CETA, TTIPs kleiner, böser Artgenosse

Freivertragsabkommen NAFTA, CETA, TTIP, die "Freihandelsabkommen", verschleiern mit ihren Akronymen, was ihren eigentlichen Kern ausmacht: Das Beispiel CETA

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CETA, TTIPs kleiner, böser Artgenosse

Foto: FRANK PERRY/AFP/Getty Images

CETA, TTIPs kleiner, böser Artgenosse

CETA kommt vor TTIP

Mit der kleinen europäisch- kanadischen Ausgabe des geplanten TTIP- Abkommens, dem Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA), sind die exekutiven Verhandler der EU und ihre kanadischen Partner längst durch. Es ist ausverhandelt und sein Text, samt Annexen, liegt seit 26. September 2014 öffentlich vor.

Auch dieser Vertrag ist praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit zustande gekommen, wie es nun auch für TTIP ein weiteres Mal, gegen erstaunlich wenig mediale, aber doch sehr viel außerparlamentarisch- politische Gegenwehr, droht.

Die europäischen Gesellschaften und Medien sind mit der Flüchtlingsabwehr und dem Terrorismus vollauf beschäftigt, arbeiten sich am neuen Ost- West Gegensatz oder am globalsierten Auftreten von Failed states ab. Leider ohne allzu viel Selbsterkenntnis.

Medial nur GM- Paprika und Chlorhühnchen

Besonders beschämend allerdings, dass gerade, die ihre Unwissenheit regelmäßig austellenden, Alpha- Tiere des Meinungsjournalismus, sich in seltsam hoher Frequenz nur Witzchen und Zynismen zu den verschiedenen Freihandelsabkommen abringen. Fundierte Artikel der Meinungsschickeria, lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Das überlassen sie, wenn überhaupt, Außenseitern und dem medialen Fußvolk.

Fünf Jahre hatte man für CETA verhandelt, sich am Ende noch ein wenig geziert, weil kompromittierende Textteile vorab, durch die ARD und in Kanada durch NGOs und investigative Journalisten, bekannt wurden. - Wer erkennt da keine Parallelen zum Greenpeace TTIP- Leak? Nun steht an, das fertig ausgehandelte CETA- Dokument baldmöglichst durch das EU- Parlament zu bugsieren. Die Zustimmung der dort vorhandenen GroKo-Mehrheit, eröffnet dann den Ratifizierungsreigen in den Einzelstaaten der europäischen Union.

CETA ist, so sicher dürfen sich die EU- Kommission und der EU- Rat sein (Runde der EU-Regierungen), die federführend und weitgehend nichtssagend schweigsam für uns verhandelten, vorläufig gültig. Es wird derzeit, dem Vertrag gemäß gehandelt. Getreu dem Motto, dass EU- Parlamentarier, wie auch die Abgeordneten in den Nationalparlamenten, mit ihren Regierungsmehrheiten selten oder nie gegen den Willen der Exekutive stimmen, wurde beim „Freihandelsabkommen“ mit Kanada verfahren.

Exekutivdemokratie, wirtschaftskonforme Demokratie

Die Kommission blieb in Wirtschafts- und Finanzfragen, während der Ära ihres Präsidenten José Manuel Barroso, grundsätzlich neoliberal eingestellt. Die fünfundzwanzig Jahre nach der großen Wende 1989, konnten sich auf den höchsten politischen Verwaltungsposten der EU praktisch nur Freihandels- und Freivertragsanhänger durchsetzen. Die so zusammengesetzte Kommission, traf in den Geheimverhandlungen zu CETA auf eine ebenso denkende, wirtschaftsliberale und erzkonservative Regierung aus Kanada, unter Stephen Harper, deren Verachtung für den Parlamentarismus und die informierte Öffentlichkeit, mittlerweile in Kanada Geschichte ist. - Interessant, dass keiner der politischen Akteure, die CETA maßgeblich ins Werk setzten, heute noch etwas zu sagen hat, bis auf unsere deutschen Politikerinnen.

Harper wurde abgewählt, unter anderem auch, weil er selbst den Kanadiern zu dogmatisch konservativ, zu antisozial und zu konspirativ wurde. Präsident Barroso und den Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, sowie weitere Spitzen der EU aus dieser Zeit, kennen heute nur noch enthusiastisch interessierte Politikjunkies. Aus Deutschland waren auf der Ebene der Vorfeld- und Begleitdiplomatie aber alle zuletzt regierenden Parteien beteiligt: Die SPD, die CDU/CSU, die FDP. - Das Verhandlungsergebnis der Wirtschaftslobbyisten wird uns und unseren Staaten, noch lange, vielleicht ewig, am Halse hängen.

So avanciert CETA zur Blaupause für das, was nun mit TTIP angedacht ist. Mag die Öffentlichkeit sich laut beklagen, mag die geschwundene linke Opposition noch hilflos Widerstand leisten. Im Interesse der großen Privatwirtschaft und großer globaler Investoren hat das EU- Kanada- Abkommen, das indirekt auch US- Firmen begünstigt, ewige Einseitigkeiten geschaffen, die sich nur mühsam durch neue Rechtsakte aufheben lassen.

Vorbild ist CETA also in doppeltem Sinne: Einmal, zeigt es, wie man solche Verträge als übermächtige Exekutive, relativ geräuschlos abschließt, ohne die Öffentlichkeit über mehr zu informieren, als dass nun wirklich alles bestens geregelt sei. Zweitens, wie man legislative Körperschaften, die Parlamente, vor vollendete Tatsachen stellt, um sie zur schneller Zustimmung zu bewegen.

Am Ende des sogenannten fünfjährigen Konsolidierungsprozesses, konnten auch kanadische Abgeordnete der damaligen absoluten Regierungsmehrheit, die durchaus vermehrt Kopfweh und Bauchschmerzen hatten (eine Floskel, der sich auffällig viele Parlamentarier bedienen), die über 1600 Seiten des CETA weder ausreichend lange studieren, noch je verstehen lernen. Denn die gewählten Formeln sind oft in einer Sprache geschrieben, die Fachjuristen für internationales Handels- und Investmentrecht erforderten, um die vielen Ausnahmeklauseln, die Soll-, Kann- und Darf- Bestimmungen und ihre Verweise auf schon geltende Vertragswerke abzuklären hätten. Weil das geheime Abkommen erst spät den Verhandlertisch verließ und der Abstimmungsprozess, auch in Kanada schnell vonstatten ging, sitzen nun, Pacta sunt servanda, neue Abgeordnete vor dem alten Abkommen und können nicht mehr heraus!

Viele Kanadier wünschen sich, Europa, das EU- Parlament oder eines der wichtigen nationalen Parlamente in der EU, sage endgültig und überraschend nein, zu dem unausgewogenen, einseitig Reiche und große Firmen begünstigenden Vertrag, der zudem von den Bürgern, über die Kommunen, bis zu den Regionen und der Nationalregierung, die staatliche und öffentliche Handlungsfähigkeit, zugunsten von globalen Konkurrenzanbietern einengt.

Konzerne und Investoren erhalten eine internationale und staatliche Versicherung, zukünftig ihre streitigen Geschäfte mit privaten und öffentlichen Vertragspartnern oder den staatlichen Regelgebern, vor privaten Schiedsgerichten verhandeln zu können und zudem eine in vielen Klauseln des CETA- Vertrages vorformulierte, sehr wirkungsvolle Pauschaldefinition für die Berechtigung ihre Forderungen, die schon den Verlust nur zu erwartender Gewinne oder mangelnder Vorabinformationen bei der Entstehung neuer Gesetze entschädigungspflichtig macht. CETA zwingt alle beteiligten Regierungen zur geheimen Vorab- Diskussion mit Investoren! Wer Investor oder Claimberechtigter ist, das wurde, zugunsten dieser Gruppe, sehr weit gefasst.

Um zu entscheiden, sind im CETA- Verfahren private Arbitrage- Gerichte zugelassen, die die Investor State Dispute Settlements (ISDS) verhandeln, mit Ausnahme einiger Bereiche, die in den Annexen des eigentlichen Vertragstextes genannt werden. Ausdrücklich formulieren die Vertragsgeber EU und Kanada, es müsse schnell und endgültig zugehen, in dieser Art Entscheidungsfindung. Allenfalls kann noch ein, neu zu schaffendes Aussichtsboard angerufen werden, das aber keine aufhebende Funktion hat, also ausdrücklich nicht als zweite Instanz arbeitet, sondern die vielen, zukünftig anstehenden Verfahren allgemein optimieren soll.

Die EU-Staaten und Kanada erlangen übrigens keine Möglichkeit, vor den Arbitrage- Gerichten Forderungen zu stellen! Staaten müssen gegenüber Privaten den öffentlichen Rechtsweg einhalten. Umgekehrt können Investoren, Investorengruppen und Firmenbevollmächtigte, meist spezialisierte internationale Anwaltsfirmen, den öffentlichen Rechtsweg umgehen und alternativlos ein privates Drei- Personen- Schiedsgericht anrufen, das mit privaten Juristen und Fachleuten besetzt ist.

Kurios, dass eine große Koalition unserer Rechtsstaatsparteien, insbesondere aber die SPD, die sich ja auch noch Sozialpartei nennt, von ihrem Wirtschaftsminister und Vorsitzenden einreden lässt, dies sei eine Abmachung im Interesse des Deutschen Volkes und vor allem der Mehrzahl aller Bürger. - Das glatte Gegenteil ist der Fall!

Historisch hat CETA in Kanada das größte Bündnis an Organisationen gegen ein Gesetzeswerk aktiviert, das je beobachtet wurde. Genutzt hat es, gegen die zuletzt mit absoluter Mehrheit regierende, nun abgewählte Regierung Harper nicht. Ähnliches droht in Europa mit dem endgültigen Beschluss des EU- Parlaments für CETA und mit der Ratifizierung des Vertragstextes durch die Mitgliedsstaaten.

Menschen, die sich mit den zahlreichen internationalen Verträgen, die viel weniger Zoll-, Steuererleichterungs- oder Handelsverträge sind, sondern vor allem die Interessen von Anlegern und international agierenden Großfirmen sichern, also große Deregulierungsabkommen darstellen, beschäftigen, warnten. Unabhängige Juristen, Rechtsgelehrte an Hochschulen, Volkswirtschaftler, politische Ökonomen und Politikwissenschaftler, die sich mit den Tricks der sogenannten Backdoor politics (Hinterzimmer Politiken, Lobbyismus) beschäftigen, kritisierten unisono, diese Praxis nun auch noch flächendeckend und völkerrechtlich verbindlich zu verrechtlichen. Aber was nützt das, gegen einen große Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen, hierzulande und in der EU? Nichts!

Was steht so drin, in CETA, was sollte aufregen?

Es ist für einen einzelnen, unbezahlten Schreiber unmöglich, die mehr als 1600 Seiten und alle darin enthaltenen Fallstricke angemessen zu präsentieren. Daher sollen hier nur einige Hinweise zur trickreichen Leimerei aufgezeigt werden, mit der Privatinteressen zukünftig Vorrang erlangen, vor den demokratischen Prozessen und Entscheidungen, vor dem Staat und vor allen schwachen Bürgern und ihren geschwächten Kommunen oder Regionen.

Die vielen Extrabestimmungen, die sich tatsächlich um Ausnahmen, wie internationalen Transport und Postzustellung, Flugverkehr und je zu schützende nationale Nahrungsmittel, französischen Käse, italienischen Schinken und kanadisches Bärenfleisch drehen, täuschen über den eigentlichen Kern des Abkommens hinweg.

Kanada schützt zum Beispiel seine, tatsächlich vorbildliche, öffentliche Kultur in allen Bereichen, Europa mag das nur noch für seinen öffentlichen Rundfunk tun!

Das CETA ist nach dem Negativlisten- Prinzip aufgebaut, anders, als frühere Handelsabkommen, anders auch, als der Standard für internationale Abkommen, GATS. Das heißt, was nicht in den Ausnahmen des Vertragswerkes genannt wird, unterliegt zukünftig weitgehend der Selbstregulation der Privaten unter sich. Vor allem im Bereich des unlimitierten und unkontrollierbaren Financing, der Monopolbildung, der unlimitierten Beteiligungshöhe an Geschäften, Firmen und Angebote für bisher staatliche Dienstleistungen, haben die investierenden Privatleute oder Firmen nun ein vorgängiges Anrecht, das auf lokaler oder staatlicher Ebene nicht mehr durch politische Entscheidungen zugunsten lokaler oder regionaler Lösungen aufgehoben werden kann.

Ganz grundsätzlich gilt, dass das Vertragswerk Investoren jeglicher Art heimischen Unternehmern der Länder gleichstellt und ihnen, ab einer gewissen Größe ihrer maßgeblichen Geschäfte, die Formulierungen bleiben absichtlich wage, jederzeit erlaubt als Person und/oder vertreten durch nationale und internationale Anwaltskanzleien, durch Firmenbevollmächtigte vor den neuen Schiedsgerichten aufzutreten und Ansprüche gegen Private und vor allem aber auch, gegen den Staat, geltend zu machen. Schon die Drohung mit der Arbitration, die Aufstellung unsinnig erscheinender und überzogener Schadensersatz- Forderungen, die Pflicht der Staaten zur Einbindung möglicherweise betroffener Investoren, übt einen gewaltigen Druck auf örtliche Exekutiven aus.

So ist nach dem CETA Abkommen der Ausstieg aus einer gefährlichen Technologie, zum Beispiel nach einer Katastrophe, in Kanada betraf das zuletzt Umweltverseuchungen durch Minen, in Deutschland die Kernenergie, nicht mehr möglich, ohne dafür hohe Entschädigungen, auch für entgangene Gewinne, zu zahlen und eine Nachregulierung oder Neuregulierung deregulierter Wirtschaftsbereiche darf nur dann erfolgen, wenn die betroffenen Anbieter und Investoren früh informiert und an der Neuregulierung beteiligt wurden. Staatliche Auflagen müssen zwingend einfach gestaltet sein. Kanadische NGOs und sogar GATS Vertreter, haben die vertragschließenden Parteien eindringlich darauf hingewiesen, dass Regierungen ihr Recht Gesetze zu machen und im Interesse ihrer Bürger und Wähler zu entscheiden, damit freiwillig deutlich einengen. Deutlich stärker noch, als dies bereits für das kanadisch- amerikanisch- mittelamerikanische Handelsabkommen NAFTA galt, das mit den gleichen neoliberalen Konzepten angestrebt wurde.

Keine Wirtschafts- und Finanztätigkeit, so CETA, darf durch gesetzliche Anforderungen„unduly complicate or delayed“ (unberechtigt kompliziert oder verzögert) werden.

Äußerst geschickt haben die im Grunde gleichdenkenden Verhandler des Abkommens die zahlreichen Ausnahmen in den Annexen I und II gewichtet. Wobei der Schutz für die Annex I Bereiche sehr schwach und lückenhaft bleibt und jederzeit durch Auslegungen der privaten Arbitragegerichte ausgehebelt werden kann, die die schwammigen Begriffe interpretieren dürfen.- Hier wird sich der gleiche Effekt einstellen, der schon zahlreiche bilaterale Handelsabkommen, sowie das NAFTA- Abkommen zu, für Staaten und Bürger teuren Angelegenheiten machte und deren nationale Gesetzgebung schon häufig überspielte.

So hat dieses Handelsabkommen den Mexikanern keinen nachweisbaren Vorteil in den ökonomischen Grunddaten gebracht, aber deren beschäftigungsintensive Landwirtschaft einer US- Konkurrenz ausgesetzt, die nun den GM-Mais, dazu noch subventioniert, in sein natürliches Ursprungsland exportiert! Die Landbevölkerung muss sich nun prekarisieren lassen und in die Städte ziehen.

Christoph Leusch

Kleine Ergänzung zu nützlichen Quellen und einigen kleinen Lichtblicken im dt. Medienrummel, 09.05.2016:

Das CETA - Abkommen, der "Consolidated CETA Text": http://www.jura.uni-freiburg.de/institute/ioeffr2/downloads/Consolidated%20CETA%20Text/at_download/file

Eine kritische, kanadische Analyse: "Making Sense of CETA" (pdf- Download- link), des Canadian Centre for Policy Alternatives, Centre Canadien de Polititiques Alternatives.

Thomas Fritz schrieb sehr detailreich und genau, besonders auch unter Arbeitnehmergesichtspunkten, für die Hans- Böckler Stiftung: " Analyse und Bewertung des EU-Kanada
Freihandelsabkommens CETA" (Januar 2015, hier pdf- Download- Link).

Rühmliche, aber eher randständige Bewertung des CETA durch Petra Pinzler (ZEIT), vom heutigen Datum, : http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-05/freihandel-ceta-ttip-eu-abkommen

Grundsätzlich zum Freihandel und seinem fragwürdigen Konzept, dass Staaten, Staatsgeschäfte, staatliche und globalsierte Finanz- und Handelswirtschaft, nach den gleichen Maßstäben und Regularien zu erfolgen hätte, wie privates Wirtschaftshandeln und die arbiträren Konzepte der privaten Markteilnehmer zum regulativen Vorbild aller Abmachungen werden: "Der Freihandel beruht auf einer weltfremden Theorie", Andreas Zielcke, Süddeutsche Zeitung, 08.05.2016

Christoph Leusch

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