Wo stehen Frauen eigentlich - geschlechterpolitisch gesprochen? Was haben sie erreicht und was nicht? Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Wie sieht es aus in Fragen von Verteilungsgerechtigkeit? Frauen haben eine ganze Menge erreicht: Mittlerweile sind eine ganze Reihe Spielerinnen bis ins gesellschaftliche Mittelfeld und, wie der erstaunliche Aufstieg der Angela Merkel zeigt, in Einzelfällen gar an die Spitze vorgedrungen.
Zu den wichtigen neuen Erkenntnisse gehört, in welch hohem Maße sich die sozialen Lagen von Frauen untereinander, entlang von klassen- und ethnischer Zugehörigkeit, in den Ländern des Nordens und des Südens, in Ost- und in Westdeutschland, aufgrund von Alter und Generationenzugehörigkeit ausdifferenziert. Zu den einkommens- oder teilha
der teilhabearmen Frauen am unteren Ende der Schere kommen am anderen Ende immer mehr gutverdienende Frauen. Frauen, die sich in ihren Lebensplanungen den konventionell männlichen Erwerbsentwürfen annähern, gehen statistisch gesehen weniger große soziale Risiken ein als Frauen, die sich für Kinder und gegen eine kontinuierliche Vollzeiterwerbstätigkeit entscheiden. So weit Männer und Frauen die Wahl dazu haben. Denn nur wenn entsprechende bezahlte Arbeit angeboten oder geschaffen werden kann, gibt es diese Alternativen. Übrigens: auch "die" Männer sind immer weniger eine homogene Gruppe. Neu ist etwa die steigende Zahl der einkommens- und teilhabearmen Männer. Es reicht nicht mehr, von "den" Frauen oder "den" Männern zu sprechen und dann selbstverständliches Wissen darüber zu beanspruchen, wie unsere Gesellschaft strukturiert ist.Vermutlich müssen Frauen sich davon frei machen, anzunehmen, sie könnten in der gegenwärtigen Zeit, in der bezahlte Arbeit ein "knappes Gut" geworden ist, Verteilungsfragen über Addition lösen. Sie sind in der Situation eines Verteilungskampfes. Wenn Frauen bezahlte Arbeit wollen und bezahlte Arbeit partout nicht mehr wird und mehr Männer in bezahlter Arbeit sind als Frauen, müssen Männer aus bezahlter Arbeit eben raus! In Teilzeitarbeit, in Sabbatjahre. Aber wie kriegt man das hin? Staatlicher Zwang lockt die Frauen und schreckt die Wirtschaft. Wie formulieren Frauen den Gewinn für Männer, der auf den Verzicht folgt? Macht deformiert, sagen sie, Zeitwohlstand, Kindererziehung und Hausarbeit ist bereichernd, bloss Frauen wollen nicht mehr so viel davon. Das Leben ist mehr, als nur in Erwerbsarbeit aufzugehen, sagen sie den Männern. Ihr könnt euch mehr in den Nachbarschaften engagieren, die Mutter oder den Vater pflegen, ihr kriegt keinen Herzinfarkt. Das ist das Angebot. In Termini von Verhandlungssituationen gesprochen ist das beste Ergebnis ein "win-win" Fall, ein Ergebnis, von dem alle Verhandlungspartner den Eindruck von Zugewinn haben.An der Frage nach der Zukunft der Arbeit lässt sich aufzeigen, wie schwierig Perspektiv- und Paradigmenwechsel sind. Es ist unendlich mühsam, eine Perspektive in dieser Gesellschaft jenseits bezahlter Arbeit zu diskutieren, ohne dass ganz schnell erhitzte Debatten aufkommen, ob man das angesichts von so hohen Erwerbslosenquoten eigentlich grundsätzlich darf. Hier müssen Frauen Neuland betreten und darüber dann auch "die" Geschlechter neu positionieren mit neuen Möglichkeiten und neuen Verantwortlichkeiten -und zwar wechselseitig. Für Frauen hieße das, familiäre Macht abzugeben und öffentliche Macht anzueignen, und vice versa für Männer, öffentliche Macht abzugeben und auf der familiären Bühne aufzutreten.Das Leitbild, die Vision von Geschlechterdemokratie bestünde also darin, Diversität zu thematisieren. Das böte die Möglichkeit, den Diskurs anders zu gestalten: Der Ort der Verhandlung ist das Herz der Demokratie. Und es ist ein Defizit von Demokratie, solange Frauen und Männern nicht gleichermaßen an ihr partizipieren. Deshalb ist es keine Frage allein von Frauenförderung und schon gar nicht allein ein Problem von Frauen. Es ist ein zentrales, in unserer Gesellschaft reproduziertes Phänomen. Dem muss sich eine Gesellschaft als Ganze stellen. Das ist die Idee von einer Gemeinschaftsaufgabe oder neudeutsch "gendermainstreaming". Das läßt sich nicht irgendwo einfach abhandeln. Das kann keine einzelne Frauenbeauftragte schaffen, mit ihren ohnehin beschränkten Instrumenten. Das kann nur eine neue gesellschaftliche Aufbruchbewegung - eine dritte Welle von sozialer Bewegung, in der sich nicht mehr allein die Frauen, sondern vor allem auch die Männer bewegen. Ein Aufbruch, in dem jede der geschaffenen Organisationen und Institutionen geschlechter-kritisch beleuchtet wird. Was ist in ihnen gelungen, wo sind