Mehr als Rollenspiele?

KLÄRUNGSBEDÜRFTIG Isabel Boltons Roman "Wach ich oder schlaf ich" gilt als vollkommen

Zugegeben, es kann schwierig sein, sich einem Buch zu nähern, das so, mit solcher Menge Lorbeeren geschmückt, angeboten wird. Dies ist also für Eingeweihte eine Wiederentdeckung und eine Entdeckung für alle anderen. Die New Yorker Autorin Isabel Bolton, eigentlich Mary Britton Miller, geboren 1883, gestorben 1975, wird mit Virginia Woolf und Henry James verglichen. Ihr Roman "Wach ich oder schlaf ich", 1946 erstmals erschienen und jetzt wieder aufgelegt, gilt schlicht als vollkommen. Das ist nicht wenig. Kein Wort sei an der falschen Stelle, heißt es. Nach so viel Ruhmredigkeit neigt die Leserin ein bißchen zum Trotz. Das wollen wir doch erst mal sehen.

Es ist eine undeutlich und vage erzählte Geschichte über drei Personen, zwei Frauen und einen Mann, und sie spielt - wo sonst, die Autorin hat ihr ganzes Leben dort verbracht - in New York. Über viele Seiten geht es, aus der Sicht der Drehbuchautorin Millicent erzählt, um die Atmosphäre in New York und um die Rollen, die Millicent spielt, die Rollen in dieser hektischen Stadt, dieser rasanten Welt, diesem schrillen Leben. Ob sie diesen oder den anderen Hut aufsetzt, entscheidet über ihre Teilnahme an der Cocktailparty. Natürlich geht sie hin, zu den berühmten Leuten, die alle, denkt Millicent, ihre Rollen spielen, die alle hungrig sind nach etwas, das sie nicht kriegen. Und das sich dann eigentlich nur als ein Martini erweist, und den kriegen sie.

Die Sprache, in der das erzählt wird, ist attributreich, gefühlig und verschwommen. Die indirekte Rede als permanentes Stilmittel hält die Dialoge, und damit die Personen, sorgfältig auf Abstand vom Lesenden. Atmosphäre wird vermittelt, aber die wirkt wie Watte, man kommt einfach nicht näher ran an die Leute, die da agieren. Einmal durchdringt zu Beginn des Buchs ein Wort abrupt den ungewissen Text und deutet auf Probleme hin, die über einen Partybesuch oder den vor langer Zeit abgelehnten Heiratsantrag hinausgehen, das Wort "arisch". Nach ein paar weiteren Seiten wird dann auch deutlich die Zeit benannt, in der sich alle befinden, in der die zweite Heldin, die zauberhaft schöne Bridget, von der einen zur anderen Insel, von der einen zur nächsten Großstadt taumelt. Die Jahreszahl macht es deutlich: Dies ist keine zauberhafte Welt, keine genussreiche Zeit, denn irgendwo anders, weit weg von Amerika, ist Krieg. Millicent sieht sich das im Kino an. Es ist das Jahr 1939. Bridgets Tochter, die nicht ganz und gar arisch ist, lebt in Wien und muss dort herausgeholt werden. Bridget hat sich zwar bislang nicht um das Kind gesorgt, aber nun verändert sich die Situation und mit ihr die Rolle, die die umschwärmte Lady auf einmal spielt, auf sich nimmt, könnte man sagen.

Die Vermutung liegt nahe, dass der Roman hier erst beginnt. Die verschleierte Stimmung tritt für Momente in den Hintergrund. Es gibt plötzlich ein paar klare Sätze und erzählte Situationen von unerwarteter Eindringlichkeit. Bridget eröffnet ihren beiden Zuhörern knapp und nüchtern, dass ihr Kind missgebildet ist. Die Nazis zeigten es deshalb in Wien mit einem Schild um den Hals herum: "Kleine Jüdin". Nur mit sehr viel Geld könne sie die Tochter retten.

Percy, der Schriftsteller, will sofort seinen eben fertig gewordenen Bestseller und alles, was er noch schreiben und verdienen wird, für die Rettung einsetzen, aber nein, er ist es nicht, der helfen kann, die Frauen wissen das längst, woher auch immer. Auf der Cocktailparty kommt es zum Eklat zwischen den Hauptfiguren, in dessen Folge Percy von einem reichen Bewunderer Bridgets zu Boden geschlagen wird. Ist es Mord? Die Partygäste haben ihr grusliges Erlebnis, die Beteiligten fürchten um Percys Leben. Aber er überlebt die Attacke.

Damit ist das Buch dann auch schon zu Ende. In einem Taxi fährt Bridget davon, mit dem reichen Jungen, den sie möglicherweise heiraten wird, um Zugriff auf seine Millionen zu bekommen, mit denen sie das Kind aus Europa herausholen will. Aber vorerst fährt sie mit dem Verehrer zum Essen. Alles bleibt offen. Keine der wie auf dem Theater gebauten Szenen führt aus der New Yorker Party-Welt heraus. Einmal heißt es: "Natürlich sei alles, worauf es wirklich ankäme, die kleine Beatrice..." Nur kann man das dem Buch nicht glauben. Die Frage, die der Titel aufwirft, wach ich oder schlaf ich, wird nicht geklärt.

Isabel Bolton: Wach ich oder schlaf ich. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hannah Harders. Schöffling Co. Frankfurt/M. 1999. 215 S., 36,- DM.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden