Vor Gericht: Sprachlos mit dem Messer (3+4)

Gericht Ein neuer Prozess vor dem Landgericht Münster. Wieder ein Fall, bei dem es um die Tötung einer Frau durch den Ehemann geht. 3.+4. Verhandlungstag mit Urteilsverkündung

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Dritter Verhandlungstag

Zwei weitere Polizeibeamte sagen aus. Es geht noch einmal um Marzenas letzte Anzeige wegen „häuslicher Gewalt“. Sie dokumentierten ihre Verletzungen - Beule, Blutspuren, ausgerissene Haare - und nahmen ihre Aussage auf: Wie er „ausrastete“, als sie ihn zur Rede stellte, wie er die Tür eintrat, als sie mit ihrer Mutter und Kinga vor ihm flüchtete, wie er seiner Frau mit einer einschlägigen Geste andeutete, er schneide ihr die Kehle durch, falls sie es wagen sollte ihn anzuzeigen. Es war nicht das erste Mal. Schon bei einer früheren Entgleisung hatte er zugeschlagen, sie gewürgt, mit Tellern beworfen. Sie musste sich ins Krankenhaus begeben.

Die Nachbarin Maria P. bestätigt, dass sie den Besuch einer leicht bekleideten Fremden beobachtete, sah ihn auch später noch in der Nähe des Hauses.

Ein dritter Polizeibeamter beschreibt, wie Wolfgang W. am Morgen des 4.1.2012 gegen halb sechs auf der Wache in Emsdetten erschien und sich stellte:

Ich habe gerade meine Frau umgebracht …“

Zu diesem Zeitpunkt habe er einen ruhigen, gefassten Eindruck gemacht, nicht aufgebracht und nicht aufgewühlt gewirkt, so der Beamte.

Auch wies er selber auf seine Verletzung hin, die er mit einem Stofflappen umwickelt hatte:

Ich habe mir die Arme aufgeschnitten, ich wollte mich umbringen …“

Der Beamte leitete die Erstversorgung durch einen Notdienst ein und hielt, da keine unmittelbare Lebensgefahr bestand, erste Äußerungen fest:

Der Beschuldigte sagte, er habe seiner Frau auf dem Weg zur Arbeit aufgelauert, um ein klärendes Gespräch mit ihr zu führen.

Da fällt es wieder, das fatale Wort: „aufgelauert“. Der Beamte insistiert, Wolfgang W. selber habe es benutzt. Dieser wird es nicht gern hören. Will er der Höchststrafe entkommen, dürfen Vorsatz und Heimtücke nicht im Spiel gewesen sein.

Der Gutachter Alfons St. ist von Beruf Kfz-Sachverständiger und rekonstruiert aus Expertensicht den vergleichsweise brachialen Unfallhergang auf der Landstraße von Emsdetten nach Greven anhand der Beschädigungen an Marzenas Fahrzeug.

Zusammengefasst: Der Angeklagte fuhr auf den Wagen seiner Frau auf, fuhr ihr in die Seite, drängte sie ab, bis sie vor einem Baum landete, überholte, setzte zurück, rammte sie erneut – eine wahre Orgie in Blech und Schrott. Möglicherweise hegte er die Absicht ihr Leben bereits durch diesen Unfall zu beenden, aber ganz so einfach wie im Fernsehkrimi dargestellt, ist es dann doch nicht …

Zwischendurch wird die Zeugenaussage von Heike W., der Schwester des Angeklagten verlesen, nichts Wesentliches, außer dass sie keine SMS bekam.

Da die Verteidiger der Verlesung der Aussage von Irena T., der Exfrau, nicht zustimmten, wurde der vernehmende Beamte persönlich geladen.

Aus der ursprünglich am 9.1.2012 protokollierten und jetzt referierten Aussage geht hervor, dass das Paar zweimal verheiratet war. Die erste, 1982 geschlossene Ehe wurde vier Jahre später wegen einer außerehelichen Affäre Irenas durch Scheidung beendet, man lebte jedoch weiterhin in der Nähe von Magdeburg zusammen. 1992 heirateten sie ein zweites Mal, 2003 erfolgte die endgültige Trennung. Während der gemeinsamen Zeit wurde Irena T. mehrfach geschlagen, gleiches geschah auch den drei Kindern, wenn sie „nicht spurten“. Auf eine Anzeige verzichtete sie, „um Schlimmeres zu verhindern“, so die Aussage.

Wenn er besoffen war, durfte man keine Widerworte geben, und er war meistens besoffen.“

Nach der Trennung verfolgte er sie und drohte ihr mit dem Tod, falls sie eine neue Beziehung eingehen sollte. Als sie daraufhin verzog, tauchte er an ihrem neuen Wohnort auf und verlangte Sex von ihr. Zweimal gab sie nach …

Sohn Ronny, dem er in dem Brief, der nach der Tat bei ihr eintraf, die Möbel vermachte, sagte einmal: „Wenn ich groß bin, kriegt er alles zurück ...“

Es ist der gleiche, am 1.1.2012 verfasste Brief, in dem er über Kinga schrieb:

Sie wird wohl zu ihrem Vater zurück nach Polen müssen oder in ein Heim kommen.“

Auch dies ein Satz, der ein dunkles Licht auf die Absichten des Angeklagten wirft.

Als letzter an diesem Tag hat der psychologische Gutachter das Wort:

Da Wolfgang W. einer Untersuchung nicht zustimmte, kann Professor L. nur ein eingeschränktes Urteil abgeben.

