What's so Freaking Good about Breaking Bad?

TV-Serien In den USA läuft heute die vorletzte Folge von Breaking Bad. Die Quoten sind besser denn je. Was ist das Geheimrezept der Serie? Und ließe es sich irgendwie nachkochen?

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Walter White, die Hauptfigur von Breaking Bad, kocht das beste Crystal Meth im ganzen Land. Es ist so gut, dass er sich innerhalb weniger Monate vom überbegabten Chemielehrer in einen Drogenboss verwandeln konnte. Natürlich sind jetzt alle hinter seiner einmaligen Rezeptur her. Doch Walter White weiß: Nicht nur das richtige Rezept ist entscheidend, sondern auch die richtige Arbeitsweise.

Vince Gilligan, der „Creator“ von Breaking Bad, hat die beste Serie der Filmlandschaft entwickelt. Sie ist so gut, dass er sich innerhalb weniger Jahre vom überbegabten Akte-X-Autor in einen Medienstar verwandeln konnte. Natürlich sind jetzt alle hinter seiner einmaligen Rezeptur her. Der amerikanische Fernsehsender AMC hat vor kurzem einen Spin-Off angekündigt. Ein mexikanischer Remake ist bereits in Vorbereitung. Und auch hierzulande kündigte der ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler kürzlich vollmundig an, man plane für 2014 „Breaking Bad auf deutsch.“

Das alles liegt daran, dass Breaking Bad mindestens genauso süchtig macht wie die Droge, um die sich in ihr alles dreht. Und daran, dass Vince Gilligan sich absolut sicher ist, dass nach der 5. Staffel Schluss sein soll. Was bleibt den Sendern also anderes übrig, als verzweifelt nach Ersatzstoffen zu suchen?

Was aber ist das Erfolgsgeheimnis von Breaking Bad?

Im Internet streiten sich Laien und Profis über genau diese Frage. Man findet umfangreiche Listen, ebenso wie universell einsetzbare Kalendersprüche („It constantly pushes its own boundaries.“)

Unter der Zutatenliste gibt es einige wiederkehrende Kandidaten: Die starke Prämisse, der konsequent schwarze Humor, die abgründige Figurenzeichnung und auch der hohe Produktionswert (obwohl der mit ca. 3 Millionen Dollar pro Folge nicht unbedingt rekordverdächtig ist).

Die Zutaten sind natürlich enorm wichtig. Und doch wird meiner Meinung nach ein ganz entscheidender Punkt systematisch übersehen: Das unnachahmliche Gespür für Rhythmus.

Als ich die Pilotfolge 2009 zum ersten Mal sah, hatte ich zwei Gedanken. Der erste war: „Man, erzählen die schnell.“ Und der zweite: „Man, lassen die sich viel Zeit!“

Das hört sich widersprüchlich an, aber genau so war es. Innerhalb von nur 90 Minuten habe ich miterlebt, wie ein ohnehin schon bemitleidenswerter Chemielehrer eine Krebsdiagnose bekommt, über seinen Schwager Verbindungen ins Drogenmillieu aufbaut, mit einem seiner Ex-Schüler einen Wohnwagen kauft und darin im großen Stil Cystal Meth kocht, sich mit Cops und Druglords in eine schier auswegslose Situation hineinmanövriert - und am Ende doch noch den Kopf aus der Schlinge zieht.

Und gleichzeitig hatte ich miterlebt, wie eben dieser Chemielehrer minutenlang nichts anderes tut, als auf seinem Stepper zu marschieren und Streichhölzer in seinen abgehalfterten Pool zu werfen.

Kurzum: Ich kenne keine Serie, die so genau weiß, wann sie einen stillen Moment über Minuten hinweg ausdehnen darf – und wann sie eine furiose Szene frühzeitig beenden kann. Falls es so etwas gibt wie ein absolutes „Gespür für Rhythmus“, dann hat Breaking Bad genau das.

Doch wie kriegt man das hin?

