Die Orplid- Republik

BRD Der andere, bessere Traditionsbruch mit deutscher Vergangenheit brachte die Republik, später einen wirklichen gesellschaftlichen Wandel. Warum zurück zur Vorgeschichte?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Da war die Welt noch in Ordnung!
Da war die Welt noch in Ordnung!

Bild: Brandenburger Tor um 1850, K. Loeillot

Die Orplid- Republik

"Wer will mit, nach Bimini?" (Heinrich Heine)

Bundesrepublik Deutschland

Ein weiterer heiterer Juniusnachmittag besonnt die Straßen der Residenzstadt Berlin. Das Ländchen und sein Bärenstädtchen, einst selten in Öl gemalt, reizt rund um die Uhr zur dauerhafter Animation in 360°, zum praktisch ewigen, medialen Überflug mit Drohne, Ballon und Satellit, bei Tag und bei Nacht. Von oben scheint die Welt besser zu wissen, wo dieses Deutschland liegt. Es sieht aus der Vogelperspektive auch fast immer ordentlich aus und leuchtet nächtens hell.

Deutschland – unsere Bundesrepublik – hat eigentlich wenig gemein mit seiner langen, nationalen Vorgeschichte. Das hören viele allzu gläubige Vernunfts- und Emotionsrepublikaner und ein Haufen notorisch ungläubiger Radikaler – manche halten sich gar für Linke! – nicht so gern. Sie wünschen sich mehr Kontinuitäten – trotz des Zivilisationsbruchs 1933-1945. Mehr steinalte Traditionslinien der Demokratie, die es gefestigt aber erst sehr spät gab. Mehr traditionelle Überzeugungen, obwohl sich gerade Gewissenlosigkeiten wie ein roter Faden durch diese Historie ziehen. Die einen, eher wenigen, wünschen sich die nationale Geschichte, um sie vehement abzulehnen, also ihre antideutsche Aversion pflegen zu können, wie immer schon. Die anderen, eine Mehrheit, suchen Selbstversicherung in alten Zeiten, um sich alternativlos weiter verwalten zu lassen. Kein bürgerlicher und schon gar kein revolutionärer Aufbruch ist damit in Sicht. Dafür aber eilt im Sauseschritt die Reaktion von Erfolg zu Erfolg.

Dass überhaupt eine Bundesrepublik sein konnte, war nicht hauptsächlich ein Verdienst der Deutschen, sondern Ergebnis einer verdienten, notwendigen und totalen Niederlage, und sie bedurfte des Anstoßes der "Siegermächte". Die Chance zu einer neuen, eigenen Geschichte wurde genutzt, wie auch die Chance zum großen Profit. Ausgerechnet heute will man aber keinesfalls diese neue Geschichte weiterschreiben, sondern recht eigentlich nur noch weiter verdienen. So darf Europa plötzlich nichts kosten, auch wenn das auf Dauer kostet.

Unser Deutschland – meines – ist recht eigentlich das absichtsvoll ganz andere Land, abgesetzt und weit weg von jenen historischen "Deutschländern" und Reichen der näheren und älteren Vergangenheit. Seit dem 23. Mai 1949 ist das so möglich. Seit diesem Datum ist es immer noch denkbar, im Kollektiv anders zu sein, um besonnen die eigene Besonderheit zu entdecken. Allein Vorsatz und Willen dazu schwinden.

Währenddessen rechnen uns Rechte alltäglich und erfolgreich vor, was uns Fremde und Andere kosten. Als ob Nationalität früher deutlich weniger Depression verursacht, gar etwas eingebracht hätte, nicht nur in Mark und Euro, sondern auch an einer humanen, lebenswerten Gesellschaft!

Was kostet also Gewissenlosigkeit – regional, national, in Europa, in der Welt? Diese Rechnung wird seltener aufgemacht.

Zivilisationsbruch, als unfreiwillige Chance zum Traditionsbruch

Um die Reste der alten Ordnungen und Überzeugungen – nicht nur jene des Nationalsozialismus, die ja noch in den überlebenden Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg weiterexistierte und teilweise auch weiter regierte, weiter richtete und verwaltete – größtenteils zu überwinden, brauchte es nocheinmal mehr als dreißig Jahre und eine Art kulturell-zivilisatorische, internationale Revolution, die nur unzureichend mit dem einen symbolischen Jahr "1968" umschrieben wird und nun – zum Jubliäum – ausgemalt gehört, in Ost-, Mittel- und Westeuropa.

An dieser letzten Internationalen nahmen Deutsche – ist es eine der vielen Listen der Vernunft – tatsächlich auch teil. Heute gilt schon die universal korrupte Fußball-Weltmeisterschaft, ebenso die Olympiade als Gipfel des Internationalismus.

