Vor Gericht: Die zerstückelte Leiche (4-5)

Gericht Der Prozess gegen Wladimir K. geht zu Ende. Nur die Plädoyers stehen noch aus – und natürlich das Urteil. - 4. Tag

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Ein paar letzte Zuschauer sind übrig geblieben, fast ausschließlich Frauen, die russisch sprechen. Sie sitzen da mit herben, verschlossenen Gesichtern, wie eine kleine Gemeinde der Fleißigen und Strebsamen, die stolz ihre bescheidene Ehrbarkeit zur Schau stellen als Zeichen einer Zugehörigkeit, von der sie lange getrennt waren. Mit steifer Distanz stehen sie für den Mythos der deutschen Arbeitstugenden ein.

Und Wladimir K.?

Der Vollbart lässt ihn nicht wirklich männlicher erscheinen, zu prägnant gibt das runde Gesicht mit der Knollennase ihm etwas Gemütliches, fast Lustiges, möchte man sagen, klänge es nicht gar so deplatziert. Dass er im Wechsel zwischen den Kulturen seine Tatkraft verlor und allmählich verkümmerte, wird den Angehörigen als Erklärung für die Bluttat kaum reichen.

Das Leben der Anna K. ging verloren. Sie war zerrissen zwischen Loyalitäten - der gegenüber der Familie und ihren Idealen und der gegenüber dem Mann. Sie versorgte ihn und hielt ihm dies gleichzeitig vor. Sie zögerte eine Entscheidung hinaus, weil sie hoffte, er werde sie ihr ersparen. Er, der Schmarotzer, sollte von selber gehen, ohne dass sie ihn hinauswerfen musste, weil dies zu grausam gewesen wäre.

Was spricht für, was gegen den Angeklagten? Staatsanwältin W. ist um Ausgewogenheit bemüht:

Er schmiss den Job und seine Frau sorgte für alles, da er kein Hartz IV bekam.

Er machte sich in der Wohnung nicht nützlich sondern verhielt sich egoistisch und wurde von ihren Verwandten als „Faulsack“ beschrieben.

Er lernte die deutsche Sprache nicht sondern trank zuviel Alkohol.

Er integrierte sich nicht sondern lernte über das Internet eine andere Frau kennen.

Dagegen hat die Ehefrau von ihrem bescheidenen Verdienst 30.000 Euro gespart.

Er ging nach dem Scheitern einer neuen Beziehung in Russland nur scheinbar auf ihre Bedingungen ein sondern wollte weiter den „Chef“ spielen.

Und schließlich wälzte er die Schuld an seiner Tat bis zu einem gewissen Grad auf das Opfer ab, weil Anna ihre Schwester besuchte statt ihn vom Trinken abzuhalten, so als würde sie heute noch leben, wenn sie ihn weiter „bemuttert“ hätte.

Dagegen wurde Anna K. als ruhig und klug beschrieben, eine Frau, die sich selber Vorwürfe machte, weil er in Deutschland nicht Fuß fasste. Dass sie ihn mit den Worten beschimpfte, du bist kein Mann, sei nicht sexuell gemeint gewesen. Gemeint war vielmehr, er habe sein Wort nicht gehalten.

Nicht nur, dass er seine Frau durch einen Messerstich in den Hals vorsätzlich tötete, das Opfer wies Verletzungen am Rücken auf, die noch zu Lebzeiten entstanden, was vermuten lässt, er saß auf ihrem Oberkörper, und vielleicht schlug er sogar auf sie ein und misshandelte sie, man weiß es nicht, da der Kopf fehlte.

Er stach weiter zu und verletzte den Herzbeutel bis zu siebzehn mal. Auch wenn man annimmt, dass dies erst nach ihrem Tod geschah, lässt sich daran doch ein „unbedingter Vernichtungswille“ ablesen, der nicht allein dem Zerteilen der Leiche zum Zwecke der Beseitigung galt. Dies habe der Gutachter überzeugend ausgeführt.

Bei der Verhaftung legte er ein emotionsloses Verhalten an den Tag.

Zwar gestand er die Tat dem Gutachter ein, jedoch nur in unvollständiger Form, so dass die Fortsetzung des Tathergangs und die genauen Verletzungen des Opfers bis hin zur Todesursache bis heute ungeklärt blieben.

Er ging bei der Vertuschung des Verbrechens recht planmäßig vor und zerteilte die Leiche mit einem hohen Aufwand an Energie. Man könne von einer „qualifizierten Spurenbeseitigung“ sprechen, die sich in diesem Falle durchaus straferschwerend auswirken könne. Wegen der großräumigen Verteilung der Leichenteile erregte der Fall großes Aufsehen in der Öffentlichkeit.

Auch später zeigte er keine Emotionen, keine Reue. „Es ist eben passiert“, sei seine Sicht der Dinge.

Was spricht für ihn?

Immerhin, er gestand die Tat, wenn auch nicht umfassend, so dass es sich nur um ein pauschales, allgemeines Geständnis ohne Einzelheiten handelt.

Er unterstützte die Polizei bei der Suche nach den fehlenden Leichenteilen, während er sich in U-Haft befand, um die Bevölkerung zu schonen.

Während seiner Zeit in Deutschland fiel er bisher polizeilich nicht auf, also keine Vorstrafen, außer einem Strafbefehl von Januar 2008 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr, nachdem er mit seinem Fahrzeug in einem Graben gelandet war. Die Fahrerlaubnis wurde für 9 Monate entzogen.

Zur rechtlichen Würdigung:

Er beging einen Fall von Totschlag, Mordmerkmale seien nicht feststellbar.

Handelt es sich um einen minderschweren Fall, ja oder nein?

Nein, es handelt sich angesichts des brutalen Vorgehens nicht um einen minderschweren Fall, es stehe also ein Strafrahmen zwischen 5 - 15 Jahren offen.

Alles abgewogen beantragt die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren.

Der Anwalt des Nebenklägers schließt sich an:

Frage: Warum musste Anna K. sterben? Warum wurde ihre Leiche Tieren zum Fraß vorgeworfen?

Antwort: Weil sie still sein sollte. Eine Beziehungstat.

Als das Paar sich kennenlernte, übten beide eine ähnliche Tätigkeit aus. Man befand sich auf Augenhöhe.

Seit er seinen Beruf aufgab oder aufgeben musste, trat bei ihm eine Alkoholneigung zu Tage, die immer öfter zu Streit führte.

Er verhielt sich oberflächlich, unsensibel und stellte die eigene Versorgung in den Vordergrund.

Auch bei der Übersiedlung nach Deutschland kam er mit, weil er versorgt sein wollte.

Hier verlor er wegen mangelnder Sprachkenntnisse seine Souveränität, die ihm sehr wichtig war. Das „Chefsein“ wurde infrage gestellt.

Er trödelte hier, er trödelte da, er lebte vom Einkommen seiner Frau.

Daraus entwickelte sich ein immer größeres Konfliktpotential: der Streit um Geld.

Er zeigte keine Dankbarkeit für die Leistungen seiner Frau.

Ganz anders Anna, die Ehefrau.

Sie erlernte einen neuen Beruf und baute als strebsame, pflichtbewusste Frau eine neue Existenz für sie beide auf.

Sie fühlte sich schuldig, fühlte sich mitverantwortlich für seine Integrationsprobleme und lebte sich in eine Mutter-Kind-Beziehung hinein.

Doch auch ihre Toleranz verflüchtigte sich, da er sein Rollenverständnis als „Chef“ immer weniger einlöste.

Nachdem er sie getötet hatte, fasste er die Absicht, die Leiche zu „entsorgen“, ein Begriff, der aus der Abfallwirtschaft stammt.

