Im Bonner Haus der Geschichte hat die Filmemacherin Helke Sander ein starkes Bild für das Image feministischer Ideengeschichte gefunden: Dort sind den prägenden (west-)deutschen Geschichtsereignissen große Vitrinen voller Fotos, Dokumente und Objekte gewidmet, so auch der 68er-Bewegung und der RAF. Daneben muss die Frauenbewegung jener Zeit mit einem schmalen Glaskasten auskommen, der gerade Platz hat für eine lila Latzhose und die erste Ausgabe der Zeitschrift Emma.
Dass tatsächlich mehr als die Entwicklung einer Hosenmode und einer Medienmarke dahinter steckte, weiß die Autorin, Regisseurin und ehemalige Filmprofessorin Helke Sander aus erster Hand. Sie war eine junge Filmemacherin des ersten Jahrgangs der neu gegründeten Berliner Filmhochschule, allein erziehende Mutter und Mitglied des SDS, als sie in den heroischen Zeiten der Studentenbewegung gewahr wurde, dass viele der SDS-Genossinnen der althergebrachten Geschlechterrolle folgten. Die Frauen versorgten die Kinder, die Männer machten Revolution. Zwar gab es auch damals kinderfreundliche Ziehväter und überhaupt großfamiliäre Entlastungsmöglichkeiten in den Wohngemeinschaften, ohne die allein erziehende Mütter weder beruflich noch politisch aktiv werden konnten, doch macht noch heute jedes Foto von SDS-Treffen klar, dass die Studentenbewegung Männersache war.
Helke Sander hielt deshalb 1969 auf einer SDS-Konferenz eine leidenschaftliche Rede über diese Benachteiligung. Die Forderung lautete, sich mit den patriarchalen Strukturen in der Bewegung auseinander zu setzen und überhaupt die Gesellschaft so zu verändern, "das Frauen darin Kinder gebären können, ohne selber dadurch Nachteile zu haben und ins Abseits zu geraten" (Helke Sander zu Mitten im Malestream). Die Sache ging im Gelächter unter, aber daraufhin wurde ein Aktionsrat der Frauen gegründet, die ersten Kinderläden entstanden (eine Idee, die bald jedoch von SDS-Genossen aufgegriffen und zum Hebel antiautoritärer Erziehung umfunktioniert wurde). Die SDS-Frauen erreichten die Kindergärtnerinnen in Westberlin als Mitstreiterinnen, es wurde über Frauen und ihre Lebensbedingungen, über Kinder und Pädagogik, über Gesellschaftstheorie und Praxis diskutiert, Demonstrationen und Streiks durchgeführt, selbstverwaltete Frauenberatungsstellen geschaffen. Helke Sanders Rede hatte den Stein ins Rollen gebracht. Am Anfang der feministischen Bewegung stand die Mütterfrage.
Heute ist Feminismus ein diffuses Schlagwort, bei dessen Erwähnung aggressive Abwehrreaktionen zum guten Ton gehören. Was die zweite Frauenbewegung im zwanzigsten Jahrhundert wollte und was sie erreichte, wird an den Schulen nicht gelehrt. Frauen mit DDR-Sozialisation nutzen das Schlagwort gern dazu, die Frauenförderung des SED-Staates zur Trumpfkarte zu erklären, ohne Kritik an der dort üblichen Doppelbelastung mit Arbeit und Haushalt gelten zu lassen. Insofern bildet die Bonner Geschichtsschau die eingeschränkte Wahrnehmung ab. Wie kommt es, dass Genderforschung und Genderpolitik zwar im demokratischen Routineprozess etabliert sind, Feminismus jedoch als exotisch, peinlich, nicht karrierefördernd gilt?
Die Filmemacherin Helke Sander wollte die verdrängte Geschichte nicht auf sich beruhen lassen. Sie sammelte Dokumente, zumal die wenigen privaten Bilddokumente der Frauenräte und -aktionen, bearbeitete sie für die Filmprojektion und stellte ihnen eine Kollektion klassischer Sprüche über Frauen, Ehe und Mutterschaft auf großen Wandtafeln entgegen. In dieses Konferenz-Ambiente lud sie im Herbst 2004 acht Gesprächsteilnehmerinnen ein, mit denen sie zwei Tage lang über die Geschichte der Frauenbewegung und ihrer Richtungsstreits diskutierte.
