Was macht eine Partei nötig für das politische Leben und tüchtig für die Regierungsgeschäfte? Nach landläufiger und daher auch nach Medien- und Politikermeinung sind das vor allem zwei Erfordernisse. Sie muß jederzeit über regierungsfähiges Personal verfügen und muß mit jeder anderen regierungsfähigen Partei koalieren können. Dazu gehört, daß sie die politische Klasse des Landes mit trägt, sich ganz in ihre gemeinsamen Interessen einbindet. Und in Europa müssen zumal die großen Volksparteien mit ihrem Stallgeruch Zutrauen der anderen garantieren. Schließlich sollten die Volksparteien auch labile Wählerschaften zur Mitte hin integrieren und dafür sorgen, daß sie nicht Unruhestiftern
ern zulaufen, die sich am Rand tummeln. Seit Jahrzehnten ist das die bewunderte Kunst der CSU, der man dafür immer wieder erzreaktionäre Töne durchgehen läßt. Für die Sozialdemokratie galt das während der langen Jahre des Kalten Krieges. Sie mußte sich dafür freilich oft genug prügeln lassen.Wenn man von einer Partei nicht mehr als diese Eigenschaften verlangt, dann ist die SPD seit Jahrzehnten die allzeit brauchbare und allzeit bereite Staatspartei, von der keine Unberechenbarkeit zu erwarten ist. Als solche wurde sie auch im September gewählt. Man wollte sie, weil sie wenig wollte und vor allem eines versprechen konnte: Ganz gewiß keine Institutionen und keine organisierten Interessen anzutasten. Die Wähler wollten eine Partei, deren Personal jederzeit austauschbar, also verwechselbar sein sollte. Und dies wollten auch die meisten Parteikader. Als Oskar Lafontaine sich vorsichtig anschickte, noch einmal unverwechselbar Sozialdemokrat zu sein, wandte sich nicht nur das Wählerpublikum von ihm ab, sondern auch die Partei, die ja hauptsächlich aus Amtsträgern besteht. Sie fühlte sich allzu belastet durch die Identität, die ihr der Vorsitzende zuzumuten schien. Hinzu kam, daß eine unverhüllte Blockade der vereinigten Wirtschaftsinteressen, wie man sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte, der Partei ihre engen Grenzen - und ihre Austauschbarkeit vor Augen führte. Es waren nur noch Zuckungen der Ohnmacht, die erst recht ins Licht stellten, daß die SPD nunmehr im Sinne der Neuen Mitte modernisiert und diszipliniert ist.Überall schrumpft die Sozialdemokratie, auch wenn sie gut im Fleisch steht, in ihrer politischen Substanz. Es ist der kraftlos werdende Staat, der sie schrumpfen läßt. Schon vor 20 Jahren prägte der Publizist Rüdiger Altmann das Bild, der Staat sei wie ein kastrierter Kater, fett und impotent. In der Tat, der Staat ist allgegenwärtig, und nach wie vor wird etwa die Hälfte des Volkseigentums über staatliche Kassen und staatliche Organisation verwaltet und unters Volk gebracht. Aber in all seiner Verwaltungsmacht bleibt der Staat unbeweglich, keine Regierung kann reformierend etwas mit ihm anfangen.Schon die geringste Verschiebung der Interessengleichgewichte und der mit Hilfe von Recht und Gesetz festgezurrten Institutionengerüste kostet die Regierungen unendliche Kraft. So mühen sich mehrere EU- Länder seit Jahrzehnten, das vorbildliche System der dualen Berufsausbildung, das in Deutschland auch die Jugendarbeitslosigkeit einigermaßen abfängt, nachzuahmen. Vergeblich, die überkommenen Bildungssysteme lassen es nicht zu. Und wieviel Energie setzt die Regierung Jospin ein, um durch vorsichtige Arbeitszeitverkürzung neue Jobs zu schaffen! Sie wird ebensowenig Erfolg haben wie der xte Reformversuch der xten Regierung in Deutschland, das Gesundheitssystem auf einen modernen Stand zu bringen.In den meisten europäischen Ländern sind heute ganze Felder der Staatstätigkeit von den Parteien aufgegeben. Immer häufiger überlassen es die Regierungen den Gerichten, soziale Konflikte, die sie per Gesetz nicht mehr bewältigen können, per Urteil zu schlichten. Das heißt, nicht durch die politische Anstrengung können Institutionen modernisiert werden, man konserviert diese durch das Recht - und paßt dann eben die umstrittenen Zwecke dem alten Gebäude an. So bleibt denn den Regierungen als einziges Aktionsmittel die vorsichtige Umverteilung einiger Geldzuweisungen. Politikersatz, der schon anstrengend genug ist.Gewiß, Parteien werden noch gebraucht, so auch die Sozialdemokratie. Gebraucht werden sie aber nicht, um die politische Bürgergesellschaft durch Ideenwettbewerbe in Bewegung zu halten und durch Alternativen um Lösungen zu ringen, die den Nöten der Zeit gerecht werden. Gebraucht werden sie vor allem, um das formale Spiel um Macht und Ämter aufrechtzuerhalten und tüchtiges Personal anzubieten, das die notwendigen Anpassungen an die Erfordernisse heutiger Marktgesellschaften vollziehen kann. Erfordernisse, die nicht politisch und von Politikern formuliert werden, sondern eben von den Entwicklungen des Markts. Mit dem Geist klassischer Sozialdemokratie ist dabei, wenigstens in Deutschland, wenig anzufangen. Es braucht strukturelle Nicht-Sozialdemokraten, um die Politik der Volkspartei zu betreiben - nämlich als Nicht-Politik.Tony Blair hat in seinen Wahlkämpfen immer wieder gesagt, seine wichtigste Aufgabe sehe er darin, möglichst viele Menschen aus den unteren Schichten in die Mittelschicht zu heben. Das mag ein ehrenwertes Ziel konservativer Politik sein, aber es ist anti-sozialdemokratisch durch und durch. Auf dem Kontinent würden Sozialdemokraten eine solche Formulierung kaum wagen. Aber sie sind auch nicht kräftig genug, ihr eine eigene Programmatik entgegenzusetzen. Und zumindest in der Schröder- SPD wird heute ganz ähnlich gedacht.
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