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ZDF TV-Geschichte Auf der Suche nach Ursprüngen fährt Historiker Christopher Clark im roten VW-Cabrio durch die deutsche Geschichte. Er hätte ruhig eigensinnigere Wege einschlagen dürfen

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Woher wir kommen? Die Antwort darauf fällt dem ZDF leicht
Woher wir kommen? Die Antwort darauf fällt dem ZDF leicht

Foto: Screenshot/ZDF-Trailer

Eine freundliche Geschichtsglosse

Derzeit fährt der australische Geschichtswissenschaftler Christopher Clark mit einem roten VW- Käfer Cabriolet durch das TV und die Mediathek der zweiten Anstalt, hin zu den Bellevuen der deutschen Geschichtslandschaft. "Deutschland-Saga – woher wir kommen" heißt das sechsteilige Format des ZDF, welches den Ursprünge der Deutschen nachspüren soll.

Geschichte aus dem Cabriolet

Das Zweite hat dem Professor aus Cambridge nicht nur einen Oldie- Pkw verpasst, der eine etwas noblere Ausgabe des Gefährts zu sein scheint, mit dem die beste TV- Kochunterhalterin Deutschlands, Sarah Wiener, eine Westfalin aus Wien, zu ihren, zugegeben schwierigen, Auslandskochreisen gewohnheitsmäßig aufbricht. Nein, das ZDF schnipselte ihm auch noch eine Menge Bildmaterial aus der schier unendlichen Dokudrama- History- Produktion des Senders in die Folgen und zusätzlich eine Anzahl beliebiger Bildchen, vom Rhein, vom deutschen Wald, von Schlössern und Burgen, vom Kaiserstuhl zu Aachen, vom Brandenburger Tor,..., die buchstäblich jeder schon kennt.

Dieser Eintopf ist bisher, in den ersten drei Folgen, zu sehr durchgekocht, so, wie einst die Speisen im Mittelalter, und seine Konsistenz nähert sich ärgerlich oft dem zähen Geschichtsbrei. - Ich finde, es gereichte dem eigentlich witzigen, klugen und durchaus ironiefähigen Professor von der besten aller Universitäten, neben Oxford, so erwartbar eingerahmt, zum Nachteil. - Hat sich das wirklich Gero von Boehm eigens für ihn ausgedacht?

Christopher, mein Namensvetter, wurde nicht nur zu Orten und Landschaften der Geschichte der Deutschen auf die Reise geschickt, sondern gar zu ihren Ursprüngen und vermeintlichen Seelenwurzeln. Reisebegleiter sind unter anderem Tacitus, Heinrich Heine mit seiner Loreley und ein paar zweifelnden Tönen, sowie Madame de Staël, die die ewigen Fahrten auf der deutschen Postschnecke besser ertrug als später Ludwig Börne, um das Land am Rhein und weit dahinter zu erkunden. Die Revolutionsgeschädigte kam ja auch noch bis Russland.

Leider durfte Clark nicht mutig wie der Christusträger durch die Untiefen der deutschen Geschichte, die häufig auch Furten sind, waten, wozu er durchaus in der Lage wäre, sondern musste sich, ein wenig gewollt, im Kulturwald verlaufen.

So tauchen in der Moderation des Historikers, als Urmotive der deutschen Seele, die Eichendorffschen Zwei Gesellen auf, die fast jeder Mensch in sich trägt. Einmal jener wander- und reiselustige Part, der Deutsche heute, mittels ihres Vermögens, zu Reiseweltmeistern macht, und dann sein Kontra, der Heimattyp, der die Ferne vielleicht am Schreibtisch oder im Kreise der Nächsten, oder gar im deutschen Nutzwald sucht, der im Glücksfall dabei auch zu einer Reise an den eigenen Seelengrund aufbricht oder von Blitzeinschlag und folgendem Donner zur wahrhaft umstürzenden Erkenntnissen getrieben wird. Dazu braucht es die Moorleichen neben Niederdorla und den Hainich nicht ganz so dringlich, wie die, durch französische Vorbilder genährten, Märchen der Demagogen- Gebrüder Grimm und deren Wörterbuch.

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,...

Heinrich Heine, den jeder Gesangsverein heute auf dem Liederzettel hat, schrieb, passend zur Fahrstrecke des Herrn Professors entlang des Mittelrheins, jenem Welterbe aus Burgen, Ruinen und Romantic revival, auch den Rabbi von Bacharach. Im heute pittoresken „Bätscherrätsch“ der Touristen, kursierte die Sage vom Tod des deutschen Jünglings Werner durch einen Ritualmord der Judengemeinde. Aus dem Gerücht und dem ewigen Vorurteil, erwuchs der antisemitische Kult um den Heiligen Werner, für den dort und in Oberwesel eigens spätgotische Kapellen erbaut wurden.

Ich habe durchaus hohe Achtung vor der Liebenswürdigkeit mit schicker Fliege und der erstaunlichen, nimmermüden Begeisterungsfähigkeit des Weltkriegserklärers und Liebhabers der Deutschen aus Down under.

Eine solche Historiker-Liebe zu Deutschland, hat fast schon züchtig-erotische Züge, wie sie auch manchen Weinliebhabern, bezüglich ihres Lieblingsstoffes, nicht fremd sein dürften und deutsche Autofahrer regelmäßig und geschichtskonstant zu ihrem Gefährt, als gefühlt letztem Reich der Freiheit, ergreifen.

Das schönste Geschenk, ich fürchte nur, es werden die wenigsten Seher zu schätzen wissen, macht uns Australiens Gabe an die Zunft der großen Geschichtserzähler, wenn er frei aus sich heraus zu singen beginnt. Da endet aller Spott und die ungebrochene Liebe kann getrost erwidert werden, unbekannter Weise. Oh, Freude, Freude, welche Töne!

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Brienzer Mädchen, freie Schweizerinnen, helfen Fallersleben auf

Die Loreley, der Fels, der Campingplatz, der Thing-Platz auf der Höhe und die Mühen der Tourismusverbände dort, sie versprühen allerdings jenen Charme, den man auch nach langer Reise zum Eisengeflechtglobus am Polarkreis spürt. - Selbst da, schlugen Deutsche, die zu wissen glaubten, ihre Erobererrunen ein. - Es ist ein eher bescheidener Anblick und Ausblick, der nur Ahnungen zulässt, sofern man schon welche mitbringt, aber keine Ansichten und Aussichten vermittelt. Zukünftig soll da alles besser werden. - Das Stolper Loch des armen Heinrich von Kleist, die nationalen Untiefen am Loreley-Felsen und das Binger Loch teilen hingegen einen gemeinsamen, mythischen Urgrund unbedingten Versenkungswillens, den es in seiner Zerissenheit und Dunkelheit zu erraten gilt, um wieder ins Helle zu gelangen, mit uns Deutschen.

Zerissenheit, zumindest Unterschiedlichkeit, als historisches Glück

Ich liebe mein Land gerade dann, wenn es sich dieser Zerissenheit, die auf lange Sicht gar nicht nur aus der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Nazidiktatur davor stammt, annimmt und mit Hingabe die Stolpersteine seiner Geschichte pflegt, ausstellt, diskutiert. Dann erst, ist es ganz mein Land und wird schön an Stellen, die so gar nichts mit der wilhelminischen Pseudoromantik und den Märchenburgen in Bayern zu tun haben.

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Wartburg über Eisenach, Lutheraner unter sich?

Selbst die Wartburg, von Clark auf den Spuren Martin Luthers wandelnd, aufgesucht, ist zu einem großen Anteil von der protestantisch- staatsreligiösen Ausgestaltung aus den Zeiten des Wilhelminismus geprägt, und die berühmte Kammer dort, erwies sich keineswegs als ein gerader Weg ins Freie oder gar zur Freiheit. Nicht weit davon, ebenso fast in der Mitte Deutschlands, liegt Bad Frankenhausen und darüber steht die Rotunde des Bauernkriegsdenkmals, mit dem Panorama- Panoptikum Tübkes zur Niederlage jener, die die Bibel allzu obrigkeitsfeindlich lasen. Ein wenig weiter noch, steht der Arminius- Hermann zu Berge und erinnert an einen Schlachten- und Siegmythos der Pseudo-Urdeutschen, gegen die Römer, 9 nach Christus, der erst 260 Jahre später und durch ganz andere Stämme, wirklich Folgen zeitigte, am sonst meist durchlässigen Limes, der keineswegs wie die zerbröselte deutsch- deutsche Mauer, eine schier unüberwindliche Grenze war . - Das alles gehört zusammengeschaut.