Heute wollen davon wenige was wissen, die mit "68" alt wurden, und die Jüngeren erinnern sich ungern an Zeiten größerer jugendlicher Aktivität, die heute leicht karriereschädlich sein könnte, fühlte man sich, wie damals, ganz ohne Ardennen allzu sehr verpflichtet.

Erschreckend, dass sich viele Bürger – besonders ältere, zunehmend auch jüngere, mit und ohne Burschenschaftsfarben – einen rückwärtsgewandten Geschichts- und Bekenntnisanschluss wünschen, für eine wahrlich ganz andere, vergangene Zukunft, die dann wieder gefährlich, gewöhnlich und brutal zugleich ausfallen müsste.

Uralte Erfahrungen, am Strand von Inseldeutschland

>>Weber:....Nehmt nur einmal: Unsere Kolonie besteht schon sechzig Jahre hier, ohne daß außer den Störchen und Wachteln auch nur ein lebend Wesen aus einem fremden Weltteil sich übers Meer hierher verirrt hätte. Die ganze übrige Menschheit ist, sozusagen, eine Fabel für unsereinen; wenn wir's von unsern Vätern her nicht wüßten, wir glaubten kaum, daß es sonst noch Kreaturen gäbe, die uns gleichen. Da muß nun von ungefähr einem tollen Nordwind einfallen, die paar Tröpfe, den Unrat fremder Völker, an diese Küsten zu schmeißen. Ist's nicht unerhört?<<

(...)

>>Schmied: Wohl, wohl! Ich weiß noch als wär's von gestern, wie eines Morgens ein Johlen und Zusammenrennen war, es seien Landsleute da aus Deutschland. All das Fragen und Verwundern hätt kaum ärger sein können, wenn einer warm vom Mond gefallen wär. Die armen Teufel standen keuchend und schwitzend vor der gaffenden Menge, sie hielten uns für Menschenfresser, die zufällig auch deutsch redeten. Mit Not brachte man aus ihnen heraus, wie sie mit einer Ausrüstung von Dingsda, von – wie heißt das große Land? nun, von Amerika aus, beinah zugrund gegangen, wie sie, auf Booten weiter und weiter getrieben, endlich von den andern verloren, sich noch zuletzt auf einigen Planken hierher gerettet sahen.

Glasbrenner: Hätt doch ein Walfisch sie gefressen! Der eine ist ohnehin ein Hering, der winddürre lange Flederwisch, der sich immer für einen gewesenen Informator ausgibt, oder wie er sagt, Professor. – Der Henker behalt alle die ausländischen Wörter, welche die Kerls mitbrachten. Ein Barbier mag er gewesen sein. Sein Gesicht ist wie Seife und er blinzelt immer aus triefigen Augen.<<

(Zitate aus Eduard Mörikes "Maler Nolten", Der letzte König von Orplid, Ein phantasmagorisches Zwischenspiel, 1832, frei zugänglich auf Zeno.org und Gutenberg.de)

"Wirst du, was du je gelitten"? (H.Heine)

Aber warum vom real exisitierenden "Orplid- Deutschland" reden, jenem "Wirtschaftswunderland", jenem Theaterreich der Schaubühnen und moralischen Anstalten, warum zu einem einmaligen, auch historisch besonderen, bundesrepublikanischen Deutschland schreiben, wenn sich die Welt gerade andersherum dreht, als steckte in ihr ein unaufhaltsamer Wille zur Umpolung?

Die Macht in der Aufmerksamkeitsökonomie und in der harten politischen Realität, übernehmen gerade weltweit politische Figuren, die zu alten, überwunden geglaubte Geschichten, Geschichtsmechanismen und Handlungsmotiven zurückzukehren gedenken. Derzeit vergeht kein Tag ohne nationalisierte Politik à la Trump, Orban und Jarosław Kaczyński, keine Woche ohne Siegesmeldung autoritärer Herrschaften, von neuen Zaren, Sultanen, Bonzen, Scheichs und Generalen, kein Monat ohne regionale Zumutungen, zum Beispiel des neuen bayrischen Zaunkönigs.

Der romantische Traum des Maler Nolten, er endete im Überbleibsel der Alten, und das heutige Orplid beschildert nicht viel mehr als ein paar FKK- Inselreiche, ein bisschen experimentellen Folkrock, mit Blick auf Bruder Lucifer, das alte Jahrtausend, Gräber und Elfenkönige. Die Republik droht, sich in ein phantasmagorisches Zwischenspiel zu verwandeln und Europa mitzuziehen. Wer politisch und gesellschaftlich auf dem Vormarsch ist, erklären uns Schläfrigen derweil ein trumpeliger Onkel aus Amerika und seine Nepoten, sowie ein paar Talkshows.

Christoph Leusch

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden