Unkonventionell, laut und schnell verabschiedete sich Hunter S. Thompson am 20. August 2005 mit einem Donnerschlag von dieser Welt: Auf ausdrücklichen Wunsch des „besten Schriftstellers unter Amerikas Journalisten und besten Journalisten unter den Schriftstellern“ (FAZ) wurde seine Asche aus einem 45 Meter hohen Monument in Form einer Gonzo Fist in den amerikanischen Nachthimmel gefeuert. Der vorangegangene Suizid war kein Akt der Verzweiflung, sondern bereits angekündigt und begründet. Mit 67 Jahren fühlte Hunter S. Thompson sich schon 17 Jahre zu alt und – nach eigenen Angaben – gehässig, gierig und langweilig. In der Retrospektive sieht sein Leben nach einer ehrlichen aber selbstzerstörerischen Einbahnstraße mit Überholspur aus. Wer war dieser Antiheld, der seinen Kampf gegen das System nicht einmal bei der eigenen Beerdigung ruhen ließ?
Wohl kaum ein anderer Autor stand so sinnbildlich für ein Genre wie Hunter S. Thompson: Gonzo, sein Feld, sein Metier irgendwo zwischen Fiktion und Realität, das jeglichen Anspruch auf Objektivität, Sorgfaltspflicht und Respekt über Bord warf und sich mit erhobenem Schwert dem Wahnsinn dieser Welt stellte. Doch wirkten die von Thompson verfassten Texte dabei nicht per se diffamierend oder unangebracht, sondern lediglich unangepasst. Geradezu perfektionistisch in seiner Wortwahl, im Tempo, im Satzbau schaffte es der Schriftsteller, genau mit jenem Irrsinn zu kontern, mit dem er alltäglich konfrontiert wurde. Obwohl er unermüdlich Kolumnen und Kommentare verfasste und zu Lebzeiten über 20.000 Briefe schrieb, war ein einzelner Text in seinen Augen nie fertig oder zur Veröffentlichung bereit. Bis zur allerletzten Deadline zögerte er die Abgabe hinaus, als einer der ersten Reporter überhaupt verlangte er ein Faxgerät, um kurz vor Einschalten der Druckerpresse seine teils wirren Manuskripte abzuschicken, die ein ihm wohlgesonnener Redakteur daraufhin zusammenfügen musste.
Thompson war immer auch politisch
Thompsons Niederschriften lasen sich dabei häufig wie Gedankengänge, die planlos und verloren wirkten – nur um schließlich zu einer aufs Äußerste zugespitzten Pointe zu kommen. In seinem Schreibwahn war Weniges vor seinem Urteil sicher: Zwischen Sportreportagen und den Hell's Angels war Thompson auch immer politischer Reporter. „It is Nixon himself who represents that dark, venal and incurably violent side of the American character that almost every country in the world has learned to fear and despise.“ Über Donald Trump wird viel geschrieben, auch Hunter S. Thompson hätte wohl mit seiner brillianten Beobachtungsgabe die passenden Worte gefunden. Er war einer dieser Schriftsteller, deren Arbeit zwar spannend, aber doch einfach aussieht – bisher jedoch unerreicht bleibt. Trotzdem will seit seinem zweiten und erfolgreichsten Werk Fear and Loathing in Las Vegas jedes aufgeschriebene Rausch-Aha-Erlebnis literarischen Wert haben und jede drogenbedingte Selbsterfahrung Gonzo sein.
Denn Gonzo macht das, was viele „Lügenpresse“-Schreihälse den Medien seit jeher vorwerfen. Er verabschiedet sich von Fakten. Durch Blogs erlebt das Genre eine Renaissance. Meist sind es jedoch mittelmäßige Kopien der Arbeit, die letztendlich das herausragende Alleinstellungsmerkmal des nie fertigen und immer verbessernden Großmeisters des Gonzos beweisen.
Wann Thompsons übermäßiger und exzessiver Drogenkonsum anfing, ist nicht überliefert. Dass der meist Hawaiihemd tragende Reporter mit Halbglatze den Drogen verfallen war, konnte man ihm wohl schon aus hundert Metern Entfernung ansehen. Eine seiner meistzitierten Aussagen lautet: „I hate to advocate drugs – but they always worked for me“. So galt der Autor zu Lebzeiten den einen als getriebener, wahnsinniger Junkie mit einem Waffenfetisch, den anderen als gefeiertes Genie. Möglicherweise solidarisierte er sich deswegen so sehr mit den "Anderen", den Freaks. 1970 bewarb sich Thompson für das Amt des Sheriffs in seiner Wahlheimat Aspen, Colorado. Kernpunkte seiner Agenda: Autos verbieten und Drogen legalisieren.
Mit Glatze gegen den "long-haired opponent“
In diesem Moment trat der bis dato relativ unbekannte Autor zum ersten Mal öffentlich als Antiheld und Politiker in Erscheinung, als Widerständler, als einer, der irrsinnige Phrasen mit noch irrsinnigeren Phrasen beantworten sollte, in der Hoffnung, diese so aus der Welt zu schaffen. Sein damaliger Gegner auf republikanischer Seite fiel im Wahlkampf mit stoppelkurzen Haaren auf. Daraufhin rasierte sich der freie Kandidat Thompson eine Glatze, um in der Folge von seinem „long-haired opponent“ sprechen zu können. Am Wahltag selber organisierte er Gruppen, um in die Wohngemeinschaften der Stadt einzudringen und die „Freaks und Hippies“ teils mit Gewalt zur Wahlurne zu treiben. Die Wahl verlor er zwar, der „Wahnsinnige aus Colorado“ aber sollte über die Grenzen des Bundesstaates hinaus für Schlagzeilen sorgen. Thompson bewarb sich nie wieder für ein politisches Amt.
Vielleicht sorgte jene Verbindung zwischen exzessivem Drogenkonsum und Perfektionismus dafür, dass Thompson zeitlebens von starken Selbstzweifeln zerfressen war. Mit steigender Bekanntheit flüchtete er immer öfter in sein Refugium, seine Ranch in Aspen, Colorado. Dort lebte er seinen unersättlichen Drang nach Geschwindigkeit aus – inklusive Drogen, Alkoholkonsum und Waffen. Ein Einsiedler war der Anti-Held jedoch nicht. Thompson empfing gerne Besuch. So lebte sein Freund Johnny Depp als Jugendlicher monatelang auf dem Anwesen, und sowohl Bill Murray, der in der verfilmten Erstversion von „Angst und Schrecken in Las Vegas“ Thompsons fiktiven Gonzo-Charakter Raoul Duke spielte, als auch Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards waren gern gesehene Gäste. Letzterer sagte einmal: „Wenn sie mir den Spaß am Leben nehmen, dann gehe ich.“ Man kann davon ausgehen, dass Hunter S. Thompson, der eine Gruppe Unangepasster und Freaks auf seinem Feldzug um sich vereinte, damit übereinstimmte. Die Wegbegleiter von einst sprachen stets von tiefgründigen Gesprächen mit dem Aussteiger. Und so geizte Thompson auch am Ende seiner Briefwechsel nicht mit Weisheit:
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