Vor Gericht: Sprachlos mit dem Messer (2)

Gericht Ein neuer Prozess vor dem Landgericht Münster. Wieder ein Fall, bei dem es um die Tötung einer Frau durch den Ehemann geht. 2. Verhandlungstag

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Vorbei der große Bahnhof des ersten Tages, die Zuschauerreihen fast leer. Der Angeklagte in einem schwarzen Pullover mit weißen Streifen, eine Goldrandbrille auf der Nase, während er ein Schriftstück liest. Er spricht rege mit den Anwälten, bevor die Verhandlung beginnt. Man registriert unwillkürlich, dass er älter aussieht als seine gut 50 Lebensjahre dies erwarten lassen, was wahrscheinlich an seinem Beruf liegt ...

Werner K. spricht konzentriert und gefasst. Er war Marzenas neuer Freund, hat mithin in der Tragödie die Rolle des „Liebhabers“ inne. Zweifellos möchte niemand unter den Zuschauern eine ähnliche Erfahrung machen wie er, die Erinnerung an ein solches Erlebnis mit sich tragen. Dass er ihr nicht helfen konnte …

Er lernte das Ehepaar W. kennen, als dieses nach dem Kauf des Hauses eine Gebäudeversicherung benötigte und sich an Werner Z. als Versicherungsmakler wandte. In der Folge telefonierten er und Marzena öfters miteinander; sie suchte seinen Rat bei Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache und begann von den Problemen mit ihrem Mann zu berichten, von Gewalttätigkeiten, unrechtmäßigen Abhebungen von ihrem Konto, außerehelichen Beziehungen. Der Wunsch nach Trennung sei aber von Wolfgang W. selber ausgegangen. Marzena nahm es mit Erleichterung auf.

Er habe ihr zuerst gar nicht glauben wollen, berichtet der Zeuge, und ihr empfohlen sich an einen Anwalt zu wenden. Erst nach der Trennung sei die Beziehung dann enger geworden. Er stand ihr bei, als sie sich zunehmend von ihrem Mann drangsaliert und bedroht fühlte.

Marzena habe in ständiger Angst gelebt, erzählt Werner K. Selbst wenn eine Zeitlang nichts geschah, sah sie dies als „Ruhe vor dem Sturm“.

Wie recht sie hatte …

Dann jener schreckliche Tag, der 4. Januar 2012 – zwei Frühaufsteher unterwegs, die wahrscheinlich gern noch etwas geschlafen hätten. Das Handy klingelte, kurz nachdem Werner K. in sein eigenes Auto umgestiegen war. Er erkannte Marzenas Nummer, doch als er den Anruf entgegen nahm, hörte er nur ein Wimmern und Schreie.

Es klang, als würde jemand vergewaltigt, sagt er vor Gericht.

Der Zeuge berichtet weiter, er habe im Hintergrund Stimmen gehört, eine Frau, die drängte, „komm lass uns abhauen“, eine Männerstimme, die sagte, „das hast du jetzt davon“. Ob es die Stimme von Wolfgang W. war, weiß er nicht.

Nur Minuten später traf er am Ort des Geschehens ein, fand Marzena zur Seite gesunken auf ihrem Sitz vor, beide Airbags nach dem Aufprall geöffnet. Er stützte sie so gut es ging, alarmierte die Polizei, doch noch bevor der Rettungswagen eintraf, starb sie in seinen Armen.

Der Verteidiger wendet ein, die Geschichte mit den Stimmen im Hintergrund fehle in Werner K.'s ursprünglicher Aussage bei der Polizei.

Der Zeuge erwidert, er habe seine Eindrücke erst ordnen müssen und auch das Protokoll vor der Unterschrift nicht gelesen, was eigens vermerkt wurde.

Als nächstes wird W.'s berufliches Umfeld abgegrast. Seit 2005 war er als Maurer bei einer Baufirma in Emsdetten beschäftigt, ein Betrieb mit ca. 25 Mitarbeitern.

Der Zeuge Ronald K. bestätigt, dass er derjenige war, der das Geschenk für Kinga am 21.12.2011 vor der Haustür in Emsdetten ablegte.

Sein Chef, Horst H., Mitinhaber des Unternehmens, gibt Auskunft über den Eingang des Abschiedsbriefes am 4.1.2012, woraufhin er sofort die Polizei alarmierte. Dort hieß es nur: „Den haben wir schon einkassiert.“

Hermann-Josef H. redete W. gut zu, als dieser am 3.1.2012 durch einen Anruf der Polizei von Marzenas Anzeige wegen des Geschenkes erfuhr: „Das verläuft doch im Sande.“

Klaus K. berichtet von einem privaten Besuch W.'s, gleich nach dem Erlass des Hausverbotes: „Er hatte Tränen in den Augen.“

Natürlich wussten alle von den gewalttätigen Ehestreitigkeiten. Im Kollegenkreis erzählte Wolfgang W., er habe seiner Frau und ihrer Mutter „was auf den Pelz gegeben“. Seinem Chef gestand er nach dem Vorfall, er „habe Scheiße gebaut“ und nahm drei Wochen Urlaub, den er bei seiner Tochter Jennifer in Oberhausen verbrachte, bevor er sich eine neue Bleibe suchte.

