"Der Freitag" und die ökologische "Wahrheit", das Wochenthema

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Der Freitag und die biologische „Wahrheit“

Wie man ein Thema zu Boden schreibt.

Es frühjahrt und die Hormone lassen alles Mögliche sprießen. So macht(e) das Wochenthema des „Der Freitag“ mit dem Thema „Wir Ökoheiligen, Die Wahrheit über den Kult des korrekten Konsums“, einen Versuch.

Titeln wie die BILD, Wahrheitsansprüche wie das Großbuchstabenblatt? :

Es gibt tatsächlich ökologisch denkende Konsumenten, Umwelt-Heilige, fanatische Bio-Gläubige und „Prenzlbergbewohner“ (Ein einschlägig bekannter Stadtteil Berlins), die schon beim Eintritt in den Bioladen an der Ecke ein Erhebungsgefühl erfahren. Die gehen mir, auf gut Deutsch, „auf den Sack“. Aber etwas sagen und breitstreckig dazu schreiben?- Niemals!

Die „Wahrheit über Bio-Produkte“, die steht sicher nicht in diesem „Freitag“.

Auf jeden Fall wäre ein bisschen mehr Wahrhaftigkeit, vielleicht nur vier Thesen mit etwas mehr argumentierendem Text dazu, bei einem solchen Wochenthema (der Vorlauf ist ja redaktionsseitig sicher viel länger) sinnvoller gewesen.

Damit diese Botschaft saß, gab es eine „Text-Breitseite“. Um die Wirkung noch ein wenig zu verstärken, wurde bewußt thesenhaft gearbeitet, also gar nicht lange ein Argument begründet, sondern gleich ein Sträußchen zusammengeschweißt und eingeblistert. - Eine solche „Breitseite“ lese ich so, wie ich einen grundlos gefällten, alten Baum vor meiner Türe tief bedauere.

Heilige und arme Sünder:

Birgit Peuker gibt den Einleitungsartikel „Wir Ökoheiligen“. Sie wendet sich an Freitags-Leser, meint aber doch mit dem generellen „wir“ die Bevölkerung überhaupt. Im Teaser heißt es, „In der Tat gibt es viel zu kritisieren, wenn auch nicht alles.“ - Wieviel will den Frau Peuker übrig lassen? "Wir" werden es nicht erfahren, nirgendwo im kurzen Artikel gibt es eine Vertiefung dazu.

Warum ausgerechnet Hybrid-Autofahrer und ihre Fahrzeuge, sofern Frau Peukert diese überhaupt unterwegs erkennt oder hört, „Kritik geradezu herausfordern“, das erklärt sie mir, dem Leser, nicht. Jedenfalls bleibt es hier ebenso sachlich unerklärt, wie das Bashing gegen Leute die Öko-zertfizierte Windeln kaufen und gegen jene, die in Discountern grundsätzlich, oder doch wenigstens häufiger, zu Öko-Siegel-Produkten greifen. - Meist ist es ja nur das der EU-Siegel, das auf der Ware prangt! Schon das ist aber ein gehöriges Maß umweltfreundlicher, im Vergleich mit dem, was ohne Öko-Siegel landwirtschaftlich und industriell legal möglich ist und auch gemacht wird.

Das EU-Siegel spart sowohl beim Stickstoffaustrag, als auch bei der produzierten CO-2 Menge, sowohl bei der Phosphat-Last, als auch bei der Zahl und Breite der einsetzbaren „Pflanzenschutz“-Mittel, bei den Pestiziden (gegen tierische Organismen) und den sonstigen Bodenverbesserern. Es unterstützt Stoffkreisläufe, die in der konventionellen Landwirtschaft weder für die Tiermast, noch für die Pflanzenproduktion eingehalten werden müssen.

Bei der konventionellen, „unbesiegelten“ Landwirtschaft muss ertragstechnisch beständig durch Naturentnahmen an anderen Orten und durch technische Produktion, die ihre Grundstoffe ebenfalls genau dort holt, wo sich Arme mit ihrer Primärproduktion nicht mehr durchsetzen können, nachgeholfen werden. Auf den guten Böden Zentral- und Mitteleuropas wäre das gar nicht notwendig. Die Produktion reichte trotzdem für uns Alle, selbst wenn zu 100%, statt derzeit ca. 5%, ökologisch gewirtschaftet würde. - Allerdings gäbe es mengenmäßig weniger, dafür aber besseres Fleisch. Wäre das so schade?

Ob dann, mittel- und langfristig, sich die Lebenserwartung und Lebensqualität verbesserte, sowie die allgemeine Gesundheit befördert würde, -ich persönlich bin durchaus überzeugt-, wie will man es vorher testen? - Selbst dieses EU-Siegel, es wurde gerade neu designt und für alle Euro-Länder und für Importeure verbindlich, gilt als aufreizend kritikwürdig!

Hilfe, ein Hybrid fährt um die Ecke!:

Nun, der Hybrid wäre vor allem bei den Kurzwegefahrten, also z.B. in der „Provinz“-Berlin an Freitag-Nachmittagen, spritsparend, vom Fahrgeräusch (auch Lärm ist Umweltverschmutzung). Dort wo es langsamer zugeht (im Schnitt 22,5km/h), wäre es deutlich leiser. Die Fahrzeuge produzierten weniger Abgase und Feinstäube (Umweltzone), und sie sind die erste „Brückentechnologie“, weg von den reinen Verbrennungsmotoren.

Zustimmen kann ich der Kritik an Werbung und Marketing, ganz ausdrücklich der Kritik an der Bionade-Werbung. - Die „Bionade(R)“ ist zwar am Prenzlberg ein Statussymbol in der gastronomischen Außenbewirtschaftung, ein wichtiges ökologisches Lebensmittel ist sie nicht.

Es geht um Brot, Käs´, Reis, Weizen, Butter, Mais, Öl, Milch, Wurst und Schinken, Fleisch, Gemüse, Obst und Gewürze, nicht um Bionade:

Worum es wirklich geht bei Bioprodukten, das ist die Verringerung der Bodenbelastung, das ist ein konsequenter Schutz der Bodenvielfalt, das sind Einsparungen bei Schwermetallen und Niratmengen in der Produktion, das sind geschlossene Stoffkreisläufe, das ist, nach Möglichkeit, eine lokale Produktion und das sind, weil das Siegel auch für Importe gilt, Anbaubedingungen in den Schwellen- und Drittweltländern.

Die Arbeitsbedingungen verbessert selbst das Biosiegel insofern, als es Lohnarbeitern auf Bio-Siegel Betrieben, -sofern sie nicht auf Gütern arbeiten die beides machen und laut EU auch dürfen (!)-, zumindest erspart, einem Cocktail an Agrochemie ausgesetzt zu sein. Sie müssen auch mit erheblich weniger Stickstoffdünger hantieren, der bei der Ausbringung ohne Schutz sehr gefährlich ist.

Haben also die alltäglichen "Biokäufer- Menschen" in der Mehrheit ein penetrantes Sendungsbewusstsein, wie Frau Peuker es unterstellt? Glauben diese Leute wirklich, sie heilten die Welt, wenn statt der Cola eine Bionade "Unter den Linden" serviert wird? - Nein, das ist derweil gerade die „Der Freitag“ -Redaktions "Wahrheit".

Die Geschichte der Ökologie in die Nähe des Außenseitertums gerückt:

Im Absatz „Zurück zur Natur“, am Ende steht wenigstens einmal ein „grob“, was die Art und Weise der hier vorgenommenen Zurichtung insgesamt charakterisiert.

„Damals schon wurde Rousseau mit seinem Ruf „Zurück zur Natur“ von den Aufklärern aus Paris belächelt.“ - War nicht Rousseau ein Mitglied des Aufklärersalons? Ist nicht sein „Contrat Social“ die Gründungsurkunde für fast jeden intellektuellen Sansculotten?

Die Kritik und der Spott Voltaires bezog sich ja gerade nicht auf einen ökologischen Text Rousseaus. In seinem „Exkurs über die Ursachen der Ungleichheit unter den Menschen“, formulierte der Weise vom Genfer See jenes programmatische „zurück zur Natur“. - Die Verwendung des Begriffs im aktuellen Zusammenhang, der Bezug zu Rousseau hier, bei der Frage nach einer landwirtschaftlichen Ökologie, geht an einem Versuch zur Wahrhaftigkeit beizutragen jedenfalls vorbei.

„Mit der Verstädterungswelle an der Schwelle zum 20. Jahrhundert tauchten dennoch die ersten Naturschützer auf,....“ - Darf man fragen, was das „dennoch“ hier bedeuten soll?

Die allerersten Stadtökologen und Urbanisten waren Wetterkundler, zumindest Wetterbeobachter. Sie beschäftigten sich auch nicht vornehmlich mit der Natur, als einer vom Menschen abgesonderten Einheit mit Eigenrecht, sondern waren um die Belüftung und Hygiene der engen Massenquartiere, um die Masse an schwefligem Kohlenruß, um das Grundwasser und die regionale Hygiene, sowie um die Lebensmittelversorgung besorgt. Die Ökologie selbst, als Biowissenschaft, hat Väter und Mütter von Darwin, übewr Heckel, den Namensgeber, bis zur Systemtheorie.

Erste Dachgärten gabe es in Berlin vor mehr als hundert Jahren und die ganze Geschichte der suburbanen Räume, mit Grabeland, mit der „Gartenstadtidee“, -sogar später, beim Bauhaus, gab es Hausgärten-, läuft in eine diametral andere Richtung, als im Artikel unterstellt.

„Grob lässt sich sagen: Während Konservative die Natur und mit ihr verbundene Lebensformen verklärten („die bäuerliche Scholle“), sahen Linke auf dem Land die Möglichkeit, neu anzufangen und alternative Lebensformen auszuprobieren.“ -Nicht einmal grob stimmt das. Es ist geradezu eine Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse.

Die Trennung der Bauern von der Scholle, die Landflucht und die Mechanisierung und Motorisierung der Landwirtschaft waren die Gelegenheit, -eine letzte Chance- , sich als Grundbesitzer in ein absolutes Herrschaftsverhältnis zu den wenigen verbliebenen Lohnabhängigen zu bringen und die eigentlich obsolete Form des „Landjunkers“ (ein adliger oder geadelter Großgrundbesitzer) bis ins erste Drittel des 20.Jh. aufrecht zu erhalten. Eine Quadrivium aus Funktionen sicherte diesen Zustand: Erstens der Großgrundbesitzer selbst, auf seinem Eigentum, obwohl er dort häufig nicht lebte, die Arbeit von Verwaltern abwickeln lies; zweitens ein staatliches Amt vor Ort, im Bezirk,im Kreis, möglichst persönlich ausgeübt; drittens ein militärischer Dienst; viertens, der Einsatz der gerade fortschrittlichesten Mechanik und Arbeitsteilung, einschließlich der völligen Kontrolle der Arbeitenden. - Ironie der Geschichte: Bei den Stalinisten, den Erzkonservativen des Kommunismus, da gab es so etwas wie die propagandistische Schollenverehrung.

Die „Lebensreformisten“, eine Marginalie, sofern man die zahlriechen kulturellen Aspekte des „Monte Verita“, Worpswedes, etc., einmal ausblendet, sowohl was den allgmeinen politischen Einfluss, als auch was die Zahl der Mitglieder angeht, verstanden Rousseaus Satz wenigstens richtig, d.h. nicht als eine Reform der Naturwahnehmung, sondern als eine menschlich-kulturelle Umkehr. Der klassische Naturschutz, d.h. der Schutz bedrohter Arten und Tiere, der hat damit nichts zu tun.

Ihnen ging es vornehmlich um den Menschen, einen „natürlicheren Menschen“, der anders wirtschaftete, anders wohnte und eine andere Kultur pflegte ( freier Tanz, leichte, nicht einengende Gewänder, freizügigere Sexualität, Körper- und Seelenkult, Spiritualität). Vielleicht hatten sie noch Einfluss auf die Entstehung von Reformhäusern, bei speziellen Diätformen, beim Vegetariertum, aber mit Bio-Siegeln, gar übertriebenem Ökologismus, oder gar Schollengebundenheit, hatten sie nichts am Hut. - So etwas in eine Verbindung mit einer Fundamentalkritik an der Lebensmittelkennzeichnung und dem ökologischen Landbau zu bringen, mutet zumindest seltsam an.

Nun zum Artikel: „Bio-Essen ist gar nicht gesünder“ (These 3) von Katja Töpfer.

Die erste handfeste Quelle für Frau Töpfer ist dabei die britische Food Standards Agency (FSA). Das klingt so seriös, wie „Öko-Test“ oder „Stiftung Warentest“ und ist dazu noch halbstaatlich.

Nun, wer sind die Organisatoren und Bestimmer bei FSA? - Außer dem ehemaligen Labour Minister Jeff Rooker, unter anderem war er auch für Agrarisches zuständig, firmieren dort vor allem Leitungspersonen aus der Nahrungsmittel- und Pflanzenschutzmittel-, bzw. der Agrochemie, sowie aus der konventionellen Landwirtschaft.

Co-Chair bei der FSA ist Dr Ian Reynolds, „ He has spent most of his career in healthcare, working for Cyanamid, Glaxo and Pitman-Moore on new product development and EEC regulatory affairs before leading organisations in both the public and the private sectors as Chief Executive of Nottingham Health Authority and then of Priory Hospitals Group.“ Das nächste Mitglied, Professor Graeme Millar, kommt ebenfalls aus der konventionellen Industrie. Sein Hauptgebiet lag aber vorwiegend bei Gesundheitsdienstleistungen. John Spence, der nächste in der Reihe, ist ein walisischer Regionalpolitiker und ehemaliger hoher Beamter im Gesundheitsbereich. Professor Maureen Edmondson, die nächste im Reigen, kommt von „Mars Incorporated“ (Mars-Riegel und Co.!!). -Sie habe den Zugang zur europäischen und internationalen Nahrungsmittelgesetzgebung und Politik vermittelte (sic!), verkündet stolz die Webseite der FSA.

Auch Professor Sue Atkinson CBE, die nächste im Board, hatte weniger mit Food safety oder mit der Bio-Landwirtschaft und Bio-Produkten zu tun, sondern kümmerte sich bisher vornehmlich um Hygiene und Baufragen, sowie als Ratgeberin um die Bewerbung zu den Olympischen Spielen 2012. - Eine typische Multifunktionärin. Tim Bennett, das ist der „Hit“ im Board: „Tim was Deputy President and then President of the National Farmers Union of England and Wales between 1998 and 2006.“ Eine Menge weiterer Funktionen werden aufgezählt. Der Knüller in seiner Vita: Auf dem Altenteil, -solche Leute kennen keine Rente oder Pensionierung, für die geht es immer weiter-, baut er gerade seinen eigenen Betrieb, einen Groß-Hühnerhof, „organic“ um. - Altersweisheit, oder hat er genug auf konventionellem Wege auf die Seite gebracht?

Margret Gilmore, ist eine Journalistin mit den Spezialgebieten „Homeland Security und Umwelt“(sic!). Clive Grundy, „... Senior management positions in the manufacturing and service sectors working for Chrysler, Massey Ferguson (Traktoren, Erntemaschinen), Grand Metropolitan and Compass Group, where he became the Group Human Resources Director on the PLC Board from 2002 until 2005“.

Michael Parker ist ein Ökonom mit den besten Elite-Universitäts Diplomen, aber eher tätig in der Krankenhausökonomie. Der Nächste, „Chris Pomfret brings over 30 years of experience in the Food industry to the FSA Board. He has a profound knowledge of the sector, having worked for Unilever, primarily in Frozen Foods and Ice Cream, since 1971 in the UK, Trinidad, Brazil, France and the Netherlands.“ Nancy Robson so könnte man vermuten, war vielleicht tatsächlich eine Zeit lang mit Verbraucherschutz beauftragt, jedoch, ihr Hauptanliegen bezog sich auf das britischen NHS. Nun interessiert sie sich für die Vermarktung der Region Schottland als Reiseziel und für Kindernotrufe. Sehr offen wird die Tätigkeit ihres Sohnes gleich mit angegeben. Der, Fraser Robson (Sohn), „is a Senior Associate with global private equity firm The Carlyle Group. The Carlyle portfolio is listed on this group's website.“ Dr. David Cameron schließlich, kommt von der Fischindustrie.

Diese Leute haben kein Interesse, die „Organic“-Produkte gut aussehen zu lassen und ein großes Interesse daran, sie als besonders schlecht hin zustellen. Der quasi offizielle Rang der FSA gibt der „Studie“ eine Reputation, die ihr gar nicht zukommt. Daher vergaben sie den Studien- Auftrag auch nicht an ein renommiertes, unabhängiges Forschungsinstitut für Landbau, sondern an ein hygiene- und tropenmedizinisches Institut!

