Eine freundliche Geschichtsglosse
Derzeit fährt der australische Geschichtswissenschaftler Christopher Clark mit einem roten VW- Käfer Cabriolet durch das TV und die Mediathek der zweiten Anstalt, hin zu den Bellevuen der deutschen Geschichtslandschaft. "Deutschland-Saga – woher wir kommen" heißt das sechsteilige Format des ZDF, welches den Ursprünge der Deutschen nachspüren soll.
Geschichte aus dem Cabriolet
Das Zweite hat dem Professor aus Cambridge nicht nur einen Oldie- Pkw verpasst, der eine etwas noblere Ausgabe des Gefährts zu sein scheint, mit dem die beste TV- Kochunterhalterin Deutschlands, Sarah Wiener, eine Westfalin aus Wien, zu ihren, zugegeben schwierigen, Auslandskochreisen gewohnheitsmäßig aufbricht. Nein, das ZDF schnipselte ihm auch noch eine Menge Bildmaterial aus der schier unendlichen Dokudrama- History- Produktion des Senders in die Folgen und zusätzlich eine Anzahl beliebiger Bildchen, vom Rhein, vom deutschen Wald, von Schlössern und Burgen, vom Kaiserstuhl zu Aachen, vom Brandenburger Tor,..., die buchstäblich jeder schon kennt.
Dieser Eintopf ist bisher, in den ersten drei Folgen, zu sehr durchgekocht, so, wie einst die Speisen im Mittelalter, und seine Konsistenz nähert sich ärgerlich oft dem zähen Geschichtsbrei. - Ich finde, es gereichte dem eigentlich witzigen, klugen und durchaus ironiefähigen Professor von der besten aller Universitäten, neben Oxford, so erwartbar eingerahmt, zum Nachteil. - Hat sich das wirklich Gero von Boehm eigens für ihn ausgedacht?
Christopher, mein Namensvetter, wurde nicht nur zu Orten und Landschaften der Geschichte der Deutschen auf die Reise geschickt, sondern gar zu ihren Ursprüngen und vermeintlichen Seelenwurzeln. Reisebegleiter sind unter anderem Tacitus, Heinrich Heine mit seiner Loreley und ein paar zweifelnden Tönen, sowie Madame de Staël, die die ewigen Fahrten auf der deutschen Postschnecke besser ertrug als später Ludwig Börne, um das Land am Rhein und weit dahinter zu erkunden. Die Revolutionsgeschädigte kam ja auch noch bis Russland.
Leider durfte Clark nicht mutig wie der Christusträger durch die Untiefen der deutschen Geschichte, die häufig auch Furten sind, waten, wozu er durchaus in der Lage wäre, sondern musste sich, ein wenig gewollt, im Kulturwald verlaufen.
So tauchen in der Moderation des Historikers, als Urmotive der deutschen Seele, die Eichendorffschen Zwei Gesellen auf, die fast jeder Mensch in sich trägt. Einmal jener wander- und reiselustige Part, der Deutsche heute, mittels ihres Vermögens, zu Reiseweltmeistern macht, und dann sein Kontra, der Heimattyp, der die Ferne vielleicht am Schreibtisch oder im Kreise der Nächsten, oder gar im deutschen Nutzwald sucht, der im Glücksfall dabei auch zu einer Reise an den eigenen Seelengrund aufbricht oder von Blitzeinschlag und folgendem Donner zur wahrhaft umstürzenden Erkenntnissen getrieben wird. Dazu braucht es die Moorleichen neben Niederdorla und den Hainich nicht ganz so dringlich, wie die, durch französische Vorbilder genährten, Märchen der Demagogen- Gebrüder Grimm und deren Wörterbuch.
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,...
Heinrich Heine, den jeder Gesangsverein heute auf dem Liederzettel hat, schrieb, passend zur Fahrstrecke des Herrn Professors entlang des Mittelrheins, jenem Welterbe aus Burgen, Ruinen und Romantic revival, auch den Rabbi von Bacharach. Im heute pittoresken „Bätscherrätsch“ der Touristen, kursierte die Sage vom Tod des deutschen Jünglings Werner durch einen Ritualmord der Judengemeinde. Aus dem Gerücht und dem ewigen Vorurteil, erwuchs der antisemitische Kult um den Heiligen Werner, für den dort und in Oberwesel eigens spätgotische Kapellen erbaut wurden.
Ich habe durchaus hohe Achtung vor der Liebenswürdigkeit mit schicker Fliege und der erstaunlichen, nimmermüden Begeisterungsfähigkeit des Weltkriegserklärers und Liebhabers der Deutschen aus Down under.
Eine solche Historiker-Liebe zu Deutschland, hat fast schon züchtig-erotische Züge, wie sie auch manchen Weinliebhabern, bezüglich ihres Lieblingsstoffes, nicht fremd sein dürften und deutsche Autofahrer regelmäßig und geschichtskonstant zu ihrem Gefährt, als gefühlt letztem Reich der Freiheit, ergreifen.
Das schönste Geschenk, ich fürchte nur, es werden die wenigsten Seher zu schätzen wissen, macht uns Australiens Gabe an die Zunft der großen Geschichtserzähler, wenn er frei aus sich heraus zu singen beginnt. Da endet aller Spott und die ungebrochene Liebe kann getrost erwidert werden, unbekannter Weise. Oh, Freude, Freude, welche Töne!
