Dioxin, das schmeckt...nicht

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Dioxin, das schmeckt....nicht

Was nicht direkt schädlich wirkt und sichtbar ist, bleibt lange aus den Sinnen

Würde es wenigstens nach was schmecken und dann direkt bösartig gefährlich sein, es wäre sofort verboten und bedeutete ein großes Risiko für den jeweiligen Gesetzesbrecher, mit angemessenen Strafen, ja überhaupt erst, mit dem Strafrecht rechnen zu müssen. Ebenso eindeutig wäre es für jene, die ihr Leben risikierten, wenn sie daran schleckten oder für jene, die, so steht nun zu befüchten, chronisch und lange schon Dioxin-belastete Industriefette ins Tierfutter und damit in die Nahrungskette des Menschen brachten.

Die alten Maschinen- und Gastronomiefette, die Altöle aus der technischen Produktion, sie sind einerseits billig zu haben, weil sie nach dem Gesetz einer Wiederverwertung und Entsorgung zugeführt werden müssen. Jeder der sie hat, versucht sie ohne zusätzlichen Aufwand los zu werden. Andererseits sind sie teuer, weil die Trennprozesse und die anschließende sichere Entsorgung der dioxinhaltigen Schlacken-, Staub- und Filterreste viel Geld und noch mehr Achtsamkeit erfordern.

Billiger werden die Abfälle als Wertstoffe, wenn man ihre teure Hochtemperaturverbrennung oder die chemische Reinigung der Fette vor der Weiterverarbeitung, z.B. der Mengen aus der Fritier- und Röstindustrie, irgendwie umgehen kann. Weder Maschinenfette an sich, noch Dioxine oder Furane, die beiden letztgenannten Namen fassen die eigentlich bösartigen Stoffgruppen zusammen, gehören in das Tierfutter oder in ein Lebensmittel!

1999 gab es in den Niederlanden einen sehr ähnlichen Fall, der sich in der Nachlese genau so aufgeschrieben findet, wie es nun, anläßlich der aktuellen, geschäftstüchtigen Kriminalität erneut geschehen muss. An Versehen, Zufall oder den allfälligen Maschinenschaden mag ich nun wirklich nicht mehr glauben, weil der Herstellerfirma die notwendige Trennung von Futtermittelproduktion und technischer Produktion bekannt sein musste und die gepanschten Mengen dafür einfach zu groß waren (www.infoquelle.de/dioxin.htm ).

Futtermittelherstellung ist ein durchaus ehrenwertes und marktfähiges Geschäft, das allerdings nur ganz normale, relativ niedrige Profitraten aus dem Handel zulässt. Der mögliche Verdienst aus krummen Geschäften lockt daher, denn man kann bei dieser Art des Gewinnstrebens nach zwei Seiten abkassieren. - Das gilt bei weitem nicht nur für das Beimischen dioxinvergifteter Fettchargen, sondern z.B. auch für das Einmengen verpilzter und sonstig verdorbener Protein- oder Fett-Träger in die Massengüter. - Einmal bei denjenigen, die das giftbelastete Fett ohne großen Aufwand endlich los werden wollen, ein weiteres Mal bei jenen, die die Fette minderer Qualität und dubioser Herkunft kaufen und sehr wahrscheinlich dafür ein bisschen Rabatt auf das Produkt, wegen des geringen Entdeckungsrisikos und den dann doch drohenden Geldstrafen (Ordnungs- und Bußgelder), erhalten.

Die Abnehmer am Ende der Kette, die Bauern, ganz am Ende die Verbraucher, zahlen übrigens keinen unterschiedlichen, gar deutlich niedrigeren Preis für das so kontaminierte Produkt! Aber der Verunreiniger setzt an der Stelle, an der ein höherwertiges und teureres, „sauberes“ Produkt hätte eingesetzen müssen, einen billigeren und gefährlicheren Stoff ein, der ihm eine zusätzliche Einnahme ermöglicht.

Piko-, Nano- und Mikrogramm

Vielleicht waren die Futtermischer auch eingeweiht und verdienten mit? Wer weiß es? - Das Ergebnis am Ende: Die Eier hunderter Höfe und Geflügelfarmen, sowie die Futtermittel bestimmter Schweinemäster weisen Dioxinwerte auf, die im Schnitt um das 4 – Mehrhundertfache (!) die Grenzwerte überschreiten (0,75 ng/kg). Mittlerweile findet sich das Dioxin in nennenswerten Mengen auch im Schweinefleisch und im Geflügel.

Eine akute Gefahr, so steht zu lesen, bestehe nicht und das kann man ruhig glauben, denn dazu reicht die Dosis im Nanogramm-Bereich, z.B. pro Eimasse (ng/kg) nicht aus. - „Nano“, das sind 9 Stellen hinter dem Komma. Eine verschwindend kleine Menge, die noch in dem dreistelligen (Faktor 1000) Sicherheitsbereich verbleibt (Messen kann man mittlerweile in Femtogramm, das sind 15 Nullen hinter dem Komma), ab dem unter Umständen und bei Akkumulation, Dioxine und Furane gefährlich werden könnten.

In einem solchen Fall, dem GAU, bewegte sich die Verseuchung der Nahrung oder anderer lebenswichtiger Medien (Wasser, Luft) im Mikrogramm- Bereich (6 Nullen hinter dem Komma), das sind Millionstel eines Gramms.

Andererseits wurden die niedrigen Grenzwerte gerade deswegen festgelegt, weil man lange schon weiß, wie sehr menschliche und tierische Körper Dioxine im Fettgewebe kummulieren. Dioxine können Jahrzehnte im Organismus eingelagert werden und dabei stabil bleiben, bevor die allgemeine Oxidation und die biologische, enzymatisch gesteuerte Entgiftung (Cytochrom P450) den Stoff zerlegen.

Besonders Säuglinge, Kleinkinder, allgmein junge Menschen, lagern in der Wachstumsphase Dioxine überdurchschnittlich ein.

Akut gefährlich wird es also schon bei immer noch unvorstellbar kleinen Mengen im Mikrogramm-Bereich. Die für die Hälfte der Kontaktpersonen möglicherweise tödliche Dosis (LD 50) liegt irgendwo um die 70 Millionstel Gramm/kg Körpergewicht. 4-5 Milligramm Dioxin (der Seveso-Form) töten also mit großer Sicherheit einen Menschen. - Man musste das an leidgeprüften Rhesusaffen testen und deren Sterben protokollieren, um dann hochzurechnen. Kleinere und kurzlebigere Tierarten halten unter Umständen viel mehr (Hamster), aber manches Mal, viel weniger aus (Meerschweinchen).

Was man nicht weiß, treibt keinen Angstschweiß!

Seveso /Italien. Dort wurde 1976 die Human- und Umweltkatastrophe real geprobt, obwohl es, -welch´ seltsame Analogie zu den Folgen von Tschernobyl-, bis heute keine exakte Erfassung der Todesopfer und der chronisch Kranken gibt. - Warum wohl?

Die Seveso-Geschichte blieb eine Kriminal- und Agentengeschichte (Werner Mauss, SPIEGEL), selbst als die Böden am Unfallort längst abgetragen und entgiftet waren. Sie zeigt auch, wie leichtsinnig mit den Folgen einer schweren Katastrophe in den bestorganisierten Industriestaaten dieser Erde, Italien, Frankreich, Deutschland und der Schweiz, umgegangen wird. Die Fässer mit dem gefährlichsten, konzentrierten Abfall aus Seveso verschwanden in Frankreich. Als man sie wieder fand (alle?), musste erst einmal getestet werden, wie das Zeug in der Hochtemperatur-Sondermüllverbrennung in der Schweiz garantiert sicher zu vernichten wäre. - Leichtsinn war es, vor Ort aufzuräumen, dann aber den Weg des gesammelten Giftes nicht mehr sicher im Blick zu haben. - Die Asse und ihre Strahlenmüll, -das ist eine ganz analoge Geschichte dazu-, mit den größten Experten und den wichtigsten der wichtigen Politiker (m/w), die alles bis zum fatalen Wassereinbruch unter hermetischer Schweigekontrolle hatten.

