Keine Eiszeit

Sportplatz Wenn man Profi ist und Sport nicht nur als Freizeitvergnügen, sondern ernsthaft betreibt, lernt man, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Um ...

Wenn man Profi ist und Sport nicht nur als Freizeitvergnügen, sondern ernsthaft betreibt, lernt man, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Um erfolgreich im Wettkampf zu sein, muss man viele andere Dinge ganz einfach beiseite schieben. So in etwa lauten die Worte von Cassie Campbell, der Kapitänin des kanadischen Frauen-Eishockeyteams. Bis zum Wochenende bereitete sich Campbell gemeinsam mit ihren Mannschaftskameradinnen im heimatlichen Kanada auf die Frauen-Eishockey-WM vor, die in China stattfinden sollte. Campbell meint, dass es sicher Situationen gibt, in denen selbst der Profi-Sport Ereignisse in der Welt nicht ignorieren kann. Dass solche Situationen immer häufiger auftreten, müssen Campbell und ihre Mitstreiterinnen gerade am eigenen Leib erfahren. Das kanadische Team sollte bereits am Donnerstag nach China fliegen, verschob den Abflug jedoch auf Anweisung der Funktionäre, genauso wie die Teams der USA und Finnlands, während die übrigen Mannschaften bereits in Peking eintrafen.

Cassie Campbell hat schon im vergangenen Jahr an den Olympischen Winterspielen in Salt Lake City teilgenommen. Dort habe sie sich, aufgrund der Ereignisse vom 11. September, Sicherheits-Prozeduren unterwerfen müssen, die sie als Sportlerin so noch nie erlebt habe. Und nun, kurz vor dem nächsten großen Turnier ihrer Karriere, verhindern nicht nur die derzeitigen Ereignisse der Weltpolitik ein sportliches Aufeinandertreffen der besten Eishockeyfrauen. Eine tückische Lungenkrankheit, die in Asien ihren Ursprung hat, verunsichert inzwischen die Weltbevölkerung zusätzlich zum Irak-Krieg. Die Anweisungen und Reiseempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation haben sich in den bangen Tagen für die Eishockey-Frauen verschärft: keine Reisen nach Hongkong, Singapur, China und Vietnam. Sogar die Rolling Stones sagten ihre erste Tournee nach China ab.

Frauen-Eishockey hat eine lange Tradition, vor allem in Kanada. Sogar der berühmte Stanley-Cup, das wichtigste Turnier nordamerikanischer Klubmannschaften, ist einer Frau zu verdanken: Isobel, die eishockeybegeisterte Tochter Lord Stanley Prestons, ist die Frau, die zur Stiftung des gleichnamigen Cups inspirierte. Schon vor über 100 Jahren spielte sie mit Freundinnen auf einer zuvor mit Wasser überfluteten Wiese Eishockey. Das Spiel wurde gefilmt und bildet heute eines der frühesten Dokumente über den Ursprung dieses Sports.

Ungefähr um 1890 fand das erste registrierte Spiel mit dem kleinen Puck statt, das Frauen schon immer mitprägten: die Gesichtsmaske für Torsteher wurde 1927 von einer Frau namens Elizabeth Graham das erste Mal getragen. Erst 1959 trug der erste männliche Torsteher eine Maske, die fortan in der Liga Einzug hielt. Der Siegeszug des »Sports für harte Männer« setzte sich bei den Frauen weiter fort. Bereits in den siebziger Jahren entstanden Frauenteams in Schweden, der Schweiz, Korea, Japan, China, Norwegen, Finnland und auch in Deutschland.

Kanada, das Land der kalten Winter und die Wiege des Eishockeysports, hatte lange keine Konkurrenz zu fürchten. Erst 1997 gelang es den USA, die Kanadierinnen erstmals zu schlagen und die ewiggleiche Reihenfolge der Sieger - Kanada, USA, Finnland - umzukehren. Die Zahl der spielenden Frauen vergrößerte sich ständig. 1990 wurden Bodychecks bei den Frauen verboten, um die Härte aus dem Spiel zu nehmen.

Eine herausragende Frau ließ sich davon aber nicht beirren, die in Kanada bekannter ist als irgendeine andere Spielerin: Hayley Wickenheiser. Die Dame trainierte zunächst in Tschechien nur in Männerteams. Inzwischen spielt sie in Finnland in der Männerliga und stieg gerade mit ihrer Mannschaft in die erste finnische Liga auf. Auch sie wartete noch am vorangegangenen Wochenende auf die Abreise nach Peking. Doch die Frauen-Eishockey-WM ist offiziell am Sonntag, dem 30. März, vom internationalen Eishockeyverband abgesagt worden. Außer den derzeit verständlichen Verunsicherungen besonders US-amerikanischer Staatsangehöriger was Sicherheitsvorkehrungen betrifft, hat vor allem die gesundheitliche Gefahr einen Schatten auf die Weltmeisterschaft geworfen und den Weltverband letztlich zu diesem Schritt bewogen. Die Sicherheit der Spieler und Trainer könne nicht gewährleistet werden. Auf der Website des Deutschen Eishockeyverbandes waren schon die ersten Bilder aus Peking vom letzten Trainingsspiel der deutschen Mannschaft gegen Schweden zu sehen. Auch auf einer Fansite wurde noch Vorfreude auf die Reise nach China bekundet.

Die ist jetzt erst einmal abgesagt, doch vielleicht nur auf unbestimmte Zeit. Manchmal holt die Realität den Sport eben doch ein. Auch wenn man ihr auf schellen Kufen davonzufahren versucht.

Gute Argumente sind das beste Geschenk

Legen Sie einen Gutschein vom digitalen Freitag ins Osternest – für 1, 2 oder 5 Monate.

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden