Anke hat Zeit, wir sollten sie uns nehmen
An ein paar Abenden im Jahr, unterhält „Anke hat Zeit", mit allem was Kultur ausmacht. Die WDR-Sendung kennt keine SiegerInnen des Abends und keinen spürbaren Egoismus der Moderations-Unterhalterin, ihren Marktwert weiter zu steigern. Sie vermittelt dafür aber soziale Haltung und prinzipiell offene, kulturelle Botschaften. Selbst ermüdet und ermattet, kann der gemeine TV- oder Mediathekengast da folgen und wird nicht, wie mittlerweile bei den Anstalten durchaus üblich, wie ein Kleinkind vor dem Bubu machen behandelt.
Nein, mit guten Gedanken und Ansichten gesättigt, fallen dem TV-Glotzer die Augen zu und er träumt sich neuen Wunscherfüllungen entgegen.
Die Moderatorin
Anke Engelke ist ein wenig das, was man in englischsprachigen Ländern Everybodies darling nennt. Vielleicht kann man das lernen? So, wie gute Flugbegleiter, neben dem Security dance, den Umgang mit den Passagieren perfekt beherrschen müssen. Die Moderatorin ist eine geborene Performerin, die ihre Anlage schon seit Kindertagen umsetzt. Ihre Fähigkeit, in jeder Rolle aus sich herauszugehen, gilt nicht unbedingt als häufig ausentwickelte Eigenschaft unter uns Erdenbürgern. Die meisten Menschen behalten, außer zu Festivitäten die im Kalender stehen und reichlich unter Drogen aller Art gesetzt, eine gewisse Zeigescheu.
In ihrer WDR-Show, die mittlerweile heimlich, still und leise bei der zehnten Sendung angelangt ist, muss Frau Engelke aber nicht den Ladykracher geben, keine Tänze rund um goldene Bären aufführen, nicht in die Rolle von bewusst überzeichneten Alltagstypen schlüpfen, keine Cover- Versionen in Pop-Kostümchen abliefern und nicht einmal wirklich schlagfertig sein. - Letzteres gilt ansonsten als eines ihrer Markenzeichen.
Häufiger bleibt sie hier ein wenig sprachlos, mit ihren Gästen. Es will ihr plötzlich so gar nichts zum Thema oder zur Person einfallen. Einige Male bringt sie mit ihrem gespielten oder tatsächlichen Nichtwissen die Gäste selbst zum Verstummen. Dann geht für Augenblicke wenig, im TV-Bewegtbild. - Das macht aber nichts. Sie verbirgt es nicht und überspielt nur selten die ganz notwendige Peinlichkeit angesichts der unendlichen Zivilisation, mit Hektik und gespielter „Witzischkeit". Die Gäste müssen nicht Ja und Amen sagen. Sie fühlen sich angenommen, sprechen und widersprechen freiwillig.
Alles das ist keinesfalls üblich. Es widerspricht den erfolgreichen Unterhaltungsmustern für die langen Medienabende und -Nächte der öffentlichen Anstalten, in denen fast nur noch Menschen auftreten, die absolute Sicherheit und ein schier unglaubliches Allwissen zu allerlei Fragen vorspielen, dabei selbst die unsinnigsten und dümmsten Ansichten und Einsichten beklatschen und abnicken; vor allem aber, sich gegenseitig beständig auf die Schultern klopfen, einander Bussis und Sternchen der Anerkennung ausreichen, als ob sie davon nie genug bekommen hätten.
Ich mache mir die Welt, nicht wie sie mir gefällt
Was gibt es bei Anke Engelke zu sehen und zu hören? Angeblich nur, was auch ihr gefällt, was sie für wichtig hält. Das ist schier unmöglich, denn sonst gäbe es dieses stumme Staunen der Moderatorin nicht. Es steht ihr öfter einmal ins Gesicht geschrieben.
Ohne eine Menge Erfahrung und redaktioneller Hintergrundarbeit, aus der Produktionspartnerschaft des WDR mit Engelkes Umfeld und dem Kölner Stadtgarten, liefen die Sendungen nicht so locker und entspannt, ohne je dabei an Tiefe einzubüßen. - Leider ist die fehlende Tiefe das verbindende Kennzeichen jener ritualisierten Abfragen des Ewiggleichen, bei den wöchtlich versammelten Promihühnern, auf den Sitzstangen der Talkrepublik.
