Vor Gericht: Die zerstückelte Leiche (1)

Gericht Grausig, wenn ein Mann den Körper seiner getöteten Frau in Einzelteile zerlegt und diese dann auf Feld und Wiese „entsorgt“. Jetzt steht Wladimir K. vor Gericht. 1. Tag

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Stellen Sie sich vor, es zieht Sie zum 1. Mai hinaus ins Grüne, zu einem Spaziergang oder einem Ausflug, bei dem Sie natürlich von Ihren Lieben begleitet werden. Es ist ein wunderbarer Tag, die Sonne strahlt, der Himmel leuchtet, die zarte Blütenpracht um Sie herum versetzt Sie in heiterste Stimmung. Dann entdeckt eines Ihrer Kinder eine abgestellte Tasche am Wegrand, schaut mit kindlicher Neugier hinein und findet – Leichenteile.

So ungefähr geschah es im Frühjahr des vergangenen Jahres. Am 22. April 2012, einem Sonntag, fiel Spaziergängern eine Plastiktüte auf, die in der Bauernschaft von W.-F. unweit eines Weges offenbar herrenlos abgestellt worden war. Wie die herbeigerufene Polizei feststellte, enthielt sie einen einzelnen Fuß und eine einzelne Hand jeweils mit dem dazugehörigen Unterschenkel bzw. Unterarm verbunden. Keine Attrappe oder Schaufensterpuppe, wie der zuständige Beamte zunächst dachte, sondern ganz echt. Nur die Sonne schien nicht an diesem Tag, und später am Abend regnete es sogar, was die Spurensuche erschwerte.

In den folgenden Tagen wurden weitere Leichenteile geborgen. Ein Angler zog am 23.4. einen Koffer aus der Bever, der einen weiblichen Torso enthielt, und ein Bauer überfuhr am 26.4. beim Pflügen auf seinem Acker versehentlich ein verloren daliegendes menschliches Bein. Nur der Kopf der Leiche und ein Fuß blieben verschwunden und sind es bis heute.

Die Tote wurde als die 59-jährige, aus Russland stammende Altenpflegerin Anna K. identifiziert. Ihr Mann, Wladimir K., geriet schnell ins Visier der Ermittler. Bereits am Montag, einen Tag nach dem ersten Leichenfund, erfolgte die Festnahme, am 24.4.2012 wurde Haftbefehl erlassen.

Im Saal A 23 des Landgerichts Münster machen sich die Prozessbeteiligten für die Verhandlung bereit. Eine burschikose Staatsanwältin in den besten Jahren und ein noch junger Anwalt mit Dreitagebart haben ihre gegenüberliegenden Positionen bezogen. Auch der Gutachtertisch ist mit Professor Norbert L. und der Psychologin Dr. Kristina K. sachkundig besetzt. Ein Bruder der Verstorbenen, ein hagerer Mann im dunklen Anzug, ist als Nebenkläger mit seinem Anwalt erschienen. Neben dem Stuhl des Angeklagten hat eine rötlich-blonde Dolmetscherin ihren Platz eingenommen. Wegen der schaurigen Aspekte der Tat ist das Presseaufgebot groß, doch bleibt die Zahl der Zuschauer hinter denen anderer, spektakulärer Mordfälle zurück. Wie immer vor Prozessbeginn erfüllt eine animierte, prickelnde Atmosphäre den Raum.

Dann wird der Angeklagte hereingeführt. Er trägt einen Parka mit übergestülpter Kapuze und hält den Kopf gesenkt. Erst als die fotografierenden Pressevertreter sich zurückgezogen haben, sehen die Zuschauer ein rundes Gesicht mit Knollennase und braunen Knopfaugen, darüber einen mittelblonden, halb borstigen Haarkamm, sowie die leicht stämmige Gestalt in dunkler Hose und dunklem Sweatshirt. Seine fast 50 Jahre sieht man ihm nicht an.

Gleich darauf nimmt die 2. Große Strafkammer ihre Arbeit auf.

Die Verlesung der Anklageschrift: Staatsanwältin W. wirft Wladimir K. vor, „einen Menschen getötet zu haben ohne Mörder zu sein“. Er habe seiner Ehefrau Anna, mit der er über 20 Jahre verheiratet war, nach einer lautstarken Auseinandersetzung am 21.4.2012 Schnittverletzungen im Halsbereich zugefügt und mehrfach auf ihren Oberkörper eingestochen. Der Tod trat innerhalb weniger Minuten ein. Anschließend trennte er im Badezimmer Kopf und Gliedmaßen ab, verpackte die Leichenteile in Plastiktüten, einer Tasche und einem Koffer, lud sie in den Pkw seiner Frau und entsorgte sie an verschiedenen Stellen in der ländlichen Umgebung des Ortes, in dem das Paar seit seiner Übersiedlung aus Russland lebte. Die Anklage lautet auf Totschlag, nicht Mord.

Sein Mandant wolle vor Gericht keine eigene Aussage machen, auch keine Angaben zur Person, legt der Verteidiger die Strategie fest. Dies stößt bei der Kammer auf wenig Gegenliebe, auch wenn der Vorsitzende Richter sogleich betont, Schweigen sei das gute Recht des Angeklagten. Jedoch willigt Wladimir K. nach einem Tuscheln mit Anwalt und Dolmetscherin ein, dass die während der psychologischen Untersuchung Professor Norbert L. geschilderten Sachverhalte herangezogen und von diesem ersatzweise vorgetragen werden dürfen. Dieser ergreift jetzt das Wort.

Wladimir K. wurde 1963 in einem kleinen Ort im Süden Russlands, nahe der Grenze zu Kasachstan geboren. Die Ehe der inzwischen verstorbenen Eltern, die nach russischen Verhältnissen zum gesellschaftlichen Mittelstand zählten, war wenig glücklich, der Vater, ein Lokführer, trank und misshandelte seine Frau. Nach der Geburt der älteren Schwester hatte die Mutter drei Schwangerschaftsabbrüche, weil der Vater keine weiteren Kinder wollte. Während sie mit Wladimir schwanger war, lebte sie deshalb bei ihren Eltern und kehrte erst nach seiner Geburt zu ihrem Ehemann zurück. Als er heranwuchs, etwa seit dem 15. Lebensjahr, begann er die Mutter zu verteidigen, d.h. er schüchterte den Vater ein und verhielt sich diesem gegenüber gemäß der von ihm selbst zitierten Devise: Alter Löwe tot, junger Löwe geboren. Der Vater beging schließlich Selbstmord, indem er sich vor einen Zug warf. Er war vereinsamt, da ihn die Mutter aus Rache wegen der schlechten Behandlung nicht mehr ausreichend versorgte. Zur seiner in Russland lebenden, vier Jahre älteren Schwester hat er noch gelegentlichen, telefonischen Kontakt.

Seit 1970 durchlief er das 10-jährige Schulsystem mit guten Noten und ohne Versetzungsprobleme. Der Abschluss entsprach dem deutschen Abitur und gilt als Voraussetzung zum Studium. Er begann eine Ausbildung als Agronom und zog mit 17 in eine größere Stadt. Als er dort nach anderthalb Jahren wegen Alkohol und Diebstähle im Wohnheim rausflog, kehrte er zu den Eltern zurück. Die Diebstähle trugen ihm eine zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe von einem Jahr ein. Im Alter von 17 oder 18 Jahren musste außerdem nach einem Sportunfall seine Nase gerichtet werden, die daraufhin ihre knollige Form bekam.

Seit er 14 war, trank er Alkohol, mit 16 stieg er von Wein auf Wodka um. Zunächst trank er vor allem am Wochenende und in Gesellschaft, später auch, wenn er allein zu Hause war. In den letzten Jahre der Ehe konsumierte er nach eigenen Angaben auf 3 Tage verteilt ca. eine 750 ml Flasche Kräuterlikor, bevorzugt die Marke Mümmelmann von Aldi. Er war demnach kein exzessiver Trinker, benötigte aber doch ein regelmäßiges Quantum und litt unter gelegentlichen Erinnerungslücken.

Er arbeitete als Fahrer, als Schlosser oder übte andere Hilfstätigkeiten aus. 1984 leistete er den 2-jährigen Militärdienst ab, wobei er sich wegen seiner Vorstrafe mit einer niedrigen Einstufung begnügen musste. Es folgten gesundheitliche Probleme, die er auf die Unterbringung in der Nähe eines Atomwaffenzentrums zurückführte, wo er angeblich einer Strahlenbelastung ausgesetzt war.

Nach der Militärzeit absolvierte er an einem Institut für Fernstudien eine Ausbildung als Lehrer für Militärkunde und arbeitete eine Zeitlang in diesem Beruf.

1988 lernte er Anna, eine Geschichtslehrerin, kennen. Das Paar heiratete 1989 und blieb bis zu Annas gewaltsamen Tod im April 2012 zusammen. Sie war 10 Jahre älter als er, was ihn vor allem deshalb nicht störte, weil er an Erektionsproblemen litt - als Ergebnis von Strahlenschäden, wie er glaubt - und dies ihn Frauen gegenüber hemmte. Dagegen missbilligten die Eltern die Heirat, weil sie am Alter der Braut Anstoß nahmen. Nach einer anderen Version fand er überhaupt erst ein Jahr nach der Eheschließung das wahre Alter seiner Angetrauten heraus.

Das Eheleben verlief nicht allzu stürmisch, Anna besaß ein ruhiges Temperament, beschrieb es ihr Mann, habe jedoch auch „richtig loslegen“ können, wenn ihr etwas wichtig war und ihren Standpunkt dann bis zum Ende durchgefochten. Nachwuchs blieb aus, obwohl vor allem Anna sich Kinder wünschte, und auch den medizinischen Ursachen ging das Paar nicht auf den Grund sondern nahm die Kinderlosigkeit als Schicksal hin.

Zwar konnte er einerseits den ganzen Tag über mit seiner Frau reden, was ihm offenbar gut tat, andererseits fühlte er sich von ihr wie ein Ersatzkind behandelt und von ihren Anweisungen - iss dieses, zieh' jenes an - gegängelt.

Nach seinen Angaben übte er bis zu jenem 21. April 2012 ihr gegenüber keinerlei Tätlichkeiten aus.

Es war die Zeit der Perestroika und wirtschaftliche Probleme suchten die sich schließlich auflösende Sowjetunion heim. Er bekam eine Stelle als Inspektor für Ökologie bei der Stadt, in der sie lebten, doch die Arbeit brachte wenig ein, da die Stadt kaum Lohn zahlte. Da Anna einer Familie von Russlanddeutschen entstammte und ihre Eltern bereits nach Deutschland ausgereist waren, nahm das Paar im April 1995 den gleichen Weg und ließ sich nach einem Aufenthalt in einem Übergangslager schließlich in W.-F. nieder, wo Annas Angehörige wohnten.

Sie besuchten gemeinsam Deutschkurse und Anna, die von Haus aus bereits gut Deutsch sprach, fand sich schnell zurecht. Er selber kam über gebrochene Sprachkenntnisse nicht hinaus und konnte nicht mehr als Lehrer arbeiten. Er fand eine Stelle als Hilfskraft bei einer Molkerei, die er Ende 2002 nach Streitigkeiten mit einem neuen Schichtleiter kündigte. „Selbstverliebtheit“ sei der Grund gewesen, übersetzte die Dolmetscherin, was wohl heißen sollte, er habe sich nicht anpassen können oder die eigenen Möglichkeiten überschätzt.

