Weder Moskau noch Washington

Souveränität Deutschland braucht nicht noch mehr Erdgas. Das beste Friedensprojekt ist die Energiewende
Ausgabe 37/2020
Weder Moskau noch Washington

Illustration: der Freitag

Plötzlich stecken wir in einer außenpolitischen Debatte, die sich gewaschen hat. Infolge der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny droht eine eskalierende Spirale aus Sanktionen und Gegensanktionen. Im Zentrum steht die „Nord Stream 2“-Pipeline, die auf den letzten Kilometern gestoppt werden könnte. Das sei fatal, jammern letzte Befürworter dieser deutsch-russischen Achse der fossilen Energiewelt. Denn Europas und Deutschlands Energieversorgung hänge an dieser Ostseepipeline. Das stimmt nicht. Die Pipeline war noch nie etwas anderes als Munition für einen globalen Energiekrieg.

Von Beginn an protestierten Klimaschützer gegen die anachronistische Investition in die klimaschädliche fossile Energieversorgung. Osteuropäische Länder fürchteten um ihre Energiesicherheit. Schließlich versuchten die USA, durch massive Sanktionen gegen jedes beteiligte Unternehmen die Fertigstellung zu verhindern.

Jetzt eskaliert der geopolitische Konflikt mit Russland, der 2008 in Georgien begann und 2014 in der Ostukraine und auf der Krim bislang seinen unschönen Höhepunkt hatte. Sicher, es geht nicht um Energie, es geht um Macht und um sehr viel Geld. Aber das Gas ist die zentrale Ressource in dieser aktuellen Schlacht. Und unsere Abhängigkeit von russischen Energie-Importen ist selbstverschuldet. Statt auf unabhängige Selbstversorgung durch erneuerbare Energien haben wir lieber auf traditionelle fossile Lieferanten gesetzt.

Die Pipeline ist unnötig

Deutschland hatte bei seiner Energieversorgung nie eine weiße Weste. Häufig finanzierten wir dabei Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern. Doch durch internationale Abkommen konnten wir wenigstens ein Mindestmaß an Unabhängigkeit sicherstellen. Jetzt, in einer so brenzligen Situation, ist es an der Zeit, den Bau der Pipeline zu stoppen. Wir brauchen sie nicht für unsere Energieversorgung.

Europa bezieht etwa 40 Prozent des Gasbedarfs aus Russland. Wir haben uns innereuropäisch verpflichtet, die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu mindern. Mit dem neuen „Nord Stream“-Strang wird – wenn, wie versprochen, auch weiterhin Gas durch die Ukraine geliefert wird – der russische Anteil auf 50 Prozent erhöht. Und das, obwohl wir zur Erfüllung der Pariser Klimabeschlüsse den Erdgasbedarf insgesamt reduzieren werden. Die Pipeline ist also nicht nur teuer, sie ist auch energiewirtschaftlich überflüssig.

Auch das Argument, es drohe eine Stromlücke, wenn die Pipeline nicht vollendet werde, ist nicht haltbar. Erdgas ist die teuerste Form der Stromproduktion, die Kraftwerke sind unwirtschaftlich. Erneuerbare Energien sind wesentlich preiswerter. Erdgas wird daher eher zur Wärmegewinnung eingesetzt. Aber: Durch die energetische Gebäudesanierung im Rahmen der Energiewende wird auch dort der Bedarf abnehmen. Etwa die Hälfte aller Heizungen werden in Deutschland mit Erdgas betrieben. Das Ziel der Bundesregierung ist die Reduktion des Wämeverbrauchs um 32 Prozent bis 2030, die Halbierung bis 2050. Und die Pariser Klimabeschlüsse erfordern, dass im Industriebereich die Kraft-Wärme-Kopplung weg von Erdgas, hin zu erneuerbaren Energien wie Biomasse erfolgen muss.

Gerne wird auch behauptet, Erdgas würde zur Herstellung des „blauen“ Wasserstoffs benötigt. Dabei ist klar: Wasserstoff ist ein notwendiger Energieträger bei der Energiewende. Er muss jedoch zwingend aus erneuerbaren Energien gewonnen werden, wenn wir nicht jegliche Klimaschutz-Ambition aufgeben wollen. Die Produktion von „blauem“ Wasserstoff mit Hilfe von Erdgas verursacht mehr Emissionen, als wenn man Erdgas direkt nutzen würde. Die Abscheidung und Einlagerung von CO₂ im Rahmen einer Wasserstoffproduktion aus Erdgas ist enorm teuer und dadurch ineffizient. Und wo einlagern? „Grüner“ Wasserstoff hingegen wird aus erneuerbaren Energien gewonnen, ist klimafreundlich und energiepolitisch eventuell notwendig. Dafür brauchen wir jedoch keine Gas-Pipeline.

Der letzte Strohhalm, an den sich die „Nord Stream 2“-Lobbyisten klammern, ist ihr Antiamerikanismus, den sie mit einem Pseudo-Umwelt-Argument vermischen: Das russische Gas würde gebraucht, um nicht das US-amerikanische Fracking-Flüssiggas importieren zu müssen. Dieses Gas wird jedoch gar nicht benötigt. Und wenn man ernsthaft erwägt, ein Terminal zu bauen – etwa um die USA zu besänftigen, obwohl die vermutlich gar nicht zu besänftigen sind –, dann doch bitte lieber gleich als Investition in eine zukunftsweisende Technologie: Statt eines Flüssiggas-Terminals könnte ein Wasserstoff-Terminal gebaut werden, über das „grüner“ Wasserstoff importiert werden kann – etwa aus Nordafrika, wie es sich die Bundesregierung selbst so sehr wünscht.

Deutschland steckt also ohne Not inmitten eines fossilen Energiekriegs. Der Ausweg liegt in der Absage an russische Energielieferungen und in der entschlossenen Umstellung auf erneuerbare Energien. Die heimischen Energieträger sichern die Resilienz, machen unabhängig von externen Schocks und immun gegen politische Erpressungen. Auch die Türkei und Griechenland könnten sich Konflikte um die Förderung fossilen Gases ersparen, wenn die Welt auf erneuerbare Energien setzen würde, statt um Förderrechte für teures Erdgas zu kämpfen.

Die Energiewende ist das beste Friedensprojekt: die Befreiung aus einer selbstverschuldeten Abhängigkeit.

Claudia Kemfert leitet seit 2004 die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung

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