Der Hainich, Wildnis als Kulturprodukt

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Der Hainich, Wildnis als Kulturprodukt
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Der Hainich ist Deutschlands jüngster und kleinster Nationalpark. Er liegt ziemlich genau in der neuen, alten Mitte unseres Landes, der historischen Heimat der Bauernkriege, Reformatoren und schussscharfen Grenzen, der Heimat des Eichenstumpfs am Ettersberg, mitten im Lager Buchenwald. Der Wald aus Buchen liegt aber auch mitten im Land der musikalischen Bachs, mit welchem Vornamen auch immer, mitten im Territorium der heiligen Elisabeth von Thüringen, gütig den Armen und Kranken.

Zunächst erweist sich der so spezielle Wald als ein verspätetes und ungeplantes Geschenk der Aktivitäten der Nationalen Volksarmee, die wie ihr Westpendant, die Bundeswehr, Schießbahnen und Truppenübungsplätze brauchte. Sie sprengte dafür die Siedlung Ihlefeld im Hainich weg und böllerte noch eine Weile auf die Ruinenreste. Dann schlug der Mantel der Geschichte eine größere Falte und schuf, wie auch entlang des „grünen Bandes“ an Stelle der ehemaligen innerdeutschen Grenze, Raum für ein paar kreative, ja geniale, naturschützerische Willensakte.
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Auf zumindest 6500 Hektar der verbliebenen 16 000 Hektar zusammenhängenden Waldes, den angrenzenden Heideflächen, Heister-,Wiesen- und Heinfluren, darf unsere heimische Natur machen was sie kann. Auf der restlichen Fläche ist eine ökonomische, bzw. landwirtschaftliche Nutzung weitgehend an strenge Auflagen gebunden. Dort möchte man die historisch entstandene, aber erstaunlich urwüchsige, Plenterholzwirtschaft erhalten.http://1.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/THLxc4utmtI/AAAAAAAAAao/odE8N3PZkjU/s640/100_5109-1.JPG

Ankunft Irgendwo hinter Eisennach geht es, Kreisel um Neubaukreisel, ins Werratal, dann, bei Mihla und Nazza noch ein wenig den Berg hinauf nach Wernershausen. Ende der Ausbaustrecke. Auf Schotter und alten Betonplatten, wieder über ein Stückchen Asphalt, vorbei an den Gebäuden einer ehemaligen LPG, führt der Weg bis auf die Hainichhöhen.

Im dämmrigen Dunkel steht im Osten der dichte Wald und nach Westen fallen die Wiesenhänge hinab zur Werra. Nebel wabert. Im Südosten ziehen ein paar preußischblaue Tintenwolken durch, werden stahlgrau, bevor sie sich in die Nacht auflösen.

Die erste halbe Stunde passiert nichts. Augen, Ohren und Nase sind verstopft, angepasst an die geschäftige Geräuschkulisse in der Ebene, im Alltag, dann überwältigt einen die belebte Stille. Es ist ruhig hier, am Abend, und aus der Ruhe kommen Stimmen die an vielen Orten Deutschlands so gar nicht mehr wahrgenommen werden können, weil mechanische Geräusche, von der nächsten Straße, von den Städten als Ganzes, von einem Flughafen, immer hörbar bleiben.

Grillen zirpen, Wildschweine grunzen, eine Eule ruft, und gegen die Dämmerung flattern Bechstein-Fledermäuse an. Wahre Nachtfalken sind das, denn sie haben das Rütteln in ihrem biologischen Programm. Die Tiere mit den großen Ohren fliegen zappelig in Bodennähe die Ruheplätze von Insekten ab. Manchmal bleiben sie über einer Karde stehen, wie ein zu groß geratener Kolibri. Da sitzt dann ihre leichte Beute.

