Die Beute (8) Wie Dr. M. unsere Fa. übernahm

Arbeitswelt Das Unternehmen zieht um und Ribanna Rubens wird in eine andere Abteilung versetzt. 8. Neue Ufer

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Ziemlich genau drei Monate nach dem Verkauf hatte das Unternehmen seinen Standort geräumt und war mit Mann und Maus, jedenfalls den noch verbliebenen Mäusen, zum Hauptsitz der Jupp-Gruppe verfrachtet worden. Der große Umzug fand an einem Wochenende von Freitag bis Montag statt, um die Ausfälle für den Geschäftsbetrieb möglichst gering zu halten, nachdem schon vorher die Endmontage und Teile des Lagers abgebaut worden waren. Da die Verwaltungen verschmolzen werden sollten und Frauen hauptsächlich in diesem Bereich arbeiten, blieb ich am Ende im künftigen Gruppenbild die einzige Dame, die es aus unserem ohnehin nicht allzu zahlreichen Frauenbestand bis dorthin schaffte. Auch wenn sich in einer solchen Situation jeder der Nächste ist, tat es mir doch um Eva, Liz, Constanze und die anderen leid, die zum Teil über viele Jahre bei uns gearbeitet hatten und wegen des Sanierungsvorbehalts nicht mal eine Abfindung bekamen, auch kaum hoffen durften, bei einer Kündigungsschutzklage eine solche zu erstreiten.

Detlef sagt, dass ich bleiben darf, liege bloß daran, dass ich weniger als die anderen verdient hätte, was mich nicht wenig kränkt.

Schon vorher hatten sich die Reihen gelichtet. Schubweise erfolgten die erwarteten Kündigungen, woraufhin die Betroffenen nach und nach verschwanden und ein ständiges Verabschieden im Gange war. Mitarbeiter, die aus älteren Arbeitsverträgen längere Kündigungsfristen hatten, saßen auf Abruf oder zogen sich per gelbem Schein zurück. Einige wenige gab es, die auf die Schnelle etwas anderes gefunden hatten und von sich aus das Weite suchten. Auch der Einfluss und die Gewichtung einzelner Leute änderte sich; wurde der eine stärker an die Oberfläche gespült, ging ein anderer sang- und klanglos unter. Insgesamt kann man sagen, dass neben dem Stamm an Facharbeitern, die sich keine Sorgen machen mussten, vor allem die männlichen Angestellten mit technischem Schwerpunkt - das alte Sonnensystem - aufgrund ihrer Fach- und Produktkenntnisse es vergleichsweise mühelos in das neue Unternehmen schafften. Es rollten Köpfe, aber keine, die ich mir gewünscht hätte ….

Da ich bis zum Umzug in meinem früheren Büro blieb, das in der Nähe des Eingangs liegt, sah ich fast täglich die neue Firmenspitze die Chefetage betreten und leutselig zu mir herüberwinken. Sämtliche Abteilungsleiter ließen sich sehen; ich wurde begrüßt, überaus zuvorkommend behandelt, fast fühlte ich mich geschmeichelt und war auf jeden Fall hocherfreut, dass nach der langen tristen Zeit, in der man den bevorstehenden Untergang schon hatte spüren können, Leben und Vitalität eines intakten Unternehmens zurückzukehren begannen und eine fast wohlige Hektik und Betriebsamkeit dieses ergriff. Und mit einem Anflug klammheimlicher Freude registrierte ich, dass so mancher, der sich gestern noch aufplusterte, dies oder jenes sei mit ihm nicht zu machen, jetzt doch in der Realität ankam und sich unauffällig anzupassen oder auch anzudienen versuchte.

Von Gunnar P., für den ich übergangsweise noch einige letzte Aufgaben erledigte, sah ich wenig, obwohl sein Büro dem meinen gegenüber lag und ich täglich zahlreiche Botschaften an ihn weiterleitete. Anders als Herr Sebastian M. hielt er die Tür jedoch meistens geschlossen, war auch mit tausend Dingen beschäftigt, und ich nehme an, er wollte wegen der Umstände auch nicht, dass wir zuviel miteinander zu tun hätten und vermied tunlichst jede nicht streng dienstliche Äußerung mir gegenüber.

Wenn er seinen Triumph und seine neue Rolle genoss, so merkte man jedenfalls nichts davon; allerdings gehörte er auch nicht zu den Menschen, die lachten, scherzten oder ein zwangloses Wort auf den Lippen führten, jedenfalls nicht am Arbeitsplatz, sondern stets trat er mit ernster und verschlossener Miene auf und verließ sein Büro tagsüber nur selten. Jeder, der jetzt zu ihm wollte, wartete nach einem zaghaften Klopfen ehrfürchtig vor seiner Tür, ob er herein rief oder fragte nervös-verlegen vorher bei mir an, ob man einfach so hineingehen dürfe.