Den performativen Hintergrund der Sendung, was nicht bedeutet, es handele sich da um Beiwerk, gestalten regelmäßig Karikaturisten, bildende Künstler und Performance- Artisten, die bewusst in den öffentlichen Raum hineinwirken. An Folge Zehn arbeiteten die Berliner Klebestreifen- Wandgestalter Bruno Kohlberg und Bodo Höbing, für ihren nicht anwesenden, dritten Mann, Nikolaj Bultmann, an einem kollektiven Klebeadler. Gemeinsam sind sie als „KlebeBande“ in Berliner Verhältnissen bekannt. - Kollektiv und Kleben, das gehört zusammen, ist Bande.
Einen wichtigen Part jeder Folge von „Anke hat Zeit“, spielen die vorproduzierten Karikatur- Clips des Zeichner-Duos Hauck und Bauer, bekannt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Linke sind ein wenig wie der Schneider von Ulm
Schaupieler Tilo Prückner, professioneller Lebensabschnittsgefährte in Anke Engelkes Wohnwagen am Krimi-Set, will sich nicht so unbedingt vom „Hard-core Kommunismus“ abwenden, wie viele andere. „Wir haben keine Demokratie, wir haben eine Wirtschaftsdiktatur.“ Dann erzählt er, mit viel Witz und sehr lebensweise, über die ehemals kollektive Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer. - Wie war das damals in den 68er, 69er-und 7oer Jahren? - Eine wahnsinnige, gemeinsame Anstrengung, mit Totaltransparenz, war ´s.
Der Kommunismus der Berliner- Vertreter der SED, SEW genannt, hatte es zwar auch bis ins Theater geschafft, aber Prückner erschienen diese Leute damals schon viel zu weit rechts. Kommunismus, Schauspiel und Familie gleichzeitig, so der einstige Schneider von Ulm, laugten nicht nur ihn gewaltig aus. Er scheiterte und machte weiter. Er kann das freimütig zugeben. - Später lesen Engelke und ihre Gäste, mit verteilten Rollen, aus seinem ersten Roman „Willi Merkatz wird verlassen“.
Peter Licht kennt noch die „freie Assoziation, freier Menschen“. So gehört es sich, für einen Musiker und Schriftsteller, der programmatisch das „Lob der Realität“ (CD) besingt und Lieder schreiben kann, in denen das Wort Kapitalismus tatsächlich vorkommt.
Luxemburgs pianistischer Jungstar und sehr ernsthafte Komponist Francesco Tristano, spielt mit der ebenso klassisch ausgebildeten Alice Sara Ott, eine von Techno, DJ- Musik, Elektronica und Jazz inspirierte, dominant rhythmisierte Eigenkomposition, die an Stücke der japanischen Band Jazztronik und deren Komponisten- Pianisten Ryota Nozaki ebenso denken lässt, wie an Strawinskys Bearbeitung der "Le Sacre du Printemps" für zwei Klaviere. Klangerlebnis pur, zu dem die beiden ihr Publikum auch noch erfolgreich zum Mitklatschen animieren können, statt es in der Ehrfurcht vor perfekter handwerklicher Leistung zu belassen. Die gemeinschaftlich produzierte CD, „Scandale", wird in dieser Show garantiert nicht platt in die TV- Kamera gehalten.
Die britische Rapperin Kate Tempest ist, trotz eines reichlich gewundenem Ausbildungsgangs, heute eine professionelle Künstlerin. Ihr Credo: Künstler machen fertig, sind aber nie fertig. Ein Anti-Trapattoni-Spruch.
Schön, dass auch der eher ruhigere Theaterautor Dirk Laucke, gerade hat er seinen Debütroman, "Mit sozialistischem Grusz" veröffentlicht, zu Wort kommt. - Grusz, Gruß, Grus, das hat sofort eine schwefelkohlehaltige, leicht verwitterte Schwingung. - Tituliert als „Anwalt des kleinen Mannes, des kleinen Volkes“, reflektiert er das natürliche Literatenphänomen, über Sachen zu schreiben, die man auch selbst aus mehr oder weniger prekären Umständen kennt. Kann Margot Honecker, mit einem Brief aus dem chilenischen Exil helfen, einen unschlüssigen Jungmann auf den rechten Pfad im Kapitalismus zurückzuführen? Was hat das alles mit dem Original-Legoland in Dänemark und einer Kindesentführung zu tun? Selbstverständlich hat Anke Zeit, auch ein Stückchen aus diesem Roman mit verteilten Rollen vorlesen zu lassen.
