Männlich belebt und unbelebt

Uczyc sie po polsku Die Polnische Grammatik weckt Hoffnungen auf Revolutionen in der Geschlechterordnung

Aufenthalte in fernen Ländern bilden ungemein. Aufenthalte in nahen Ländern ebenfalls. Polen ist ein ganz nahes Land. Raus aus Berlin in Richtung Münchberg-Seelow, schon kommt Kostryn. Keine zwei Stunden Fahrt.

Aufenthalte in anderen Ländern erlauben Perspektivwechsel - »Berlin, liegt doch direkt hinter der Westgrenze Polens, nicht wahr?«- und sie unterstützen Aufräumarbeiten in geistigen Dachböden. Zwar gibt es den Spruch von der »polnischen Wirtschaft«, doch hat Polen die derzeit höchste Männersterblichkeit in Europa in der Altersgruppe der 30- bis 45-Jährigen (Herzinfarkte!). Transformations-Zinsen. Zwei Jobs und mehr prägen den männlichen Erwerbsalltag. Ein Vergleich mit der »amerikanischen Wirtschaft« wäre stimmiger.

Nun, seien wir ehrlich. In Sachen Geschlechterverhältnisse erwarten wir Traditionelles. Etwa, dass die »matka-polka«, die polnische Mutter noch unhinterfragt das Bier für den Gatten aus dem Kühlschrank holt, die Geschlechterordnung noch »in (alter) Ordnung« ist. Ja und Nein. Mit 20 Prozent Frauen im Sejm, der polnischen Nationalversammlung, besetzt Polen längst das europäische Mittelfeld, Vorbildfunktion für Frauen in manch anderen ost-europäischen Ländern. Und mehr als 3.000 Frauenprojekte mischen aktiv bei der gesellschaftlichen Neuordnung mit.

Dagegen orientieren deutsche Männer in Sachen Partnerinnenwahl gern gen Osten, in der Hoffnung, allzu emanzipativen Ansprüchen im eigenen Land aus dem Weg gehen zu können. Junge Polinnen erzählten mir, polnische Männer könne man derzeit nicht heiraten - sie seien einfach zu konventionell! Es kommt eben immer drauf an, von wo aus man schaut.

Aufschlussreich für eine Betrachtung der Geschlechterverhältnisse - und im übrigen eine echte Herausforderung - ist das Studium der polnischen Grammatik. Diese erschöpft sich nicht in männlich-weiblich-sächlicher Dreigeschlechtlichkeit, wie die unsrige. Nein, da gibt es mehr zu finden. Das Männliche zum Beispiel teilt sich auf in belebte (pan = der Mann) und in unbelebte männliche Welten (stóy- der Tisch), die im Singular wie im Plural geschlechtlich unterschieden und in den sechs (sic!) unterschiedlichen polnischen Fällen auch verschieden behandelt werden wollen. Im Ernstfall kennt ein Substantiv übrigens 14 unterschiedliche Formen - wobei diese selten alle zur Anwendung kommen, wie Professor Waldemar Martyniuk an der Jagellonen-Universität in Krakau seinen ausländischen Studierenden tröstend zuruft. Bei den Frauen liegen ebenso wie bei den Neutren die Dinge grammatikalisch etwas einfacher, was die Sprachlernende dankbar registriert, zugleich sich jedoch gekränkt dagegen wehren lässt, dass Natur und Materie und das grammatisch Weibliche eben noch eins seien. Da tröstet kaum, dass das Verb zumindest in der Vergangenheit und in der Zukunft anzeigt, über welches Geschlecht der oder die Sprechende verfügt.

Nun sind Auto-Marken (zum Beispiel »Nysa«. »Star«, »Zuk«, aber auch ein Mercedes »Merc«), Alkohol-Labels (»Zytnia«, »Krupnik«, »Koszerna«) und Zigaretten-Sorten (»Caro«, »Klubowe«, »Popularne«) im strengen Sinne eigentlich Sachen und in jedem Fall, ob männlich oder weiblich, doch nun wirklich unbelebt. Aber ganz sicher können wir nicht sein, erreichen die Genannten doch gelegentlich den Status von »LebenspartnerInnen«. Grammatikalisch jedenfalls sind sie im Polnischen »belebt« zu behandeln.

Ich bin sicher: Eine dritte europäische Frauenbewegung wird aus dem Osten kommen. Polen könnte den Startschuss geben. Sprachlich immerhin lassen sich viele neue Facetten in der Geschlechterordnung denken. Am Auto ist zwar fast jedes Teil männlich, das Lenkrad (»kierownica«) jedoch ist weiblich. Wer weiß. Vielleicht werden junge polnische Frauen eines Tages den fundamentalistisch-katholischen Sender Radio Maria kapern und zum Sprachrohr der jungen Generation nutzen. Diese junge Generation spricht übrigens hervorragend Englisch.

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