Am Glühspieß, eine erfundene Merkel-Reportage

Mein Nannen-Preis Nie spielte René Pfister (SPIEGEL) mit Seehofers Kellereisenbahn. Die Reportage erhielt den Kisch-Preis des Nannen-Preises. Ich grillte mit der Kanzlerin! Erfolglos!

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Am Glühspieß

In keinem anderen Beruf kann man so ungeniert über Leute schreiben, wie im Journalismus. Niemand macht davon so hemmungslos Gebrauch, wie das Reportage-Boulevard. Hinter großen Schriften und hyperrealistisch gerenderten Fotos auf schwarzem Hintergrund, fein rot eingerahmt, gähnt auf den weiteren Seiten zu oft der journalistische Aprilscherz, das ganze Jahr über.

(Der Tagespiegel diskutiert einen Gewinnerbeitrag des Henri-Nannen-Preises. Eine Reportage gewann die renommierte Ehrung, deren Autor nicht am Ort des Geschehens war.)

Die Leidenschaften für solche Geschichten sind im Publikum so stark, wie sie im Medium selbst Ruhm und Ehre versprechen. Da ist es zukünftig wohl besser, solche schönen und unterhaltenden Texte gleich aus der Ferne zu kollagieren und dazu die Beobachtungen anderer ein wenig zu verdichten und sprachlich aufzubessern. Nicht jedem in diesem Gewerbe ist schließlich ein sowohl elegantes, wie inhaltsreiches Beobachterdeutsch gegeben. Nicht jeder hat philologisch und eventuell berufsethisch über die Gattungsformen des Journalismus lange nachgedacht. - Zugegeben, dafür findet sich unter dem Strich, ein wenig in die Schmuddelecke gerückt, auch das Wort Kolportage und auch erfundene Geschichten sind medial nicht unbekannt. - Also dann, auf gehts!

Angela Merkel, schätzt ihr Kanzleramt nicht. Das gilt als offenes Pressegeheimnis zu Berlin. Es könnte ja auch eine gigantisch vergrößerte Aussegnungshalle darstellen, die da am Spreeufer zufällig dem Regieren dienen muss. Nein, sie liebt ihre Heimat, sie blüht auf in Templin. Da kommt sie her und nicht aus Hamburg, wie Leute, die das mit der Geburt zu genau nehmen, immer behaupten. Die Templiner verstehen sich untereinander stumm und nicken immer freundlich zurück, spaziert man mit der Kanzlerin durch die schöne Gegend.

Als ehemalige DDR-Bürgerin, die nun bald für ihre Leistungen als hartnäckige Freiheitsaktivistin jenseits des Atlantiks ausgezeichnet wird, und als bekennende Christin, die ihren Glauben immer gegen den anbrandenden Unglauben zu verteidigen wusste, lebt sie dort an wenigen Wochenenden für eine ganz andere Freiheit und Leidenschaft. Die Kanzlerin grillt gerne und hat sich über die Jahre ein lexikalisches Wissen um das Grillgut und die passenden Rezepte angeeignet. Eine Sammlung historischer und moderner Grillgerätschaften steht nebenan im eigentlichen Heiligtum des Anwesens, dem gering erweiterten Gartenhäuschen. Befreundete Staatsgäste und Leute die sie ganz einfach mag, erhalten rare Einladungen, dort bei Gelegenheit einzutreten. Noch seltener geschieht ihnen dann das Glück, von der Hausherrin durch ihr streng geordnetes Hobbyreich, vorbei an einem FDJ-Pyramidenfeuer- Modell, den Holzkohlengrills jeglicher Herkunft, zu einem imposanten, gyroskopisch stabilisierten Gas-Themostrahlungsgrill geführt zu werden.

Seit einiger Zeit, lagert dort, an Haken und Kette sicher unter die Giebeldecke der Hütte gezogen, das Geschenk Horst Seehofers nach der letzten Bundestagswahl, ein Haxengrill.