Warum müssen Profis ihre Professionalität verbergen?
Fazit: Mehr Publikum sei dieser Sendung gewünscht. Die Homepage ermöglicht den Rückblick bis zur Folge fünf. Von Julian Assange (Wiki-Leaker) bis Harald Welzer (Sozialpsychologe und Denker der Alternative), von Zaz (die Stimme der Pariser) und Matthias Schriefl (Blasinstumentalist, Komponist, Alphornist) bis zu Sophie Hunger (vollendete Songschreiberin und Musikerin), von Tino Sehgal (Performance) bis Oliver Bienkowski (politischer Lichtkünstler), warten da eine Menge Überraschungen und Anregungen.
Warum nur, müssen die Produzenten und ihre Moderatorin darauf bestehen, ihr Tun sei rein neigungsgesteuert? Die Sendungen und die Homepage beweisen, Frau Engelke und ihre üblichen Verdächtigen gehen professionell und sehr zielstrebig zu Werke, um gute Unterhaltung mit aussagekräftigen Botschaften zu versenden. Kaum etwas wird dem Zufall überlassen, und das ist gut so! Darüber muss man das Publikum nicht täuschen.
Christoph Leusch
Homepage der Sendung, "Anke hat Zeit":
http://www1.wdr.de/fernsehen/kultur/ankehatzeit/
Die archivierten Sendungen, 2014 und 2015:
http://www1.wdr.de/fernsehen/kultur/ankehatzeit/sendungen/indexankehatzeitsendungen100.html
11. Sendung, am 2. Mai 2015.
Christoph Leusch
Kommentare 6
Hach...
Weil Anke Engelke und Sophie Hunger sich öffentlich nahe sind, ohne irgendwie indiskret sein oder über Allzupersönliches sprechen zu müssen, weil beide zum Niederknien sind und weil auch der Columbus am Ende noch vorkommt...;-)...
Vielen Dank für den „Geheimtipp“!
Ich habe zwar keinen Fernseher und verschmähe dieses Medium normalerweise (zugunsten von Audio), aber auf Ihren Beitrag hin habe ich mir soeben die Sendung mal im Internet gesucht.
Nach den ersten zwanzig Minuten ist meine anfängliche Skepsis doch einigem Erstaunen gewichen; habe deshalb kurz die Stopp-Taste gedrückt, um meinen Dank abzusondern. Und nun habe ich den Ärger: Eigentlich wollte ich nach kurzer FC-Schau flugs zu Bett gehen, das wird erstmal nichts – noch etwa eine Stunde „Fernsehen“.
Das hätte ich dem Öffentlich-Rechtlichen gar nicht mehr zugetraut!
Besten Gruß
Petz
Ob die Zeit, die Anke sich genommen hat, die ist, die ich mit ihr vor der TV-Kiste teilen möchte, weiß ich nicht. Als Person bzw. Künstlerin rangiert Engelke bei mir allerdings weit oben im (noch ernst genommenen) TV-Firmament – auf ewiglich schon aufgrund der grandiosen Serie Anke – die Show.
Tschä, was soll man sagen? Die letzten Relikte von Wohlfühlfernsehen – nach dem öffentlich-rechtlichen Abschuss der gutfrequentierten Nischenshow »Zimmer frei« wegen des greisen Alters der Mitmoderatorin (über 60! – was bekanntlich nur bei Fifa-Präsidenten, Volksmusik-Moderatoren, Polit-Promis und J. Heesters geht). Schön zu sehen, dass diese Form Nischen-TV – obwohl nur bedingt zum Ellenbogenstählen geeignet – noch nicht ganz eingemottet wurde. Wunder sollte man aus der Richtung – meine Meinung – allerdings auch nicht erwarten.
Frau Engelke ist tatsächlich einer der wenigen Lichtblicke im Deutschen Fernsehen.
Wer mit der täglichen Kost von Jauch, Lanz, Halligali und Co. konfrontiert wird, der schaut zu dieser Sendung auf - ist das deutsche Fernsehen wirklich so flach geworden?
Schade.
ad dame.von.welt 17.03.2015 | 02:22
Anke hat Zeit, schafft einfach einen gewissen Abstand in der Qualität und in der Auswahl der Gäste, im Vergleich mit vergleichbaren Produktionen. Die niedrige Frequenz und der erkennbare Aufwand in der Vorbereitung, wirken sich aus.