Ich glaube, dass er unverändert unter dem Eindruck stand, dass Marius K. und dessen Anhang, zu dem er auch mich zählte, ihm etwas „angetan“ hätten, ein Leid und tiefes Unrecht, mit dem er vermutlich lange innerlich haderte, und dass er seine unerwartete, glanzvolle Rehabilitation nach gerade mal zwei Jahren Verbannung - ein Vorgang, der jedem anderen wie ein Sechser im Lotto erscheinen musste - als etwas Rechtmäßiges, ihm Zustehendes betrachtete. Auch wenn er dies zu überspielen trachtete und im Ganzen gesehen sicher eher ein nachsichtiger Chef war, behielt er als Vorgesetzter doch stets der Welt gegenüber seine Scheuklappen ausgefahren, was ihm vielleicht den Blick dafür verstellte, wieviel Widriges anderen Menschen im Laufe ihres Lebens zustößt, denen aber keine ausgleichende Gerechtigkeit zu Hilfe kommt. Und ganz sicher gehörte er, was sein Frauenbild betraf, zu diesen Kavalieren der alten Schule, von denen unsere Firma voll ist, die einer Frau zwar stets zuvorkommend in den Mantel helfen wollen, sich vielleicht sogar schützend für die eigene Gefährtin in die Bresche werfen würden, dafür aber auch erwarten, dass sie sich freiwillig auf eine niedrigere Stufe stellt.

Wenn ich, was immer seltener vorkam, sein Büro betrat, senkte sich sogleich eine Aura von Verkrampfung und Befangenheit über den Raum; stand ich direkt neben ihm am Schreibtisch, um ihm Unterlagen vorzulegen, hielt ich immer eine Ellenbogenlänge Abstand ein, weil ich fürchtete, er könne sonst eine Ausweichbewegung machen. Es lag etwas in der Luft, als warte er darauf, dass ich endlich verschwunden sein würde.

Es steht jetzt fest, dass ich in den Kundendienst wechsle, obwohl es mir niemand wirklich gesagt hat, nur das Gerücht kursiert hartnäckig, und alle scheinen das ganz in Ordnung zu finden - alle, außer mir natürlich, scheinen dies geradezu als Glücksfall zu betrachten.

Paul sagt zu mir, Für Sie ist es doch egal in welcher Abteilung Sie arbeiten, aber mir ist es nicht egal, nein überhaupt nicht, es ist ein Unglück, denn auch wenn meine bisherige Stelle, die ich nun verloren habe, nichts Großartiges war und ich gewiss keine spektakulären Firmengeheimnisse kannte, war ich doch nahe zum Zentrum der Macht vorgerückt und hatte vielleicht auf einem Sprungbrett gesessen, während ich mich jetzt wieder auf die hinteren Plätze zurückversetzt fühle.

Ich weise Paul ungnädig darauf hin, dass Frauen heutzutage nicht mehr so doof sind, sich bloß nach Tippen und Kaffeekochen zu sehnen, was mir mal wieder den Ruf einträgt, eine anstrengende Person mit ruppigem Umgangston zu sein, und wer weiß, vielleicht sagen sie sogar, ich hätte Haare auf den Zähnen. Dazu gehört bei uns nicht viel …

Während ich noch etwas betrübt mit der Welt hadere, spricht mich mein neuer Abteilungsleiter und künftiger Chef, Herr Wim S., endlich an und scheint viel von mir und meinen Talenten zu halten. Er sagt, ich hätte sicher schon gehört, dass ich die Mannschaft seiner Abteilung verstärken soll.

Ich frage ihn, was dort meine Aufgaben sind.

Er beschreibt mir meine neue Tätigkeit. Ich soll Manni unterstützen und mit ihm eine Art Tandem mit fließender Aufgabenverteilung bilden, er macht schwerpunktmäßig die technische Vorklärung, ich die kaufmännisch organisatorische Abwicklung, wie dies schon früher erfolgreich gehandhabt wurde.

Darin kennen Sie sich doch aus, Frau Rubens, lobt er mich, und ganz bestimmt würde ich mich schnell einarbeiten.

Außerdem kann man meine Sprachkenntnisse gut brauchen, fährt er fort, Jupp hat viel Auslandsgeschäft, sie lassen deshalb viel extern übersetzen, doch wäre es gut, mit meiner Hilfe diesen Aufwand zu sparen oder doch wenigstens zu verkleinern. Auf jeden Fall gibt es jede Menge zu tun für mich, und später, aber erst in einigen Jahren, nach einem altersbedingten Ruhestand, soll ich eventuell auch noch in ihrem eigenen Kundendienst, also dem von Jupp, zusätzliche Aufgaben übernehmen, aber natürlich erst, wenn ich mich ausreichend eingearbeitet hätte.

Mir liegt auf der Zunge zu fragen, warum gerade ich, ob nicht jemand anders mit einer technischen Ausbildung besser geeignet wäre, lasse es dann aber …

Er fragt, ob ich mir das alles in etwa so vorstellen könne und betrachtet mich forschend. Zwingen will man mich natürlich nicht, fügt er hinzu.

Ich antworte so überzeugend wie möglich, ja ja, man kann darüber reden, auch wenn ich die Aussichten im Stillen nicht prickelnd finde, sage ich nein, werde ich gleich heute entlassen, und Manni ist ein echter Kumpeltyp, mit dem es sich aushalten lässt, zumindest für eine Weile, vielleicht finde ich noch ein Mauseloch, durch das ich entschlüpfen kann, für den Augenblick scheint mir jedenfalls keine Gefahr zu drohen.

Fortsetzung folgt

Hinweis: Namen wurden geändert, Ähnlichkeiten sind Zufall.

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Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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