Kämpfer, Sänger, Internationalist

RIP Eine Gedenkveranstaltung für den verstorbenen Streikaktivisten Christian Krähling zeigt eindrücklich sein Erbe: Vernetzung und Solidarität gegen die Amazon-Bosse

„Er war der arbeitenden Klasse treu. Er stand den Menschen bei, die bei Amazon gearbeitet haben. Er hat die Arbeiter aus der ganzen Welt zusammengebracht“: Bei der Gedenkveranstaltung zu Ehren des Gewerkschafters und Amazon-Betriebsrats Christian Krähling am Sonntag, den 21. Februar, gedachten Teilnehmende aus mehreren Ländern des einfachen Arbeiters in einem außergewöhnlichen Online-Event. Via Zoom und Facebook-Livestream nahmen über Tausend Personen an der Veranstaltung teil, die simultan in Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Polnisch übersetzt wird.

Christian Krähling hatte seit 2009 den Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen im Amazon-Standort in Bad Hersfeld maßgeblich vorangetrieben und war ein wichtiger Brückenbauer im grenzübergreifenden Netzwerk von Amazon-ArbeiterInnen. Völlig unerwartet war der mehrfache Vater am 10. Dezember 2020 verstorben.

In persönlichen Eindrücken beschreiben Kolleginnen und politische Weggefährten bei der Gedenkveranstaltung die inspirierende Persönlichkeit Christian Krählings als Vorbild für eine Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung.

Klassenkampf in sechs Sprachen

„Er hat uns von Anfang an ernstgenommen als gleichberechtigte Partner. Bei der Demonstration gegen Jeff Bezos in Berlin verweigerten uns Gewerkschafter die Stimme und gaben stattdessen das Mikrofon den Politikern. Aber Christian stellte sicher, dass auch uns das Mikrofon gegeben wird, weil er Menschen respektierte. Und deswegen wurde er auch so sehr von uns respektiert. Er hat über Grenzen hinweg gekämpft. Er wusste, dass wir an einem Strang ziehen müssen.“

Die Amazonarbeiterin Magda Marinovka aus Poznań bringt auf den Punkt, wie viel Christian Krählings persönlicher Einsatz Amazon-KollegInnen auf der ganzen Welt bedeutet hat. Umringt von drei weiteren KollegInnen sitzt sie vor dem Bildschirm. Die RednerInnen aus Madrid, Turin, Lyon, Chicago und weiteren Städten, die von ihren Schreibtischen aus an der Gedenkveranstaltung teilnehmen, sind zwar voneinander und von den Zuschauenden getrennt, es entstehen jedoch nur selten Momente von Verlegenheit.

Moderiert wird die Veranstaltung von Agnieszka Mróz, die ebenfalls für Amazon in Poznan arbeitet und als Betriebsrätin und Delegierte der Gewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (Arbeiteriniative) eng mit Christian Krähling bei internationalen Treffen zusammenarbeitete, gemeinsam mit Violetta Bock, Aktive im gewerkschaftsübergreifenden Netzwerk Organisieren Kämpfen Gewinnen, zu welchem Christian auch gehörte. Zusammen führen sie durch eine Veranstaltung, in der sich kämpferische Entschlossenheit und Tränen mit schönen Erinnerungen abwechseln, die auch Schmunzeln hervorrufen:

„Christian war oft Ideengeber für Aktionen, die wir planten. Natürlich hatten wir meist auch eine Kiste Bier dabei und es gab viele lustige Abende. Er hatte immer das große Ganze im Blick, nicht nur die kleinen Aktionen. So trafen wir uns auch öfters privat, bei einer oder mehr Flaschen Rotwein und es war faszinierend, wie Christian nicht nur Gewerkschafter war, sondern auch Künstler. Er brachte sich selbst das Gitarrenspiel bei. Christians Tod hat mich schwer getroffen. Es ist mir ein Vermächtnis, seinen Weg weiterzugehen.“

Veränderung muss von unten ausgehen

Andreas Gangl, der als Kollege und Freund von Christian Krähling bei Amazon in Bad Hersfeld den Organisierungprozess und die Streiks von Anfang an miterlebt hat, hebt hervor, was auch andere RednerInnen an diesem Abend immer wieder als besondere Charakterstärke des Streikaktivisten beschreiben: Seine Begeisterungsfähigkeit, sein Mut, Wortführer zu sein und voranzugehen, gepaart mit großer Integrität und Bescheidenheit, ohne Interesse an Posten und Privilegien. Seine Überzeugung, dass gesellschaftliche Veränderung von unten ausgehen muss, lebte er täglich vor und steckte damit andere an. „Christian machte den Unterschied. Christian machte sich auf den Weg hinaus in die Welt und belebte Menschen mit Leidenschaft, immer bemüht, alles Trennende zu überwinden“, fasst es der Kollege Alex aus Leipzig zusammen.

Zama, Amazonarbeiter aus Chicago, zeigt sich gerührt über einen Song, den Christian Krähling im vergangenen Jahr den KollegInnen seines Standorts DCH1 widmete: „Er war der arbeitenden Klasse treu. Er stand den Menschen bei, die bei Amazon gearbeitet haben. Er hat die Arbeiter aus der ganzen Welt zusammengebracht. Ich habe noch nie von jemandem gehört, für den eine mehrsprachige Gedenkfeier mit Teilnehmern aus so vielen Ländern gemacht wurde“, drückt Zama seinen Respekt aus. Die Treue zur Basis spiegelt sich auch im Aufbau der Gedenkveranstaltung wider, in der zunächst ausschließlich KollegInnen zu Wort kommen, bevor das Wort an WeggefährtInnen aus den Organisationen geht, die Christian Krählings Kampf für bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon begleitet haben.

Özlem Demirel, Europaabgeordnete der Linkspartei eröffnete diesen zweiten Block mit einer Würdigung von Christan Krählings Engagements in der Linkspartei Hessen: „Er tat dies aber nicht etwa, weil er meinte, die Linke allein werde stellvertretend für die Arbeiterinnen in den Parlamenten die Welt verbessern. Sondern weil er unterstrich, dass die Linke ihren Protest und Streik von Beginn an unterstützte. Christian wollte nicht nur bessere Arbeitsbedingungen für sich und seine Kolleginnen, sondern er träumte auch von einer besseren Welt, für alle Arbeiter und alle Menschen. Er träumte von dieser Welt, ohne je ein Träumer gewesen zu sein.“

„I am just a small worker, but I won’t come alone!“

Mit Vertretern von Amazon Workers International, TIE Germany, dem Transnational Social Strike-Bündnis und Make Amazon Pay geben Initiativen, mit denen Christian Krähling verbunden war, einen Ausblick auf die Zukunft der internationalen Streikbewegung bei Amazon und verdeutlichen die gesellschaftliche Dimension der Arbeitskämpfe. Verdi-Sekretärin Mechthild Middecke bedauert mit Blick auf die laufenden Vertrauensleute-Treffen, wie sehr Christian Krähling fehlt; Florian Wilde von der Rosa Luxemburg Stiftung betont, welche Rolle Christian Krähling als „organischer Intellektueller“ für die Wissensweitergabe gespielt hat.

Die Lieder und Gedichte von Christian Krähling begleiten die persönlichen Nachrufe. So ist er selbst mit Aufnahmen eigener Lieder auf Deutsch, Englisch und Französisch zu hören: „Once more again, we both know on which side we’re on. I am just a small worker, but I won’t come alone!“ Begleitet werden seine Songs von Bildern, die ihn bei Streikposten zeigen, mit dem Mikrofon in der Hand, mit den Westen verschiedener Gewerkschaften und Arm in Arm mit KollegInnen.

Die Gedenkveranstaltung zeigt: Die vertrauensvollen persönlichen Beziehungen, die Christian Krähling gestiftet hat, bestehen weiter. Diese außergewöhnliche Gedenkveranstaltung macht Hoffnung auf eine neue Gewerkschaftskultur und zeigt, welche politische Wirkung aus dem direkten Austausch der Menschen an der Basis entstehen kann.

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