Überall sind Dioxine

Für die fast ausschließlich aus menschlicher Aktivität stammenden Dioxine und Furane, - Oft werden einige natürlich vorkommende Stoffe dieser Klasse genannt, um verharmlosend auf die „Natürlichkeit“ des ultimaten Giftes hin zu weisen, auch wenn diese Substanzen eine ganz andere Oberflächenstruktur und andere Bindeatome aufweisen und dazu eher selten sind.-, existiert, wie für Radioaktivität, eine ständige, messbare Hintergrundbelastung in den westlichen Industrienationen. Dort, wo in den Schwellen- und Entwicklungsländern billig an Rohstoffen und Halbfertigprodukten für die chemischen Industrie gearbeitet wird ist diese Belastung noch deutlich höher!

Hauptfaktor hierzulande sind die hartnäckig abgelagerten, diffus verteilten Rückstände aus der Müllverbrennung unterhalb von 850- 950 °C. Will man dioxinbelastete Materialien ganz sicher verbrennen, müssten die Temperaturen konstant um 1000-1200 °C liegen. Das ist bei stark kontaminiertem Material die Hauptaufgabe von Sondermüll-Verbrennungsanlagen, die damit auch weitere, relativ hitzestabile Gifte vernichten. Eine solche, extrem teure Entsorgungsform erzeugt mannigfachen Erfindungsreichtum in der Umgehung der Vorschriften.

Bei uns reicht es nun offensichtlich schon, wenn eine Firma erst gar nicht bei den Behörden als eventueller Nutzer oder Entsorger von Giften gemeldet ist. Denn, wie sich nun herausstellte, kontrolliert die Behörde nur, was bei ihr vorher angemeldet wird! Für den Rest gilt der Zufall und die Selbstanzeige, wenn doch Skrupel bei manchem Mittäter oder eben unabweisbare Verdächte entstanden sind (www.fr-online.de/politik/neue-vorwuerfe-gegen-futtermittelhersteller/-/1472596/5114918/-/index.html ).

Politiker und Behördenleitungen finden ihre Haltung angesichts der regelmäßig wiederkehrenden Skandale vernünftig und richtig. Sie schieben die mangelnde personelle Ausstattung und die allgemeine Haushaltsnot vor, obwohl wesentliche Gründe, nämlich die komplexe Rechtslage, die vielen Ausnahmebestimmungen in den Gesetzen und Verordnungen, -Auch Experten geraten da über zulässig oder nicht mächtig ins Schwimmen!-, die geringen Strafen für Anstifter, Täter und ausführende Mitarbeiter, sowie der Zuständigkeitswirrwarr, hinter vorgehaltener Hand viel häufiger als Ursachen genannt werden. - Das ist der eigentliche Skandal ( www.sueddeutsche.de/panorama/dioxin-skandal-ein-bisschen-kontrolle-1.1042947 )!

Durch Filtertechniken in der Hausmüllverbrennung und konsequente Vermeidung von Fehlbeschickungen, -das alles ist seit Jahrzehnten gesetzlich geregelt-, konnte zwar der jährliche Dioxinausstoss dort auf ca. ein Prozent der recht hohen Ausgangsbelastung in den 80er Jahren reduziert werden, jedoch verbleibt der nur langsam sich abbauende Hintergrund in den Böden, damit auch in den Futterpflanzen und in den Nahrungstieren des Menschen.

Ein weiterer Teil dieser Alltags-Belastung stammt von Kaolinerde-Mikropartikeln (Kaolinerde, der biologisch inerte Grundstoff der Porzellanherstellung, der sich extrem fein mahlen lässt), die einst, neben der Porzellanherstellung, als Basisträger für Pflanzenschutzmittel-Verwandte des Seveso-Dioxins dienten und heute als Trenn- und Schlämmmittel, um z.B. noch brauchbare Kartoffelreste für den Tierfuttermarkt (Schweinemast) vom Abfall zu scheiden, oder als Füllstoff in Zahnpasten Verwendung finden.

Die Pflanzenschutzmittel und die begleitend, verunreinigenden Dioxine hielten, angelagert an die Kaolinmoleküle, aufgrund deren Wasserbindungskapazität, auf den Blatt- und Wurzeloberflächen. An inertes Material gebunden, drangen sie nicht in den Stoffwechsel der Pflanzen. Das war erwünscht. Die Witterung wusch dieses Dioxin-Kaolin jedoch stetig auf den Boden und brachte es in die abwehenden Ackerstäube (www.igumed.de/images/b_11-04.pdf ).

Die tägliche Hauptbelastung der Bundesbürger mit Dioxinen uns Analoga stammt aus dem Rindfleischverzehr und aus der Milch. Die Wiederkäuer weiden auf ubiquitär belasteten Böden. Durchschnittlich nimmt jeder Bundesbürger täglich 1, 4 - 2 Pikogramm Dioxine (Sammelwert der Konzentrationen, einschließlich dioxinähnlicher Substanzen, z.B. PCB/kg Körpergewicht und Tag ) auf. Das ist in etwa jene Menge (2 pg/kg KGw/Tag), die von der WHO als noch akzeptabel eingeschätzt wird. Das Bundesumweltamt hat schon länger „Bauchschmerzen“ und würde lieber niedrigere Werte (0,5-1 pg/kg/die) durchsetzen ( www.umweltbundesamt.de/chemikalien/dioxine.htm ).

Klar ist auch, für die karzinogene Dioxinwirkung (Krebs) gibt es keinen unteren Grenzwert, lediglich ein akzeptables, derzeit hingenommenes Risiko, so wie z.B. für Benzol, Formaldehyd, PCB, Dieselruß, das zwar von Medizinstatistikern errechnet, aber nicht wirklich real gegengeprüft werden kann. Fest steht auch, dass die chronischen und subchronischen Symptome einer Dauerbelastung aus dem alltäglichen Hintergrund, z.B. Änderungen in der Fertilität, abnehmende Konzentrationsfähigkeit und Merkfähigkeit, schleichend einsetzende Immunschwäche, Hautirritationen, Fehlgeburten, Missbildungen, Leberfunktionsstörungen und allgemeines Krebsrisiko, nur äußerst schwer und unvollständig dokumentierbar sind, weil im Alltag eine Vielzahl anderer Belastungen überlagernd und viel stärker wirken (z.B. Rauchen und Saufen, Dieselruß, Straßenabrieb).

Das fetteingelagerte Dioxin kann z.B. bei chronischen Krankheiten oder allgemeinen Entzündungen, die mit einer Auszehrung (Kachexie) einher gehen, schubweise freigesetzt werden, so, wie das früher einmal für das Blei galt, das aus den Knochendepots freigesetzt, in „Bleikrisen“, bei schon geschwächten Patienten, zu schweren Symptomen führte. Besonders viel Dioxin kummulieren Menschen in der Wachstumsphase, vom Säuglings- bis ins Jugendalter. Das Hirn, die Nervenbahnen und die Hautorgane regagieren zudem in dieser Phase sensibler, als es bei erwachsenen Menschen der Fall ist.

Wie es Ulrike Baureithel (dF) schlüssig erklärt, kommt es sehr darauf an, was uns die Grundnahrungsmittel wert sind (www.freitag.de/politik/1101-was-ist-es-uns-wert-2013-das-gelbe-vom-ei ). Denn der Hauptantrieb für die krummen Geschäfte ist eine gewisse Versuchung, aus den geringen Gewinnspannen bei der Grundnahrungsproduktion irgendwie heraus zu kommen. - Ganz anders sieht es bei Luxusware aus. Da zahlen nämlich zu Geld gekommene Plebejer und historisch Reiche durchaus Mond- und Fantasiepreise, selbst für miese Qualitäten (Mode-, Fetisch- und Repräsentations-Effekte).

Beim aktuellen Dioxinskandal zeigt sich jedoch, die kriminellen Machenschaften haben oft mit der Höhe des Endpreises eines Nahrungs- oder Futtermittelproduktes überhaupt nichts mehr zu tun! Die „Preisvorteile“ minderwertiger oder gar belasteter Ware werden nicht weiter gegeben und eine Auszeichnung der Ware, „Gering mit Dioxinen, Furanen und PCB belastetes Mischprodukt, Produkt für Klein- und Geringverdiener, bitte nicht für die Säuglings- und Kinderernährung verwenden, bitte nicht täglich verwenden“, wäre wohl eher mittelalterlich makaber, als dass es eine brauchbare Lösung darstellte.

Christoph Leusch

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