Die Coltranes - A love supreme
Von John Coltrane kann man schon einmal was gehört haben, auch weit enfernt von Dix Hills, 247 Candlewood Path, Huntington und 1511 North 33rd Street in "Philly".
Vielleicht nur, "May there be peace and love and perfection throughout all creation. O God!", dreimal akzentuiert wiederholt, hineingesprochen in die Komposition seiner ebenso kreativen, zweiten Ehefrau, Alice Coltrane, "The Sun", des vorletzten Titels aus dem Album "The Monastic Trio", aufgenommen im Ranch House-Studio des Ehepaares, vor den Toren des großen Apfels, Long Island, 1968. Da war John schon vom Leberkrebs gefressen und seine Botschaft ein von Alice gesampeltes Schweigen. - 1968 möchte ich dreimal wiederholen, denn die Jahreszahl ist schibbolethisch.
Zur Zeit der Coltranes, entwickelte sich Dix Hills zur Wohngegend der zu einigem Wohlstand gekommenen Nachkriegsbürger, darunter auch die Musiker des modalen Jazz. Einige Farmer, schwarze und weiße, bewirtschafteten schon länger diese reizvolle Gegend und der allgemeine, vor allem auch allgemein verteilte, materielle Fortschritt der Wohlstandsgesellschaft milderte die Diskriminierung, dort, 40 Meilen vor Downtown Manhattan.
Um 1968 gab es weltweit solche Hoffnungen und einen Optimismus, dass Fremdes und Eigenes zusammengehört und miteinander existieren kann. Darum mühte man sich. An einer solchen Anstrengung, die ein persönliches und öffentliches Anliegen sein müsste, mangelt es heute, in den USA, zunehmend auch in Europa. - Die USA können sich das vielleicht leisten, wie die Gewalt, die mit dem Mangel verbunden ist, wir Europäer nicht!
"Friede, Liebe und Selbstperfektionierung des Entstandenen", mit dem entscheidenden Lamentoanzeiger: Oh! Gefolgt von der unaussprechlichen Adresse für alle unerfüllten Sehnsüchte, dem heiligen Zeichen des Bezeichnungslosen: "God".
Wer anderes könnte darauf kommen und einige Doktorarbeiten an karrieregeile Elitestudenten verteilen, um die endlos elementarische Flut unsererer Kulturtteilchen daraufhin zu durchforsten, als Avital Ronell?: Schüler, schau einmal nach, wo überall das alte Weberschiffchen im europäischen Fundus einer untergehenden Kultur aus Kaiserreich, Kaiser und Königreich, kurz Tripelkakaniens, sein Stöffchen spann; wo das ewige Lamento, die ständige Beschwerde, der Seufzer der Kreatur, laut werden durfte, in der Literatur, in der Musik, bei "Mahlern".
Friede, Liebe und Selbstverwirklichung, galt schließlich auch als ein Hauptmotto der europäischen Gründerväter der USA, als die noch an etwas, außer an die Macht des Geldes, glaubten, wenn sie nicht gerade in den Krieg zogen.
Schon die Indianerkriege und die Besitzergreifung vom Besitz der spanischen, französischen und britischen Besitzergreifer, liefen allerdings "trumpish" ab und selbst diese letzte, aktuelle Ausformung des amerikanischen Traums, stammt irgendwie aus der Pfalz, aus Deutschland, dem europäischen Land der Handwerks-, Kapell- und Rittmeister, mit und ohne Diplom.
"Philadelphia, die Stadt der brüderlichen Liebe und schwesterlichen Zuneigung", einstmals angedachtes Neuathen, erlebte eine seiner vielen Widerlegungen 1985, als ein Polizeihubschrauber die Mutter aller Fassbomben dieser Welt auf das Quartier der schwarzen "Move"- Anarchisten fallen ließ: 11 Tote, darunter 5 Kinder. Hubschrauberkrieg, 1968, in Susan Sontags Amerika und außerhalb, grenzenlos, bis heute.
Ist das mein mühsamer Einstieg, für ein unmusikalisches, aber modales Thema, das sich musikalisch, mit sparsamen Noten, besser fassen ließe? Modalität hieß bei den Coltranes und ihrer selbstbewussten Generation, Freiheit, in der Komposition und Improvisation. Freiheit stehen zu lassen, was man verstanden hat und eben auch, was man gar nicht begreifen kann.
Alice Coltrane starb 2007, John schon 1967. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese "Bach"- Familie des Jazz wirkte und über seherische Fähigkeiten verfügte. Wie ihre Mann, spielte Alice nicht nur mehrere Instrumente virtuos, sondern bewies sich als eigenständige Komponistin. Keines ihrer Werke ist ohne Bedeutung.
40 Jahre ohne John. Was machte Alice, mit der tiefen Wunde?- Sie wuchs aus ihr heraus. Zumindest das, ist eine menschliche Möglichkeit, die hoffen lässt.
Christoph Leusch
Ergänzung, 16.01.2021:
John und Alice Coltranes Haus und Studio in Dix Hills wurde nun als "National Treasure" anerkannt. Ein Initiative aus Jazzern (McCoy Tyner, Chick Corea,...), Kulturschaffenden (Carlos Santana, Derek Trucks, Michael League/Snarky Puppy,... ), Architekten und Freunden des Lincoln- Centers, des National Endowment for the Arts und anderer Organisationen, sowie die Nachkommen des Paares (Ravi Coltrane, Michelle Coltrane), versuchen es zu einer Begegnungs- und Kulturstätte auszubauen.
Kommentare 10
Super! Habe über Weihnachten ganz viel Miles, Coltrane, Bird et al. gehört. Ja, Coltrane ist viel zu früh gestorben wie Parker u.a. Das Heroin, Heroin...
Lese gerade Arendts "Wahrheit und Lüge in der Politik", ´geht los mit den "Pentagon Papieren" – Johnson der jahrelang die Öffentlichkeit über Vietnam belogen und betrogen hat. Bush jun. muss sich davon viel abgeschaut haben. Trump ist was das Lügen anbelangt kein Novum, vielleicht eine neue/andere Eskalationsstufe..
LG, am
interessant zu lesen.
ja, schreien oder seufzen:
"for every thing there is a season..
a time to love and a time to hate."
beides kann man im jazz(und anderwo) hören.
Alice Coltrane paßt zu dem hymnischen Spätstil Coltranes vielleicht sogar besser als McCoy Tyner. Ich glaube zwar, Coltrane hat sich so entwickelt und war darum mit der Substitution des Pianisten durchaus zufrieden. Es könnte aber auch so gewesen sein, daß der Stil von Alice den Saxofonisten zu seinem Spätstil angeregt hat, der sich allerdings sehr deutlich schon in A Love Supreme manifestiert hat.
Musikerpaare oder auch Geschwister sind sehr interessant, ich denke an Carla Bley und ihre Männer, an Schlippenbach und Aki Takase, oder etwa in der klassischen Musik an die Kontarskys oder Cage und Tudor.
Ich habe die Coltranes, deren erste Weltmusik ich einfach mag, hier als Beispiel für eine Aufbruchstimmung, persönlich und eher gesellschaftlich vorgestellt. Schwarze, die als Musiker extrem professionell und durchaus erfolgreich, sich einen Platz eroberten und auch zu etwas Wohlstand kamen.
Zugegeben etwas spontan, verbunden mit den aktuellen politischen Ereignissen, bei denen eine größere weiße Minderheit nach neuer Abgrenzung und Platzanweisung für die Minoritäten ruft, weil man sich selbst schon als gedrückte Minderheit sehen möchte und dafür die Gesellschaft spaltet. Während ein knappe Mehrheit die inklusive Gesellschaft verteidigen muss. - Seltsame Umkehr von bewahrender und zerstörender Kultur.
Den Kontrast zur Weltoffenheit, die durchaus auch ein Pathos, ein "Ethos der Freiheit zum Engagement", wie ich gerne schreibe, mit sich führt, liefert, wie zur Zeit der Coltranes, die Gewaltförmigkeit und der Separationswille in der US- Gesellschaft, der den Absichten des durchaus belesenen Paares diametral entgegenstand. - Hat sich viel geändert?
Musikalisch, so denke ich, war die doch relativ kurze Zeitspanne, die die beiden hatten, eine beiderseitige Erweiterung. Einmal hin zum Experiment und andererseits, hin zu neuen Einflüssen, die nicht aus dem modalen Jazz ihres US- Umfelds stammten. Die Titel der Alben weisen darauf hin: >>A love supreme<<, meint eben nicht "Sweet love" oder "Hot love", oder "Wild love" und danach kommen Alben, wie "Meditations" und "Ascension(s?)".