Bald riecht es nach Wild, bald atmet man das Aroma würzigen Grases entlang des Wegrains, bald wird man Duftspurenkundiger. Eine Wildschweinrotte zieht durch die ungemähte Wiese, "Schschsch-schschsch-schschsch". Der Atem der Tiere geht schnaufend. Da läuft eine Welle durch die aufgeschossenen Gräser. Dann ist das letzte Licht weg und für eine Zeit bleibt es still. Kröten wandern lautlos über den Weg. Ein Fuchs schnürt gegen das Abendlicht die Feldflur entlang.
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Die geschäftige Stille vor dem Wald ist keine dieser touristischen Stillen. Nirgendwo das leise Plappern und Schnattern anderer Urlauber an lauen Sommerabenden, so beruhigend und immer hintergründig, nirgendwo ein Servicebetrieb, nirgendwo Essensgerüche, Geschirrgeklapper oder Musik. Ab und zu barkt auf einem Gehöft ein Hund, Gänse schnattern kurz eine Warnung in die Nacht. -Vor dem Fuchs, den man sah? Wer weiß. - Hier schläft man gut.

Waldland Germania
Die Römer hatten keine Angst vor den Germanen, selbst wenn sie die Varus-Schlacht im Jahre 9 nach Christi Geburt drei Legionen kostete. Sie blieben trotzdem im Land, handelten an der offenen Grenze, stießen manches Mal ins „freie Germanien“ vor. Bis um 260 nach Christus hielten sie an ihrem obergermanischen Limes fest. Es gab keinen Grund zum Rückzug. - Schulbücher und Zeitungen verlangt es jedoch nach dem ausführlichen Wehklagen des Augustus. Das klingt.
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Der Hainich und das Unstruttal vor 3000 Jahren

Die Römer hatten aber Achtung vor dem schier undurchdringlichen Wald. Die Gründe für diesen Respekt kann erahnen, wer in den sommerlichen Hainich hinein wandert. So, wie auf diesem kalkigen Thüringer Waldrücken, sah es in Germanien aus, während rund um das Mittelmeer das Holz knapp wurde. Der Blick verstellt sich erst langsam beim Eintritt in die grüne Wand. Wer aus den hellen Sommerwiesen einwandert, der sieht eine knappe halbe Stunde wenig. Wieder braucht es eine Zeit, bis der festgefahrene Sinn das Sehen lernt.

Grünes Dunkel
Durch den Hainich läuft ein Rennstieg. Das ist ein alter Pfad mit wenig Höhenunterschieden, entlang der Kammlinien eines Gebirgszugs. Sein berühmter Vetter der Rennsteig, beginnt, nicht weit entfernt, vor den Toren Eisennachs im Örtchen Hörschel und zieht dann durch den Thüringer Wald zum großen Inselberg hinauf und wieder hinunter, bis nach Blankenstein. Den Inselberg sieht man an klaren Tagen vom Rücken des Hainichs. - Die Wanderer waren vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit über die Rennwege, Stiege und Steige schneller, als je der Verkehr entlang der Flußniederungen voran kam.

Jetzt, im Hochsommer, ist das Laubdach dicht und der ganze Hainich wirkt undurchdringlich, in all´den diffusen und gedämpften Grüntönen der 12 oder 14 Baumarten die hier das Kronenmeer bilden. Die Hauptbaumart stellt die Buche, genauer die Rotbuche, und neben ihr wachsen Eichen, Eschen, die seltenen Elsbeeren, ein paar Fichten entlang der ehemaligen Schießbahnen, dazu Erlen, Ahorn, Hasel, Hainbuchen, ganz wenige Birken und ein paar Linden. Das Totholz liegt und steht, hier darf es das. Moose hüllen die liegenden Stämme samtig ein und Pilze wuchern zu Schirmlandschaften an den faulenden Stämmen. An den Füßen der einzeln stehenden, älteren Eichen leben die Porlinge und sondern Guttationstropfen ab. Die rotbraunen oder bernsteinfarbenen, später schwarz eintrocknenden Tropfen auf den Schirmen (Fruchtkörpern) wirken so, als saugte der Pilz dem Stamm das Leben aus, als schwitzten er den Saft des Baumes wieder aus. - Es ist schwülwarm und der Boden immer noch feucht. Irgendwo muss das Wasser hin, wenn es nicht verdunsten kann.
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Hier ist es ein recht seltener Inonotus dryadeus, der Tropfende Schillerporling. Dieser Eiche geht es also an den Kragen, denn der Schillerporling ist ein Hauptvertreter der Weißfäule an den Wurzeln. Unterirdisch und unsichtbar verrichtet der Pilz sein Werk. Er liebt Eichen. Äußerlich wirkt der Baum lange noch vital und kräftig, längst aber, sterben die Wurzeln. Beim nächsten Sturm kippt die Eiche, lange bevor der Pilz sie völlig durchdrungen hat. Die weitere Zersetzungsarbeit erledigen nun die vielen Artgenossen der Porlinge, die eher das liegende Totholz bevorzugen.

Der einsame Wanderer auf den Wegen durch den Hainich, vor fünfhundert Jahren, vor siebenhundert Jahren, gar vor 1200 Jahren, schlug beständig ein Kreuz, „Herr, lass´ mich eine Lichtung sehen!“, denn da sind Menschen. Solche Lichtungen waren die Weggabelungen und Kreuzungen, und an diesen Stellen standen steinerne Kreuze und Wegweiser die die Richtung vorgaben oder eine Klause ankündigten. Stumme Zeugen, die sagten, auch bis hierhin ist der Mensch schon gekommen, den Herrn im Geiste, "Nimmer bist du allein auf der Welt." Das Ihlefelder Kreuz, wohl irgendwann um 1550 für ein älteres aufgestellt, markiert das Schicksal eines Jägers, den sich der Bär fing. So geht jedenfalls die lokale Sage, so wird das verwitterte Steinrelief auf dem Schaft des Kreuzes ausgedeutet.
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Besiedelter Wald
Tatsächlich gab es im Hainich Mönche. Das gesprengte Örtchen Ihlefeld ging auf eine Gründung der Antoniusbrüder um 1100 n.Chr. zurück. Weitere, verstreut liegende, später aufgegebenen Kleinsiedlungen im Hainich, dienten als Stützpunkte für die Plenterwirtschaft. Die verjüngte die Bestände, als ob die Waldbauern schon etwas vom Begriff der Nachhaltigkeit gehört hätten. In einem Plenterwald wachsen Bäume aller Altersklassen relativ gleichmäßig verteilt, in den Schlagwäldern, Bäume einer Altersklasse.

Warum die Menschen vom Mittelalter bis in die Neuzeit ausgerechnet den Hainich verschonten, dafür gibt es zwar viele mögliche Anworten, aber so recht überzeugen kann keine. Vielleicht lag es am Waldnutzungsrecht? -Bis zum heutigen Tage liegt es bei Waldbauern-Genossenschaften. Wie fast überall in West- und Mitteleuropa, mussten sich die bäuerlichen Eigner gegen die jahrhundertelangen Enteignungsbestrebungen des Adel und der Landesfürsten wehren. Offensichtlich waren sie im Hainich erfolgreicher, als z.B. ihre Kollegen am Rande des Neuwieder Beckens, in den Wäldern der Grafen zu Wied und Runkel. Dort prozessierten die Bauerngemeinden über Jahrzehnte vor dem kaiserlichen Reichsgericht für ihr Recht, gegen ihre Obrigkeit. Mal verloren sie, mal gewannen sie, und manchmal kämpften sie mit dem Adel blutige und grausame Lokalfehden um das Holz aus. - Wer es nicht glaubt, der lese nach bei Gerrit Friedrich Bub (hss.ulb.uni-bonn.de:90/2003/0205/0205-5.pdf , zum historischen Teil scrollen!), oder frage Frau Katja Hürlimann von der ETH-Zürich.


Neolithische Reformation in Mitteleuropa - Der Mensch als Bauer, Viehhirt und Förster

