Vor Gericht: Die zerstückelte Leiche (2)

Gericht Hoffte Wladimir K. den Folgen der Tat entkommen zu können, indem er den zerstückelten Körper seiner Frau beseitigte? Sehr geschickt ging er nicht vor. 2. Tag

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Nur wenige Zuschauer sind noch erschienen an diesem zweiten Verhandlungstag. Eine Aura des Verlegenen und Geduckten umgibt Wladimir K., als er aus dem Verwahrraum kommend seinen Platz einnimmt. Kaum scheint er einen Blick in Richtung des Publikums zu wagen. Die dunkle Hose und das Sweatshirt sind noch die gleichen wie beim letzten Mal, nur um das Kinn herum scheint sich ein Hauch von Stoppeln angesiedelt zu haben, der letzte Woche noch nicht da war. Das Sprießen eines Bartes?

Nach der Vorgeschichte beginnt wie üblich die Beweisaufnahme mit der polizeilichen Rekonstruktion des Leichenfundes. Nachdem am ersten Verhandlungstag bereits fünf Zeugen gehört wurden, sind weitere acht Beamte geladen und rekapitulieren die Ereignisse aus ermittlungstechnischer Sicht:

Ein Ehepaar, das mit seinen Kindern unterwegs war, bemerkte eine beschädigte Tasche, die ihnen ungewöhnlich schwer vorkam, in einem Graben, einen Meter von einer Landstraße im Umfeld von W.-F. entfernt. Sie öffneten sie nicht, da sie meinten, darin einen Fuß zu erblicken, sondern alarmierten die Polizei.

Da will uns einer veräppeln, dachte der Beamte zunächst, der den verdächtigen Fund begutachtete. Dass dem nicht so war, war sofort klar, als er die Tasche öffnete und Zehennägel sah. Das Technische Hilfswerk kam zum Ausleuchten, damit trotz des starken Regens Kripo und Spurensicherung die Arbeit aufnehmen konnten. Der Kriminaltechniker, der am folgenden Tag im Labor den Inhalt der Tasche untersuchte, fand darin in zwei getrennten Tüten ein rechtes Bein und einen rechten Arm, außerdem Zigarettenkippen, Kaffeeprütt, durchblutete Papiertaschentücher und Teile eines Büstenhalters.

Noch am selben Abend ging per 110 bei der zuständigen Stelle auch eine Vermisstenmeldung ein. Es war Annas Schwester, die sie gleich nach dem Anruf ihres Schwagers erstattete. Zwei Beamte kamen kurz darauf vorbei, um die Details aufzunehmen.

Am Montagmorgen, dem 23.4.2012, suchte die Beamtin, die die Vermisstensache bearbeitete, Wladimir K. in seiner Wohnung im 1. Stock eines Mehrfamilienhauses in W.-F. auf. Sie fragte ihn, ob er eine Selbstmordabsicht seiner Frau für möglich halte. Die Verständigung war schwierig, erinnert sich die Zeugin, da er nur gebrochen Deutsch sprach, also verständigte man sich „mit Händen und Füßen“. Im Flur standen außerdem drei große Taschen herum, bei denen es sich um Gepäckstücke von der abgebrochenen Reise des Angeklagten nach Russland handelte.

Er sagte ihr, seine Frau habe am Samstag, gegen 18 Uhr die Wohnung im Streit verlassen und seitdem nichts mehr von sich hören lassen.

Gegen Mittag traf die Nachricht der Kripo von dem Leichenfund des Vortages bei ihr ein. Vermisstensache und Tötungsdelikt wurden jetzt zusammengeführt.

In Begleitung einer Kollegin suchte sie Wladimir K. ein zweites Mal auf. Beim Eintreffen der beiden Beamtinnen war er gerade in der Küche mit Tomatenschneiden beschäftigt. Er wirkte völlig ruhig, so als wäre nichts Besonderes vorgefallen und schien sich auch keine erkennbaren Sorgen um seine Frau zu machen.

Vera F., eine Freundin von Anna K., die in der Nähe wohnte, wurde als Dolmetscherin hinzu gebeten, doch brachte das Gespräch keine neuen Erkenntnisse.

Die Beamtinnen ließen sich die Zahnbürste der Vermissten zwecks DNA-Vergleich aushändigen und befragten die Nachbarn.

Diese hatten in der Tat in der Nacht von Samstag auf Sonntag Verdächtiges oder doch Ungewöhnliches wahrgenommen: Ein Ehepaar aus der angrenzenden Wohnung hörte abends einen Streit und wurde nachts von einem Poltern geweckt, woraufhin ihr Hund zur Tür lief und bellte. Als der Nachbar den Hund morgens ausführte, fielen ihm Blutspuren im Treppenhaus auf. Später beobachtete er, dass Wladimir K. das Treppenhaus reinigte, obwohl das Ehepaar K. mit dem Putzdienst nicht an der Reihe war.

Ein Gespräch mit dem Filialleiter der Sparkasse in W.-F. ergab, dass in den letzten Tagen keinerlei Kontobewegungen stattgefunden hatten. Da nicht nur das Fahrzeug sondern auch Anna K.'s Bankkarte noch vorhanden war - was ihr Mann nicht zu verheimlichen suchte, schien ein freiwilliges Verschwinden immer unwahrscheinlicher zu sein.

In Absprache mit der Kripo erfolgte daraufhin die Festnahme von Wladimir K., der sich auch bei dieser Amtshandlung völlig ruhig verhielt und keine Gefühlsregung zeigte.

Anschließend besichtigten und versiegelten Polizeibeamte die Wohnung. Trotz der durchgeführten Reinigung konnten auf den Marmorstufen des Treppenhauses Anhaftungen von Blut gesichert werden. Selbst die Mülltonnen vergaß man nicht und durchsuchte sie nach dem Tatwerkzeug - jedoch ohne Erfolg.

Am nächsten Tag wurden die beiden Pkw des Paares inspiziert und Leichenhunde auf die Fahrzeuge angesetzt. Aus dem Kofferraum des VW Polo des Opfers schlug den Beamten sofort starker Fäulnisgeruch entgegen und der Abdeckteppich über der Reserveradmulde war mit Blut durchsuppt. Blutspuren fanden sich auch an Heckklappe, Fahrersitz, hinterer Tür und Rückbank. Es war klar, dass dieser Wagen zum Transport der Leiche benutzt worden war und der Täter sich keinerlei Mühe gemacht hatte, die Spuren zu beseitigen. Gegen den Geruch wäre er ohnehin machtlos gewesen.

Dagegen war der VW Fox des Angeklagten voll bepackt mit Haushaltsgeräten, Werkzeugen und Kleidungsstücken. Es fanden sich außerdem einige goldfarbene Münzen sowie allerlei Trödel, der aus der Nebenbeschäftigung des Angeklagten stammte.

Auch die Wohnung des Paares wurde in den folgenden Tagen einer gründlichen kriminaltechnischen Untersuchung unterzogen und umfangreiche Spurensicherungsmaßnahmen durchgeführt. Mittels chemischer Verfahren gelang es, Blutspuren in Küche, Bad und Treppenhaus sichtbar zu machen. Ansonsten befanden sich die Räumlichkeiten in einem aufgeräumten Zustand und zeigten keinerlei Kampfspuren.

Man entdeckte den frisch verlegten Teppich in der Küche sowie einige andere Tücher und Laken, die den Materialien glichen, in die Leichenteile eingewickelt gewesen waren.

Ein Messerkoffer und ein Hackebeil wurden aufgestöbert, doch befand sich das Tatwerkzeug nicht darunter.

Noch am Montagnachmittag führte die Polizei eine erste Vernehmung mit Wladimir K. als Tatverdächtigen durch.

Dieser berichtete zunächst von der Reise nach Russland, den etwas verworrenen Umständen seiner Rückkehr und dem Besuch seiner Frau bei ihrer Schwester.

Zu ihrem Verschwinden erklärte er, Anna habe am Samstag nach einem Streit die Wohnung verlassen und sich mit den Worten verabschiedet:

Wenn mir was passiert, bist du schuld.

Nachts sei er wach geworden, habe ihre Abwesenheit bemerkt und sei deshalb mit dem Pkw herum gefahren, um sie zu suchen. Schließlich habe er gedacht, sie werde wohl bei ihrer Schwester übernachten und rief am Sonntagabend dort an.

Die Beamten konfrontierten ihn mit dem Fund der Leichenteile.

Daraufhin sagte er: Ja, es wäre gut, dass die Polizei sich darum kümmert.

Am nächsten Tag, dem Dienstag, wurde er erneut vernommen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Leichenteile per DNA bereits eindeutig Anna K. zugeordnet worden.

Wie geht es Ihnen, fragten ihn die Beamten.

Schlecht, antwortete Wladimir K., er habe 23 Ehejahre vor Augen und vermisse seine Frau.

Danach tischte er ihnen abermals die Geschichte vom Vortag auf: Es habe Streit gegeben, wegen seines Alkoholkonsums, wegen Lügen, gebrochenen Versprechen und seiner Bekannten in Russland. Vor seiner Abreise habe Anna zu ihm gesagt:

Wenn du nach Russland fährst, dann für immer. Oder du bleibst hier für immer.

Dass sie gleich nach seinem Auftauchen in der Wohnung wieder Alkohol an ihm roch, löste offenbar eine heftige Zornesattacke bei ihr aus.

Auch bei dieser zweiten Vernehmung beharrte er darauf, er habe nichts mit ihrem Verschwinden zu tun.

Wo ist denn Ihre Frau ohne Geld und ohne Auto?, hielten ihm die Beamten vor.

Wenn ich ihr was angetan hätte, wäre ich doch sofort nach Russland gefahren. Wo ist die Logik?, versuchte er sich herauszuwinden.

