Vor Gericht: Sprachlos mit dem Messer (1)

Gericht Ein neuer Prozess vor dem Landgericht Münster. Wieder ein Fall, bei dem es um die Tötung einer Frau durch den Ehemann geht. 1. Verhandlungstag

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Der Angeklagte legt sich fest: Er will nichts aussagen. Auch keine Angaben zur Person machen. Dafür verliest der Pflichtverteidiger eine Erklärung, in der sich sein Mandant bei den Angehörigen entschuldigt und beteuert, wie leid es ihm tut. Wenn ich es ungeschehen machen könnte … Ich trage die Verantwortung. Schweigend kämpft er mit den Tränen. Der geschiedene Ehemann und die zwei Söhne der Opfers, die als Nebenkläger zugegen sind, zeigen keine Gemütsbewegung.

Vielleicht haben ihm die Anwälte zu diesem Schweigen geraten, unbedingt wahrscheinlich ist das nicht, schließlich hat sich der Angeklagte selbst gestellt.
Ein Auftrags- und ein Pflichtverteidiger teilen sich die Arbeit.
Die Zuschauer erfahren daher nur wenig über den Mann, der sich an diesem Tag wegen Mordes vor der 2. Großen Strafkammer verantworten muss:
Alter 51 Jahre, Realschule, Beruf Baufacharbeiter, drei Kinder aus erster Ehe.
Der optische Eindruck: Hageres Gesicht, glänzend braune Augen, gestutzter Vollbart, grau gelichtetes Haar. Die Kleidung sieht nach Karstadt aus: beige Hose und farblich passender Rippenpulli mit Stoffbesatz.
Immerhin wird schnell klar, warum der Angeklagte schweigt. Er ist ein Mann, dem die Sprache ein Feind ist, eine Fußangel, ein Gestrüpp, in dem man sich verheddert.
Ist nicht die Sprache schuld daran, dass harmlos Dahingesagtes urplötzlich eine andere Bedeutung bekommt?
Ist Sprache nicht das, womit einem das Wort im Munde verdreht wird?
Es ist die alte Erfahrung: Hinter das, was einmal laut ausgesprochen wurde, kann man nie wieder zurück. Sich mit den Unzulänglichkeiten des eigenen Sprachgebrauchs abzufinden, fällt schwer. Manch einer schweigt deshalb lieber oder setzt ersatzweise Tränen, den Körper oder die Faust ein. So hat es auch der Angeklagte immer wieder mal gehalten. Ein Hauch von Selbstmitleid liegt über seinem Schweigen.

Die Getötete ist seine zweite Frau, Marzena W., eine gebürtige Polin, 40 Jahre alt. Der Angeklagte lernte sie 2004 über eine Partnervermittlung kennen. Im Jahr darauf wurde geheiratet. Marzena brachte ihre jüngste Tochter Kinga mit in die Ehe, zwei Söhne blieben in Polen. Für einige Jahre verlief die Ehe glücklich oder doch wenigstens ohne größere Konflikte. Wolfgang W. bemühte sich die Vaterrolle bei Kinga zu übernehmen. Das Ehepaar kaufte 2009 ein Haus in Emsdetten, das man gemeinsam finanzierte. Die Schwierigkeiten begannen, als Marzena ihre Arbeit verlor und sich daraufhin mit einem Reinigungsunternehmen selbständig machte. Ob Geld zum Problem wurde oder andere Spannungen an die Oberfläche traten, die Ehe bekam jedenfalls Risse. Wolfgang W. zeigte sich plötzlich von einer anderen, einer bedrohlichen Seite.
Auch der Vorsitzende Richter verliest eine Erklärung. Sie stammt von der 11-jährigen Kinga und beinhaltet ihre eigene Anklage gegen Wolfgang W.:
„Du hast mir meine Mutter genommen. Ich hasse dich …“

Am 4. Januar 2012 fuhr Marzena W. gegen vier Uhr früh auf der Strecke von Emsdetten in Richtung Greven zur Arbeit. Sie wollte nach Münster zu einem Reinigungsauftrag für ein Lokal. Es muss ungemütlich und dunkel gewesen sein zu dieser Jahreszeit, zu dieser frühen Stunde. Ihr neuer Lebensgefährte, der Versicherungsmakler Werner K., hatte zuvor bei ihr übernachtet. Sie setzte ihn unterwegs ab. Er trug als Nebenjob Zeitungen aus und begann seine Runde. Marzena fuhr allein weiter.
Irgendwo in der Nähe wartete der Angeklagte auf sie und begann sie zu verfolgen.
Was dann geschah, lässt sich vor allem am Zustand ihres hinten und vorn völlig verbeulten und demolierten Wagens feststellen. Am Schluss dieser ersten Attacke landete Marzenas Polo jedenfalls auf relativ gerader Strecke vor einem Baum. Doch daran starb sie nicht. Sie konnte sich aber auch nicht aus dem Fahrzeug befreien.
Folgt man der Darstellung des Angeklagten bei der ersten Vernehmung durch die Polizei, dann sollte sie auch nicht sterben, sondern er wählte diese Zeit, diesen Ort, dieses Vorgehen in der Absicht, mit ihr zu sprechen, sie zur Rede zu stellen. Er litt unter der Trennung und hatte gegen ein gerichtliches Kontaktverbot verstoßen. Doch sie reagierte „hysterisch“, wie er es nannte, und schrie.