Der sanfte Hang des Hainichs nach Osten in die Unstrutebene hinab wurde zu einem Hauptort der jungsteinzeitlichen Entwicklung. Über mehrere tausend Jahre hinweg lässt sich die Besiedlung des Gebietes nachweisen. In den Mooren fanden sich, von diversen Gebrauchgegenständen, über die Knochenreste jeglicher, damals lebender größerer Säugetierart, bis hin zu den Idolfiguren und Pfahlresten der Siedlungen und Zeremenoialstätten, reichliche Zeichen der Hallstatt und der Latène-Kultur. Als man nach dem letzten Krieg anfing den Torf um Niederdorla abzubauen, kam alles ans Licht. http://1.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TGNJguR9NFI/AAAAAAAAAWg/3mbDXt4-u3s/s400/100_5286.JPGGelebt wurde in Wohnstallhäusern, die mit Reet oder Grassoden, vielleicht auch schon mit Holzschindeln gedeckt waren. Werkstätten und Vorratsräume lagen in noch einfacheren Grubenhäusern um das Haupthaus herum.Die ausgegrabenen Überreste der Siedlung Mahlindenfeld, nicht weit von der heutigen Opfermoor-Vogtei bei Niederdorla entfernt, dienten als Vorbild für das heutige Museumsdorf.

Wer sesshaft wird, braucht viel Holz. Von den Seeufern ausgehend, wurden die Rodungen voran getrieben. Das Vieh half bei der Erschließung, und der Viehtrieb lies nicht nur lichte Hutewälder entstehen, sondern auch große Heideflächen. Bei Craula, ganz in der Nähe des heutigen Baumkronenpfads liegt das „Wachholderhög“. Das ist eine Wachholderheide, die durch den wieder aufgenommenen Schaftrieb gepflegt wird.
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Reform des Glaubens, aber nicht des Lebens

Zur Zeit Pirckheimers dessen Nürnberger Humanistenstudierzimmer, und Luthers, dessen nachempfundenes Festungshaftzimmer auf der Wartburg zur Besichtigung lockt, war der Wald weitgehend abgeholzt.

Während die Wartburg sich als arg stilisierter, nationaler Erinnerungsort erweist, die Pirckheimerstube kam zur Blüte des Wilhelminismus, ein paar Jahre nach der Reichsgründung dort hin, im Luther-Zimmer ist praktisch nichts aus dem wirklichen Lebensumfeld des Reformators erhalten, der gewaltige staufisch-romanische Palas der Burg verdankt sich weitgehend den Rekonstruktionsidealen der glorreichen Kaiserzeit, war die ewige Sorge um das nötige Holz eine harte Realität bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Schon ein paar Jahrzehnte nach der Reformation erlassen die Reichstädte und großen fürstlichen Waldbesitzer strenge Regularien. Die gedruckt und regelmäßig erneuert, das Holz zu einer hoheitlichen Angelegenheit machen, schwarz auf weiß. - Die Gutenberg-Galaxie, erweist sich eher als Reich der Kanzleien, Advokaten und Beamten. Ihre Symbole sind Akten und Pandekten.

Die Klage über das fehlende Holz sollte sich immer wieder erneuern. Der Adel schimpfte über den Holzfrevel der Untertanen und nahm, besonders wenn es ihm um Schuldentilgung ging, was ihm nicht gehörte. Die Bauern und Landgemeinden pochten auf ihre Rechte. - Vielleicht wissen einige noch, dass der Journalist Karl Marx, als Redakteur der Rheinischen Zeitung, über die erzwungene Armut der Holzklauberinnen berichtete und scharf die neue Gesetzgebung kritisierte, die diese Frauen nun kriminalisierte. Die Diskussion um das Holzgesetz im Rheinischen Landtag war für ihn ein wesentlicher Anlass, den deutschen Idealismus und damit die Absegnung des je Gegebenen, gründlich vom Kopf auf die Füße zu stellen. Aus dem Waldfrevel, der Mitnahme des gefallenen, nicht des geschlagenen und gestapelten Holzes, wurde, das ist bürgerlich gedacht, eine Straftat, die mit dem sog. Frevelgeld nicht abgegolten werden konnte. So, wie der verloren gegangene Flaschenpfand- Bon, läge er selbst im Abendkehraus des Supermarktes, selbstverständlich dem Eignern des Marktes gehört.

Die Bauern des Bundschuhs setzten das Problem der Holznot auf ihre Mängellisten, die sie, um Frieden bemüht, zunächst als Protestationen und Petitionen an ihre Obrigkeiten schickten. Luther und Melanchthon fluchten die Bauern. Ganz am Ende, es war zu spät, baten sie auch um Gnade für die tumben, verführten Bauern. Quartier wurde bekanntlich nicht gewährt. Die bürgerliche und adelige Welt war es trotzdem sehr zufrieden.