Liegt es wirklich einfach nur am Genie der amerikanischen Autoren (auch Vince Gilligan arbeitet natürlich in einem Team)? Wäre ein – wie auch immer geartetes – deutsches Imitat also schon allein deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil man keine ähnlich talentierten Autoren auftreiben kann?

So leicht ist es glaube ich nicht. Anders als beim absoluten Gehör handelt es sich beim „absoluten Gespür“ meiner Meinung nach nicht um eine angeborene Fähigkeit. Vielmehr braucht man: Viel Erfahrung, viele Freiheiten, viel Arbeit, viel Zeit, und vor allem: Viel Zeit zum Überarbeiten.

In dieser Ausgabe von Close Reading will ich deshalb eine zunächst ziemlich unscheinbare Szene aus der Pilotfolge von Breaking Bad genauer unter die Lupe nehmen. Sie ist ruhig, handlungsarm und fast völlig dialoglos. Und doch ist es eine „Wegscheideszene“, denn sie zeigt genau diejenigen Sekunden, in denen sich Walter White entscheidet, seinem alten Leben good-bye zu sagen.

Die Streichhölzer im Pool

Auf YouTube findet sich leider nur eine verfälschte Version dieser Schlüsselszene (es wurden andere Szenen dazwischen montiert und ein neuer Soundtrack gewählt). Deshalb muss ich sie hier beschreiben. Sie folgt direkt auf die Szene, in dem Walt mit dem denkwürdigen Satz „Fuck you – and your eye brows!“ seinen Zweitjob in der Waschanlage gekündigt hat:

Blaue Morgendämmerung. Walter White sitzt im Morgenmantel vor seinem Pool. Beide – Walt und Pool – haben schon mal bessere Zeiten gesehen. Auf dem Tisch neben ihm eine einsame Bierflasche. Wahrscheinlich hat sie nicht geholfen. Walter entzündet ein Streichholz und betrachtet die Flamme, die zuerst stolz auflodert, dann aber schnell zusammenschrumpft. Ehe sie erlischt wirft Walter das Streichholz mit einer müden Handbewegung in den Pool. Sofort lässt er das nächste Hölzchen über die Reibefläche gleiten. Diesmal betrachtet er die Flamme etwas genauer (die Handkamera wechselt in eine nahe Einstellung), doch auch dieses Streichholz landet im Pool. Das gleiche geschieht mit dem dritten Streichholz – nur dass die Handkamera diesmal die Wurfbewegung aufgreift, kurz auf den Pool schwenkt, und dann wieder bei Walter landet, der mit den Fingern bereits nach dem vierten Streichholz sucht. Nun aber hält Walt inne und steckt es wieder zurück in die Schachtel. Er lehnt den Kopf zurück, schaut kurz in den sich schwach rötenden Himmel. Dann fällt sein Blick auf den Beistelltisch, auf dem – wir erkennen es erst jetzt – ein Telefon liegt. Walter tauscht Streichholzschachtel mit Telefon und ruft seinen Schwager Hank an. Er hat sich entschieden, auf die dunkle Seite zu wechseln.

Ich beschreibe das deshalb so ausführlich, weil ich zeigen will, wie viel Zeit sich die Serie nimmt, um diesen entscheidenden Moment wirken zu lassen. Noch Sekunden zuvor hat Walt seinen Chef zur Sau gemacht und Produkte aus dem Verkaufsregal geschleudert. Doch hier ist er ganz bei sich und seiner auswegslosen Situation. Und auch wir sind ganz bei ihm. Wir achten auf jedes Detail. Wir spüren die Anspannung. Und das, obwohl doch angeblich auf diesen kleinen TV-Bildschirmen nicht genug Platz ist, um „episch“, oder „kinohaft“ zu erzählen.

Wieso gelingt diese Szene so gut?


Wieso glauben wir einerseits zu spüren, was Walt denkt – und finden ihn gleichzeitig auf faszinierende Weise unergründbar?

