Schönheit, die nie vergeht

Ästhetik Was ist eigentlich schön? Eine Ausstellung im Dresdner Deutschen Hygiene-Museum geht einer alten Frage nach und kommt zu nicht ganz unerwarteten Antworten

Was hatten die Venus von Willendorf, Gräfin Cosel und Twiggy gemeinsam? Sie alle galten zu ihrer Zeit als schön, waren Musen der Künstler, it-Girls und zugleich Repräsentantinnen einer Gesellschaft, in der ästhetische Ideale durch Körper symbolisiert wurden. Lebendige Projektionsflächen also, die den Zeitgeist verkörperten.

An dieser Praxis hat sich bis heute nichts geändert. Denn Schönheit ist, und das ist keineswegs eine Neuigkeit, kein Status quo, sondern ein Resultat gesellschaftlicher und ästhetischer Ansprüche. Und gerade weil wir in Zeiten von Botox und Germany’s Next Topmodel ein perfide Version des Spieglein-Spieglein-an-der-Wand-Spiels ausprobieren, stellt das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden um so berechtigter in seiner Sonderausstellung die alte Frage erneut: Was ist eigentlich schön?

Auf der Suche nach Antworten haben die Kuratorinnen Kunst und Naturwissenschaft aus fast allen Epochen der Menschheitsgeschichte durchwandert sowie private und öffentliche Lebensbereiche durchwühlt. Und kamen zu der Feststellung: Schon immer wollte sich der Mensch von seiner besten Seite zeigen, weil er dadurch auf Wohlstand und Anerkennung hoffen durfte. Nur gibt es heute unzählige neue Varianten der Schönheitskorrektur, und in den Medien wird Erfolg gepaart mit Schönheit als Supersonderangebot verkauft. Der perfekte Körper als Geschäftsmodell. Neu ist das alles nicht. Und so bietet die Ausstellung weniger Aha-Erlebnisse in Sachen ästhetischer Reflexion als vielmehr die interessante Spiegelung einer riesigen Menge an Ideen und Zwängen, in die wir unsere Körper quetschen.

Bloß eine Schimäre

Das Resultat bleibt Ansichtssache. Da sehen wir die knittrigen Brüste einer alten Frau auf großen Schwarz-Weiß-Fotografien, tätowierte Rentner, den Durchschnittsbürger bei der Morgenhygiene vor dem Badezimmerspiegel. Da sehen wir Barbie und Lara Croft als lebensgroße Puppen, mit Computern auf Symmetrie geeichte Gesichter junger Menschen, Madonna in einer ihrer wechselnden Selbstinszenierungen.

Individualismus versus ästhetisch zurechtgebogene Leitbilder – diese Diskrepanz zieht sich durch fünf Themenkomplexe und stellt die eigenen Maßstäbe für Schönheit in Frage. Eine fotografische Arbeit, in der die niederländischen Künstler Ari Versluis und Ellie Uyttenbroek seit über 15 Jahren Menschen in ähnlichen Kleidungsstücken und gleicher Pose fotografieren und den Schluss nahelegen, dass man in jedem Anderssein trotzdem den Regeln der Masse folgt, ist nur ein Beispiel. Ist die Vorstellung von einer eigenen Persönlichkeit wirklich bloß eine Schimäre? Und wie erklärt sich dann die Tatsache, dass sich die Zahl der Frauen und Männer, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen würden, in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt hat? Individuell ist das nicht, schön schon gar nicht.

Zwischendurch bietet die Dresdner Schau auch Ruhepunkte, an denen schöne Töne und Worte zu entdecken sind, völlig losgelöst vom eigenen Körper. Denn der steht im Hygiene-Museum permanent unter Beobachtung. Die Besucher können ihre Gesichter auf „richtige“ Proportionalität hin vermessen oder sich im verspiegelten Gang zwischen den Ausstellungsräumen selbst betrachten.

So kann der persönliche Blick entweder Maß nehmen oder wanken und eine nach Perfektion strebende Gesellschaft hinterfragen – was am Ende nicht immer schön, aber notwendig ist.

Was ist schön? Deutsches Hygiene-Museum Dresden. Bis 2. Januar 2011. Der Katalog ist bei Wallenstein erschienen und kostet 24,90

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