Von 3558 recherchierten Artikeln zum Thema aus englischsprachigen Fach-Magazinen, von 1958-2008, wurden nur 162 spezieller untersucht. Schon die Auswahl erfolgte hier nur mit einem Suchcluster und ist völlig willkürlich. Die ganze zweigeteilte Studie hat zweimal ca. 25 DIN A4 Seiten und einen Haufen Anhänge! Für ein bahnbrechendes Werk auf dem Gebiete des „Evaluation“ in einer so heiklen Frage spricht dies eher nicht. Allerdings spricht viel für einen hohen statistischen Aufwand (siehe die Anhänge). - Nur, Statistik verhilft nicht zu Kausalität, sondern höchstens zur Absicherung von Korrelationen. Schon die niedrige Zahl der überhaupt zum Thema recherchierten Studien hätte doch hellhörig machen müssen. Schon aus arbeitstechnischen Gründen sind dann gerade einmal 4,5% ernsthafter ausgewertet worden.

Ich verlasse mich deshalb lieber auf die Ergebnisse aus einem mehr als 22-jährigen Vergleichsanbau an der Cornell-Universität, bei dem die Wissenschaftler am Ende für Getreide und Soja keinen signifikanten Unterschied in den Hektarerträgen konventioneller und organisch bewirtschafteter Flächen finden konnten (www.news.cornell.edu/stories/July05/organic.farm.vs.other.ssl.html ).

Das heißt, die Umweltvorteile eines ökologischen Anbaus (Bodenökologie, Energie, Zusatz- und Giftstoffe, Vielfalt von Flora unds Fauna) sind nicht einmal ertragsmindernd! Was natürlich deren Kapazität Kohlenstoff im Boden zu binden und Mineraldünger ein zu sparen, noch wertvoller macht. Das deckt sich auch mit den Studien, die die Höfe in der Umstellung von konventioneller auf organische Landwirtschaft begleiten, und mit voneinander unabhängigen Ergebnissen aus der Schweiz und Österreich, die beim Bio-Anbau weiter als Deutschland sind ( www.fibl.org/de/themen/klima.html ).

Pflanzenschutzmittel und Pestizide in Lebensmitteln:

„Doch ist diese Angst heute noch begründet? Fest steht, dass der öffentliche Druck auf die Lebensmittelhersteller Wirkung gezeigt hat.“ - Die Grenzwertüberschreitungen bei Salaten und Gemüsen im konventionellen Landbau sind notorisch und führen jedes Jahr wieder zu erschreckenden Ergebnissen der dafür zuständigen, schwach besetzten Behörden und bei den alljährlichen Stichprobenritualen durch die NGO´s. - Ja, die Lage ist besser geworden, denn die Einhaltung der Grenzwerte ist ja wohl das mindeste, was gefordert werden darf und da hat sich von 2005 bis heute, tatsächlich etwas getan.

Was aber bei genauerer Betrachtung auffällt, das ist die mittlerweile auch erkennbare Polypragmasie (Viel von vielem Verschiedenen hilft viel!) bei der Anwendung ganzer Pflanzen-Schutzmittel-Pakete in der konventionellen Landwirtschaft, die nicht nur eine horrende Artenarmut der Anbauhybride, sondern auch eine völlige Systemabhängigkeit der anwendenden Bauern bedeuten. Viele Spritzzyklen hintereinander hinterlassen ihre Spuren. Das erstaunt, weil doch bei den Grundprodukten in der Pflanzenproduktion moderne Total-Herbizide und Pestizide der jüngeren Generation, a) die Wirkung eigentlich verbessern sollten, b) die Zahl der verwendeten Substanzen reduzieren sollten, c) die Vielfalt der begleitenden Flora und Fauna verbessern helfen sollten. Das ist aber ausgeblieben.

Wohlweislich bleiben die gesetzlich maßgeblichen Belastungen unter den vorgeschriebenen Grenzwerten. Wenn nicht, müssten die Produkte allesamt vom Markt genommen werden. Aber diese Grenzwerte signalisieren nur den Bereich der konkreten Gefahrenabwehr.