Sie weiß noch nicht so genau, wie und wo sie das groß geratene Geschenk aufstellen soll. Der Oberbayer schrieb ihr dazu ein deftiges Gerolfinger Rezept ins Gästebuch. Nun plagt die Kanzlerin die Unentschiedenheit, ob sie die Haxen, wie es erforderlich wäre, vorkochen soll. Die Lust an der Herrschaft lässt keine Zeit. Gemütliches Grillen und der politische Spieltrieb, wenn man schon einmal dazu Gelegenheit hat, gehen keine glückliche Verbindung ein.

Seit fast eineinhalb Jahren regiert Angela Merkel nun schon mit Seehofers CSU und einer gemischt verantwortlichen FDP. Das Schicksal der Republik wirkt davon seltsam unbeeinflusst. Es verdankt sich viel eher den aktuellen Geschehnisse in der globalen Wirtschaft und der normativen Kraft katastrophaler Ereignisse. - Jeder Tag Regierung aus dem Kanzleramt wirkt derzeit wie ein Dahinwarten auf die nächste Weltlage. Soll man daran still mitleiden oder doch eher wütend sein, weil es seit Kohl und Schröder so zur Regel geworden ist und auch schöne Erfolge produziert?

Angela Merkel weiß nicht so recht, was sie sachlich will, außer eben, selbst weiter regieren zu können. Einmal verlängert sie die Laufzeiten der Kernkraftwerke, dann wieder, will sie sie ganz schnell still legen. Einmal freut sie sich über den Tod des Top-Terroristen, kurz vorher hat sie noch wenig Verständnis für die Todesangst der libyschen Opposition. Sie sagt nicht viel und schweigt zu gerne, jedenfalls in der größeren Öffentlichkeit. Sagt sie mehr, so sind es häufig Floskeln und auch regelmäßig sprachliche Missgriffe, die die unglücklichsten Interpretationen zulassen und Korrekturen erfordern. Damit die Spekulationen noch mehr ins Kraut schießen, twittert ihr Pressesprecher.

Nein, richtig auftauen, bei dieser allgemeinen Lage, das geht nur vor und während eines Grillabends in Templin. - Angela Merkel herrscht in Wahrheit mit großer Freude und hat viel Spaß daran. Warum und wozu, das gerät zu einer kleineren Münze, neben dem entscheidenden Faktum. Die Kanzlerin muss niemanden direkt spüren lassen, dass sie Macht hat. Sie regelt das geschickter, mit Telefon und SMS. Andere Politiker wollen Deutschland ändern, ihr reicht es zu Grillen und zuzuschauen, wie sich ihr Kabinett Schritt um Schritt demontiert.

Liegt es an der imposanten Templiner Sammlung der Dreh-, Steck- und Scheibenspieße, dass die Kanzlerin wie ein frei flottierendes Korkstückchen zwar nie untergeht, aber eben auch nur von der Strömung getrieben wird? Was hat Grillen mit dem politischem Oben bleiben und Schwimmen zu tun? Wer weiß es, und warum wäre es dann so?

Chemiker Joachim Sauer, ihr langjähriger Lebenspartner und jetziger Mann hat dafür eine einfache Erklärung. Immer wenn seine Gattin niedergeschlagen aus Berlin nach Templin komme, zeige er ihr sein schon reichlich abgegriffenes Schreibheft mit den eingeklebten Zettelchen ihrer gelungenen Aussprüche. Einer, aus einer Talk-Show, gefalle ihm persönlich ganz besonders: "Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial – und das macht die CDU aus." Damit könne er sie jedes Mal wieder aufrichten. Die fiesen Spitzen aus den eigenen Reihen und aus dem tiefen Süden, ertrage sie dann viel gelassener.

Am Abend, nach ein paar netten Liedern um den Grill, singt sie dann so manches böse Couplet auf die eigenen politischen Freunde, die sie beständig zwiebeln und nur herum kaudern. Dann brennen die nun doch vorgekochten, fettglänzend dahinbratenden Schweinshaxenhälften fast an und die Teller werden eilig zusammen geschoben. Keiner aus der intimen Runde möchte ohne Haxen sein.

