Anke hat Zeit, wir sollten sie uns nehmen

Anke hat Zeit Der WDR produzierte, mit dem Stadtgarten Köln und Anke Engelke, die zehnte Ausgabe von "Anke hat Zeit". Die Show der westdeutschen Anstalten bleibt ein Geheimtipp

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Anke hat Zeit, wir sollten sie uns nehmen

Bild: Sean Gallup/Getty Images

Anke hat Zeit, wir sollten sie uns nehmen

An ein paar Abenden im Jahr, unterhält „Anke hat Zeit", mit allem was Kultur ausmacht. Die WDR-Sendung kennt keine SiegerInnen des Abends und keinen spürbaren Egoismus der Moderations-Unterhalterin, ihren Marktwert weiter zu steigern. Sie vermittelt dafür aber soziale Haltung und prinzipiell offene, kulturelle Botschaften. Selbst ermüdet und ermattet, kann der gemeine TV- oder Mediathekengast da folgen und wird nicht, wie mittlerweile bei den Anstalten durchaus üblich, wie ein Kleinkind vor dem Bubu machen behandelt.

Nein, mit guten Gedanken und Ansichten gesättigt, fallen dem TV-Glotzer die Augen zu und er träumt sich neuen Wunscherfüllungen entgegen.

Die Moderatorin

Anke Engelke ist ein wenig das, was man in englischsprachigen Ländern Everybodies darling nennt. Vielleicht kann man das lernen? So, wie gute Flugbegleiter, neben dem Security dance, den Umgang mit den Passagieren perfekt beherrschen müssen. Die Moderatorin ist eine geborene Performerin, die ihre Anlage schon seit Kindertagen umsetzt. Ihre Fähigkeit, in jeder Rolle aus sich herauszugehen, gilt nicht unbedingt als häufig ausentwickelte Eigenschaft unter uns Erdenbürgern. Die meisten Menschen behalten, außer zu Festivitäten die im Kalender stehen und reichlich unter Drogen aller Art gesetzt, eine gewisse Zeigescheu.

In ihrer WDR-Show, die mittlerweile heimlich, still und leise bei der zehnten Sendung angelangt ist, muss Frau Engelke aber nicht den Ladykracher geben, keine Tänze rund um goldene Bären aufführen, nicht in die Rolle von bewusst überzeichneten Alltagstypen schlüpfen, keine Cover- Versionen in Pop-Kostümchen abliefern und nicht einmal wirklich schlagfertig sein. - Letzteres gilt ansonsten als eines ihrer Markenzeichen.

Häufiger bleibt sie hier ein wenig sprachlos, mit ihren Gästen. Es will ihr plötzlich so gar nichts zum Thema oder zur Person einfallen. Einige Male bringt sie mit ihrem gespielten oder tatsächlichen Nichtwissen die Gäste selbst zum Verstummen. Dann geht für Augenblicke wenig, im TV-Bewegtbild. - Das macht aber nichts. Sie verbirgt es nicht und überspielt nur selten die ganz notwendige Peinlichkeit angesichts der unendlichen Zivilisation, mit Hektik und gespielter „Witzischkeit". Die Gäste müssen nicht Ja und Amen sagen. Sie fühlen sich angenommen, sprechen und widersprechen freiwillig.

Alles das ist keinesfalls üblich. Es widerspricht den erfolgreichen Unterhaltungsmustern für die langen Medienabende und -Nächte der öffentlichen Anstalten, in denen fast nur noch Menschen auftreten, die absolute Sicherheit und ein schier unglaubliches Allwissen zu allerlei Fragen vorspielen, dabei selbst die unsinnigsten und dümmsten Ansichten und Einsichten beklatschen und abnicken; vor allem aber, sich gegenseitig beständig auf die Schultern klopfen, einander Bussis und Sternchen der Anerkennung ausreichen, als ob sie davon nie genug bekommen hätten.

Ich mache mir die Welt, nicht wie sie mir gefällt

Was gibt es bei Anke Engelke zu sehen und zu hören? Angeblich nur, was auch ihr gefällt, was sie für wichtig hält. Das ist schier unmöglich, denn sonst gäbe es dieses stumme Staunen der Moderatorin nicht. Es steht ihr öfter einmal ins Gesicht geschrieben.

Ohne eine Menge Erfahrung und redaktioneller Hintergrundarbeit, aus der Produktionspartnerschaft des WDR mit Engelkes Umfeld und dem Kölner Stadtgarten, liefen die Sendungen nicht so locker und entspannt, ohne je dabei an Tiefe einzubüßen. - Leider ist die fehlende Tiefe das verbindende Kennzeichen jener ritualisierten Abfragen des Ewiggleichen, bei den wöchtlich versammelten Promihühnern, auf den Sitzstangen der Talkrepublik.

Den performativen Hintergrund der Sendung, was nicht bedeutet, es handele sich da um Beiwerk, gestalten regelmäßig Karikaturisten, bildende Künstler und Performance- Artisten, die bewusst in den öffentlichen Raum hineinwirken. An Folge Zehn arbeiteten die Berliner Klebestreifen- Wandgestalter Bruno Kohlberg und Bodo Höbing, für ihren nicht anwesenden, dritten Mann, Nikolaj Bultmann, an einem kollektiven Klebeadler. Gemeinsam sind sie als „KlebeBande“ in Berliner Verhältnissen bekannt. - Kollektiv und Kleben, das gehört zusammen, ist Bande.