Danach nahm er keine Jobs mehr an, betätigte sich aber 2-3 Stunden pro Tag quasi als Hausmann, besorgte Wäsche, Essen usw. und hielt von 13-15 Uhr einen Mittagsschlaf.

Anna arbeitete als Altenpflegerin, und da man billig lebte, reichten die 2.000 Euro brutto, die sie verdiente, völlig aus, so dass es keine Geldprobleme für ihn gab. Anna bewahrte das Geld für den gemeinsamen Unterhalt in einer Schachtel in der Wohnung auf, und er nahm davon, was er brauchte.

Er war trotz allem der „Chef“, beschrieb er die häusliche Situation.

Abends saß er vor dem Computer und betrieb über Ebay einen Internethandel mit Orden und Münzen, mit dem er sich ein zusätzliches Taschengeld für Alkohol, Zigaretten und Reisen nach Russland finanzierte. Ein- oder sogar zweimal im Jahr besuchte er für etwa drei Monate (!) seine alte Heimat, und stets fuhr er die ganze Strecke ohne Übernachtung mit dem Wagen, saß also um die 40 Stunden am Steuer und nahm Ecstasy und Amphetamine zum Wachbleiben ein.

Seit der Übersiedlung nach Deutschland litt er an Kopf- und Rückenschmerzen, nahm zeitweise Medikamente ein und schlief schlecht. Eine 1997 auf Betreiben Annas hin durchgeführte neurologische Untersuchung erbrachte keinen Befund.

Sein Alkoholkonsum steigerte sich und analog dazu die Abneigung seiner Frau gegen dieses Laster. 2007 verursachte er unter Alkoholeinfluss einen Autounfall, woraufhin ihm vorübergehend der Führerschein entzogen wurde.

Er versuchte mit ihr über die Probleme zu sprechen - darüber, dass er sich nicht wohl fühlte in Deutschland und im Grunde zurück wollte, was sie jedoch ablehnte.

Er sei wie ein Papagei und würde immer das gleiche singen, zitierte er seine Frau.

Dennoch war sie besorgt, er könne in einem der Internet-Foren, in denen er surfte, eine andere Frau kennen lernen, was schließlich auch geschah - eine Russin, die noch in der Heimat lebte. Bei einem seiner dortigen Aufenthalte trafen sie sich und es kam zu Intimitäten, woraus sich eine Affäre entwickelte.

Die Situation spitzte sich zu, als Anna den Seitensprung entdeckte.

Er müsse selber entscheiden, lautete jetzt ihr Kommentar.

Mitte März 2011 fuhr er wieder für längere Zeit nach Russland und ließ zunächst offen, ob und wann er zurückkehren werde. Im Mai entschied er sich, endgültig in Russland zu bleiben, fuhr jedoch noch mindestens dreimal hin und her, um seine Angelegenheiten auf die Reihe zu bringen. 30.000 Euro Ersparnisse, die hauptsächlich von seiner Frau stammten, nahm er mit, wobei nicht ganz klar ist, wann Anna davon erfuhr und ob sie nicht inzwischen bereit war, auf das Geld zu verzichten, um ihn loszuwerden. Er kaufte davon in Russland eine Wohnung, in die er mit der neuen Freundin einzog.

Doch die Romanze währte nicht lange, die Beziehung zerbrach schon nach kurzer Zeit.

Daraufhin wollte er zu Anna nach Deutschland zurück.

Diese stellte jedoch Bedingungen:

Kein Alkohol mehr, Arbeit suchen, Geld zurück.

Im Februar 2012 verkaufte er die Wohnung in Russland und kehrte nach fast einem Jahr Abwesenheit für den geplanten Neuanfang zurück. Vorher verscherbelte er wegen eines Totalschadens nach einem nicht ganz geklärten Unfall noch das Auto, mit dem er gekommen war.

Doch Anna hatte sich verändert. Er war nicht mehr der „Chef“ wie früher, sondern fühlte sich jetzt wie ein Untermieter bei seiner Frau, die inzwischen nicht nur die Wohnung umgestaltet sondern auch ein eigenes Konto eröffnet hatte und stärker zwischen mein und dein zu unterscheiden begann. Er erkannte sein früheres Zuhause kaum wieder.

Es gab Streit, sie schrie ihn an: Er sei kein Mann, er schaffe nichts, er sei impotent.

Inzwischen trank er manchmal fast eine Flasche täglich.

Die Trennung schien unvermeidlich. Doch da Anna ihm keine eigene Wohnung finanzieren wollte und er kein Hartz-IV bekam, beschloss er, nun doch wieder nach Russland zurückzukehren. Und diesmal, so plante er zumindest, diesmal sollte es endgültig, ein Abschied von Anna und Deutschland für immer sein.

Soweit zur Biographie. Nun zum Tatgeschehen, soweit er dieses dem Gutachter gegenüber offenbarte. Dass er überhaupt etwas offenbarte, ist insofern bemerkenswert, als Wladimir K. bisher kein offizielles Geständnis ablegte, sich aber dennoch der Polizei gegenüber kooperativ bei der Suche nach den verlorenen Leichenteilen verhielt und die Enthüllung von Täterwissen als indirektes Geständnis gewertet werden muss. Der Gutachter berichtet weiter:

Am Donnerstag, den 19. April 2012, machte er sich wieder auf den Weg gen Russland. Vorher nahm er, um für die Reise gerüstet zu sein, den üblichen Cocktail an Aufputschmitteln ein.

Wie weit er kam? Bis zur weißrussischen Grenze. Dort hinderte ihn der Zoll nach einer längeren Wartezeit an der Weiterfahrt. Grund: Da er bei seinem letzten Aufenthalt in Russland das schrottreife Auto zurückgelassen und nicht wieder ausgeführt hatte, existierte dies noch in den Unterlagen der Zollbehörde. Bei der Einreise mit einem zweiten Fahrzeug wurde für dieses Einfuhrsteuer bzw. eine Kaution in Höhe von 2.500 Euro fällig. Diesen Geldbetrag hatte er aber nicht bei sich.

Was also tun? Er rief Anna an, um ihr mitzuteilen, er käme in ein paar Tagen zurück - natürlich nur vorübergehend, was für ihn eine ziemlich demütigende Situation gewesen sein muss.

Am Samstagmorgen traf er wieder in W.-F. ein und besorgte sich als erstes eine Flasche Mümmelmann von Aldi.

Am Samstagmittag kehrte er in die eheliche Wohnung zurück, wo Anna ihn bereits erwartete.

Welche Bitterkeiten der erste Schlagabtausch an die Oberfläche schwemmte, lässt sich nur erahnen, jedenfalls verließ Anna anschließend die Wohnung, um zu ihrer Schwester Margarita zu fahren.

Das war ihr Fehler, sagte Wladimir K., er habe weitergetrunken, weil er dachte, er sei ihr gleichgültig, sonst wäre sie noch am Leben.

Denn alles Weitere sei wie ein Alptraum für ihn und die Erinnerung an den Ablauf des Tages fast vollständig aus seinem Gedächtnis getilgt.

Er müsse wohl eingedöst gewesen sein und wachte auf, weil er gegen 17 Uhr 30 das Zuschlagen der Balkontür und die Stimme seiner Frau hörte:

Sie beschimpfte ihn: 24 Jahre ihres Lebens habe sie an einen Mann verschwendet, der nichts schaffe, der sein Wort nicht halte …

Dabei wusste sie doch, wenn er betrunken war, war es sinnlos mit ihm zu reden.

Sie hielten sich in der Küche auf, wo auf dem Tisch eine Obstschale stand - daneben in Reichweite das Obstmesser.

Sie sagte: Du bist kein Mann ….

Ein Psychologe in Russland würde das verstehen, rechtfertigte sich Wladimir K.

Er stach zu, nur ein einziges Mal, behauptet er, und traf sie in den Hals, wo die Klinge stecken blieb.

Daraufhin kehrte er ins Wohnzimmer zurück, setzte sich vor das Fernsehgerät und schaltete eine russische Sendung ein.

Wie lange weiß er nicht. Das Läuten des Telefons trieb ihn in die Küche zurück, wo Anna reglos auf dem Boden lag. Er fühlte ihren Puls, da war nichts mehr, sie war tot.

Die Flasche Mümmelmann war inzwischen fast leer getrunken. Nach russischem Recht verschärft sich die Strafe, wenn Trunkenheit im Spiel ist.

Ich hatte zwei Ichs im Kopf, sagte Wladimir K., ich war nicht ich.

Er schleppte die tote Frau ins Badezimmer, entkleidete sie und trennte in der mit Wasser gefüllten Badewanne den Kopf mit einem Messer vom Rumpf ab. Als der Versuch, die Körperteile weiter zu zerkleinern, an der Sperrigkeit der Materie scheiterte, brach er Arme und Beine ab, verstaute den Torso in einem Koffer und wickelte die restlichen Teile in Einkaufstüten und gelbe Plastiksäcke ein. Er reinigte die Wohnung und tauschte den blutbefleckten Teppich in der Küche gegen einen ähnlichen aus, den er vom Dachboden holte. Zwischendurch trank er den Rest des Mümmelmanns.

Er verfrachtete die Teile in den Flur und wartete, bis es dunkel wurde. Dann hievte er die grausige Ladung in das Auto seiner Frau, da das eigene noch mit seinem Reisegepäck vollgeladen war, und legte sie Stück für Stück in der umliegenden Dorfbauernschaft ab.

In den frühen Morgenstunden des Sonntags war er zurück, duschte und ließ die Wirkung von Tabletten und Alkohol abklingen.

Erst gegen Abend rief er die Schwester seiner Frau an, erzählte ihr von einem Streit mit Anna, und dass sie daraufhin weggegangen und nicht zurückgekehrt wäre. Danach rief er zwei weitere Freundinnen Annas an, denen gegenüber er ebenfalls Sorge über ihren Verbleib heuchelte.

Er dachte an Selbstmord, doch zu einem Revolver, den er besaß, fehlte ihm die Munition.

In der U-Haft wurde er deshalb wegen Suizidgefahr nach einigen Tagen in eine Einzelzelle mit Kameraüberwachung verlegt. Bisher erhielt er dort nur einen einzigen Besuch von einem Bekannten.

Damit beendet Professor L. seinen Bericht.

Vermisste er seine Frau?, will der Vorsitzende Richter wissen.

Nein, überhaupt nicht, antwortet der Gutachter, er war emotionslos, zeigte keinen Wechsel des Gesichtsausdrucks, keine Scham, keine Reue. Unangenehm war ihm vor allem der spätere Umgang mit der Leiche. Er stach ihr in den Hals, damit sie Ruhe gibt, erklärte er die Tat. Die Stiche in die Brust, bei denen der Herzbeutel mehrfach verletzt wurde, seien erst nach ihrem Tod entstanden.

Und wo blieb das Geld aus dem Verkauf der Eigentumswohnung in Russland?

Er eröffnete ein Konto auf seinen eigenen Namen und zahlte dort die 30.000 Euro ein.

Wie erklärte denn der Angeklagte das Zerstückeln der Leiche?, meldet sich der Verteidiger zu Wort.

Er bestritt, den Körper aus Wut zerstückelt zu haben, sondern es ging ihm ausschließlich darum, den Leichnam besser beseitigen zu können.

Das Publikum raunt: Kann ein Mensch so grausam sein. Es sind vor allem die Verwandten von Anna K., die zur Verhandlung erschienen sind.

Erster von insgesamt 5 Verhandlungstagen. Fortsetzung folgt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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