sie adäquat, wo stecken sie fest, wie kommt Bewegung rein, welche Instrumente, welche Prozesse sind dazu notwendig.Manche beargwöhnen den Ansatz einer Reformperspektive, die mit den Männern stattfindet, skeptisch. Um sie wirklich durchzusetzen, muss sich noch viel in allen Köpfen ändern, weiblichen wie männlichen. Dazu muss sich etwas am politischen System und der politischen Kultur verändern. Unsere Bildungsangebote sind gegenwärtig nicht adäquat, um Geschlechterdemokratie herzustellen. Die notwendigen Sensibilisierungsprozesse müssen ganz früh anfangen und sich durch alle Fächer und Lernfelder ziehen. Es gibt die Frauenforschung, die Gender-Studies, ein kleines bisschen Männerforschung. Notwendig ist ein integriertes System, eben ein "gender mainstreaming" quer durch alle unsere Bildungsstrukturen, von Anfang an. Normativ geht es um Gerechtigkeit.Eine "dritte Welle" sollte von unten und von oben kommen. Was können Wählerinnen/Wähler tun? Sie können immer versuchen, durch Wahlen etwas auszudrücken, so gut dies eben geht, und fragen, ob eine Geschlechterverantwortlichkeit bei den KandidatInnen, den Parteien da ist. Sie können Fragen stellen, Konkretion fordern, nachfragen und prüfen, Rechenschaft erwarten. Sind geschlechterpolitische Ziele definiert worden? Was wird getan? Was ist erreicht worden? Bald ist Halbzeit der rot-grünen Regierung, Zeit für eine geschlechterpolitische Zwischenbilanz! Was können ArbeitnehmerInnen tun? Sie können ArbeitgeberInnen entsprechend befragen, ihre Erwartungen formulieren! Was können UnternehmerInnen tun? Ihre KundInnen fragen, was sie unter Qualität verstehen, geschlechterdemokratisch zertifizieren - "total equalitiy"?! Was können GattInnen, Vollzeit-Mütter und Vollzeit-Väter tun? Haus- und erziehungsfreie Zeit erwarten und reproduktiv anwesende Männer, seltener noch Frauen. Harald Schmidt hat in einer Replik auf den fast frauenfreien Talkraum einer Sabine Christiansen in gewohnt doppelbödiger Manier gefordert: Wir wollen Weiber! - Ohne ihm dabei eine geschlechterdemokratische Großtat zu unterstellen, geht es doch vermutlich vielen Frauen mit Blick auf die Abstinenz vieler Männer im Haushalts- und Erziehungsbereich nicht anders: Wir wollen Kerle!Frauen wissen oder haben es lernen müssen, dass tiefgreifende Veränderungen kein einfaches Unterfangen sind. Gesellschaftlicher Wandel dauert. Dennoch: durch den gesellschaftlichen Dialog können Dinge in Bewegung gesetzt und verändert werden. Frauen wollen mit Männern öffentlich diskutieren, sie wollen wissen, wie ihre Sicht der Dinge aussieht und welchen verantwortlichen Beitrag sie leisten, was sie tun und was sie am Tun hindert. Die Tatsache, dass Frauen heute mit Männern auf Podien sitzen und diese sich auf "geschlechterdemokratische Dialoge" einlassen, ist neu. Die, die es sich trauen, betreten geschlechterpolitisches Neuland vor gelegentlich ungeduldigem, doch zumeist neugierigem Publikum. Es ist ein Novum, dass sich Männern solchen Dialogen in der Öffentlichkeit stellen.Dialoge machen den Käse noch nicht fett, sind aber Schritte auf dem Weg dahin. Und: Demokratie heißt "Mitdenken"und "Mittun"; raus aus der feministischen Isolation, raus aus der privaten Debatte, eine neue geschlechterdemokratische Öffentlichkeit machen, diskursmächtig werden und die Tagesordnung re-definieren. Nicht selten in der jüngeren Vergangenheit wurde diese Frage von Akteurinnen der Frauenbewegung eher taktisch als "objektiv" verhandelt. Aussagen wie: "Wir haben was erreicht, es hat sich etwas verändert!" waren und sind nicht selten tabuisiert - in der Befürchtung, spätestens dann würden die Fördermaßnahmen gestrichen. Nicht selten gab es eher eine Sauerbiermiene und nach unten gezogene Mundwinkel als selbstbewussten Stolz auf das Erreichte. Aber auch eine Frauenbewegung ist in ihren Taktiken und Strategien, in ihrer Bündnispolitik zu hinterfragen. Der jungen Frauengeneration ist das alte Vorgehen schwer zu vermitteln: Die Jungen fühlen sich stark. Sie wollen häufig mit und nicht gegen Männer arbeiten. Die jungen Frauen finden diese ominöse Macht häufig bereits überaus sexy - auch bei Frauen. Der Dialog ist eröffnet.Claudia Neusüß ist Vorstandsmitglied der grünnahen Heinrich-Böll-Stiftung. Ingo Arend ist Redakteur für Literatur und Geschlechterfragen in der Kulturredaktion des Freitag. Die Artikel sind überarbeitete Beiträge des zweiten "Geschlechterdemokratischen Dialogs", gemeinsam veranstaltet von Freitag und Heinrich-Böll Stiftung am 23. 5. 2000 in der Galerie der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.
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