"Vulva la Revolución!"

Feminismus Die Demonstration zum Weltfrauentag fiel deutlich größer aus als in den Jahren zuvor. Dafür gibt es gute Gründe

Unbeirrt, trotz Nieselregen: Dieses Jahr demonstrierten über 7000 Menschen anlässlich des Weltfrauentags am 8. März für die Rechte von Frauen, Schwulen und Lesben, Trans-, Queer- und Intersexuellen Menschen – weit mehr als in den Jahren zuvor. Ein breites Bündnis von feministischen Gruppen hatte zum Protest aufgerufen. „I can't imagine a feminism that isn't antiracist“, „Men of quality don't fear quality“ oder „Without Hermoine, Harry would've died in book one“ war auf den Plakaten der Teilnehmenden zu lesen.

Antifa-Gruppierungen liefen neben Alt-Linken und Eltern mit Kindern, Transgender-Personen neben Cis-Männern, also Personen, denen während der Geburt das männliche soziale Geschlecht (gender) zugewiesen worden ist und die sich auch mit diesem identifizieren. Nach einer anfänglichen Kundgebung am Hermannplatz bewegte sich der Demonstrationszug mit ausgelassener Stimmung durch Neukölln bis zum Kreuzberger Oranienplatz. Dort vereinten sich die Demonstrierenden mit einem zweiten Demonstrationszug, bei dem Männer jedoch unerwünscht waren. Auch wenn die zwei Bündnisse keinen gemeinsamen Startpunkt hatten, wurde immerhin ein gemeinsames Ziel vereinbart.

Möglich, dass es an dieser Ausgrenzung von Männern lag – die Menge männlicher Protestierender am Hermannplatz war auffällig groß: „Ich bin hier um mich solidarisch zu zeigen“, kommentiert ein 26-jähriger Student. „Es geht darum, dass das Aufbrechen von Gender-Rollen alle etwas angeht.“ Zwar wurde sich auch innerhalb der Menge teils kritisch beäugt – schließlich gibt es auch intern und abseits des feministischen Kampfes genügend Diskussionsstoff; beispielsweise darüber, für wen die bekannten Pussy-Hats denn nun geeignet seien. Ob (Cis-)Männlichkeit ein sinnvoller Begriff sei. Oder die Fragen, wer sich mit wem solidarisieren sollte, kann und darf unter dem Stichwort Intersektionalität. Beim Protest zeigten sich jedoch alle vereint. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner: die Forderung nach Gleichberechtigung.

Meilensteine des internationalen Frauentags in Deutschland

1910 Clara Zetkin ruft auf dem zweiten Kongress der sozialistischen Internationalen in Kopenhagen: „Keine Sonderrechte, sondern Menschenrechte"

19. März 1911 Zum ersten Mal ertönt auf der Demonstration für Frauenrechte (damals noch am 19. März) der offizielle internationale Protest: „Heraus mit dem Frauenwahlrecht!“

8. März 1921 Zum ersten Mal wird an die Streiks der New Yorker Textilarbeiterinnen von 1857 und 1908 erinnert

1933 - 1945 Während des NS-Regimes wird der Frauentag wegen des sozialistischen Ursprungs in Deutschland verboten

Ab 1947 In der DDR wird der 8. März wieder staatlich organisierter Feiertag, allerdings den politischen Zielen untergeordnet: Im wesentlichen werden Frauen in die Front gegen den „westlichen Imperialismus“ eingereiht

1958 Verfassungsrang hatte die Gleichberechtigung bereits seit Einführung des Grundgesetzes 1949. Wirklich umgesetzt wird sie erst ab dem 1. Juli 1958 durch das Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes. Nun ist für Frauen die Einrichtung von Bankkonten ohne Zustimmung des Ehemannes erlaubt. Auch die männliche Verfügungsgewalt über das Geld eines Haushaltes wird abgeschafft

Späte 1960er Jahre In der BRD organisiert sich der Protesttag öffentlich erst wieder im Zuge der neuen Frauenbewegung der '60er und '70er Jahren. Themen sind der Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen (218 StGB, Recht auf legale Abtreibung) und Gewalt gegen Frauen

Seit 1977 Die UNO erklärt den 8. März offiziell zum Internationalen Frauentag

1993 Erstmals nach der Wende in Ost- und Westdeutschland gibt es wieder gemeinsame Demonstrationen. Neu in den ehemaligen DDR-Ländern ist, dass der Protest von nicht-staatlicher Hand organisiert wird

1994 "FrauenStreikTag" in Deutschland: Mehr als eine Million Frauen kommen auf der Straße zusammen

1997 Die Vergewaltigung in der Ehe wird strafbar

Noch ein zweiter wichtiger Grund motivierte die Menschen in diesem Jahr wohl dazu, auf die Straße zu gehen. „In Deutschland wollen die Leute aktiv werden, weil bald der Wahlkampf beginnt. Wir haben Angst, dass die rechten Parteien uns unsere Frauenrechte weg nehmen“, so Dervla O'Malley, Mitorganisatorin der "Strike 4 Repeal"-Demonstration, die sich mit irischen Abtreibungsbefürwortern solidarisiert.

Durch das Erstarken der neuen Rechten mit ihrer anti-feministischen Grundhaltung fürchten viele, dass sich auch in Deutschland ein gesellschaftlicher Rückwärtstrend durchsetzen könnte. Das lässt sich beim Thema Abtreibung bereits jetzt beobachten. In Polen wurde per Gesetzesentwurf entschieden, Abtreibungen zu strafbaren Handlungen zu erklären – die Empörung war groß, der Protest medienwirksam. Auch in Spanien wurde 2015 der Weg für eine Verschärfung des Abtreibungsgesetztes geebnet. Und in den USA droht Donald Trump den Etat der Organisation "Planned Parenthood" zu streichen – weil sie Abtreibungen unterstützt.

Die "Strike 4 Repeal"-Demonstration wurde von der Gruppe "Berlin-Ireland Pro Choice Solidarity" organisiert: „Wir sind eine Gruppe von Frauen und genderqueeren Menschen aus Irland“, so O'Malley. Eine Abtreibung ist in Irland nur erlaubt, wenn das Leben der schwangeren Person in Gefahr ist. Ärzte und schwangere Personen können bis zu 14 Jahre ins Gefängnis kommen, wenn sie den Eingriff vornehmen oder vornehmen lassen.

O'Malley sieht einen Zusammenhang zwischen der erstarkenden Frauenbewegung in Deutschland und der Women's March Bewegung, die allein in Washington Ende Januar eine halbe Million Menschen auf die Straße holten, um gegen sexistische und rassistische Äußerungen Trumps zu demonstrieren. Es ist, ähnlich wie nun in Berlin, ein hoffnungsvoller Startschuss für einen neuen, kraftvollen und gesamtgesellschaftlichen Protest.

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