Sie haben sicher Recht damit, dass McCoy Tyner, ein überragender Pianist, spürte, wie dabei die Rolle des Piano Solisten zurücktreten musste.- Alice und John Coltrane legten darauf einfach weniger Wert. Schließlich gab es mehr Perkussion und mehr Freiheit von harmonischen Linien, dazu die Einflüsse aus der traditionellen indischen Musik und aus Afrika.
Das alles geschah selbstverständlich nicht nur in der Sphäre des Jazz, sondern auch in der Pop- Musik und selbst in der folkloristischen Musik, z.B. bei Robbie Basho, dem "Raga- Gitarristen der Rockies.
Grüße
Christoph Leusch
Bush Junior und L.B.J. dachten von sich, dass die politischen Lügen gesellschaftsstützend seien. Trump ist 2016 angetreten, das "System" von innen und von oben zu zerstören (Mastermind dazu, Bannon). Das war natürlich und zum Glück eine gigantische Selbstüberschätzung, nichtsdestotrotz sehr gefährlich.
Beste Grüße und bleiben Sie gesund
Christoph Leusch
PS: Zugegeben, es kostet viel Lebenszeit. Aber vor vier Jahren schrieb ich zu Trump und kann da heute noch zu stehen:
https://www.freitag.de/autoren/columbus/reagans-traum-neu-rechte-napoleon-trump-i
https://www.freitag.de/autoren/columbus/reagans-traum-neu-rechte-napoleon-trump-ii
Guten Abend Columbus! Habe ich mit sehr viel Freude gelesen. Danke! Bin sozusagen erinnert worden, daß Coltrane einen großen Jazz- Abdruck hinterlassen hat.
Danke für den Lesestoff. Habe auch Ihren Tipp beherzigt und Ihren Blog "Roland Barthes " mit Interesse gelesen.
Tja, Gesundheit ist das A&O.
LG, am
https://www.youtube.com/watch?v=r594pxUjcz4
;) Gutes Neues!
Der historischen Einordnung der Coltranes stimme ich zu. Mit der Ergänzung, daß die Offenheit der/für die Zukunft, die Weltoffenheit, der Universalismus die zwei Seiten hat, Freiheit für das Andere und Befreiung vom Gegebenen. So hatten die 68-er Jahre, die von Coltrane avantgardistisch vorgespielt wurden, ein Spiegelbild in Charles Mingus (interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Gestalt von Miles Davis, das ergibt das vollständige Dreigestirn), 68 war die prärevolutionäre Zeit, in der Zukunft möglich schien, und sie hatte die zwei Facetten, die Liebe und den Zorn. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Gestalt von Eric Dolphy, der sich aufgrund seines Naturells von Mingus ab- und Coltrane zuwandte. Wenn ich ein Buch über 68 schreiben würde, würde ich ihm den Titel „Liebe und Zorn“ geben.
„Hat sich viel geändert?“ - Aber ja, die Hoffnung auf die Zukunft ist gewichen, Liebe ist nur noch als Realitätsflucht, Esoterik möglich, der Zorn ist verbittert, hat sich in Gestalt von Haß auf die Hoffnungslosen ausgebreitet. Die fröhliche Weltmusik (ich denke da nicht nur an Miles, sondern an die Öffnung des Rock, wie sie von Gruppen wie den Dissidenten entwickelt wurde) ist in der Breite nur noch Nostalgie.
Zum Spätwerk John Coltranes
Ascension ist die mE zwar nicht gelungenste, aber künstlerisch avancierteste Musik Coltranes, hier hat er sich zu größter Freiheit aufgeschwungen. Man kann diese Entwicklung des Jazz durchaus mit der Entwicklung der klassischen Musik parallelisieren. Der free jazz ist die Jazzversion der freien Atonalität, allerdings weniger auf die Erweiterung der Tonsprache, die Aufhebung der syntaktischen Fesseln der Tonalität, mehr auf die Ausdrucksfreiheit gerichtet. Man kann insgesamt sagen, daß Jazz mehr auf Ausdruckswillen als auf Formwillen beruht. Aber dabei gibt es auch einen Berührungspunkt, die klassische Musik hat im historischen Kontext der 20-er Jahre, von einer Avantgarde aber schon früher, die evolutionäre Revolution in den Expressionismus vollzogen.