Thomas Müntzer, der Pastor aus Mühlhausen, hatte die Bauern nicht verlassen, er starb mit ihnen. Selbstverständlich nicht, ohne vorher mit allem Hass und aller Rachsucht zu der Menschen fähig sind, ausgiebig gequält zu werden.

1525 besiegelte die große Schlacht bei Frankenhausen das Ende der Bauern, die die Bibel, vor allem das Neue Testament in neuer deutscher Sprache, ein wenig zu wörtlich lasen und auslegten. Die Reste der Bauernbewegung jagte man noch ein ganzes Dezennium lang, und die zwölf Memminger Thesen, ein Katalog für eine exemplarisch einfache, aber auf sozialen Ausgleich bedachte Landwirtschafts- und Stadtwelt, blieb Utopie. Eine frühdemokratische und auf soziale Teilhabe angelegte Gesellschaftsform anzustreben, das sollte von nun an ein Staatsverbrechen sein, bei dem man Kopf- und Halsstrafen riskierte.

Vom Hainich kann man nicht bis zum Bauernkriegsdenkmal schauen, aber die Fahnen und Dreschflegel der Bauern, ihre Lieder und ihr stumpfer Trott, die Predigten Münzers in Mülhausens St. Marienkirche, liegen hier immer noch irgendwie als Geist und großes Versprechen in den stummen Zeugnissen der Orte und Landschaften.

Bad Frankenhausen:

Johannes Tübkes Weltpanorama in einer großen Betonrotunde auf dem Schlachtberg über Bad Frankenhausen ist in seinen Inhalten und komplexen Motivbezügen mindestens so bestaunenswert wie der Buchenaturwald bei Bad Langensalza und Mühlhausen. - Die Analogie ergibt sich sofort.

Gerade noch wandernd, gingen die Gedanken zur unübersehbar artenreichen Welt der kleinen und kleinsten Lebewesen am und im Holz, da kommt nun der geballte Detailreichtum eines fantastisch-realistischen Bildes gerade recht. Trotzdem fügt sich alles zu einem Gesamtbild.

Ein Wimmelbuch der Renaissance-Geschichte und des neuen Menschen ist da aufgemalt. Erstmals zählt, das ist eine der Botschaften des Panoramas, jeder Mensch. Tübke las und malte parallel, um beim Thema nicht unbeleckt anzutreten, einen Bilderwald mit 3000 Figuren, 1:10. Das musste dann an die Wand.

Wer da glaubt, das Denkmal zur „frühbürgerlichen Revolution in Deutschland“, sei ein überholtes Pandämonium des Staatssozialismus, der irrt gewaltig, oder aber, möchte bewusst bösartig sein.
In den Farben tauchen sämtliche Himmel über Deutschland genau so auf, wie die Töne der Ackerböden Thüringens. Der Regenbogen steht über der Szenerie, ein Riss geht durch die Welt als Sphärenblase und auch die berufenen und hier abgebildeten Säulenheiligen deutscher Bildung und evangelischer Theologie vermögen ihn nicht mehr recht zu kitten. Die Maler starten den Versuch, Cranach der Ältere, Albrecht Dürer, Jerg Ratgeb. Für Farben und Details, kommen noch ein paar Italiener dazu, Veronese zum Beispiel. Dazu die Bilderwut und -Flut der niederländischen Renaissance, von Breughels Babel bis zu Boschs Nachtmar. Alles kommt in den Tübkekosmos. - Durchsetzen wird sich aber das fischmündige, surreale Sternzeichenorakel. An das Schicksal glaubten auch Tycho Brahe oder Johannes Kepler und stellten denen, die hoch hinaus wollten, oder schon dort angelangt waren, ein Horoskop. -Historisch ist weniger planbar.