Daraufhin folgte die zweite Attacke. Der Angeklagte kehrte zu seinem eigenen Fahrzeug zurück und holte Werkzeug. Mit einem Hammer schlug er das Fenster des Polos ein und stach mit einem Cuttermesser, das zu seiner beruflichen Ausrüstung gehörte, mehrmals auf sie ein. Danach flüchtete er.
Marzena fand zwischendurch noch Zeit und Kraft ihren Lebensgefährten, der nicht weit entfernt von ihr unterwegs war, über das Handy anzurufen. Er kam sofort, verschaffte sich durch die Heckklappe Zugang ins Innere des Wagens, aber es war zu spät. Er fand nur noch eine Sterbende.
Die von ihm um ca. 4.15 Uhr alarmierte Polizei nahm das Geschehen zunächst als Unfall auf. Was den Verursacher betraf, hatte man leichtes Spiel. Am Tatort fand sich das Nummernschild von W.'s Wagen, das dieser in der Hitze diverser Zusammenstöße verloren hatte. Ob es dessen bedurft hätte, weiß man nicht. Wolfgang W. stellte sich gegen halb sechs auf der Polizeiwache Emsdetten, kam jedoch zunächst zur ärztlichen Versorgung ins Krankenhaus. Er hatte sich die Pulsadern zu öffnen versucht und führte außerdem ein mit Klebefolie am Körper befestigtes Klingenstück mit sich, das offenbar für einen weiteren Suizidversuch gedacht war oder darauf hindeuten sollte.
Theatralik oder echte menschliche Verzweiflung?

Der Eskalation vorausgegangen war eine zunehmende Feindseligkeit zwischen den Eheleuten. Bis heute ist nicht ganz klar, von wem der Wunsch nach Scheidung tatsächlich ausging. Mal soll es Wolfgang W. gewesen sein, was im Gegensatz dazu steht, dass er die Trennung nicht akzeptierte, mal seine Frau. Eine Zeitlang teilten sie sich das Haus, er lebte unten, sie oben, dennoch setzte die Auflösung der Beziehung seit dem Sommer 2011 offenbar vor allem im Angeklagten zunehmend eine bereits vorhandene Aggressivität, aber auch gefühlvolle Aufwallungen frei.
Er schrieb am 1.1.2012 in einem Brief an seine geschiedene erste Frau:
„Hallo Mulle .... komme mit der Trennung nicht klar, ich zittere und mein Herz rast. Darum bin ich zu dem Entschluss gekommen, dem ein Ende zu machen … Schade für Kinga, ich habe sie behandelt wie mein eigenes Kind. Sie wird wohl zu ihrem Vater zurück nach Polen müssen oder in ein Heim kommen. Scheiße. … Tschüs für immer.“
Er legte ihr den gemeinsamen Sohn Ronny ans Herz, der gerade in einer JVA eine Haftstrafe verbüßte und schrieb von Geschenken in Form von Geld und Möbeln für die Kinder.
Der Brief traf allerdings erst am 6.1.2012 ein, wurde also vermutlich nach der Tat abgeschickt.

Auf der einen Seite hört man von Vorwürfen Wolfgang W.'s an seine Frau, wie sie den üblichen, banal trostlosen Gefechten an den Endstationen einstiger Lebensgemeinschaften entsprechen. Während der Zeit der Ehe habe sie weniger eingekauft als er, d.h. in der Woche, in der sie die Einkäufe erledigte, sei der Kühlschrank immer halb leer gewesen, in seiner Woche dagegen gut gefüllt. Sie sei übermäßig eifersüchtig gewesen, habe ihn überwacht und kontrolliert.
Nach der Trennung beabsichtigte sie zudem das Haus zu behalten und sah sich dazu wirtschaftlich offenbar in der Lage. Dies passte ihm nicht.
Auf der anderen Seite werden Vorwürfe Marzenas an ihren Mann laut. Er habe hinter ihrem Rücken die Lastschriftangaben geändert und die gesamten Abbuchungen der Bank für das Haus auf ihr Konto übertragen. Als Marzena eine neue Bankkarte beantragte, habe er diese einschließlich der Pin widerrechtlich an sich genommen, um Geld von ihrem Konto abzuheben: 3.000 Euro. Er kündigte heimlich ihren Vertrag zur Altersvorsorge und strich den Gegenwert ein. Sie fand Hinweise auf Frauenbekanntschaften, auf Kontakte im Internet, Treffen in Hotels, Quittungen.
Einmal, als das Paar bereits getrennt lebte, brachte er eine Frau in das Haus in Emsdetten mit. Kinga sah die kaum bekleidete Fremde und hörte Geräusche des Geschlechtsaktes.