Es fielen Bemerkungen: Es fehlt nur noch ein Tropfen ... das Maß ist voll ... das Haus kriegt sie nicht. Er lästerte über den „Versicherungsonkel“.

Ebenfalls am 3. Januar, dem Vortag der Tat, meldete er sich plötzlich ab: „Morgen komme ich nicht ...“

Doch fielen auch Drohungen, die erkennen ließen, dass er etwas plante, die Absicht zu töten hegte?

Wenn sie fielen, erkannten die Zeugen sie nicht.

Sie waren und sind nette Kumpels wahrscheinlich, die einem der Ihrigen Anteilnahme spendeten, loyal sein wollten, ihn vielleicht auch zu beschwichtigen suchten, aber den verhängnisvollen Verlauf des Geschehens kaum voraus sahen und sich einen solchen auch nicht vorstellen konnten.

Aus all den Gesprächsfetzen geht jedoch eines deutlich hervor: Der Angeklagte verhielt sich so, als sei er derjenige, dem ein immer größeres Unrecht von Seiten einer böswilligen Ehefrau zugefügt wurde, als sei es Marzena, die die ständige Verschärfung des Konfliktes bewirkte, weil sie sich gegen seine Übergriffe wehrte, ihn anzeigte, sich einen neuen Freund zulegte, eigene Wege ging. Er stilisierte sich als ihr Opfer und steigerte sich in diese Sichtweise immer mehr hinein. Niemand hielt ihn auf.

Dem entsprechen auch die sich anschließenden Äußerungen seiner Familienangehörigen, soweit sie Aussagen zu machen bereit sind.

Irena T., die erste Ehefrau, und Heike W., die Schwester des Angeklagten, nehmen beide ihr Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch und verlassen den Saal, erlauben jedoch die Verlesung ihrer früheren, vor der Polizei gemachten Aussagen, die später erfolgen wird.

Eine kleinbürgerliche Welt tut sich auf. Die erschienenen Frauen arbeiten als Raumpflegerin oder Pflegehelferin, waren Hartz-IV-Empfängerin oder sind 400-Euro-Jobberin, eine Fleischerin ist dabei.

Tochter Jennifer - schwarz-violettes Haar - berichtet von dem Besuch ihres Vaters über die Weihnachtstage, man habe „viel geweint“. Er schenkte ihr seine Münzsammlung im Werte von ca. 500 Euro, die sie zunächst nicht annehmen wollte, weil sie glaubte, er wolle sie nur wegen der anstehenden Scheidung in Sicherheit bringen. Am 4.1.2012 erhielt sie morgens einen Anruf ihrer Tante Heike, die sich wiederum über eine Nachricht ihrer Tante Martina beunruhigte. Es ging um eine SMS, in der er Marzenas Tod ankündigte: „Ich mache sie alle.“

Jennifer berichtet auch, dass der Vater bereits seine erste Frau verschiedentlich misshandelte und die Kinder schlug, vorwiegend im alkoholisierten Zustand.

Tochter Nancy hebt ebenfalls hervor, wie sehr ihr Vater weinte, als Marzena ihn vor die Tür setzen ließ. „Sie hat sich getrennt von mir.“ Am Vortag der Tat erbat er am Telefon ihre Kontonummer, um ihr Geld zu überweisen: 2000 Euro.

Sie fragte, was sie mit dem Geld machen solle.

Er sagte: Wisch dir den Hintern damit ab.

Auf dem Überweisungsträger stand „Abschiedsgeschenk“. Fast kommen auch Nancy die Tränen, als sie davon erzählt. Sie lebt noch in der Nähe von Magdeburg, der Gegend, aus der auch der Angeklagte anscheinend ursprünglich stammt.

Martina T., die zweite Schwester des Angeklagten, ist inzwischen nach München verzogen, spricht aber noch den heimatlichen Dialekt. Wolfgang W. besuchte sie über Silvester und brachte ihr zu diesem Anlass ein Paket Stoff und eine Aufgabe mit: Sie sollte ihm Gardinen für seine neue Wohnung in Rheine-Mesum nähen. Dafür versprach er ihr eine Gefriertruhe, die sie sich schon länger wünschte, für die ihr aber die Geldmittel fehlten.

Ihre Lebensgefährte Robert W., der nächste Zeuge, war Silvester ebenfalls anwesend, jedoch durchlebte das Paar gerade eine eigene Beziehungskrise und war mit sich selber beschäftigt. Am 1.1. fuhr Wolfgang W. wieder ab. Am 3.1. rief er seine Schwester noch einmal wegen Anlieferung der Gefriertruhe an, woraufhin sie das Gespräch für eine Wegbeschreibung an ihren Freund weitergab.

Angeblich schickte Wolfgang W. später noch jene SMS, die Drohungen gegen Marzena enthielt.

Doch davon wollen beide Zeugen nichts wissen.

Sicher ist nur, dass Robert W. gegen 22 Uhr eine Nachricht an Wolfgang W. schrieb:

Mach keinen Scheiß. Ruf uns an.“

Die Antwort kam am nächsten Morgen: „Schon passiert.“

Robert W. kann nicht erklären, warum er die SMS schickte. Diese müsse sich darauf beziehen, dass Martina den Anruf ihres Bruders „komisch“ fand, ein „schlechtes Gefühl“ hatte und nachts „von einem Unfall“ ihres Bruders träumte, weshalb sie den Zeugen eigens aufweckte. Das mag wohl so sein, nur leider wurde die SMS bereits abgesetzt, bevor das Paar überhaupt zu Bett ging.

Es klingt jedenfalls alles ein bisschen verworren, weshalb die Staatsanwältin den Zeugen etwas unwirsch ermahnt, ihm gar mit einem Verfahren wegen Falschaussage droht. Doch das Geheimnis der SMS, wenn es sie gab, bleibt unaufgeklärt. Der Handy-Speicher wurde zwischenzeitlich gelöscht und auch der Versuch einer Wiederherstellung brachte kein Ergebnis.

Die Verteidiger haken ein, eine Schwachstelle. So lange es keinen Beweis für das Vorhandensein einer solchen SMS gibt, kann sie auch nicht als Beweismittel dienen.

Wolfgang W. folgt den Auftritten seiner Angehörigen und früheren Kollegen mit einem feuchten Schimmer in den Augen.

Dem Schweigen des Angeklagten haftet etwas Lähmendes an. Die Tote scheint weit weg zu sein, kristallisiert sich als Person aus den Aussagen kaum heraus. Allzusehr auch scheinen der Angeklagte und sein Anhang ihr insgeheim die Rolle des Sündenbocks zugedacht zu haben. Marzena müsse sich ändern, hatte Wolfgang W. einmal zu seiner Tochter Jennifer gesagt. Vielleicht ist dies der Grund, warum am zweiten Verhandlungstag der ältere ihrer beiden Söhne, Krystian K., 22 Jahre alt, Tanzlehrer, als Nebenkläger eine Aussage machen will.

Schon den ersten Sätzen ist zu entnehmen, dass er das Ansehen seiner Mutter geschädigt sieht, sie verteidigen will.

Sie habe ihn und den Bruder nicht einfach zurückgelassen, betont er, sondern ihren Entschluss mit der Familie besprochen. Auch sei sie nicht geldgierig und nicht verschwenderisch gewesen sondern ein sparsame Frau, die Secondhand-Kleidung trug, monatlich Geld für Kinga auf ein Konto einzahlte und sich am Unterhalt der Söhne beteiligte. Beide hatten sie mehrere Male in Deutschland besucht, dort zeitweilig gejobbt und sich bei dieser Gelegenheit mit Wolfgang W. durchaus vertragen. Erst in den letzten beiden Jahren verschlechterte sich die Situation, und sie sprach am Telefon von ihrer Angst vor dem Mann, der sie partout nicht loslassen wollte. Krystian K. riet ihr für den Weg zur Arbeit die Autobahn zu benutzen, doch Marzena mochte das Fahren auf der Autobahn nicht.

Dem Auftritt des Sohnes als Kavalier der Mutter haftet etwas Rührendes an. Es muss schwer sein für die Hinterbliebenen zu begreifen, dass der Gerichtssaal nicht der Ort der Trauer und der Würdigung ihrer toten Angehörigen ist.

Dennoch erkennt man wieder einmal, wie sehr das Bild eines Menschen variieren kann, je nachdem wer es betrachtet. Und eines ist klar: Ganz unabhängig vom Inhalt ihres Zerwürfnisses, die Beziehung des Paares scheiterte an einem Missverhältnis, für das der Streit um Geld und Untreue nur ein Symptom bildete.

Man könnte sagen, beider Leben lag eine unterschiedliche Dynamik zugrunde.

Marzena war die Aufstiegswillige, die die soziale Leiter, die bessere Zukunft für sich und die Kinder stets fest vor Augen hatte.

Dagegen präsentiert sich Wolfgang W. als ein Mann, der Veränderung allenfalls bei anderen oder in Gestalt einer neuen Bettgefährtin erstrebt, ansonsten jedoch die Welt hartnäckig vom Standpunkt des Unterprivilegierten sieht, der, von Widerständen umzingelt, sich all dem Unbegreiflichen der sozialen Ordnung ausgeliefert fühlt und sich in seiner Ohnmacht eingerichtet hat. Jedenfalls, so lange es sich um die öffentliche Rolle handelt.

Doch wehe, es geht um häusliche Macht, um das Zelebrieren des eigenen spärlichen Dominanzanspruches gegenüber Frauen und Kindern. Wie ein Blatt im Winde scheint das Leben des Angeklagten zwischen Rührung und aggressiven Impulsen, zwischen Ausbrüchen von Gewalt und anschließenden Reueritualen zu schwanken ...

Fortsetzung in einer Woche

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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