Laue Provinz

ABKÜHLUNG Das Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland ist nur noch ein pflichtgemäßes

Die beiden Nationen haben sich nur noch wenig zu sagen und nichts Größeres mehr miteinander vor, es gibt keine interessierten Erwartungen an die gemeinsame Zukunft. Das ein Verhältnis zu nennen, wäre zu viel.

Das laue Desinteresse ist etwas Neues. Fast anderthalb Jahrzehnte hatten Deutschland und Frankreich intensiven Umgang miteinander. Beide waren jeweils mit keinem dritten Land so eng beschäftigt - außer vielleicht mit Brüssel. Es war das europäische Projekt, das sie aneinander band und politisches Verständnis füreinander verlangte; dazu kamen ein paar pathetische Auftritte der höchsten Repräsentanten, ein paar Paraden und viele Städtefreundschaften in der Provinz.

Es war Jacques Delors, der Präsident der Europäischen Kommission, der mit einem straff geführten Programm die Regierungen zu gegenseitigem Interesse aktivierte: hin zum Binnenmarkt, der mit den Maastricht-Beschlüssen vollendet wurde, und hin zur europäischen Gemeinschaftswährung, dem Leitsignal für die wachsende Souveränität der politisch noch nicht definierten Marktgemeinschaft. Das Erreichen dieser Ziele hatte beiden Nationen viel abverlangt, den Franzosen noch mehr als den Deutschen: Eine forcierte Modernisierung, die Arbeitsplätze kostete, Institutionen brach und Sozialbindungen aufriß, die Ordnung der parlamentarischen Demokratie schwächte, Souveränitätsverluste aufzwang.

Das machte, zumal die Europäische Zentralbank nach deutschen Wünschen und nach deutschem Modell errichtet wurde, die Beziehungen immer wieder anstrengend. Aber in beiden Ländern hatten die Technokraten und die wenigen Politiker, die mit Einfluß engagiert waren, das Europa-Projekt, das ja immer zuerst ein französisch-deutsches Projekt gewesen war, fest im Griff. Was auch heißt, daß sie die politischen Öffentlichkeiten fernhielten und alle politisch-ökonomischen Konflikte in technische Konflikte verwandeln konnten. Die Nationen bekamen es erst gar nicht miteinander zu tun. Es gibt nur das Beziehungsgeflecht der Regierungen und einiger drumherum gruppierter Institutionen. Und auch kein Verhältnis der politischen Klassen. Die sind sich auf beiden Seiten so fremd wie vor 40 Jahren. Freilich ist das im übrigen Europa nicht anders.

Das deutsch-französische Verhältnis wird von ein paar tausend Leuten in beiden Ländern bestimmt: Hohe Verwaltungsbeamte, Banker und Wirtschaftsmanager, wenige Dutzend kompetente Politiker, Wissenschaftler, Medienleute. Und so sehen die realen Beziehungen dann auch aus: Wenn der Bertelsmann-Konzern beträchtliche Summen im französischen Medienwesen investiert, läßt er das meiste davon Franzosen machen. Deutsche Manager müssen nicht anwesend sein. Die Nationen kennen und brauchen sich vor allem als Massenkonsumenten von Gütern und Dienstleistungen. Das Verhältnis ist also zuallererst ein Marktverhältnis, das große Zuverlässigkeit und gemeinsame Standards erfordert. Das ist ihr Kern seit Jahrzehnten.

Die Erwartungen aneinander sind also bescheiden. Das Projekt eines politischen Europa, das dem Binnenmarkt und der Gemeinschaftswährung demokratische Stützen einzöge, ist zum Stillstand gekommen. Kaum jemand treibt es an, kaum jemand ist daran interessiert.

Schon gar nicht die derzeitige deutsche Regierung. Sie hat ihren Vorsitz im Europäischen Rat der Regierungschefs, also im höchsten politischen Gemeinschaftsorgan, nicht für einen neuen Anschub nützen können; der Kosovo-Krieg kam dazwischen, die letzten Handgriffe für die Euro-Installierung mußten getan werden. Die Regierung Schröder hatte nichts Eigenes vor, ein politisches Programm für Europa gibt es nicht - und sie hat auch keine politische Linie für den Umgang mit Frankreich. Der Kanzler machte gar nicht erst den Versuch, sich als Europa-Politiker ein eigenes Profil zu geben. Er interessiert sich für die Fragen der Außenpolitik ohnehin vor allem unter innenpolitischem Aspekt, europapolitisch ist er ein Provinzler ebenso wie sein Gegenspieler Stoiber. Und so kommt er gar nicht auf die Idee, er müsse die heutige Situation Frankreichs, müsse dessen politische Interessen verstehen, um damit konstruktiv umzugehen. Aus seinem Umfeld verlautete, daß das Blair-Schröder-Papier von der Regierung Jospin als bewußter Affront empfunden werden müsse, hätte er nie gedacht. Für ihn war es ein innenpolitisch wichtiges Papier, mit dem er Parteigegner attackieren wollte.

Schröder ist konstitutionell unfähig, die ständige Furcht Frankreichs vor der Amerikanisierung zu begreifen. Daß die Franzosen sich als eine politische Gesellschaft sehen, die sich von einer amerikanisch geprägten Globalisierung bedroht fühlt, ist für ihn keiner besonderen Überlegung wert. Er hält das - ebenso wie die Mehrheit der Deutschen seiner Generation, die internationale und soziale Vernetzung bereits als Politik ansehen -, für irrelevant. Da der Kanzler sich am liebsten unter Wirtschaftsführern gleichen Zuschnitts bewegt und Politik nur als Management versteht, da er obendrein auf gute Manieren wenig Wert legt, wird er für die Franzosen immer mehr zum Typ des modernen deutschen boche: Muskelprotzig und mit Neureichen-Allüren, immer nur vom Geschäft redend, allzu bereit für die Medien - aber im Innersten unsicher, kein Charaktergewicht.

Das macht die politische Elite Frankreichs, die in den letzten Jahrzehnten die deutsche Zuverlässigkeit zu schätzen gelernt hat, mißtrauisch. Es macht sie umso besorgter, als sie das europäische Projekt und seinen deutschen Motor bewußt dazu benutzt hat, die eigene Gesellschaft zu modernisieren und den nationalen Kapitalismus weltmarktfähig zu machen. Jacques Delors, der die deutschen Verhältnisse so gut kannte wie die keines anderen Landes, war die Schlüsselfigur. Für ihn war die Marktgemeinschaft immer eine Etappe auf dem Weg in eine künftige politische Gemeinschaft, in der die politische Kultur der eigenen Nation bewahrt werden könne. Es wäre müßig, einem Kanzler Schröder, dem Nation und eigene politische Kultur fremd sind, ein solches Problem erklären zu wollen. Das französisch-deutsche Verhältnis droht, solange der Typus Schröder die deutsche Politik prägt, zu einem Unverhältnis zu werden.

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