Was viel eher einen Blick auf die Verhältnisse gestattet, das ist der Vergleich der zulässigen Verfahren und Mengen, nach EU-Biosiegel-Verordnung und der Praxis in der konventionellen Landwirtschaft. - Wer sich das genauer ansieht, der ahnt, die EU-Ökoverordung ist der wünschenswerte Standard für die Zukunft der gesamten Agrarproduktion und die strengen Biosiegel der Anbauverbände wären das „Sahnehäubchen“ für Menschen mit speziellen, vielleicht auch eingebildeten, Bedürfnissen.

Mittlerweile boomen zwar die Bio-Produkte, aber der Anteil an „Bio“ aus deutscher Produktion, verglichen mit dem konventionellen Anbau, macht eine Restgröße von 5% aus.

Anna- Lena Krampe, „Bio aus dem Discounter ist böse“, hat am Ende ihres Artikels eine sehr gute Idee, die sich doch mit dem deckt, was insgeheim in der sich einstellenden Vierteilung des Lebensmittelmarktes steckt.

Die aktuelle Vierteilung sieht so aus: Die Basis für alle Produkte stellt die Einhaltung der EU-Richtlinien-Grenzwerte dar. Wer hier nicht die gewünschte Qualität liefert, der muss vom Markt (derzeit mühselig zu administrieren) und macht sich straftbar (die Strafen sind derzeit lächerlich niedrig und zudem liegen die Aufklärungsquoten etwa auf dem Niveau der Ermittlungen bei Fahrraddiebstahl).

Schon darüber liegen die konventionellen Produkte, die in Deutschland unter dem Begriff „aus integriertem Anbau“ verkauft werden. Landwirte, die so wirtschaften, verpflichten sich zur guten fachlichen Praxis und halten Stoffkreisläufe ein.

Die nächste Ebene bilden die Standards nach EU-Ökosiegel. Deren Werte und Vorschriften wären eine 100%ige Wunschvorstellung, ein Ziel für die gesamte Agrarproduktion in der EU. Die Kosten für die Verbraucher hielten sich fast auf dem Niveau des derzeit erreichten Tiefstandes, bezogen auf den Anteil am Einkommen. Die Umweltentlastungen wären jeoch gewaltig. - So aber, bleibt es bei den derzeit knapp 5% Bioanbau in Deutschland. Das ist eine lächerlich niedrige Marge für die Welt-Umweltschutznation Nr. 1.

Die nächste Stufe sind dann die eigentlichen Bio-Siegel der Anbauverbände, die sowohl die Inhalte der Produkte, als auch die Methoden zu ihrer Herstellung und die Arbeitsbedingungen mit einbeziehen. - Derzeit gehen die Milliarden-Subventionen der EU weiterhin für eine unsinnige Agrarexportindustrie, für die konventionelle Tiermast und Grünlandwirtschaft und für einige wenige Massen-Agrarpflanzen in der Lebensmittel-, Futtermittel- und Energiepflanzenproduktion drauf.

„Öko-Test verdient kein Vertrauen mehr“

Wenn es schon kein Fertig-Müsli meines Vertrauens mehr geben kann, liebe Frau Langer, dann gibt es auch keinen „Der Freitag“ meines Vertrauens mehr. So geht es mir mit dieser steilen Thesensammlung zum Wochenthema.

Warum haben Sie sich „sklavisch“ an Testberichte gehalten, z.B. beim Kinderwagenkauf, anstatt den mit Kind und Kegel zu testen? Der „Katze im Sack“ -Kauf wird doch nicht ohne Ihre persönliche Beteiligung und Anwesenheit erfolgt sein ?

Für mich hört sich diese Einleitung an, als wollten Sie zur Stichwortgeberin für eine ZEIT/TAGESSPIEGEL-Martenstein-Kolumne avancieren, nach dem Motto, ich die Gründerin von „utopia.de“, die Verfechterin des „strategischen Konsums“, war so wenig meines eigenen Verstandes mächtig, dass ich nur noch „Öko-Test“ und „Der Freitag“ las, um schließlich so, lesend verblödet, mir sofort einen karrig-sperrigen Kinderwagen und eine der sechs, um Hausnummern zu großen, „Freitags“- Ökothesen andrehen lies. - Gekauft, wie gelesen! Dann sollen Sie auch noch mit „Öko-Test“ gebaut haben? Ich hoffe, sie hatten einen Architekten, eine Baufirma und vielleicht sogar einen Energieberater!

Nichts für ungut, das klingt Alles naiv und vor allem fürs Leserpublikum gestellt! Das traut Ihnen, Frau Langer, doch kein vernünftiger Mensch zu! Versöhnlich stimmt natürlich, wie wahr, Alle müssten für Alles, Stoffkreisläufe und Fertigungen komplett ökologisch durchrechnen.

Kathrin Zinkants gewollt provokanter Titel lautet: „Bio-Produkte schaden Umwelt und Klima“:

Zunächst geht es um Kupfer, welches tatsächlich für aquatische Lebewesen, also z.B. Fische, Amphibien, sowie für Erdwürmer ein hohes Belastungsrisiko darstellt. Ebenso für Bienen, zumindest dann wenn es intensiv angewendet wird.

Kupfer wird im Wein und Tomatenanbau eingesetzt. Es ist für Biowinzer noch erlaubt, für konventionelle Winzer eigentlich schon länger verboten. Besonders die Region Bordeaux leidet trotzdem weiter, wohl aber eher unter der gängigen Praxis sehr vieler Winzer und nicht nur der Ökowinzer. Wobei letztere Kupfer auch nur in sehr niedriger Menge anwenden dürfen. - Aber, das Kupfer ist eher ein Randphänomen und gerade kein Grund, warum Verbraucher so dumm sein sollten, bei der relativ geringen Preisspanne für beide Produktgruppen, nicht die ökologisch produzierte Ware zu kaufen.

Frau Zinkant berichtet über die Ergebnisse einer internationalen Konferenz in Clermont-Ferrand, 2008, die zur Frage Stellung bezog, ob sich mit organisch wirtschaftender Landwirtschaft eine Senkung der Treibhausgasproduktion erzielen lässt. Die Konferenz bejahte das grundsätzlich und fordert im Abschluß-Fazit sogar, Methoden aus der organischen Landwirtschaft auf die konventionelle Betriebsführung zu übertragen! Ohne den Beitrag einer solchen weiteren Umstellung seien die Klimaziele nicht zu erreichen (ftp://ftp.fao.org/paia/organicag/brochure_enita_en.pdf ).

Die derzeit umfassendste Bestandsaufnahme der Klimawirkung der Landwirtschaft in Deutschland hat das „Institut für ökologische Wirtschaftsforschung Berlin, 2008/neu 2009, im Auftrag von foodwatch e.V. Berlin, vorgestellt. -Wer die sehr einfach lesbare Studie in der überarbeiteten Fassung kennen lernen will: www.ioew.de/uploads/tx_ukioewdb/IOEW-SR_186_Klimawirkungen_Landwirtschaft_01.pdf . Hier werden auch sehr akribisch unterschiedliche konventionelle und biologische Wirtschaftsformen miteinander verglichen.

Auf diese Studie bezog sich auch die in der Presse weiter getragene Bewertung, ökologische Landwirtschaft sei klimaschädlicher als konventionelle Landwirtschaft. Wer jedoch die Studie durcharbeitet und die Empfehlungen der Wissenschaftler zur Weiterentwicklung liest, der sieht den Vorteil der ökologischen Landwirtschaft bald schon wieder ein.

Nicht von ungefähr empfehlen die Forscher im Abschlussteil ausdrücklich eine Umstellung der kompletten Landwirtschaft auf ökologische Produktion. Unter Punkt „10.4 Maßnahmen für mehr Klimaschutz in der Landwirtschaft“, befürworten sie acht Aktivitäten: 1.Wiedervernässung von entwässerten Moorflächen, 2. Umstellung auf ökologischen Landbau, 3. Optimierung des Düngemangements insbsondere im konventionellen Landbau, 4. Klimaschutzoptimierte Stallhaltung, 5. Erträge und Leistungen steigern, insbesondere bei der Milchviehhaltung, 6. Nutzung von Gülle und Mist in Biogasanlagen ausbauen, 7. Rinderhaltung klimatechnisch optimieren, 8. Import von besonders klimaschädlich produzierten Futtermitteln reduzieren. -Forschungsbedarf sehen sie hinsichtlich der klimafreundlichen Landnutzung und bezüglich der Konsummuster.

Christoph Leusch

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