Kleine Ironie der Geschichte: Lange vor der Wende 1989 erkannte Eduard Beaucamp (FAZ), wie selbstgerecht manche Kritik an dieser realistischen Malerei ist. Beuys und Tübke passen zusammen. Sie verweisen mit verblüffend ähnlicher Ernsthaftigkeit, auch mit ähnlich verstecktem Witz, auf den Menschen als alleinigen Gestalter seiner guten oder schlechten Regierung. Das hat Renaissance-Format.

Wer das erste Mal in den großen, abgedunkelten Innenraum tritt, der muss staunen. Trotz der vielen Besucher bleibt es zwischen den genauen und detailreichen Führungen still. Jedermann ist mit dem Augeneindruck beschäftigt und versucht die Entschlüsselungshilfen der Ortskundigen nachzudenken. Unberührt entlässt einen die Bildfülle keinesfalls. Selbst halberwachsene Kinder werden nachdenklich, mehr als eine halbe Stunde lang, bevor wieder die Musikstöpsel in die Ohren kommen, die Sonnenbrillen auf die Nasen und die Kaugummis in die Münder.

Nationalpark

In einem durchschnittlichen deutschen Wald zählt man vielleicht 3-4 bestandsbildende Baumarten pro Hektar. Im Hainich Gebiet ist es aus historischen und zufälligen Begebenheiten ganz anders. Dort existiert die Rotbuche mit vielen Begleitspezies. 10, 11, gar bis zu 14 Baumarten auf einem Hektar bilden hier das Kronendach und den gestuften Unterwuchs.In den Plenterwäldern des Hainichs, dort wo traditionell Forstwirtschaft betrieben wird, sind es immerhin noch 3-7 Baumarten/ha. - Verglichen mit dem ecuadorianischen Regenwald, der 300 Baumarten auf einem Hektar aufweist, ist das nichts, im Verhältnis zu den Baum-Monokulturen in unseren Nutzwäldern, ist es erstaunlich (www.uni-goettingen.de/downloads/wissenschaftsmagazin/ausgabe_2002_1/leben_und_raeume.pdf , www.buchenzentrum.de/pdfs/broschuere_plenterwaelder_2006.pdf ; ).

Neueste Forschungen lassen vermuten, dass genau diese Waldmischung dem Hauptbaum, der Rotbuche, sehr nutzt. Die Buche mit ihrer Mykorrhiza-Bewurzelung (Mykorrhiza, das ist die Pilzhülle um und in den feinsten Wurzeln des Baumes), mit ihren Astbewegungen, sowie mit baumeigenen Botenstoffen, kann ihre Umgebung beeinflussen, das Wachstum hemmen oder fördern. Die Bodenoberschicht unter der gemischten Laubstreu des Hainichs versauert nicht so stark, wie es in reinen Buchenbeständen der Fall wäre (webdoc.sub.gwdg.de/diss/2008/moelder/moelder.pdf ). - Selbst rein ökonomisch denkende Waldbesitzer finden zunehmend Gefallen am Plenterwald-Konzept, denn die stabilen Erträge über Jahrhunderte sprechen für sich.

Der Nationalpark ist der größte zusammenhängende Laubholzmischwald Deutschlands. - Das klingt immer gut, stimmt aber auch nachdenklich. Aus einiger Höhe über dem Boden, auf dem Aussichtsturm Thiemsburg, zeigt sich, wie wenig Fläche das letztlich ist.

Spektakuläre Bewohner des Hainchs sind die Wildkatzen, auch wenn kaum ein gelegentlicher Besucher die scheuen Tiere mit dem pelzigen, schwarz-gestreiften Schwanz zu Gesicht bekommt. Obwohl die Bestände sich erholen, bleibt das Problem der großen Territorien, die diese Katzen brauchen.

Die am Hainich lebenden Bechsteinfledermäuse, bundesweit im Bestand bedroht, gelten als historische Leitart für den Naturschutz. Ihr Namensgeber Johann Matthäus Bechstein (1757-1822), einer der ersten Ornithologen und Naturkundler, erfuhr durch seinen Sohn, den Märchendichter und -Sammler Ludwig Bechstein eine lesenswerte Würdigung. Sohn Bechstein verfasste über seines Vaters Wirken in Dreißigacker bei Meiningen eine der ersten Wissenschaflerbiografien in deutscher Sprache. - Den vielen Machern landauf, landab klingt der Name Bechsteinfledermaus allerdings ähnlich bedrohlich, wie Feldhamster und Mopsfledermaus. Ein lebendiger Alptraum für ihr planerisches Streben. Derzeit ist es gerade wieder feuilletonistische Sommermode, über grüne Brücken und das Gedöns um den Naturschutz zu spotten.

Wirklich überraschend und ein weiteres Naturwunder im Verborgenen, sind die weit über 300 Stechimmenarten, also Bienen, Hummeln und Wespen. Von den meisten Arten haben wir zivilisierte Mitteleuropäer keinen blassen Schimmer, weil sie weder Honig produzieren, noch Städter in Furcht und Zittern versetzen, unter deren Dachgesimen es gefährlich summt und brummt. Die meisten Stechimmen im Hainich leben entweder einzelgängerisch oder in kleinen Kolonien, in Spalten, Erdlöchern,in kleinen, selbst gebauten Höhlen und Nestern. Das ist einerseits eine Welt kleiner pelziger Bestäuber, andererseits eine Welt der Müllabfuhr in der Natur, wenn es um verschiedenen Wespenarten geht. Dazu kommen noch Schlupfwespen, die ihre Larveneier mit langen Legestacheln in Käferlarven oder Larven anderer Wespen ablegen, Grab- und Sandwespen, die Spinnen jagen oder ebenfalls andere Wespen parasitieren.
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Im Totholz des Hainichs konnten verloren geglaubte Käferarten wieder entdeckt werden. Dieser spezielle Buchenwald diente ihnen als geschützter Rückzugsort. Heute gelten diese Artenfunde als Charakteristikum für einen urwaldnahen Baumbestand.

Wer keine Käfer sieht, oder einen Käfer nicht auch einmal näher in Augenschein nimmt, dem entgeht die Urtümlichkeit und Schönheit der Flügeldecken, die Färbung und das trickreiche Außenskelett. Synchita separanda z.B., Reitters Strunk-Saftkäfer, einer der ursprünglich Verschollenen, wirkt unter der Lupe wie mit einer punzierten Ritterrüstung gepanzert.

Aus etwa 110 Käfer-Arten setzt sich ein neues Inventar zusammen, mit dem in Zukunft die Naturnähe wachsender Laubwälder charakerisiert werden könnte. Diese Leitarten erlauben es, zu überprüfen ob sich die Kunstfertigkeit in der Pflege der deutschen Naturwaldreservate auch lohntet. Wer die urwaldtypischen Reliktarten findet, der bewegt sich mit einiger Sicherheit in einem alten Wald (www.bund-naturschutz.de/fileadmin/download/wald/Seminar_NR_Referat_Moeller-BUND_BUWA_Ebrach_10-04-2008.pdf , hier hervorragendes Bildmaterial zu einigen Leitarten, besonders ein Bild des Reitterschen Strunkkäfers).

Der Nationalpark mit seinem Baumwipfelpfad an der Thiemsburg ist zunächst ein touristischer Magnet. Die lange Strecke der Gerüste, über und zwischen den Bäumen, sie beeindruckt. Der Blick über das Kronenmeer oder ins freigeschlagene Tal der Unstrut ist grandios. Das Informationszentrum gibt sich informativer als informativ. Aber die sommerlichen Besuchermassen verhindern auch, was sie dort für wenige Stunden, mehr ahnend als wissend, suchen, die Naturbegegnung. Wären da nicht die geschickt mit dem Nationalpark verknüpften Forschungen zur Biodiversität, das Netz der Wege durch den Hainich, die vielen kleineren Orte, die liebevoll erschlossen wurden, wären da nicht Programme und Führungen mit Park-Rangern, die man eigentlich nicht ernsthaft so nennen möchte, wirkte der Laufsteg in Kronenhöhe eher wie eine beliebige Freizeit-Attraktion. So, wie das Pirckheimer Zimmer, wie das Lutherräumchen, wie der, bis in die letzte Fuge nachempfundene staufische Palas auf der Wartburg.

Christoph Leusch

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