Um Angela Merkel war es eigentlich immer ruhig und so blieb sie zum Regieren übrig. Weil andere mit so viel Aplomb und Krach auftraten und damit grandios scheiterten, strahlt sie dauerhaft weiter. In die Schlagzeilen wollen andere. Denen lässt sie gerne den Vortritt. Nicht auffallen und nichts tun, ist die größte Gabe und Mitgift für einen deutschen Politiker. Alle anderen Handlungsweisen machen schnell unpopulär oder gar übermütig, und dann endet der politische Überflieger, gerupft, als gutes Hähndl am Presse-Grill.

Natürlich genießt die Kanzlerin die Macht und den schönen Ausblick davon. Sie schätzt es, Menschen kennen zu lernen, die ihr ohne dieses Amt nie vorgestellt worden wären. Das ist der Lohn der wahren politischen Begabung, die klingende Münze der Entlohnung fürs harte und brutale Geschäft.

So manche aus ihrer Partei sind gegangen oder werkeln nun, als Zuträger in der zweiten und dritten Reihe, für jüngere Kräfte in der CDU. Die Jungen, murmelt die Kanzlerin nach einem Abbiss, seien ihr treu ergeben, weil sie ihr noch etwas verdankten, die könnten zudem das Mediale besser, weil da Haarschnitt und gewinnendes Lachen, sowie eine gute Figur, mittlerweile sehr gefragt seien. - Es wird so bleiben, Angela Merkel kommandiert aus dem Hintergrund, wie das Ruder anzulegen ist. Der Fahrweg ist dabei eher unwichtig, denn Kapitänin und Mannschaft wähnen sich auf hoher See, kein Land in Sicht, kein Wetter im Anmarsch. In solchen Kalmen putzt man Messing oder feiert ein Bordfest.

Das Fleisch ist gar und duftet köstlich. Resch liegt es auf dem Teller. Die Schwarte kracht, die Säfte rinnen. Einen Augenblick denkt der Reporter, dies sei unvergesslich und wirklich, da schreibt er es auf.

Christoph Leusch

Quellen:

Am Stellpult, von René Pfister

www.spiegel.de/spiegel/print/d-73290158.html

"Ich sehe keinen Grund, den Preis zurück zu geben"

www.tagesspiegel.de/medien/ich-sehe-keinen-grund-den-preis-zurueckzugeben-/4149226.html

Reporter Forum," Am Stellpult ist für den Egon-Erwin- Kisch-Preis 2010 nominiert." Weist nur das Faktum nach, dass der Text auch für diesen Preis in Frage kam.

www.reporter-forum.de/index.php?id=117&;tx_rfartikel_pi1[showUid]=493&cHash=065cebc954e9b58a9dcd59b3f3ebe0b9

Zur Frage, Form follows function oder doch gerade umgekehrt, zur Frage der kreativen Gestaltung von Interview und Reportage:

Michael Angele, „Als die Kunst den Journalismus küssen wollte“

www.freitag.de/kultur/1118-als-die-kunst-den-journalismus-k-ssen-wollte

Kleines Postskriptum: Offensichtlich haben sich auch die Maßstäbe bei den Preisgerichten verschoben. Ob noch ernsthaft diskutiert werden kann, dass mit solchen Entscheidungen Texte gefeiert werden, die eindeutig nicht journalistisch sind? Oder ist die geheime, nie endenden Sehnsucht der Presse nach der Mutbambi-Anerkenntnis und Popularität der Fernseh- und Filmunterhaltungsbranche mittlerweile doch größer?

Dem jungen „Schreibtischreporter“ darf man das nicht allein ankreiden. Es sind die Chefs, die solche Texte, Preisgalas und Modellbahnfahrten äußerst schätzen, sonst würden diese saftigen Stücke Pressefleisch überhaupt nicht exisitieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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