. Er redete so lange, bis Eva immer weniger sagte und zum Schluss ganz kleinlaut fragte, ob er etwas dagegen hätte, wenn sie jetzt eine Zigarette rauchen würde. Ihr sei so danach.

Tony fand, sie habe diese kleine Rache verdient.

Doch auch das Nachspiel hatte noch ein Nachspiel, was ihn aber schon nicht mehr wirklich verwunderte. Das Gespräch hatte an einem Gründonnerstag stattgefunden, so dass der nächste Tag, Karfreitag, ein Feiertag war. Trotzdem war Tony schon auf und lief im Pyjama herum, als morgens so kurz nach neun Uhr bei ihm zuhause das Telefon klingelte.

Zuerst glaubte er, jemand sei falsch verbunden, als in einer hohen hellen Stimme ein aufgeregter Wortschwall auf ihn niederging - doch siehe da, Eva hatte anscheinend in einer schlaflosen Nacht die Seiten gewechselt.

Sie habe vor lauter Mitleid mit ihm kein Auge zugetan, erklärte sie ganz aufgelöst, sondern immer nur daran gedacht, wie furchtbar er sich fühlen müsse.

Und plötzlich sollte alles nicht mehr wahr sein, plötzlich drehte es sich bloß noch um Neid, Konkurrenz, böse Zungen, plötzlich wollte sie alles zurücknehmen, da sie doch gar nicht aus eigener Anschauung sprechen könne, beteuerte sie, sondern sich für anderer Leute Interessen habe einspannen lassen.

Wenn man wolle, könne man an jedem etwas finden, fasste sie ihre neue Einsicht zusammen.

Danach schüttete sie ihm fast schutzsuchend eine halbe Stunde lang ihr Herz aus und berichtete von eigenen Erlebnissen, wie schwer sie selber es gehabt hatte in ihrer Anfangszeit, als sie zunächst in einer anderen Abteilung arbeitete, wie sie dort ungerecht behandelt und abgekanzelt worden wäre, wegen Lappalien, alles Vorwände natürlich, in Wahrheit sei es um ihre Verwandtschaft mit Marius und Greta gegangen, nur deswegen hätten diese gehässigen Menschen ihr das Leben zur Hölle gemacht ....

Sie glauben gar nicht, wie oft ich nach Feierabend abends zu Hause geweint habe, klagte sie mit einem Nachhall von Bitterkeit.

Tony tröstete sie so gut er konnte, obwohl ihn die plötzlichen Einblicke in ihr Seelenleben eher etwas verstörten, fühlte sich aber auch hinterher nicht klüger, womit er sich den Hass seiner Kollegen zugezogen haben könnte.

Danach erzählte er seiner Frau, die sich über das Telefonat wunderte, die ganze Geschichte, woraufhin diese sich so empörte, dass er sie nur mit Mühe davon abhalten konnte, gleich bei Marius K. anzurufen, um sich zu beschweren. Danach war von dieser Sache nicht mehr die Rede, trotzdem fühlte sich Tony in den darauf folgenden Monaten wie von einem Waschzwang befallen, roch und schnüffelte ständig an seiner Kleidung und seinen Achselhöhlen herum und vermied es an heißen Tagen, allzu nah an andere Menschen heranzukommen. Seine Frau schüttelte den Kopf und sagte, er habe sich verändert und sei nicht mehr so ausgeglichen wie früher, und wenn es denn gar nicht gehe, dann solle er doch diesen Scheißjob endlich sausen lassen. Lohnt sich doch nicht, sich dafür ein Magengeschwür zu holen …

Einige Wochen später kam er dann ganz vergnügt in mein Büro und sagte mir, dass Ende der kommenden Woche gottseidank endlich Schicht für ihn wäre.

Dein Letzter? Doch nicht dein letzter Arbeitstag, jammerte ich entsetzt. Nein bloß nicht. Lass mich bloß nicht allein hier ...

Doch es war so. Er hatte durch den Tipp eines früheren Kollegen eine neue Arbeitsstelle gefunden. Und ich gönnte ihm natürlich den Erfolg und zerquetschte unauffällig eine allzu rührselige Träne.

Zeig ihnen die Zähne, scherzte Tony an seinem Abschiedstag, und trommelte ein toi toi toi auf meinen Schreibtisch. Zu schade, dass die nettesten Menschen immer so schnell verschwunden sind.

Als dann schließlich die Nachricht von unserem Verkauf die Runde machte, sah ich es geradezu als glückliche Fügung, als Einschreiten des Himmels an, dass ein frischer Wind sich anzukündigen begann, der den Muff von Jahrzehnten hoffentlich endlich davonblasen und auch für mich ein Tor zu größerer Entfaltung öffnen würde.

Fortsetzung folgt

Hinweis: Namen wurden geändert, Ähnlichkeiten sind Zufall.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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