In dieser Weise Mitten im Malestream ist ihr Film-Essay in Eigenproduktion ein anregender Streifzug durch die Geschichtsrekonstruktion von Frauen unterschiedlichen Alters geworden. Zeitzeuginnen wie die Familienforscherin und Work Life-Expertin Gisela Erler, die Philosophin Annegret Stopczyk und Helke Sander selbst, dazu die Autorin Halina Bendkowski, die sich für schwule und lesbische Elternschaft engagiert, die beiden Kindheitsexpertinnen Peggi Liebisch und Johanna Mierendorff sowie die beiden Künstlerinnen Bettina Schoeller und Signe Theill schlagen im komprimierten Verlauf ihres Talks den Bogen bis in heutige Verhältnisse. Es geht im Detail um die Entstehung der Bewegung, um die internationalen und klassen- bzw. schichtenspezifischen Analyseansätze zur Mütterfrage. "Sind Frauen reaktionärer, wenn sie die Männer vom Streik abhalten?" war damals zum Beispiel eine herausfordernde Frage.
Der Film erzählt, wie das politische Potenzial der Mütterfrage, ihre Erfahrung, wonach gesellschaftliche, medizinische, kulturelle Veränderungen stets "über den Körper der Frau" (Sander) ausgetragen werden, im Verlauf der siebziger Jahre von anderen Paradigmen der Emanzipation überformt und abgelöst wurden. Das wachsende kritische Bewusstsein gegenüber der repressiven Kleinfamilie führte dazu, dass vor allem lesbische Frauen sich einem anderen feministischen Selbstverständnis zugehörig fühlten. Frausein unabhängig von Mutterschaft geriet stärker in den Fokus. Alice Schwarzers Ich habe abgetrieben-Kampagne im Stern war einer der Auslöser dieses Richtungswechsels. Schwarzer selbst startete damit durch zu ihrer beispiellosen Medienkarriere, die in Mitten im Malestream nicht denunziert, aber in ihren fatalen Nebenwirkungen abgewogen wird.
Der Nachteil der filmischen Methode von Mitten im Malestream liegt auf der Hand: Viele Themen werden im freundlichen Geplauder nur angerissen, überhaupt kommt die Rekonstruktion am Tisch der acht Frauen ergänzend, nie kontrovers daher. Wie die Verhütungspille die Mutterschaft zur Entscheidung der Frauen gemacht hat, wird im Talk erwogen. Dass die zunehmende Kinderlosigkeit heute jedoch noch mit dem damals gängigen Kampfbegriff des Gebärstreiks differenziert genug beschrieben ist, will mir nicht einleuchten. Auch die Rede über die schwächelnde Rolle der Väter, den schleichenden Verlust von "Machterotik" von Hausmännern, den mangelnden Veränderungswillen im persönlichen Verhalten unserer Politiker in Sachen Geschlechterrolle - alle diese Themen kreisen ziemlich flach um das männliche Beharrungsvermögen. Was fehlt, ist eine präzisere Auseinandersetzung mit den Rollenbildern, die Frauen heute leben. Schade, dass die beiden Unternehmerinnen Erler und Stopczyk nicht von ihre Gender-Training-, Werte-Management- und Work Life-Programmen erzählen, die nicht den sprichwörtlichen Marsch durch die Institutionen repräsentieren sondern hochmoderne Politik der kleinen Schritte. Schade auch, dass Halina Bendkowski nichts über gleichgeschlechtliche Kinderwünsche beiträgt, Lebensentwürfe, die Bundespräsident Köhler neuerdings vorsichtig wertschätzt. Vor allem fehlen Worte und Gefühle zu den Kindern der einstigen Aktivistinnen, um deren gutes Leben es ihnen zu tun war, ohne dass sie die Selbstentfaltung der Mütter behindert hätten. Was ist aus dieser Generation geworden? Was haben die Frauen am Tisch und in den zitierten Filmen in ihren beruflichen Feldern erreicht? Helke Sander, Claudia von Alemann, Margit Eschenbach u.a. besaßen z.B. als Filmprofessorinnen Gestaltungsspielräume und pädagogischen Einfluss. Wie erklären sie sich persönlich die abgerissene Geschichte? Fragen nach einem spröden, zur Auseinandersetzung einladenden Film-Essay.
Mitten im Malestream. Richtungsstreits in der neuen Frauenbewegung. Ein Film-Essay von Helke Sander. 92 Min. DVD.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.