Durch die Zerstückelung der Leiche verursachte er den Angehörigen einen tiefen Schmerz und verletzte ihre religiösen Gefühle. Der Leichnam konnte nicht vollständig bestattet werden. Gerade das Gesicht steht jedoch für die Identität der Toten. Die Vorstellung, dass dieses evtl. von Tieren weggeschleppt und gefressen wurde, ist den Angehörigen unerträglich. Der Angeklagte verhielt sich roh und beseitigte Spuren in einem qualifizierten Ausmaß. Durch seine anfänglich falschen Angaben wurden die Angehörigen lange im Ungewissen über das Schicksal einer ihnen nahe stehenden Person gelassen.

Zur rechtlichen Würdigung:

Als Anwalt der Nebenklage hat er die Sicht der Angehörigen zu vertreten. Auch er ordnet die Tat als Totschlag ein und kann keine Mordmerkmale erkennen.

Da sei jemand an seinem Anspruch „Chef“ und „König“ zu sein gescheitert und habe die Partnerin dafür verantwortlich gemacht.

Nach der Tat zeigte er keine Reue.

Dieser Mensch sind Sie, Herr K., erklärt der Vertreter der Nebenklage pointiert mit Blick auf den Angeklagten.

Er fordert eine Verurteilung im oberen Bereich des Strafmaßes.

Der Verteidiger schenkt den Beteiligten ein schüchtern verschmitztes Lächeln, bevor er seine Rede beginnt.

Zwei Aspekte müssten unabhängig voneinander betrachtet werden, setzt er an:

1. Die Tat.

2. Die Spurenbeseitigung, die eine besonders grausame Komponente enthält und sich darin von anderen Taten unterscheidet.

Zunächst zum Hergang: Als Wladimir K. 1995 mit Anna übersiedelte, lebte deren Familie bereits in Deutschland und hatte über das gute Leben dort berichtet. Er musste mit, wollte er nicht seine Frau verlieren. Von Anfang an fühlte er sich nicht wohl, er war einsam und unglücklich und unterhielt Kontakte nach außen hauptsächlich über das Internet. Im Grunde wollte er zurück.

Als er im März 2012 nach längerer Abwesenheit wieder nach Deutschland kam, fand er eine veränderte Situation vor. Er erkannte seine Frau nicht wieder. Es gefiel ihr nicht, wie er lief, wie er sich kleidete, an allem hatte sie jetzt etwas auszusetzen.

Nach dem Scheitern der Beziehung in Russland scheiterte jetzt der Neuanfang in Deutschland. Von der Familie seiner Frau fühlte er sich ausgegrenzt.

Man müsse nicht pathetisch werden um zu folgern, dass das Leben des Herrn K. ein Scherbenhaufen war.

Dann misslang auch noch der Versuch wieder nach Russland einzureisen, und er musste die gerade verlassene Frau um Asyl bitten. Sie willigte mit Bedingungen ein.

Dass seine Frau selbst schuld wäre, für solche „hanebüchenen Aussagen“ sei der Angeklagte viel zu intelligent, was auch für die Verwendung des Begriffes „Entsorgung“ gelte. Möglicherweise handelt es sich um ein Übersetzungsproblem.

Sein Selbstwertgefühl war also ziemlich angeschlagen, er fühlte sich in der Defensive und stand aus seiner Sicht mit dem Rücken zur Wand.

Dann sagte sie auch noch: Du bist kein Mann!

In dieser Situation trafen ihn die Äußerungen zu seiner Männlichkeit „bis ins Mark“. Er wollte, dass sie still ist. Alles Weitere war wie „ein Alptraum“ für ihn, er fühlte sich gedemütigt und handelte im Affekt.

Wie es zu den weiteren Verletzungen kam, werde wohl ungeklärt bleiben.

Der erste Stich erfolgte jedenfalls nicht in Tötungsabsicht, da der Angeklagte gar nicht die Zeit hatte, einen Vorsatz zu bilden. Nach dem ersten Stich glaubte er, sie wäre tot, auch den weiteren Stichen lag also keine Tötungsabsicht zugrunde.

Würden also die späteren Stiche nicht berücksichtigt, handelte es sich nur um eine lebensgefährliche Körperverletzung.

Der zweite Aspekt beschäftige sich mit der Beseitigung der Leiche.

Das Zerteilen des Körpers müsse vollkommen losgelöst gesehen werden von dem Tötungsakt.

Auch eine „qualifizierte Spurenbeseitigung“ dürfe nach seiner Auffassung nicht strafverschärfend wirken, da der Angeklagte sie durch seine Kooperationsbereitschaft wieder gutgemacht hat. Innerhalb weniger Augenblicke wurde er zum Verbrecher und traf die verzweifelte Entscheidung, die Tat zu vertuschen.

Für das Strafmaß ist jedoch nur die Tat selber, nicht die Beseitigung des Opfers relevant, auch wenn dies in der Öffentlichkeit auf Unverständnis stoße.

Was spricht für, was gegen ihn?

Er beging keine geplante sondern eine spontane Tat, die deshalb milder zu bestrafen sei. Schon länger lebte das Paar in einem Mutter-Kind-Verhältnis, in einem Verhältnis von Über- und Unterordnung. Wiederholt hatte sie ihn als „faulen Sack“ bezeichnet. Von ihrem Tod profitierte er nicht und war auch vorher nie gewalttätig gegen sie geworden.

Vielmehr hatte sich eine massive Wut auf sich selber, wegen seiner Lebenssituation und seiner Perspektivlosigkeit in ihm angestaut. Zusätzlich wurde sein Zorn durch Beleidigungen seiner Frau gereizt.

Zwar kann er, der Anwalt, die Reaktion der Anna K. nachvollziehen, doch „ein Vorwurf, der stimmt, trifft immer am tiefsten“.

Schon früh stellte sich der Angeklagte seiner Tat und legte beim Gutachter ein Geständnis ab.

Er kooperierte mit der Polizei zu einem Zeitpunkt, als er die Tat noch nicht eingeräumt hatte.

Ohne die enthemmende Wirkung des Alkohols hätte er sich zu dieser Tat evtl. nie hinreißen lassen.

Was den Mangel an sichtbaren Emotionen betrifft, so hat der Gutachter bereits seine Einschätzung abgegeben. Es gebe dies bei manchen Menschen, sei im Falle des Angeklagten aber nicht Gegenstand der psychologischen Untersuchungen gewesen.

Er, der Anwalt, nimmt seinen Mandanten nicht als absolut emotionslos wahr, vielmehr ist Herr K. „über sich durchaus erschrocken“.

Wegen der Umstände der Tat war dieser im Gefängnis zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt, selbst "schwere Jungs" wollten mit ihm nichts zu tun haben.

Wladimir K. habe aus Selbstschutz und Verdrängung heraus eine innere Mauer aufgebaut.

Er sei nicht einschlägig vorbestraft.

Die Verteidigung fordert deshalb eine Strafe nicht höher als 9 Jahre.

Der Angeklagte hat das letzte Wort. Er spricht russisch, die Dolmetscherin übersetzt:

Ich verstehe, dass ich schreckliche Tat begangen habe, möchte bei Bekannten, Freunden meiner Frau um Entschuldigung bitten. Ich schäme mich sehr, dass ich diese Tat begangen habe. Obwohl ich denke, alle hier Sitzenden werden mir nicht glauben, aber Anna fehlt mir.

Ein leises, abfälliges Geraune antwortet ihm aus dem Saal.

5. Tag

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Für kurze Augenblicke sind die Blitzlichter zurück.

Dann die Urteilsverkündung: 11 Jahre Haft.

Die Verhandlung vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Münster fand am 16.10., 23.10., 26.10., 30.10. und 6.11.2012 statt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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