Einen wichtigen Part jeder Folge von „Anke hat Zeit“, spielen die vorproduzierten Karikatur- Clips des Zeichner-Duos Hauck und Bauer, bekannt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Linke sind ein wenig wie der Schneider von Ulm

Schaupieler Tilo Prückner, professioneller Lebensabschnittsgefährte in Anke Engelkes Wohnwagen am Krimi-Set, will sich nicht so unbedingt vom „Hard-core Kommunismus“ abwenden, wie viele andere. „Wir haben keine Demokratie, wir haben eine Wirtschaftsdiktatur.“ Dann erzählt er, mit viel Witz und sehr lebensweise, über die ehemals kollektive Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer. - Wie war das damals in den 68er, 69er-und 7oer Jahren? - Eine wahnsinnige, gemeinsame Anstrengung, mit Totaltransparenz, war ´s.

Der Kommunismus der Berliner- Vertreter der SED, SEW genannt, hatte es zwar auch bis ins Theater geschafft, aber Prückner erschienen diese Leute damals schon viel zu weit rechts. Kommunismus, Schauspiel und Familie gleichzeitig, so der einstige Schneider von Ulm, laugten nicht nur ihn gewaltig aus. Er scheiterte und machte weiter. Er kann das freimütig zugeben. - Später lesen Engelke und ihre Gäste, mit verteilten Rollen, aus seinem ersten Roman „Willi Merkatz wird verlassen“.

Peter Licht kennt noch die „freie Assoziation, freier Menschen“. So gehört es sich, für einen Musiker und Schriftsteller, der programmatisch das „Lob der Realität“ (CD) besingt und Lieder schreiben kann, in denen das Wort Kapitalismus tatsächlich vorkommt.

Luxemburgs pianistischer Jungstar und sehr ernsthafte Komponist Francesco Tristano, spielt mit der ebenso klassisch ausgebildeten Alice Sara Ott, eine von Techno, DJ- Musik, Elektronica und Jazz inspirierte, dominant rhythmisierte Eigenkomposition, die an Stücke der japanischen Band Jazztronik und deren Komponisten- Pianisten Ryota Nozaki ebenso denken lässt, wie an Strawinskys Bearbeitung der "Le Sacre du Printemps" für zwei Klaviere. Klangerlebnis pur, zu dem die beiden ihr Publikum auch noch erfolgreich zum Mitklatschen animieren können, statt es in der Ehrfurcht vor perfekter handwerklicher Leistung zu belassen. Die gemeinschaftlich produzierte CD, „Scandale", wird in dieser Show garantiert nicht platt in die TV- Kamera gehalten.

Die britische Rapperin Kate Tempest ist, trotz eines reichlich gewundenem Ausbildungsgangs, heute eine professionelle Künstlerin. Ihr Credo: Künstler machen fertig, sind aber nie fertig. Ein Anti-Trapattoni-Spruch.

Schön, dass auch der eher ruhigere Theaterautor Dirk Laucke, gerade hat er seinen Debütroman, "Mit sozialistischem Grusz" veröffentlicht, zu Wort kommt. - Grusz, Gruß, Grus, das hat sofort eine schwefelkohlehaltige, leicht verwitterte Schwingung. - Tituliert als „Anwalt des kleinen Mannes, des kleinen Volkes“, reflektiert er das natürliche Literatenphänomen, über Sachen zu schreiben, die man auch selbst aus mehr oder weniger prekären Umständen kennt. Kann Margot Honecker, mit einem Brief aus dem chilenischen Exil helfen, einen unschlüssigen Jungmann auf den rechten Pfad im Kapitalismus zurückzuführen? Was hat das alles mit dem Original-Legoland in Dänemark und einer Kindesentführung zu tun? Selbstverständlich hat Anke Zeit, auch ein Stückchen aus diesem Roman mit verteilten Rollen vorlesen zu lassen.

Warum müssen Profis ihre Professionalität verbergen?

Fazit: Mehr Publikum sei dieser Sendung gewünscht. Die Homepage ermöglicht den Rückblick bis zur Folge fünf. Von Julian Assange (Wiki-Leaker) bis Harald Welzer (Sozialpsychologe und Denker der Alternative), von Zaz (die Stimme der Pariser) und Matthias Schriefl (Blasinstumentalist, Komponist, Alphornist) bis zu Sophie Hunger (vollendete Songschreiberin und Musikerin), von Tino Sehgal (Performance) bis Oliver Bienkowski (politischer Lichtkünstler), warten da eine Menge Überraschungen und Anregungen.

Warum nur, müssen die Produzenten und ihre Moderatorin darauf bestehen, ihr Tun sei rein neigungsgesteuert? Die Sendungen und die Homepage beweisen, Frau Engelke und ihre üblichen Verdächtigen gehen professionell und sehr zielstrebig zu Werke, um gute Unterhaltung mit aussagekräftigen Botschaften zu versenden. Kaum etwas wird dem Zufall überlassen, und das ist gut so! Darüber muss man das Publikum nicht täuschen.

Christoph Leusch

Homepage der Sendung, "Anke hat Zeit":

http://www1.wdr.de/fernsehen/kultur/ankehatzeit/

Die archivierten Sendungen, 2014 und 2015:

http://www1.wdr.de/fernsehen/kultur/ankehatzeit/sendungen/indexankehatzeitsendungen100.html

11. Sendung, am 2. Mai 2015.

Christoph Leusch

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