Die Deutsche Geschichte muss schräg, quer und schief erfahren und erlesen werden, sonst ist sie zu keiner Erkenntnis tauglich. So schief, wie derzeit der bekannte Kirchturm im Kleinstädtchen Frankenhausen steht.

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Schief beizeiten und durch die Zeiten. Die Oberkirche in Bad Frankenhausen

Stolpernd, zweifelnd, zwei Schritte vor und einen zurück, entwickelten sich die guten Eigenschaften in unseren Gesellschaften, über Jahrhunderte. Das ist eine unbedingt unvergessliche, historische Lehre.

Deutschland, wie ein krummes Holz zu sehen, bringt mehr, als die wenigen, sehr streng ausgerichteten Teile seiner Geschichte immer und ewig zu bestaunen, in der so viele plötzlich glaubten zu wissen, wie es gar tausendjährig- eichemäßig weiter gehen könnte, auf Kosten anderer, mit Blut, Eisen und falscher Ehre. - Die Demokratie hingegen, sie musste unter Deutschen mehrfach Anlauf nehmen. Fast immer, stupsten fortschrittliche Nachbarn oder eine Kriegskatastrophe die Nation in die passende Richtung.

Der kahle Freiheitsbaum

Der Freiheitsbaum der Republik stand erstmals in einem Mainzer Stadtstaat und dann noch einmal im Département Mont Tonnerre (Donnersberg- Département), mit eher funzeliger Auswirkung. Zum Ende des Intermezzos, aus Enttäuschung darüber, dass die Bourgeoisie und die Bauern partout nicht Citoyens sein wollten, sondern lieber weiter Untertan blieben, brannte er sich fast selbsttätig wieder ab.

Häufig, das ist merkwürdig und vielsagend zugleich, ist der Baum der Freiheit ziemlich blattlos, wirkt gar kahl. So hat ihn der klassische Dilettant Goethe gezeichnet und gemalt. - Aber genau das, hat doch einen Aufforderungscharakter, sich die Blätter, Blüten und Früchte gut auszudenken und dann an den Stamm zu heften. Freiheit ist, wie ihre Abwesenheit, immer Menschenwerk. Von diesem Charakter allerdings, kann man heutzutage wenig spüren, wenn die Geschäfte nur noch gemanagt, verwaltet und repräsentiert werden.

Die historisch wichtige Frage: Freiheit wozu, sie klingt derzeit so matt und trüb, trotz allen Erfolgs aus Spiegelgläsern, Aluminiumfassaden, Stahlskeletten, Einkaufszentren und Hochregal-Warenlagern, zu Frankfurt am Main und sonstwo. Auch Macht und Gewalt sind bekanntlich Freiheitsgrade, wie die Freiheit des Konsums. Aber diese Art Freiheiten sind von der moralisch unentschiedenen Sorte.

Eine Abstraktion muss, um etwas zu bedeuten, in der Realität angefüllt sein, mit Inhalten und Taten, damit die Luft nach Freiheit duftet. Das ist viel schwerer zu bewerkstelligen, als per Staatsverständnis und Gesetz heilig zu sein oder es zu werden, dazu religiös, mächtig, einig und treu. Selbst die Demokratie und Republik taugt nichts, wenn sie nur eine Leerformel mit ein paar Belohnungen zur Beruhigung der Massen bleibt und ansonsten daher kommt, wie das Treffen prominenter und alteingesessener Honoratiorenvereinigungen, die Jahr um Jahr das Land wie einen Verein führen.

So ist die Germania über Rüdesheim dem Historiker Clark zu schwer. Er hat Gespür und völlig Recht.