Dessen Fazit: Zwar zeigt der Angeklagte ein sehr ambivalentes Verhalten, doch schließt der Gutachter forensisch relevante Faktoren, die auf eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit hinauslaufen könnten, aus.

Begründung: Das Tatgeschehen folge einem mehrstufigen, koordinierten Ablauf, immerhin habe der Angeklagte vor dem zweiten und tödlichen Angriff Hammer und Messer aus dem eigenen Fahrzeug holen bzw. mitnehmen müssen, sei also nicht einem blinden Affekt erlegen.

Während des Vortrages spielt ein kleines, mokantes Lächeln um den Mund des Angeklagten.

Vierter Verhandlungstag

Zeit für die Plädoyers.

Die Staatsanwältin eröffnet mit den Worten: „Wir haben es mit einer ziemlich abscheulichen Tat zu tun.“ Dafür soll der Angeklagte eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen.

Die erste Anwältin der Nebenkläger schließt sich an, nachdem sie zuvor ein paar Worte zum Schicksal Kingas gesprochen hat, die auf eigenen Wunsch jetzt bei einer Pflegefamilie in Deutschland lebt.

Die zwei weiteren Vertreter der Nebenklage schließen sich ebenfalls an.

Die beiden Verteidiger plädieren eher kurz und verhalten: Viele Indizien könnten auch im Sinne eines beabsichtigten Suizids gedeutet werden. W.'s Verhalten zeige weder in der einen noch der anderen Richtung eine logische Stringenz; ein klarer Vorsatz, ein fester Entschluss seien nicht zu erkennen.

Wahrscheinlich wusste der Angeklagte selbst nicht, in welche Richtung er wollte.“

Ihr Antrag: „Eine milde Strafe“.

Das letzte Wort des Angeklagten: „Mir tut das unendlich leid. Ich bereue die Tat zutiefst.“ Er bricht in Tränen aus …

Die Kammer zieht sich zur Beratung zurück.

Wenn es Dinge gibt, die man ihm hätte zugute halten können, wenn er hätte erklären wollen, wie er wurde, was er ist, dann hat der Angeklagte die Gelegenheit zur Offenbarung unwiderruflich verpasst. Man sieht bis zum Schluss einen Mann vor sich, der einerseits Krokodilstränen weint und davon schrieb, wie „weh es tut, dass es so enden muss“, andererseits aber wenig Einsicht in die Brutalität seines Vorgehens zu haben scheint und bei dem bis heute nicht ganz ankam, dass er derjenige ist, der aus dem Ruder lief und wie ein Stalker agierte, der früher oder später für jede Frau zum Alptraum wird.

Ganz unabhängig vom Befund des psychologischen Gutachters kann man sich auch des Eindrucks, dass Wolfgang W. tatsächlich bis zu einem gewissen Grad an Realitätsverlust leidet, nicht ganz erwehren. Man hat noch das Zitat seiner Schwester Martina T. im Ohr, die sagte, Marzena habe ihren Bruder mit dem Kauf des Hauses „nackig gemacht“, wegen seines Alters, und die damit offenbar die Stimmungslage in der Familie beschrieb. Und wer weiß, wer da noch alles sein Gift geträufelt hat. Es hätte eines stärkeren Einflusses von außen bedurft, um dies zu korrigieren, aber den gab es nicht.

Verweilt man dagegen einen Augenblick bei Marzena W., entsteht das Bild einer Frau, die das Verhängnis seit Monaten auf sich zukommen sah. Sie wandte sich an Polizei und Gericht, sprach mit Freunden, Bekannten, dem Lebensgefährten, dem Sohn, wandte sich offenbar an jeden, den sie kannte, um auf die ihr drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Alle agierten im Rahmen ihrer Möglichkeiten, wahrscheinlich mangelte es auch nicht an guten Ratschlägen und Zuspruch, doch am Ende ist sie buchstäblich ins offene Messer gelaufen. Es muss eine qualvolle Zeit für sie gewesen sein, in der sie die eigene Verletzlichkeit spürte und sich auf dem Präsentierteller schutzlos ausgeliefert sah.

Manche Frauen lernen nie oder wollen niemals wahrhaben, dass bei gewalttätigen Männern wie Wolfgang W. auf jeden Wutausbruch nicht selten eine Reue folgt, die zwar ebenso tränenreich wie unterwürfig daher kommt, aber immer nur bis zum nächsten Anlass reicht, wenn doch wieder die Hand ausrutscht und das Spiel von vorn beginnt. Sie wollen niemals Anzeige erstatten und decken den prügelnden Partner, egal wie oft er sie und die Kinder misshandelt. Diese Frauen werden immer wieder vorwurfsvoll ermahnt und manchmal verachtet, weil sie sich so wenig wert sind. Marzena gehörte nicht zu ihnen. Sie versuchte sich zu wehren und der Opferrolle zu entziehen. Und es ist tragisch und es ist eine Schande, dass dies mit ihrem Tod endete. Womöglich glaubte sie als gebürtige Polin gar, dass im Wunderland Deutschland so etwas nicht passieren könne …

Die Kammer kehrt zurück, das Urteil: Lebenslänglich wegen Mordes.

Die Verhandlung fand am 14., 15., 18. und 28.6.2012 vor dem Landgericht Münster statt.

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Geschrieben von

Christa Thien

Dr. phil., zugezogen in Leipzig. Themen: Arbeitswelt & Berufswege, Gesellschaftspolitik

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