Der Freitag, Sommertage mit der Kristallkugel

Online+Offline Redaktion ist der Wille, den Inhalt des eigenen Mediums zu bestimmen. Die Voranstrengung ersetzt die mühsame Nachsorge. Fehlt sie, siegt das Bla,Bla aller gegen alle.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Bla, Bla, Bla, après Philippe Katerine,

http://www.youtube.com/watch?v=7QmOAUG_BdQ

The Beatles, Paperbackwriter

http://www.youtube.com/watch?v=elrCNmcoX1Y&feature=relmfu

Der Freitag, Sommertage mit der Kristallkugel

Die Zeitung mit dem Plus, so meine Wahrnehmung, gibt ihr Plus nun langsam auf. Oder sie sucht nach einem anderen Publikum und anderen Online-Schreibern, weil die derzeitigen sich als zu fremd und zu wenig pflegeleicht erwiesen haben und die Stillen eher zum völligen Verstummen neigen, wenn sie es nicht mehr mit ansehen mögen?

Ich empfinde mich seit geraumer Zeit, genauer seit dem Relaunch, auf das ursprüngliche, aparte Leserbriefniveau längst vergangener Zeiten zurück entwickelt. Allerdings bin ich immer noch mit der Berechtigung versehen, den Leserbrief rund um die Uhr veröffentlichen zu können. - Ganz ehrlich, ich mag es so nicht mehr. Ich möchte aber auch nicht alle 24 Stunden mit einer Ceterum censeo-Botschaft im Durchlauf auftreten und auch keine erweiterten Tages-Kommentare zum Presseticker abgeben.

Nun bin ich der strengen Meinung, dass ein Medium, also ein Angebot der Profis die damit ihr Geld verdienen, so gestaltet sein muss, wie die es sich ausrechnen. Das gilt nicht nur in geschäftlicher Hinsicht, sondern auch in jeglicher schöpferischer und inhaltlicher Art und Weise. Die Profis sind Anbieter einer Ästhetik und irgendwo, irgendwie, vielleicht auch einer Haltung. Das ist völlig legitim und entspricht dem Urheberrecht, selbst wenn man es in der angedachten neuen Form ablehnt. Das ist so gewollt, weil ein Grundprinzip der Presse- und Telemedien sich so verwirklicht.

Die Gestaltung und Ansprache, der Sinn und Zweck der Ausführung, muss ihnen möglichst klar sein, auch über eine Woche und ein paar Print-Ausgaben hinaus, nicht unbedingt mir, dem Leser und Mitmachteddy am digitalen Endprodukt. - Die Wahlmöglichkeit unter vielen Angeboten ist am Ende das, was übrig bleibt, mit oder ohne Web. Ich bin nicht gewillt, mich weiter darüber aufzuregen.

So ist mir das Online-Medium der Freitag nun wieder zu einer Kristallkugel geworden. Mehr als noch vor vier Jahren, obwohl doch einst ein paar andere Töne zu hören waren. Wer lange genug hinein schaut, der mag da, in der Mantikerkugel, irgendwas erkennen, ich jedenfalls, erkenne immer weniger, eher nichts.

Online ist immer Freitag

Es herrscht so eine eigentümliche Stimmung, die nicht mehr recht zu meinem Tag, zu meiner Woche, passt. Was online steht, besprach man schon Eintausend a.d. in Piräus´ Hafenkneipen. 3012 steht es sicher genau so auf dem biologischen Flatsceen, direkt hinter oder unter individuellen Denkerstirnen einmontiert oder aufgespiegelt, wenn man sich dereinst, ganz ohne gesprochene Sprache, nur noch in Gedankenbildern austauscht, wenn die mentalen On-air-Enziffalogramme zur Regel geworden sein werden.

Unsichtbar ist alles, weil die Seiten so opak im Durchschuss strahlen, so voller Reflexion. Da blinzelt der Verstand und die Vernunft kneifft allzu lange die Augen zu. Davon bekomme ich häufiger Doppel- und Nachbilder. Graubereiche schieben sich dann über die makellosen Seiten, springt die Kommentarbox einmal auf.

Philippe Katerine: Bla,Bla,Bla (2010), http://www.youtube.com/watch?v=oIlporX0pok&feature=related

Ach Kommentare, ein lästiges Thema! Die eigenen der Jahre bleiben nun verstreut, sie sind doch irgendwie entbehrlich. Wer so weit ist, der fordert nichts mehr. Wer so weit denkt, der weiß, es gibt da gar nichts mehr zu fordern. Sie wiederzufinden, das ist eine Lebensaufgabe für Privatsekretäre oder stille Meinungsdienerinnen, die auch ´mal Kaffee kochen. Das ist Ersatz-Bingo für Leute mit ausreichender Tagesfreizeit: „Gehen Sie ´mal ins digitale Archiv und holen sie ihr nachlassendes Namensgedächtnis aus dem Server. Dann prüfen sie den Fortschritt ihrer dekadenten Demenz bitte ganz selbsttätig. Wir machen das als Dienstleistung nicht mehr für sie, sie Freitagsmuffel.“

Die Signale und Zeichen sind gesetzt. Fasse dich in deiner Beleidigung des je aktuellen Wochentexters oder Kommentars, du meinst es ja zumeist nicht bös´ mit der flach eingeschätzten Persönlichkeit dahinter, möchtest aber genau das unbedingt irgendwie in die Welt setzen, möglichst kurz! Schreibe Distichen, wenn du das kannst. Versuche ein Witzchen mit Aplomb oder bringe überhaupt die Frauenfrage und ein bisschen Schulmeisterei in Sachen richtig Links und wahrlich Rechts ins Spiel. Gerne hören wir auch von Selbsterlebtem aus dem Alltag: „Neulich, als ich im eigenen, ganz richtigen Leben direkt vor einer Bananenschale ausrutschte, dachte ich für einen Moment, >>So ein unsinniges Glück hast du. Einen Meter weiter und es wäre nicht berichtenswert gewesen.<<“ ; „Gestern, als das Strandbadwasser endlich einmal Hundstagstemperaturen annahm, regte ich mich so über meinen krebsroten Teint auf, ich vergaß glatt ins Wasser zu springen. Dabei hatte ich doch dafür Eintritt bezahlt.“ Undsoweiter, undsoweiter, genau so, immer weiter.

Was soll ich bloß machen, es ist dieser Kulturwandel, nicht der Klimawandel, den ich wirklich für bedrohlich halte, der mir hier zu schaffen macht.

Er kennt zwar keine Naturgesetze, ist aber von natürlicher Gewalt. Selbst aufgeklärte Geister glauben nicht mehr an den Diskurs, sondern weit mehr an Rabbatz, jene Form des halbstark, halbjugendlichen Protests, der auf digitalen Hauswänden immer viel schlechter aussieht, als in jeder Realität und folglich meist bös´ ausgeht. In der Aufmerksamkeitsökonomie zählt aber Minus fast wie zweimal Plus. Die Webgemeinde hat von den medialen Polemikern gelernt, denen ihre verhandelten Sachen auch nur von Sonntag bis Freitag, -am Samstag ist Shopping-, wirklich was wert sind. Dafür gibt es tatsächlich Gagen, Honorare, Aufträge, und in Communities, die Aufmerksamkeit.

Ihr sollt das wissen, ich drück´ es euch aufs Auge.“, das ist der Alltag, das pralle Leben, Authentizität pur, die es abzumelken gilt. Weil Redaktionen grundsätzlich und allermeist, heute direkt unter jenen Dächern wohnen, die bei Hitze schwach entlüften und bei Kälte überhitzen, merken sie nicht einmal den Drall, den Spin, der in dieser Angelegenheit vorherrscht und so täglich bestätigt wird.

Musik für den digitalen Maschinenraum, Philippe Katerine, Musique D´ Ordinateur,

http://www.clipfish.de/musikvideos/video/3725043/katerine-musique-dordinateur/

Der Maschinenraum nagelt derweil seine Bulletins an, als sei die regelmäßige Mitteilung des digitalen Heizers schon eine Kursbestimmung. Was muss eigentlich noch modernisiert werden? Es genügte doch, alles einfach durchzustreichen! Es gibt nicht einmal mehr einen virtuellen Kummerkasten auf den Seiten der einzigen Mitmach-Zeitung des deutschen Mediastaates. - Herrschen denn da schon die Schmoller, die sagen es geht unbedingt schief, weil vom Leservolk nicht zustande kommt, was sie sich selbst auch nie ausdachten? „Wir wollten doch nur ein paar schöne Postkarten von euch, ihr lieben Leser und Mitmacher.“

Bleiben noch neckisches Spiele: „Hey, ihr Fans und kommunalen Spieler, schreibt euer schönstes Erlebnis und gewinnt einen Nixda. Winkt in die Kamera, postet es uns! Pinkelt an verbotene Wände! Filmt es und schickt es online! Zeigt fickende Bäume und diskutiert möglichst breit das Negroide dazu! Bettet Kuriositäten sauber ein und rettet, so unverschämt selbstaufgeklärt, die Vorhäute der Jungs eurer Nachbarn. Die kennt ihr zwar nicht, wollt sie auch nicht wirklich kennen lernen und schätzen noch viel weniger.

Philippe Katerine, Juifs Arabes (2010),

http://www.youtube.com/watch?v=UbbWPDwAVq4

Es ist euer Menschenrecht. Ihr nehmt es euch einfach heraus und schreibt es bei jeder passenden, aber noch viel lieber, bei jeder unpassenden Gelegenheit hin. So frei seid ihr schon wieder.

Tretet! Tretet auf und tretet nach! - Wir bringen das, auch wenn wir sonst nichts bringen. Dafür haben wir die Schreibgrenze für Journalisten, das was sich Redaktion nennt, für euch alle aufgehoben.

Daran glauben, so seh´ ich es, leider immer gerade Neunundneunzig von Einhundert zu sehr, selbst unter denen die Recht haben. - Da hilft nur noch Abstand.

Philippe Katerine, „Toi mon toit“ d'Elli Medeiros(1986):

http://www.youtube.com/watch?v=0Gd3PTj7o-g

Christoph Leusch

PS: Gut gefallen hat mir Eva Ricarda Lautschs Kurzbeitrag zu einem anderen, gerade aktuellen, aus einer Laune heraus entstandenen Selbstreferenzialitätsthema ("Ich habe mich ´mal beschäftigt." ):

" @Maike Hank hat Recht. Wäre es für die Community darüber hinaus nicht viel interessanter, über ihre eigenen Themen hinausgehende Beiträge zu schaffen, statt um sich selbst zu kreisen? Das würde vielleicht auch das Abdriften von Diskussionen ins Persönliche verhindern und wäre auch für Neuzugänge interessant."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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