Innerer Ausdruck – konventionelle Form. Das ist in gewisser Weise der Antagonismus aller Sprache, der natürlichen wie der musikalischen Kunstsprache, die mehr Innenwelten oder Reflexionen der Außenwelt manifestiert. Die Form ist der universelle, kommunikative Aspekt der Sprache, Ausdruck der individuelle. Die klassische Musik hat meistens sehr großen Wert auf ihre universelle Bedeutung gelegt. Das ist nicht im allzu engen Sinn von Programmmusik zu verstehen, so wollte bspw Beethoven nicht extensional in der 6. das Gewitter schildern, sondern die Stimmung evozieren. Der Expressionismus sprengt die Konventionen, das trifft an erster Stelle die Funktionsharmonik. Auch wenn tonale Zentren nicht verschwinden, werden sie nicht mehr formelhaft eingesetzt. Da geht der Ersatz von Tonalität durch Modalität nicht weit genug. Daher entwickelt sich Coltrane bis zur quasi-Atonalität, vergleichbar, aber durch die unterschiedlichen Charakteristiken der Instrumente nur analog der Musiksprache Cecil Taylors. Dabei entsteht das Problem, das auch in der klassischen Musik zwangsläufig auftaucht: ohne Form wird die Musiksprache beliebig. Aus diesem Grund ist für mich der weitere Weg Coltranes mit Meditations und dem Endpunkt Interstellar Space eine Sackgasse. Man weiß ja nicht, wie Coltrane weitergegangen wäre, vermutlich hat er aber die Sackgasse erkannt, denn nach Meditations kehrt er, Ascension rekapitulierend, jedoch auch weltmusikalisch resubstantialisierend mit Alice Coltrane zu einer modal-tonaleren Spielweise zurück. Die Sackgasse ist eine so auf individuellen Ausdruck fokussierte Musik, daß nur noch ein rhythmisches Nebenher möglich ist, und so der Musik der harmonisch-melodische Zusammenhang tendenziell verloren geht.
Man kann das auch gut in der klassischen Musik studieren. Denn in der seriellen Musik passiert das gleiche, die Freiheit realisiert und zerstört sich in der ausdruckslosen absoluten Determination. Schönberg, der für mich nicht nur, weil er sich nicht in diese Sackgasse verlaufen hat, der größte musikalische Künstler unserer Zeit ist (ich glaube, man darf das sagen, weil die neue Musik mE nicht prinzipiell über Schönberg hinaus ist, die Klangfarben-, Klangflächen-Kompositionen, Musik in Zeit und Ort, Musiktheater usw alles nur Vereinseitigungen des Schönbergschen Kosmos neuer Musik sind), hat das Problem benannt: eine frei atonale Musik, reine Ausdrucksmusik, muß jedes Mal ihr eigenes Bildungsgesetz formulieren. Daher hat er nicht die traditionellen Formen restlos zerschlagen, Berg hat sogar die tonale Formung als Formmoment erhalten. Heute kann man noch, muß aber nicht seriell komponieren, die klassische Musiksprache ist lebendig in dieser Freiheit, die nicht die sprachliche Semantik vernichtet hat.
Ich hoffe, mit dieser Anmerkung nicht die Jazzfreunde genervt zu haben, man kann das überlesen und ich erhebe keinen Anspruch auf Verbindlichkeit meiner Sicht, ich würde mich über Kritik wie über Zustimmung freuen. Zurück zum Jazz. Der hat seinen Weg wiederum ähnlich zur klassischen Musik weg vom free jazz der Ausdrucksenthusiasten zur freien kammermusikalischen Improvisation genommen, in der weniger der individuelle Ausdruck zählt, mehr die unvorstrukturierte Interaktion, dh aber bei aller Freiheit Musik als eine kollektive, nicht solipsistische Produktion. So ist es Musik der Zukunft, die nur als kooperative, aufmerksame, verantwortliche zu denken ist.
„Heute weiß man alles über den Jazz. Alles ist analysiert und gesagt. Wie ein Schmetterling, den man auseinanderrupft. Oh, war das ein schöner Schmetterling, aber fliegen kann er nicht mehr.”
(Ben Sidran)