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Schwer lastende Siegesbronze. Germania am Niederwald, über Rüdesheim am Rhein

Die Last aus Stein und Bronze auf dem Berg, hoch über der, dadurch noch mehr spürbaren, Kleinwelt der Bürger im Rheintal, teilt diese schwere, aber nichtdestotrotz wirksame Lehre vom Sieg und der größeren Macht, die so viel eingängiger ist, mit den anderen Nationaldenkmalen. Der Bürger als Bourgeois baute sich seine Erniedrigung beständig, freiwillig und kostenträchtig, immer schon selbst. Das ist noch heute so.

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Butzbach: das Haus Friedrich Ludwig Weidigs. Die Demokratie kommt auch aus den bescheidenen Verhältnissen der deutschen Fachwerkprovinz.
"Friede den Hütten, Krieg den Palästen" (Der hessische Landbote)

Der Freiheitsbaum hingegen, muss immer wieder und mehrfach umrundet, gar umtanzt und innig beschworen werden, um ein idealer Baum zu sein. Die Blätter wachsen ihm nicht verordnet, natürlich und selbstverständlich, 1793, 1817, 1832, 1848, 1918, 1949, 1989,....2014?

Die Waldfreiheit der Germanen mag zwar noch dezent durch Peter Roseggers Waldheimat wabern oder Stifters Mappe meines Urgroßvaters durchwirken, aber in Deutschland als Reich jeder Art, mit und ohne Verfassung, gehörte der Wald traditionell der adeligen Obrigkeit, die den Kampf um ihre angemaßten Rechte, gerade dort, besonders erbittert führte. Im deutschen Wald findet sich keine Freiheit, auch wenn die Mythe heute noch kultiviert wird.

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Rosa in der Liederhalle, Frankfurt- Bockenheim, 26.September 1913. Eine Strafverfolgung und Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis war danach wohl unbedingt erforderlich. - Aktuell Bodo Ramelow gewidmet!

Der Freiheitsbaum stand kaum je im Wald, war kaum je Eiche, sondern fand sich, als langes Nadelholzstangerl, auf dem öffentlichen Markt, vor dem Rathaus, vor der Assemblée oder entlang der Chaussee, mit der phrygischen Jakobiner- Mütze an der Spitze. Der deutsche Michel blieb jedoch, mehrheitlich und willig, bei seiner Zipfelmütze. Die Demokratie und ihre republikanische Form, mit den verbrieften Menschen- und Bürgerrechten, gleicht eher einem mühsam angesammelten Klaubholzlager der Geschichte, das lange und oft mit Glück, gegen andere, stärkere, materiellere Interessen zusammengetragen werden musste.

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Deutsche Fidelio- Projekte endeten zu häufig nur in Weinkellern, hinter Gewehrläufen, vor Geldhaufen und auf T- Trägern.

Zuletzt

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Das drohende Szenario: dösig in die Zukunftsgeschichte, fast wieder schlafwandelnd.

Das Hauptmanko der auf insgesamt sechs Folgen angelegten "Deutschland Saga" (Im März 2015 folgen die drei letzten Teile), -die gefühlt einhundertste Geschichtsserie des ZDF, die sich müht, deutsche Orientierung vom Cro-Magnon Menschen und Neandertaler, die beide von Germania nichts wussten, bis zur Wiedervereinigung mit der ewigen Wiederholung des schon Bekannten zu vermitteln-, ist also ihr fehlender Mut, Orte und Personen sprechen zu lassen, die für unsere Geschichte wichtig sind, aber leider noch nicht allzu bekannt wurden oder absichtlich wieder ein wenig vergessen sind.

Die eigentliche deutsche Demokratiestory entfaltet sich genau da und nicht entlang der Postkartenmotive. - Sie ist auch viel schwerer bildlich zu erfassen.

Christoph Leusch

Das im Blog verwendete Bildmaterial stammt ausschließlich vom Blogautor selbst, bis auf das Teaser-Bild, das die aufmerksame Redaktion und Moderation des dF einfügte.

Wer mehr Format und Bildqualität wünscht, der kann es bei den eingebundenen Bildern mit einem Zoom versuchen oder aber, auf die folgende Webseite gehen:

http://haendlerundheldenmbh.blogspot.de/2014/12/doitsch-doitschdeutschland.html

Christoph Leusch

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