Gut, dass zumindest die Eigenproduktionen nicht mehr am unsäglichen 7- Tage-Abgrund des Medienrechts verschwinden.
Sophie Hunger und Anke Engelke können sich was sagen, weil sie sich schätzen. Das merkt man. Zudem war gerade diese Gesprächskonstellation ein gutes Beispiel, für die oben beschriebenen Engelke- Eigenheiten, die ich vertrage, jedoch andere Seher eher abschreckt.
Hoffentlich kann der WDR, trotz eher mäßiger Quoten, diese Sendung halten. Vielleicht gibt es mutige Programmdirektoren und Intendanten, die Engelke damit ins erste Programm bringen. Dafür könnte man ein paar Talks um Temine kürzen und sich auch mal ein paar Plasbergs und Co. sparen. - Diese Leute, die wirklichen und extrem gut bezahlten Promis der Anstalten, sollten Gelegenheit haben an ihrer Qualität zu arbeiten, die stetig sinkt.
Beste Grüße
Christoph Leusch
ad petz 17.03.2015 | 02:38
Die Mediathek ist zum Glück fast immer erreichbar und zu der Sendung gibt es, was auch nicht die Regel ist eine Art Archiv. Jederzeit kann man einschlafen und träumen, jederzeit also ausschalten und dann weiter glotzen, wenn man Lust und Laune hat. Dafür ein paar unsägliche Abendsendungen und ein paar überflüssige miese Unterhaltungsbits weg, schon bleibt ein paar Mal im Jahr Zeit für Anke und ihre Gäste.
Gute Woche
Christoph Leusch
ad Richard Zietz 17.03.2015 | 16:08
Ich mag unser Fernsehen auch nicht. Aber hier sehe ich einen Qualitätsunterschied und der macht diese Show erträglich. - Na, ich wiederhole mich.
Nur das Beste
Christoph Leusch
ad michaelzg 17.03.2015 | 16:58
Lesen Sie oben, bezgl. Engelke, sonst wiederhole ich mich.
Ein Grundproblem, das auch für die Film-Serienproduktionen der Sender gilt: Die Formate wirken fixiert, ewiggleich, festgefahren, sind völlig erwartbar.
Bei Shows und Talks merkt den finanziell und ideell abgesättigten Moderatoren (m/w/n....) ihre mangelnde Vorbereitung, ihre Langweile und die Neigung zum Blabla an.
Thematisch machen die gar nichts mehr systematisch. Höchstens reißen sie noch die Themen- Tageskalender des Showbiz ab und bieten dafür Werbefläche für die Eingeladenen. Die Gäste rotieren durch die Sender, oftmals mit den gleichen Gesprächsfloskeln, und sie werden, wie das gute Huhn, zum nächsten Eierlegen, sofort wieder eingeladen und angefüttert.
Man unterhält sich zumeist über Befindensstörungen, Essen und Trinken, sowie Reiseerlebnisse, die die Wohlfühlgesellschaft sowieso teilt und hat einen unbekannten Alibigast pro Sendung, der dann von allen anderen bedauert wird. "Mein Gott, wie haben Sie das geschafft, wie kann man so leben, ich könnte das nicht!", usw. Mittlerweile darf das Publikum sich noch in manchen Formaten meinend einbringen (Pseudobeteiligung), obwohl das die Sendung gar nicht beeinflusst oder irgendwie voran bringt. Da ist es besser, man glotzt gar nicht.
Zu diesem Blog, habe ich mich nochmals bei den üblichen Verdächtigen (NDR,WDR,RB,MDR,SWR) umgeschaut. Es hat sich nichts geändert, es lohnt nicht. Nach einer Viertelstunde kommt es einem vor, als sehe man ein Wiederholungsprogramm.
Beste Grüße
Christoph Leusch
danke columbus für danke anke * dem wdr sei dank (blumen für den örr, okay kleines sträußchen für kleine feine sendung) * habe den blog sehr gern gelesen, ween weil ich aus alter verbundenheit den wdr schätze egal ob harald schmidt, feuerstein, jürgen von der lippe mit was liest du, finde der wdr hat bei x feinen formaten seine fingerchen mit drin * sonntag spät abends gab es beim wdr viele feine sachen, die 3. haben feinste nischen angebote finde ich * anke hat zeit hebt sich wohltuend ab von dauertalk * wobei ich auch diesen runden etwas abgewinnen kann * feisten resttag noch cp