Der vernehmende Beamte hielt seinen Eindruck fest: Er habe selten einen Menschen erlebt, der, konfrontiert mit Leichenteilen, so reagierte wie der Beschuldigte: Starrer Blick, emotionslos, stereotype Bemerkungen. Fragen nach seiner Frau, ob sie gefunden worden wäre, stellte er nicht, obwohl er auch kein Schuldeingeständnis ablegte. Er sprach darüber, dass in Russland die Strafe härter ausfällt, wenn eine Tat unter Alkoholeinfluss begangen wurde und er nicht gewusst hätte, dass dies in Deutschland anders wäre.

Eine Befragung unter den Angehörigen des Opfers ergab, dass der Beschuldigte kaum Kontakt zur Familie seiner Frau unterhielt und dort nicht sehr beliebt war.

Es war die Woche vor dem 1. Mai, der bekanntlich viele Spaziergänger ins Freie lockt, und die Presse berichtete ausführlich über den spektakulären Fall. Die Polizei begann sich Gedanken zu machen, zum einen, dass tatsächlich Passanten, womöglich gar Kinder, auf weitere Leichenteile stoßen könnten, zum anderen, dass wegen der Beunruhigung der Bevölkerung mit häufigen Fehlalarmen zu rechnen war.

Nachdem eine Suchaktion mit Leichenspürhunden zu keinem Ergebnis geführt hatte, wurde Wladimir K. gegen Ende der Woche über seinen Verteidiger gebeten, sich an der Suche zu beteiligen, was er auch tat. Polizeibeamte fuhren also in seiner Begleitung mehrere Stunden die gesamte Umgebung des Ortes ab in der Hoffnung, vor allem die Fundstelle des Kopfes, die er ihnen genau beschrieb, finden zu können. Doch auch dieser Aktion war kein Erfolg beschieden, was nach Meinung der Beamten aber nicht an der mangelnden Bereitschaft des Angeklagten lag. Vielmehr war es wohl so, dass dieser die Stelle tatsächlich nicht mehr fand, da die ländliche Gegend überall ähnlich aussah und die Leiche nachts beseitigt wurde, wo ohnehin alle Katzen grau sind.

Nach Polizei, Kripo und Spurensicherung kommen die Rechtsmediziner zu Wort.

Dr. Bernd K. vom Rechtsmedizinischen Institut des Uni-Klinikums Münster führte die Obduktion bzw. die Teilsektionen an den drei Fundstücken durch. In einem halbstündigen Vortrag erläutert er die vorgefundenen Verletzungen sowie die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für den Tathergang.

Der Torso wies schwere Stichverletzungen auf, vier Durchstiche des knöchernen Brustkorbes, mehr als 15 scharfrandige Durchtrennungen des Herzbeutels, zahlreiche Lungendurchschnittsverletzungen sowie zwei Bauchverletzungen, bei denen der Darm durchstochen wurde. Es fanden sich außerdem Verletzungen im Rückenbereich, wie sie durch stumpfe Gewalt und starken Druck entstehen, etwa wenn sich der Täter auf den Körper des Opfers gesetzt hätte.

Eine genaue Unterscheidung des Zeitpunktes, ob die einzelnen Verletzungen dem Opfer vor oder nach Todeseintritt zugefügt wurden, war nicht immer möglich; vorhandene Umblutungen der Stichwunden und das zur Untersuchung eingesetzte Verfahren ließen nur begrenzte Wahrscheinlichkeiten zu.

Die Spuren sprechen außerdem dafür, dass die Tat in Bodennähe ausgeführt wurde, d.h. das Opfer lag zu irgendeinem Zeitpunkt vermutlich auf dem Fußboden und zwar in einer unnachgiebigen Rückenlage. Die Version des Angeklagten, er habe nur einmal und dann im Stehen zugestochen, passt nicht zu den gesicherten Abspritzspuren, die entstehen, wenn ein Körper bewegt oder in eine bereits geblutete Fläche gestochen wird. Als Grundmuster der Verletzungen zeigt sich, dass mit einem stumpfen, einschneidigen Messer immer wieder zugestochen wurde, ohne die Klinge zwischendurch ganz herauszuziehen, wodurch mehrere Stichkanäle unterhalb einer Hautverletzung entstanden. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Anna K. bei diesem Vorgang aufrecht stand, da sie sich dann bewegt haben würde, es jedoch keine Verletzungen gab, die durch Verteidigung entstanden sein könnten.

Der Blutverlust war erheblich, die Leichenteile waren praktisch ausgeblutet und kein Blut mehr im Herzen vorhanden.

Selbst wenn der Stich in den Hals die Todesursache bildete, könnten bis zum Eintritt des Todes um die 10-15 Minuten vergangen sein, und auch Bewusstlosigkeit muss nicht sofort eingetreten sein.

Wegen des fehlenden Kopfes kann die Todesursache nicht eindeutig bestimmt werden, da dieser theoretisch zertrümmert worden sein könnte, woraus sich verschiedene Todesmöglichkeiten ergeben.

Als zweiter rechtsmedizinischer Gutachter bestätigt der Bio-Chemiker Dr. Stephan K., dass die DNA der Leichenteile und das aus Zahnbürste und Zigarettenkippen des Opfers gewonnene Vergleichsmaterial mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit übereinstimmen.

Zweiter von insgesamt 5 Verhandlungstagen. Fortsetzung folgt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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