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Fazit des Aufbegehrens Ute Kätzel fragt nach den weiblichen Akteuren der Studentenbewegung und lässt sie erzählen

Das bekannteste Foto der Zeit zeigt eine junge Frau in eleganter Abendgarderobe. Sie kniet in Berlin, nahe der Deutschen Oper, auf dem Straßenpflaster und beugt sich über einen Mann, dessen Kopf sie hält. Der Mann ist schwer verwundet, er wird an den Folgen der Verletzung sterben. Seinen Namen kennt jeder. Ihren nicht. Es ist Friederike Hausmann, damals noch Dollinger, und auch in Ute Kätzels Buch kommt sie nur in einem winzigen Bildausschnitt auf dem ochsenblutroten Einband vor. Womit das erste Problem des Bandes schon klar wird: die Auswahl seiner Protagonistinnen, die eine Einschränkung sein muss und willkürlich zu sein scheint, Kriterien werden jedenfalls nicht deutlich. Es bleibt naturgemäß so, dass viele Frauen fehlen und vermisst werden. So ist nicht eine einzige Frau aus der 68er Bewegung dabei, die irgendwann den Weg des militärischen Kampfes gewählt hat, ebenso nur eine aus der DDR, für die 1968 vor allem mit dem Prager Frühling verbunden war.
Die Autorin will endlich, nachdem das Stichwort "68" fast immer nur mit Männern assoziiert wird und bestenfalls noch die vage Erinnerung an die "Bräute" der Helden hervorruft, herausfinden, welche Rollen die Frauen gespielt haben. Sie will Die 68erinnen darstellen - so das nicht einlösbare Versprechen im Titel des Buches. Im Grunde ist es erstaunlich, dass erst jetzt jemand diesen Ansatz wählt, ein deutliches Zeichen für die Unterschätzung von Frauen, wenn es um Politik und - nun schon - Geschichte geht.
14 von den 68erinnen, fast alle um 1940 geboren, also inzwischen um die 60 Jahre alt, hat Kätzel befragt und für das Buch ausgewählt Sie lässt sie erzählen. Kurzbiografien und ein Schlagwortregister ergänzen die persönlichen Geschichten, die immerhin deutlich machen können: Ja, es hat sie gegeben, die aktiven Frauen, die mehr waren als Sexobjekte in den Kommunen und Dekor auf den Fotos in Stern und Spiegel. Und sie waren es, nicht die Männer, denen es darum ging, nicht nur "die Gesellschaft", sondern auch und zuerst sich selbst zu verändern. Als Feministinnen sahen und sehen sich nur wenige von ihnen, als Akteurinnen sehen sie sich rückblickend alle, und sie treten den Beweis dafür an, dass sie es waren, wenn auch bei vielen der gelebte Alltag - vor allem der Alltag der Beziehungen und der großen Diskussionen und Veranstaltungen - im Gegensatz dazu über lange Zeit dem herkömmlichen Muster von der schweigend dabeisitzenden, sich unterordnenden Frau verhaftet blieb.
Die Autorin bedient sich einer Methode, die oft verwendet wird, wenn es um das Festhalten von Biografien und Zeitgeschichte geht. Sie arbeitet anhand eines Fragebogens in narrativen Interviews die gleichen Fragen ab: in groben Umrissen den Verlauf des Lebens und die zu erwartenden Stichworte - die Eltern in der Nazizeit, der Vietnam-Krieg, Berlin und der Schah-Besuch, das Attentat auf Rudi Dutschke, Frauen und Männer, Feminismus, Kinder und Erziehung, schließlich ein Fazit des eigenen Lebens bis zum jetzigen Zeitpunkt, ein Fazit des Aufbegehrens in den späten 60er Jahren und die Frage, ob die Gesprächspartnerinnen sich als 68erinnen definieren oder nicht. Die 14 Ausgewählten, manche davon prominent, so die Filmemacherin Helke Sander und die Autorin Gretchen Dutschke, sind ziemlich willkürlich in die Kapitel "Politik", "Weibliche Identität", "Sexualität und neue Lebensformen" einsortiert, um dem Buch Struktur zu geben und die Auswahl zu erklären. Dabei ist eine solche Sortierung von Angehörigen gerade dieser Generation, die sich zu dem Satz "Das Private ist das Politische" bekannte, nur ein krampfhaftes Bemühen um Schubladen, das den Frauen selbst vermutlich nicht behagen kann und nicht entspricht.
In den ausführlichen Gesprächen ist eine Fülle von Material zusammengekommen und zu einem Teil im Buch versammelt, das immer dann am meisten fesselt, wenn konkret von damals - und wie lange ist das doch schon her, wie fremd und wie fern sind viele Erfahrungen aus den 60er Jahren - erzählt wird. Das aber können oder wollen nicht alle Protagonistinnen. Vielleicht erhielten auch nicht alle die Gelegenheit dazu. Und hier, in der unvermeidlichen Kürze, liegt das zweite Problem des Buches. Es deutet nur an, was damals geschah - in der Gesellschaft wie im alltäglichen Leben dieser 14 Menschen, wie viel sich veränderte im Anspruch der Frauen, ihrem Selbstverständnis und ihrer Sicht auf Beziehungen (in der Realität der Beziehungen seltener), im Leben mit Kindern und in der Kritik an der gewalttätigen Staatsmacht. In erinnerten Abenteuern und Erlebnissen, die manchmal erzählt werden, wird momentweise plötzlich deutlich, wie aufregend die Zeit war, wie mutig und ungewöhnlich die Akteurinnen gewesen sein müssen und wie viel Einfluss sie tatsächlich auf die Gesellschaft genommen haben. So erinnert sich Dagmar Przytulla genau an die Ermordung von Benno Ohnesorg und ihre Reaktion darauf - und bekommt auch Raum im Buch, das zu erzählen. Aber solche Geschichten finden sich in den Protokollen nur selten. Viel Platz auf den ungefähr 18 Seiten, die jeder Frau zur Verfügung stehen, wird für einen allgemeinen Überblick verschwendet, verkürzte Urteile und manchmal platte Zusammenfassungen, die in ihrer Verknappung kaum noch etwas aussagen.
Die Arbeitsweise, die Ute Kätzel im Nachwort als neu beschreibt, ist gängig und sinnvoll bei narrativen Interviews - die Protokolle werden von der Autorin bearbeitet, nicht nur transkribiert. Anders wäre das Ganze auch kaum lesbar. Leider ist es diesmal mit der Methode nur selten gelungen, einen persönlichen Duktus wiederzugeben. Man hört die Frauen nicht sprechen, stattdessen finden sich viele hölzerne und starre Wendungen, die vorbeirauschen. "Er führte kulturelle Veranstaltungen durch... Wir organisierten Veranstaltungen und leisteten Aufklärungsarbeit." Das mag als Kürzel für alle Beteiligten von damals ausreichen, aber auch nur für sie. Viele Themen werden auf ganz ähnliche Weise mehrmals berichtet, offensichtlich wollten alle befragten Frauen "vollständig" über "alles" reden oder die Autorin hat sich dafür entschieden. Der Mut zu Lücke fehlt, die Entscheidung für die persönlichsten und wichtigsten Themen jeder Einzelnen hätte den Protokollen mehr Spannung und Bedeutung verliehen.
Das Buch hat eine schwierige Entstehungsgeschichte. Ursprünglich haben die Fotografin und Autorin Ruth Westerwelle und Ute Kätzel gemeinsam daran gearbeitet, die Arbeit beider ist von der Berliner Senatsverwaltung für Frauen über zwei Jahre gefördert worden. So sind ohne Zweifel auch Ideen und Arbeit beider Autorinnen in dieses Buch eingeflossen. Das persönliche, fast schon private Nachwort von Kätzel, dem übrigens die Unterschrift fehlt, weist darauf leider nicht hin. Als Ergänzung zu den spröden Texten könnten Interessierte sich die Fotoausstellung über die 68er Frauen von Ruth Westerwelle im Internet anschauen: www.ruthwesterwelle.de. Die Fülle der Bilder belegt, dass dies das erste Buch über einige aktive Frauen der 68er Zeit sein sollte, nicht das einzige.

Ute Kätzel: Die 68erinnen. Porträt einer rebellischen Frauengeneration. Rowohlt Berlin 2002, 318 S., 55 Abb., 22,90 EUR


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