Dies gipfelte schließlich in einer handgreiflichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf er seine Frau misshandelte. Marzena erstattete Anzeige und ließ ihm das Haus verbieten.
Die Staatsanwaltschaft verlangte eine Stellungnahme von Wolfgang W.
Er schrieb, es tue ihm unendlich leid, aber wieviel muss man ertragen ...
Danach klagte Marzena darüber, dass sie sich verfolgt und beobachtet fühlte, er lauerte ihr auf, suchte sie mit Drohungen zu ängstigen. Am 22.10.2011 gab es einen weiteren gewalttätigen Ausbruch, bei dem er nicht nur sie sondern auch ihre gerade anwesende Mutter mit Faustschlägen traktierte.
Sie beantragte ein Kontaktverbot, das das Amtsgericht Rheine am 31.10.2011 auch erließ, doch anscheinend stachelte dies seine Wut, die böse Lust der abtrünnigen Frau seine unerwünschte Anwesenheit aufzuzwingen, erst richtig an.
Am 21.12.2011 wurde zu Kingas Geburtstag ein Geschenk vor der Haustür in Emsdetten abgelegt. Marzena erstattete wieder Anzeige wegen Verstoßes gegen das Kontaktverbot, doch der Angeklagte beharrt bis heute geradezu triumphierend darauf, das Päckchen Süßigkeiten habe nicht er sondern bloß ein Arbeitskollege von ihm in seinem Auftrag abgelegt, während er selber im Wagen auf der Straße wartete.
Als ob das einen wirklichen Unterschied machen würde.
Es macht einen Unterschied nur insofern, als es dem Angeklagten ermöglicht Marzena ins Unrecht zu setzen und sich selbst als beklagenswertes Opfer ihrer „Kleinlichkeit“ zu fühlen. Aus seiner Sicht war „das Maß jetzt voll“.

Am ersten Verhandlungstag werden die Geschehnisse durch die Aussagen mehrerer Polizei- und Kripobeamter rekonstruiert und die Ermittlungsarbeit erläutert. Es geht um die Aufnahme des Unfalls, die Tatortfeststellungen sowie um Wolfgang W.'s erste Vernehmung gegen 10 Uhr als Beschuldigter auf der Polizeistation in Greven, bei der er noch nicht in Schweigen verfallen war sondern ein Geständnis ablegte.
Der Beamte berichtet, der Beschuldigte sei nervlich stark angeschlagen gewesen, habe in halben Sätzen mit vielen Unterbrechungen berichtet und gezittert. Er gab zu seine Frau erstochen und das als Tatwerkzeug benutzte Messer weggeworfen zu haben, wo wisse er nicht mehr. Nach Meinung des Beamten redete er bei der Vernehmung um den Tathergang „drum herum“, auch dass er einen Hammer benutzte, um das Fenster des Wagens einzuschlagen, erwähnte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Nach der Tat schrieb bzw. schickte er seinem Arbeitgeber einen Brief, in dem er sich für dessen Vertrauen bedankte und darum bat, sein letztes Gehalt an seine Tochter Nancy zu überweisen. Den Brief warf er in den Hauspostkasten der Firma ein.
Wegen verschiedener Abschiedsmeldungen sind inzwischen die Verwandten mobilisiert.
Auch die Polizei hat erste Auskünfte eingeholt.
Als der vernehmende Beamte Wolfgang W. vorhält, es gebe eine SMS, in der er den Tod seiner Frau vorab ankündigt, reagiert dieser „aufbrausend“, weil er sich missverstanden fühlt, und verweigert die Unterschrift des Protokolls.
In der Verhandlung geht der Staatsanwältin der Satz, Wolfgang W. habe seiner Frau „aufgelauert“, wie es laut diesem Protokoll der ursprünglichen Darstellung des Angeklagten entspricht, mühelos über die Lippen.
Nicht so den Verteidigern: Nach ihrer Auffassung hat der Angeklagte auf seine Frau „gewartet“, um das gewünschte Gespräch herbeizuführen, nicht um ihr etwas anzutun.
Der Unterschied zwischen zwei kleinen Wörtchen kann der Unterschied zwischen Mord und Totschlag sein.

Der ermittlungstechnische Teil schließt mit dem Vortrag des Obduktionsergebnisses durch die Rechtsmedizinerin Fr. Prof. Pfeiffer:
Marzena W. wurden vier Messerstiche, drei davon in die Lunge zugefügt, an deren Folgen sie innerlich verblutete – der Täter habe mit erheblicher Gewalt zugestochen.
Zu den Schnittverletzungen des Angeklagten befragt führt sie aus, es habe sich bei diesen nicht etwa nur um eine Art Demonstration - also um einen erkennbar nicht erfolgversprechenden Suizidversuch - gehandelt sondern die vertikal geführten Verletzungen seien tief genug für eine glaubhafte Gefährdung gewesen.

Erster von vier Verhandlungstagen. Fortsetzung in einer Woche.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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