Zunächst einmal muss man vorausschicken, dass diese Szene in einer vorhergehenden Szene gut vorbereitet wurde. Knapp 15 Minuten zuvor sahen wir Mr. White dabei zu, wie er einer typisch indifferenten Schulklasse vermitteln wollte, was an Chemie so faszinierend ist. Da sagte er: „Chemistry is the study of change. Electrons change their energy levels. Molecules change their bonds. Elements – they combine and change into compounds. Well that's – that's all of life, right? It's the cycle, it's solution, dissolution – just over and over and over.“

Während Walt sich in diesen Monolog hineinsteigerte, bemerkten wir, dass er mehr mit sich selbst sprach als mit seinen Schülern. Die Flamme des Bunsenbrenners, an der er diesen Gedankengang demonstrierte, loderte vor seinem Gesicht Gesicht. Ganz ähnlich wie die Flamme des Feuerzeugs in der entscheidenden Szene 15 Minuten später.

Ganz ohne Worte begreifen wir also, was in Walters Kopf vorgeht, als er da alleine am Pool sitzt. Er denkt über die Veränderungen des Lebens nach. Die Veränderungen, die ihn einst, als renommierten Chemiker, endlos faszinierten, und die nun, nach seiner Krebsdiagnose, in seinem eigenen Körper stattfinden. Er entscheidet sich, diesen Veränderungen nicht länger nur zuzusehen. Er entscheidet, selbst etwas zu verändern.

Ganz simpel und naheliegend, eigentlich. Wussten die Macher von Breaking Bad von Anfang an, dass es nur so funktionieren kann? War es ihr angeborenes Talent, von dem die Amerikaner so viel zu haben scheinen und wir Deutschen – unserem Fernsehprogramm nach zu urteilen – so wenig?

Oder haben sie es sich im Gegenteil hart erarbeitet?


Ein Blick in eine frühere Fassung des Pilotdrehbuchs kann hier Abhilfe verschaffen. Zum Glück findet man derartiges ja schnell im Netz. In dieser Fassung finden sich jedenfalls einige sehr aufschlussreiche Unterschiede zur letztendlich abgedrehten Folge.

Möglichst kurz zusammengefasst: In der früheren Fassung flippt Walt beim Car Wash nicht aus, sondern verlässt lediglich wortlos das Gebäude.

Walt fährt nachhause. Er ist sonderbar apatisch. Er wird es den gesamten Abend über bleiben.

Zuhause angekommen fragt ihn seine Frau Skyler über seine Kreditkartennutzung, nicht aber über sein Wohlbefinden (diese Szene findet sich auch im fertigen Piloten, jedoch an anderer Stelle). Das Gespräch wird von dem Geknatter eines Maschinengewehrs unterbrochen – Walter Jr. schaut im Nebenzimmer Scarface.

Es läuft gerade das große Finale, in dem Al Pachino sein eigenes Himmelfahrtskommando noch mit ein paar Ausrufezeichen versieht. Walt redet kurz mit seinem Sohn, schaut dann gedankenverloren auf den TV-Bildschirm.

Beim nächsten Schnitt klingelt sein Wecker. Walt steigt im Morgengrauen vor allen anderen aus dem Bett und macht Morgensport auf seinem Stepper. Er steppt sich in Rage, bis der Stepper zerbricht. Walt murmelt zu sich selbst „Two years“ - die ungefähre Zeit, die er noch zu leben hat. Im nächsten Bild sitzt er allein in der Küche und wählt Hanks Nummer.

In dieser Drehbuchsequenz hat Walt letztlich die gleiche Entscheidung getroffen wie im fertigen Film. Auch diese Szenen sind keineswegs gehetzt, sondern einfühlsam geschrieben. Man hätte es dabei belassen können. Aber dann wären wir nicht so nah an Walts Innenleben herangekommen. Anstatt seine Gedanken aus seinem Gesichtsausdruck im Licht der Streichholzflamme ablesen zu dürfen hätten wir dabei zuschauen müssen, wie Scarface seine Gedanken mittels Maschinengewehr in Walts Kopf einhämmert.

Es wäre auch gutes Fernsehen gewesen. Vielleicht sogar sehr gutes. Aber kein brillantes.

Wie kam es zu diesen Änderungen, wie kam es zu der „Entdeckung“ der Pool-Szene? Natürlich kann man darüber nur mutmaßen. (Schließlich wissen wir nicht einmal, wie viele weitere Fassungen zuvor und danach geschrieben werden mussten.) Aber es scheint offensichtlich, dass man schneller auf den Punkt kommen wollte. Die Sequenz musste einfach kürzer werden. Schließlich gibt es im Fernsehen strike Zeitvorgaben.

Doch derartige Kürzungen gelingen natürlich nur, wenn man es schafft, einen guten Ersatz zu finden. Wenn man ein einziges Bild findet, das in der Lage ist, alle vier anderen zu ersetzen. Ein Bild, das Walts gesamte Entwicklung einfängt – und zwar, indem es geschickt einige Lücken lässt, und gleichzeitig geschickt an zuvor Gesehenes anknüpft.

Genau das ist es, was die Streichholz-Idee leistet. Hat man diese Idee erst einmal gefunden – diese eine Idee, die Großes im Kleinen erzählt – dann, und nur dann, kann man es sich auch wieder erlauben, ihr die entsprechende Zeit zu gewähren, damit sie sich voll und ganz entfalten kann.

Genau das ist es, was mir beim ersten Zuschauen den paradoxen Eindruck einer langsamen Hetzjagd vermittelte.

Was kann man aber tun, um auf derartige Ideen überhaupt erst einmal zu kommen?


Die Schritte, die hier wie gezeigt zwischen der Drehbuchfassung und der verfilmten Szene liegen, zeigen beispielhaft auf, dass kommerzieller Druck (die Sendelänge) nicht zwangsläufig der erzählerischen Qualität (einfühlsames, präzises Erzählen) schaden muss. Im Gegenteil, die beiden Faktoren scheinen sich geradezu gegenseitig zu befruchten - wenn die Voraussetzungen stimmen.

Diese Voraussetzungen sind eigentlich altbekannt, scheitern allem Anschein nach hierzulande jedoch noch immer an der Umsetzung. Es muss eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Produzenten, Autoren und „Creator“ bestehen. Der „Creator“ braucht die nötigen Freiheiten. Die Autoren brauchen den nötigen Austausch – möglicherweise eben den oft zitierten „writer's room“. Und alle gemeinsam brauchen sie die nötige Risikobereitschaft, neue Wege zu beschreiten.

So kann ein kreatives Millieu entstehen, in dem tatsächliche Originalität heranwächst. Und diese Originalität muss nicht immer aus dem ganz großen Wurf bestehen – sie kann, wenn es um einzelne Szenen geht, auch in ganz simplen, aber einfühlsamen Einfällen liegen.

In einem Interview mit der FAZ (leider nicht online verfügbar, hier aber folgerichtig umschrieben) erzählte Norbert Himmler von seinem Besuch in einem Serienlabor von HBO. Er war fasziniert davon, wie viel Vertrauen der Sender der Autorin und Darstellerin Lena Dunham bei der Produktion der Serie Girls entgegen bringt. Seine Schlussfolgerung: „Ich glaube, so muss im fiktionalen Bereich die Beziehung zwischen einer guten Redaktion und einem guten Produzenten aussehen.“

Dass er den Autoren aus dieser Gleichung - anscheinend ohne es überhaupt zu bemerken! - herauskürzte, ist allzu bezeichnend. Ob unter dieser Prämisse wirklich eine gute Serie entstehen, kann bleibt deshalb (noch) zu bezweifeln.

Eins nämlich weiß Vince Gilligan genau so gut wie seine Kreation Walter White: Ohne die richtige Arbeitsweise ist auch die beste Rezeptur nichts wert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

CloseReading

Das Große im Kleinen finden. Einzelne Romanpassagen und Filmszenen durchleuchten. Twitter: @CloseViewing (Filme und Fotografie)

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