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Brienzer Mädchen, freie Schweizerinnen, helfen Fallersleben auf
Die Loreley, der Fels, der Campingplatz, der Thing-Platz auf der Höhe und die Mühen der Tourismusverbände dort, sie versprühen allerdings jenen Charme, den man auch nach langer Reise zum Eisengeflechtglobus am Polarkreis spürt. - Selbst da, schlugen Deutsche, die zu wissen glaubten, ihre Erobererrunen ein. - Es ist ein eher bescheidener Anblick und Ausblick, der nur Ahnungen zulässt, sofern man schon welche mitbringt, aber keine Ansichten und Aussichten vermittelt. Zukünftig soll da alles besser werden. - Das Stolper Loch des armen Heinrich von Kleist, die nationalen Untiefen am Loreley-Felsen und das Binger Loch teilen hingegen einen gemeinsamen, mythischen Urgrund unbedingten Versenkungswillens, den es in seiner Zerissenheit und Dunkelheit zu erraten gilt, um wieder ins Helle zu gelangen, mit uns Deutschen.
Zerissenheit, zumindest Unterschiedlichkeit, als historisches Glück
Ich liebe mein Land gerade dann, wenn es sich dieser Zerissenheit, die auf lange Sicht gar nicht nur aus der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Nazidiktatur davor stammt, annimmt und mit Hingabe die Stolpersteine seiner Geschichte pflegt, ausstellt, diskutiert. Dann erst, ist es ganz mein Land und wird schön an Stellen, die so gar nichts mit der wilhelminischen Pseudoromantik und den Märchenburgen in Bayern zu tun haben.
Wartburg über Eisenach, Lutheraner unter sich?
Selbst die Wartburg, von Clark auf den Spuren Martin Luthers wandelnd, aufgesucht, ist zu einem großen Anteil von der protestantisch- staatsreligiösen Ausgestaltung aus den Zeiten des Wilhelminismus geprägt, und die berühmte Kammer dort, erwies sich keineswegs als ein gerader Weg ins Freie oder gar zur Freiheit. Nicht weit davon, ebenso fast in der Mitte Deutschlands, liegt Bad Frankenhausen und darüber steht die Rotunde des Bauernkriegsdenkmals, mit dem Panorama- Panoptikum Tübkes zur Niederlage jener, die die Bibel allzu obrigkeitsfeindlich lasen. Ein wenig weiter noch, steht der Arminius- Hermann zu Berge und erinnert an einen Schlachten- und Siegmythos der Pseudo-Urdeutschen, gegen die Römer, 9 nach Christus, der erst 260 Jahre später und durch ganz andere Stämme, wirklich Folgen zeitigte, am sonst meist durchlässigen Limes, der keineswegs wie die zerbröselte deutsch- deutsche Mauer, eine schier unüberwindliche Grenze war . - Das alles gehört zusammengeschaut.
Die Deutsche Geschichte muss schräg, quer und schief erfahren und erlesen werden, sonst ist sie zu keiner Erkenntnis tauglich. So schief, wie derzeit der bekannte Kirchturm im Kleinstädtchen Frankenhausen steht.
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Schief beizeiten und durch die Zeiten. Die Oberkirche in Bad Frankenhausen
Stolpernd, zweifelnd, zwei Schritte vor und einen zurück, entwickelten sich die guten Eigenschaften in unseren Gesellschaften, über Jahrhunderte. Das ist eine unbedingt unvergessliche, historische Lehre.
Deutschland, wie ein krummes Holz zu sehen, bringt mehr, als die wenigen, sehr streng ausgerichteten Teile seiner Geschichte immer und ewig zu bestaunen, in der so viele plötzlich glaubten zu wissen, wie es gar tausendjährig- eichemäßig weiter gehen könnte, auf Kosten anderer, mit Blut, Eisen und falscher Ehre. - Die Demokratie hingegen, sie musste unter Deutschen mehrfach Anlauf nehmen. Fast immer, stupsten fortschrittliche Nachbarn oder eine Kriegskatastrophe die Nation in die passende Richtung.
Der kahle Freiheitsbaum
Der Freiheitsbaum der Republik stand erstmals in einem Mainzer Stadtstaat und dann noch einmal im Département Mont Tonnerre (Donnersberg- Département), mit eher funzeliger Auswirkung. Zum Ende des Intermezzos, aus Enttäuschung darüber, dass die Bourgeoisie und die Bauern partout nicht Citoyens sein wollten, sondern lieber weiter Untertan blieben, brannte er sich fast selbsttätig wieder ab.
Häufig, das ist merkwürdig und vielsagend zugleich, ist der Baum der Freiheit ziemlich blattlos, wirkt gar kahl. So hat ihn der klassische Dilettant Goethe gezeichnet und gemalt. - Aber genau das, hat doch einen Aufforderungscharakter, sich die Blätter, Blüten und Früchte gut auszudenken und dann an den Stamm zu heften. Freiheit ist, wie ihre Abwesenheit, immer Menschenwerk. Von diesem Charakter allerdings, kann man heutzutage wenig spüren, wenn die Geschäfte nur noch gemanagt, verwaltet und repräsentiert werden.
Die historisch wichtige Frage: Freiheit wozu, sie klingt derzeit so matt und trüb, trotz allen Erfolgs aus Spiegelgläsern, Aluminiumfassaden, Stahlskeletten, Einkaufszentren und Hochregal-Warenlagern, zu Frankfurt am Main und sonstwo. Auch Macht und Gewalt sind bekanntlich Freiheitsgrade, wie die Freiheit des Konsums. Aber diese Art Freiheiten sind von der moralisch unentschiedenen Sorte.
Eine Abstraktion muss, um etwas zu bedeuten, in der Realität angefüllt sein, mit Inhalten und Taten, damit die Luft nach Freiheit duftet. Das ist viel schwerer zu bewerkstelligen, als per Staatsverständnis und Gesetz heilig zu sein oder es zu werden, dazu religiös, mächtig, einig und treu. Selbst die Demokratie und Republik taugt nichts, wenn sie nur eine Leerformel mit ein paar Belohnungen zur Beruhigung der Massen bleibt und ansonsten daher kommt, wie das Treffen prominenter und alteingesessener Honoratiorenvereinigungen, die Jahr um Jahr das Land wie einen Verein führen.
So ist die Germania über Rüdesheim dem Historiker Clark zu schwer. Er hat Gespür und völlig Recht.
Schwer lastende Siegesbronze. Germania am Niederwald, über Rüdesheim am Rhein
Die Last aus Stein und Bronze auf dem Berg, hoch über der, dadurch noch mehr spürbaren, Kleinwelt der Bürger im Rheintal, teilt diese schwere, aber nichtdestotrotz wirksame Lehre vom Sieg und der größeren Macht, die so viel eingängiger ist, mit den anderen Nationaldenkmalen. Der Bürger als Bourgeois baute sich seine Erniedrigung beständig, freiwillig und kostenträchtig, immer schon selbst. Das ist noch heute so.
Der Freiheitsbaum hingegen, muss immer wieder und mehrfach umrundet, gar umtanzt und innig beschworen werden, um ein idealer Baum zu sein. Die Blätter wachsen ihm nicht verordnet, natürlich und selbstverständlich, 1793, 1817, 1832, 1848, 1918, 1949, 1989,....2014?
Die Waldfreiheit der Germanen mag zwar noch dezent durch Peter Roseggers Waldheimat wabern oder Stifters Mappe meines Urgroßvaters durchwirken, aber in Deutschland als Reich jeder Art, mit und ohne Verfassung, gehörte der Wald traditionell der adeligen Obrigkeit, die den Kampf um ihre angemaßten Rechte, gerade dort, besonders erbittert führte. Im deutschen Wald findet sich keine Freiheit, auch wenn die Mythe heute noch kultiviert wird.
Rosa in der Liederhalle, Frankfurt- Bockenheim, 26.September 1913. Eine Strafverfolgung und Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis war danach wohl unbedingt erforderlich. - Aktuell Bodo Ramelow gewidmet!
Der Freiheitsbaum stand kaum je im Wald, war kaum je Eiche, sondern fand sich, als langes Nadelholzstangerl, auf dem öffentlichen Markt, vor dem Rathaus, vor der Assemblée oder entlang der Chaussee, mit der phrygischen Jakobiner- Mütze an der Spitze. Der deutsche Michel blieb jedoch, mehrheitlich und willig, bei seiner Zipfelmütze. Die Demokratie und ihre republikanische Form, mit den verbrieften Menschen- und Bürgerrechten, gleicht eher einem mühsam angesammelten Klaubholzlager der Geschichte, das lange und oft mit Glück, gegen andere, stärkere, materiellere Interessen zusammengetragen werden musste.
Deutsche Fidelio- Projekte endeten zu häufig nur in Weinkellern, hinter Gewehrläufen, vor Geldhaufen und auf T- Trägern.
Zuletzt
Das drohende Szenario: dösig in die Zukunftsgeschichte, fast wieder schlafwandelnd.
Das Hauptmanko der auf insgesamt sechs Folgen angelegten "Deutschland Saga" (Im März 2015 folgen die drei letzten Teile), -die gefühlt einhundertste Geschichtsserie des ZDF, die sich müht, deutsche Orientierung vom Cro-Magnon Menschen und Neandertaler, die beide von Germania nichts wussten, bis zur Wiedervereinigung mit der ewigen Wiederholung des schon Bekannten zu vermitteln-, ist also ihr fehlender Mut, Orte und Personen sprechen zu lassen, die für unsere Geschichte wichtig sind, aber leider noch nicht allzu bekannt wurden oder absichtlich wieder ein wenig vergessen sind.
Die eigentliche deutsche Demokratiestory entfaltet sich genau da und nicht entlang der Postkartenmotive. - Sie ist auch viel schwerer bildlich zu erfassen.
Christoph Leusch
Das im Blog verwendete Bildmaterial stammt ausschließlich vom Blogautor selbst, bis auf das Teaser-Bild, das die aufmerksame Redaktion und Moderation des dF einfügte.
Wer mehr Format und Bildqualität wünscht, der kann es bei den eingebundenen Bildern mit einem Zoom versuchen oder aber, auf die folgende Webseite gehen:
http://haendlerundheldenmbh.blogspot.de/2014/12/doitsch-doitschdeutschland.html
Christoph Leusch
Kommentare 12
Danke - Du sprichst mir aus der Seele.
Die Reihe ist nicht nur in einem gruseligen Stil verfasst - sie offenbahrt für mich auch die panische Angst der Macher, irgendwo anzuecken, etwas Falsches zu sagen oder einfach nur einen "Misserfolg" zu produzieren.
Geschichts-Fernsehen als Entertainment gibt es ja schon seit längerem. Teilweise an Peinlichkeit nicht zu überbieten: der angestaubte Stil von Guido Knopp's "History" mit zwischengeschalteten dozierenden Professoren - oder die von Prominenten, im "Move-Style" durch die Geschichte schlendernd, "moderierten" Dokumentationen. Es ist mir immer noch ein Rätsel, wie sich ein Schauspieler und Regisseur vom Format eines Maximilian Schell für so etwas her geben konnte.
Ich empfand es, wie sie schreiben, Stine. Das war wieder eine Art Werbeveranstaltung für das schon millionenfach besuchte Materielle der Geschichte, in den deutschen Landen.
Die Sendebeiträge bleiben zu oberflächlich und sie zeigen gerade nicht die eher versteckten Teile der Geschichte, die letztlich zu unseren demokratischen und republikanischen Werten und der stabilsten, friedlichsten unbd freiheitlichsten Regierungsform führten, die je auf deutschem Boden existierte. - Demokratie und Republik schienen nämlich, bis 1848/49 auf einem guten Weg, gegen Biedermeier und Restauration und 1918/1919 gab es nocheinmal eine Riesenchance, die vor allem auch durch die mangelnde Konsequenz der glaubwürdigen Demokraten wieder verspielt wurde.
Die sogenannte Freiheit wurde fast ausschließlich umgedeutet zu einer Freiheitskrieger und Nationalmission, gegen andere Nationen. Besonders gut, ist das ablesbar, an der sehr raschen Veränderung des bürgerlichen Liberalismus in Deutschland und an der Veränderung in den Einstellungen der Bildungselite, die z.B. nicht mehrheitlich dem erweiterten Gedanken Alexander von Humboldts folgten, sondern sich von nationalistischen und völkischen Ideen beeindrucken ließen und sich selbst militarisierten.
Welch´ ein Graben liegt z.B. zwischen den Historikern Leopold v. Ranke und Heinrich v. Treitschke, und wie sehr war dieses Fach am Ausbau der Blut und Eisen- Ideologie, aus der praktisch alle, heute massentouristisch verehrten und geschätzten, historischen Orte stammen, beteiligt!
Dem Historiker Clark traue ich aber durchaus mehr zu, als er hier zeigen durfte. Vielleicht fühlte er sich zu sehr gebauchpinselt, durch das Ansinnen des ZDF, ihn fahren zu lassen?
Gero von Boehm steht eigentlich auch nicht für so viel Plattheit.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Der nicht mehr hauptverantwortliche TV- History- Redakteur Knopp, mittlerweile auch Professor, lädt nun gerne zu Geschichtstalks, bei denen es auch anständig einförmig zugeht. Durchaus mit der erkennbaren Absicht, ein Geschichtsbild festzulegen.
Regelmäßig kommten die wichtigsten Unterstützer aus einer eher konservativen Ecke, was leichte Sozialdemokratie nicht ausschließt. Daran ändert sich auch nicht, wenn zu aktuellen Themen z.B. Franziska Augstein auch einmal mitreden darf oder Historiker aus Franktreich beisitzen.
Legendär ist ja eine eher politische Veranstaltung Knopps, auf der es um den Islam und seine Integration in Deutschland ging. Das war Teil, der von ihm mitbegründeten Aschaffenburger Gespräche.
Gutes Wochenende
Christoph Leusch
"Könnte die Erklärung vielleicht darin liegen, dass Maximilian Schell genau wusste, dass die unterste Stufe einer Treppe ein besonders breites Fundament benötigt"
Ich hoffe, dass es so war.
Allerdings - mit Gunter Schoß (Geschichte Mitteldeutschlands) und Petra Gerster ("Strafsache Jesus - Der Faktencheck mit Petra Gerster" und "Das Geheimnis der Päpstin - Ein Skandal und seine Geschichte") wurde in einer für mich beeindruckenden Art und Weise der Nachweis erbracht, dass nicht nur Schlimmer immer geht, sondern sogar viel Schlimmer.
Von erschreckender Peinlichkeit und zum Fremdschämen sind Formate, wie "Aufgedeckt: Mysterien der Geschichte", in denen sich der Journalist Oliver Steeds quasi den trotteligen "Geschichts-Detektiv" gibt. Fehlt eigentlich nur noch der x-te Aufguss der "Sendung mit der Maus" im Erwachsenen-Format - obwohl man den mit einem spröden und authentisch rüberkommenden Humor gesegneten Ralph Caspers bitter Unrecht täte, wenn man ihn mit dem Machwerk mit Steeds vergleicht.
Übrigens halte ich Caspers für eines der grössten Talente im deutschen Fernsehen. NIcht nur ein Alleskönner, sondern zugleich auch ein für sich stehender, schräger, unkonventioneller und gleichzeit Vogel, ein Kreativkopf, der durchaus jenseits des Kinderfernsehens beachtlichen Erfolg haben könnte - wenn man ihn denn lassen würde. Ein Jammer.
Zerissenheit ….. als historisches Glück ….. Zerissenheit, die auf lange Sicht gar nicht nur (Hervorhebung von mir) aus der deutschen Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg und der Nazidiktatur davor stammt
Dem schließe ich mich voll an. Sie fahren fort:
... wird schön an Stellen, die so gar nichts mit der wilhelminischen Pseudoromantik und den Märchenburgen in Bayern zu tun haben.
Was ist damit gemeint? Die Romantik findet sich als eine kulturhistorisch abgrenzbare Zeitspanne, in der eine bestimmte Art des Denkens und der künstlerischen Stilistik dominant waren, in fast allen europäischen Nationen, aber nirgends so ausgeprägt wie in der deutschsprachigen Welt. Selbstverständlich hat sich die epochale Charakteristik in Trivialformen der Pseudoromantik bis zum Kitsch niedergeschlagen. Der „Märchenkönig“ Ludwig andrerseits ist mit seinen Schlössern und Bayreuth doch wohl ein spätes Original. Man würde die Epoche unzureichend verstehen, wenn man die Romantik nur der Kunst und der Volkssentimentalität zuschreiben würde, sie ist fundamental im philosophischen, wissenschaftlichen, aufgeklärten Bewußtsein präsent, wenn auch vielfach als widersprechender Reflex, als Gegenaufklärung (sie bringt das Dunkle in die Aufklärung zurück). Weil auch ihre Nachwirkungen in Deutschland so nachhaltig waren und sind, kann man die Romantik als typisch deutsch ansehen. Mit ihr erklärt sich die kontinentaleuropäische, insbesondere aber wiederum deutsche Distanz zum angloamerikanischen Kulturraum und ein Teil dessen, was oft als Antiamerikanismus diffamiert wird.
Romantik steht für das Zerrissene, Exaltierte, manchmal mit Fehlen der Mitte beschrieben: das Land in der Mitte, das nicht in sich ruht, daher womöglich großen Harmoniebedarf hat. Eine verspätete Nation, zwischen den Extremen Zurückgebliebenheit und intellektueller Kompensation in Wissenschaft und Kunst, zwischen Vergangenheit und Zukunft ohne Gegenwärtigkeit, zwischen Autoritarismus und Aufklärung, Katholizismus und Glaubensferne, zwischen Revolution und Konterrevolution. Alle Versuche zu einer dauerhaften Identität als glorreiche Monarchie, imperiale Macht, utopisch-idealistische Räterepublik oder wenigstens mustergültige Demokratie, faschistische Gewaltordnung sind gescheitert (wie die meisten Kriege verloren). Hin- und hergerissen zwischen dem Pragmatismus und Individualismus der westlichen Siegermächte und der eigenen Tradition eines tiefgründigen Prinzipialismus und sozialen Regelungs- und Ordnungsbedürfnissen führte das zur ersten deutschen Erfolgsgeschichte (jenseits der Reichsgründung) des Wirtschaftswunders, des Sonderwegs des rheinischen, gezähmten Kapitalismus, eines dritten Weges, an den die Sozialdemokratie noch heute verbissen glaubt.
So könnte man die deutsche Geschichte erzählen, die Zerrissenheit, Unsicherheit und das Harmonisierungsbedürfnis als die große Chance, Ost und West, Süd und Nord zu verbinden.
Es gibt andere Narrative, aber gute Argumente für das hier präsentierte, und ich verstehe Ihren Beitrag in diesem Sinn als eine Empfehlung an Christopher Clark, die Sache gründlicher, deutscher anzugehen (er müßte das können). Mein Einwand nun ist: zu spät. Deutschland ist weit vorangeschritten auf dem Weg zu einer normalen Nation der kapitalistischen Staatenwelt. Die Deutschen werden nie den solipsistischen Individualismus der Amerikaner übernehmen, wobei der paradoxe Hinweis fällig ist, daß der emanzipatorische Individualismus eine sehr deutsche Philosophie war. Aber von der Kraft romantischer Visionen radikalen Andersseins ist nicht viel übrig geblieben, die wurde erst in Faschismus und Stalinismus verpulvert und dann in dem schleichenden Prozeß der ideologischen Gleichschaltung (der Macht des Faktischen) marginalisiert. Und die Idee einer Revolution von Oben, aus geistiger Autonomie, war natürlich immer bizarr.
Ja, auch das ist interessant, sich die Haltung der Literaten, Künstler und Intellektuellen (den Leuten die die deutsche Universität aufbauten, die Presse und den Kulturbetrieb, einschließlich der Verlage) anzusehen, und dort zu beobachten, wie schnell sich deren Haltung änderte, besonders nach 1848/49 (Paradigmatisch sind einige Lebensläufe ehemaliger 48er, die sich zu ausgesprochenen Nationalisten und kaisertreuen Zeitgenossen entwickelten).
Waren bis dahin die Forderungen nach Verfassungen mit Grundrechtsgarantien und entsprechender bürgerlicher Kontrolle des Staatsetats, die Gewaltenteilung und der Kampf gegen Polizei- und Justizwillkür sehr stark im Blick, wurde das Bürgertum immer nationaler und später auch militärischer.
Der wesentliche Punkt allen Denkens ist dann die Einheit der Nation, die Stärke der Nation im europäischen Umfeld und die Wirtschaftsentwicklung in der zunehmenden Konkurrenz.
Die Sozialgesetzgebung war doch vor allem ein Reflex Bismarcks und einiger Großindustrieller, auf das Erstarken der Sozialdemokratie, die ja noch lange die Meinung vertrat, dass nur ein radikaler Umsturz, eine Revolution und die Lösung der sozialen Frage, durch die Herrschaft der Arbeiterklasse die Gesellschaft ausreichend modernisieren und demokratisieren könne. Je länger aber das wilhelminische Kaiserreich bestand, es hatte ja auch durchaus Erfolge, desto intensiver spalteten sich die Flügel in der Sozialdemokratie. Die Partei fiel an entscheidenden Punkten, für ein wenig Teilhabe und weniger Unterdrückung, sondern Anerkennung, um. Das war vor dem ersten Weltkrieg schon klar zu erkennen und wurde innerparteilich hart diskutiert.
Der ursprüngliche Internationalismus der Linken, der durch die allgmeinen Verfolgungen in ganz Europa, durch die Ausdehnung der deutschen und österreichischen Reichsgebiete und die gegenseitige Hilfe der Sozialisten/Sozialdemokraten/Revolutionäre zustande gekommen, war, erhielt sich letztlich nur im linken Flügel, der bald dauerhaft in der Minderheit blieb.
Der Rest setzte auf Gewerkschaften und ein jeweils reichs- und obrigkeitskonformes Verhalten der Sozialdemokratie. Das schien anzukommen, minimierte aber auch das Selbstvertrauen der damals größten Arbeiterpartei der Welt, einen größeren politischen und sozialen Wandel herbeiführen zu können. - Das Ende der Geschichte war, dass man auch nach der WW1 Niederlage nur halbherzig und mit zahlreichen "Bündnissen" (kaiserliche Beamte blieben in den Leitungen, das Militär verlangte für sein Stillhalten die Ausschaltung der Räterepubliken und der radikalen Linken im Reich, die Gewerkschaften mussten sich den damals führenden Großindustriellen als Einheitsgewerkschaft anbieten, die SPD musste sich bald auf rechtsliberale und konservative Partner stützen), Regierungsverantwortung übernehmen wollte.
Durchregiert wurde nur im Kampf gegen die Linke, die sich zu Kommunisten erklärten. Historiker, die der heutigen SPD nahe stehen, haben den Ablauf immer als notwendig und im Grunde alternativlos dargestellt. Besonders bomfortionös und von oben herab, macht das noch heute Heinrich August Winkler.
Bei der Beurteilung der Entstehung des Protestantismus in der Frühneuzeit, arbeiteten sich über Generationen evangelische Theologen und der Kirche nahe Staatshistoriker ab, Luther als Freiheitsbringer darzustellen. Die schwarze Seite, Staatsnähe der Religion, Entstehung eines neuen auch hart weisenden Klerus, den man glaubte doch nur bei den Katholiken finden zu können, Obrigkeitshörigkeit als Gottgefälligkeit, Prädestinationslehre und starke Kontrolle der Bevölkerung durch die Theologie in der Primär- und Sekundärschule, wurden erst nach zwei Kriegskatastrophen und dem ultimativen Zivilisationsbruch im Zweiten Weltkrieg, von den evangelischen Kirchen mehrheitlich in Frage gestellt. - Man könnte endlos dazu diskutieren.
Wichtig ist mir, dass Christopher Clark zu optimistisch und mit viel Blauäugigkeit durch solche Kapitel fährt. - Das Ende des Bauernkriegs, Bauern hatten schon Jahrzehnte davor in ganz Europa lokale Austände angezettelt, ohne Reformation, um die Grundherrschaft loszuwerden oder zumindest ihr schweres Los zu bessern oder in Hungersnöten an die Speicher der Grundherren zu kommen, zerstörte doch auch die Hoffnung, direkt aus der Bibel eine gerechtere Welt abzuleiten.
Diese Geschichte und die vielen anderen, sind heute auch deshalb schwer sichtbar, weil man obrigkeitlich viel tat, die Spuren zu löschen und das Gedenken zu unterdrücken. Eine kleine Bildungsrevolution die mit Preußens Aufstieg und mit den kleineren südwestdeutschen Fürstentümern einsetzte, war zunächst eine Bildung entlang der Bibel. Besonders für die Massen, die keine weiterführende Bildung erhielten.
Interessant ist auch der Wechsel der idolisierten Klassiker:
Die Nähe Schillers zur franz. Revolution, dessen historisches Bewusstsein, sie waren bald suspekt, und das Bürgertum wechselte den Nationaldichter. Goethe, der Mann aller privaten Möglichkeiten kam nun zuerst. Und das junge oder gar revolutionäre Deutschland, es musste allzu häufig ins Exil.
Schönen Sonntag
Christoph Leusch
Sie sprechen in der Erwiderung eine ganz wichtige Sache an. Der Bergriff der Romantik ist ja nicht nur in der Alltagssprache, sondern auch in den Vorstellungen ihrer Repräsentanten schillernd, und er wurde über das ganze 19. Jh,. immer weiter ausgedehnt.
Romantisch kann sein, was einem ausgeprägten Individualismus entspricht, klassisch formuliert in diesem Gedicht von den Zwei Gesellen Eichendorffs.
Romantisch kann sein, sich an Ideale und Kulturen zurückzubinden, z.B. in der Kunst sich auf Raffael zu beziehen, nach Volksmärchen und Volksmythen zu suchen, sogar Fälschungen und Fehlinterpretationen hinzunehmen (Ossian), die aber, nach unserem Wissen heute, eher gesamteuropäische Wurzeln haben und von den wirklichen Mythen- und Sagenforschern sogar in jeder Weltreligion und jeder Kultur auf diesem Planeten zu finden sind.
Denken Sie nur daran, dass z.B. ein dezidiert linker und an einem poltischen Realismus interessierter Autor, wie Eduardo Galeano, die indianische Mythologie Südamerikas explizit zugänglich macht (Erinnerungen an das Feuer) und ihr einen Eigenwert verleiht, den sie lange, in der vermeintlich rationalen Überlegenheit der Eroberer und Kulturpräger aus Spanien, Portugal, England und Frankreich, dann den USA, gar nicht hatte.
Romantisch kann sein, auch Seelenwurzeln der Individuen auf verallgemeinerte Mythen zurückzuführen. Denken sie an Mircea Eliade, Jung, Claude Lévi-Strauss. Das hielt Eliade jedoch nicht nicht davon ab, sich auf extrem konservatives politisches Denken einzulassen, das einer strikten Formierung der Gesellschaft immer das Wort redete, weil damit die Herrschaft total werden konnte.
Romantik gilt alltagsprachlich häufig als etwas Negatives, weil damit eine Abkehr von der Ratio, bzw. dem Realismus verstanden wird.
Dabei sind doch die relativierenden, nebeneinander stellenden und explizit nicht wertenden Vorgehensweisen, jedes Volk, jeden Menschen (Romantische Erfahrungseelenkunde), jede Sache in ihren Bedingungen zu betrachten , überhaupt erst einmal zu beschreiben, die klassischen, von Deutschen mitgetragenen Bildungs- und Wissenschaftskritierien. - Verstehen, das ist ein romantisches Motiv. Und gerade derzeit wäre es wichtig, so viel Idealismus aufzubringen, die kulturellen und poltischen Motive beständig verstehen zu wollen, um nicht wieder in die gleichen ideologischen Gräben zu steigen, aus denen man, als Dividende der Geschichte, doch aussteigen wollte.
Ja, es ist heute leider sogar wieder sehr populär, mit dem Begriff der "Sozialromantik" um die Häuser zu ziehen und die soziale Verantwortung des Staates, wozu wäre er sonst da, als zu entängstigen und abzusichern, klein zu reden und zu schreiben, obwohl dies doch der Kern dessen ist, was Linke in die Geschichte einbringen konnten oder dem Obrigkeits- und Nachtwächterstaat abtrotzen konnten.
Ich finde, es lohnte, das kurz einmal an einem doch weithin bekannten Bruderpaar aus der Zeit abzuhandeln, wenn ich dazu Platz und Zeit hätte. Wilhelm und Alexander Humboldt, die beide auf ihre Weise, die 150- jährige Geschichte der Ausbildung der Bildungseliten an deutschen Hochschulen bestimmten.
Bei Wilhelm (Grenzen der Wirksamkeit des Staates) gibt es früh die Beschränkung des Staates auf eine reine Wächterfunktion, allerdings mit einer Verfassung, die die Individuen, vor allem vor dem Staat selbst, schützt und eine dezidiert positive Einstellung zum Krieg, als regelmäßig formierendem Element (es bleibt ja, außer der Staatsreligion und der Einheit der Nation nichts). Ein gewaltsamer Einheitsgedanke sozusagen.
Wilhelm von Humboldt unterdrückt dabei, dass Kriege regelmäßig chaotische Verhältnisse erzeugen und die Spielregeln der Zivilisation, den individuellen Schutz, den er sich doch sonst wünscht, völlig aufheben.
Er konnte das schon wissen. Denn der für Preußen so unheimlich glücklich ausgehende, Siebenjährige Krieg, war, ein brutaler europäischer Krieg, bis in die Kolonien, der nicht nur die meist gepressten und beständig mit dem Tode bedrohten einfachen Soldaten betraf, sondern ganze Landstriche verwüstete und die Ökonomien der Staaten zerrüttete.
Das steht dem bis heute verbreiteten Kitsch vom Heldenmut, von der Einheit und dem Durchhaltewillen (die Nazis wussten das propagandistisch zu nutzen), vom großen Friedrich, entgegen.
Später gab es die Napoleonischen Kriege, die keineswegs ordentlich, heldisch und "sauber" blieben, sondern militärisch und zivil sich brutalisierten. Erste Ansätze des modernen, totalen Krieges wurden da sichtbar und ebenso, die der völlig entgrenzten, asymetrischen Kriegsführung (Spanien), mit Guerilla-Taktiken, Geiselerschießungen, Stadtzerstörungen und der Politik der verbrannten Erde.
Alexander von Humboldt denkt im Kosmos, der so etwas ist, wie eine Vereinigung der Gegensätze und er beweist mit seinen Forschungsreisen und Partnerschaften, dass das geht, das es fruchtbar für Wissen und Erkenntnisse ist und Freundschaften über Jahrhunderte begründen kann. - Kaum ein anderer Deutscher, genießt in Südamerika so viel Anerkennung, gerade weil das, bezogen auf die reale Wirksamkeit, eher eine Wirkung von Ideen, Geisteshaltungen und persönlicher Lebensführung blieb und keine kolonialen Züge trug, also nicht von politischer Dominanz, Herrschaft oder Gewaltanwendung geprägt war. - Bei ihm fällt ein weiterer, durchaus positiver Faktor auf, dass nämlich der Forscher selbst, sofern er das kann, seine eigenen materiellen Mittel in den Dienst dieser Universalwissenschaft stellt. -Negativ betrachtet, wäre das die Verachtung der bürgerlichen Existenz mit Eigentum und Besitz. Usw.
Was US-Amerika angeht, so denke ich, es wäre zu einseitig, da nur auf die Individualideologie und den Gedanken der Erwähltheit als Führungsnation zu schauen. Dieses Land hat eine große, gebildete und auch meinungsstarke, bürgerrechtliche, sich sozial und kulturell verantwortlich fühlende Traditionslinie, von Anfang an.
Anders ist doch nicht zu verstehen, warum sich die Konservativen dort so viel Mühe geben müssen, populistisch und demagogisch jede liberale und soziale Regung, jede Rückkehr zur Kontrolle und Transparenz der politischen Macht, als Teufelswerk der "Liberals", wenn nicht gar des getarnten Kommunismus, darzustellen.
Noch einmal:
Mir ging es darum, dass unser jetziger Status, als Demokratie und Republik, sich in einer Geschichte und ihrer Darstellung wiederfinden müsste, weil wir sonst an dem Übermaß an erhaltener und anschaulicher Verklärung der Monumente des langen 19. Jahrhunderts kleben bleibt.
Meine Meinung:
Die spezifische Demokratiegeschichte, die alle dies W- Fragen der sechsteiligen "ZDF-Saga" , mit einer Zukunftsperspektive verknüpfen würde, findet sich nicht in der Geschichte aus dem Cabriolet und nicht in den Wurzeln, die das ZDF aus seinem reichhaltigen Fundus vorwiegend zusammenschnitt.
Auf der Webseite zur Sendung, die die dF- Moderation dankenswerter Weise oben als Link einpflegte, werden an sich gute Ziele und Ansprüche formuliert, aber die Serie löst sie nur am Rande und fast widerwillig ein. Zugegeben: es ist eben schwer, Demokratie und Republikanismus in Deutschland materiell darzustellen, auch wenn, vor allem im deutschen Südwesten ein paar "Monumente" existieren und eben, wie oben im Foto zu sehen, die Paulskirche als Hülle und Gedenkort eingrahmt zu Frankfurt am Main steht. - Enttäuschend ist die Schläfrigkeit im Kaffee- Deutschland, die allzu oft nur sozial und medial gewünschte Lippenbekenntnisse zulässt.
Diese Geschichte braucht aber Erzählungen, Bilder, Monumente, Dokumente und Personen, um nicht über Steinzeit und Germanen, Römer und Nationalsozialisten, ihr Spezifikum zu verlieren und das europäische Element, gerade in dieser jüngeren durchaus erfolgreichen Geschichte zu vergessen.
Überspitzt, erzählen wir zu wenig empathisch, die Reform- und Revolutionsgeschichte unter Deutschen, weil die zu oft scheiterte. Dabei haben die Verlierer, die meist in der Minderheit waren, im 19. und den ersten 50 Jahren des 20.Jahrhunderts, doch gewonnen. Die Verliererstory gehörte als Saga beschrieben. Das ist unsere Gewinner- und Zukunftsgeschichte, für Europa und eben nicht der Rückfall, einschließlich des Krieges, in Wehr und Ehr´, in Eisen und Blut.
Es war nun viel und ich hoffe wie immer, dass andere KommentatorInnen mitlesen und verstehen, wie schwer es ist, allen persönlich und eben ernsthaft zu antworten.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ihren sehr ausführlichen Beiträgen, lieber Christoph Leusch, folge ich mit großem Genuß. In meiner Replik versuche ich mich so kurz wie mir möglich zu fassen, die Diskussion auf einen zentralen, schon angedeuteten Punkt zu bringen, damit andere nicht die Lust am thread verlieren, das wäre schade um das hochaktuelle Thema.
Sie stellen fest, wie umfassend die semantische Reichweite von Romantik ist. Ich möchte das einmal anhand der Musik demonstrieren: Der erste Romantiker war vielleicht Beethoven, ein (der letzte) Klassiker, der letzte war Schönberg, neben Webern der Vater einer neuen, der bislang und in der Extremität wohl kaum überbietbaren strukturstrengsten, rationalsten Musik. Schönbergs Charakterisierung als konservativer Revolutionär ist überaus zutreffend.
Damit will ich feststellen, daß diese Romantik sich in Kontinuität und Diskontinuität der Geschichte sah. Romantik als Vollendung und Gegenrede zur Aufklärung. Ist konservativer Revolutionär nicht auch eine gute Charakterisierung von Rousseau, ist „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ nicht eine Verbindung von Aufklärung und Romantik, steht nicht auch Alexander von Humboldt dafür, und der mir unbekannte, von Ihnen erwähnte Galeano? Ist die romantische Märchenwelt nicht eine Projektion der Utopie in die Vergangenheit?
Die soziale Revolution (und deren Subjekt) steht auf einem anderen, dem sozialpsychologischen und politökonomischen Blatt. Aber muß sie sich nicht in solcher geistigen Verfassung einer Bildungselite spiegeln und braucht deren Unterstützung? Wenn das so ist, sind wir in einer deprimierenden Phase der Geschichte. Der Kapitalismus hat sich als scheinbar alternativlos, als Endpunkt und Ende der Geschichte etabliert. So schlimm steht es dann doch wieder nicht, denn es kann heute wenigstens nichts mehr vergessen werden, alle Erfahrungen sind reanimierbar. Kommen wir auf die Fernsehserie zurück. Die anekdotische Reminiszenz von Geschichte, die Christopher Clark liefert, ist durchaus amüsant, aber zu wenig. Das ist kein Vorwurf in einer Zeit der allgemeinen Ermattung, des Schlafwandelns. Aber ein Weckruf.
LG
Das sehe ich, wie Sie, Stine.
Eine eigene, deutsche Demokratiegeschichte, mit deren Akteuren, wurde zuletzt arg vernachlässigt. Es ist schwer, aber sehr notwendig, die zu pflegen und ihr auch, gerade im öffentlichen Raum, Orte zu schaffen. In Rheinland- Pfalz betreibt man das, z.B. für das Hambacher Schloss.
Eine Zeit lang, gelang es, das Interesse für die Mainzer Republik zu wecken.
In der Paulskirche durfte, in den späten Achtzigern des letzten Jahrhunderts, Joahnnes Grützke den Wandelgang gestalten und zahlreiche Gedenktafeln erinnern an die Parlamentarier der Nationalversammlung, den Widerstand gegen die Nazis, an die Opfer des Dritten Reiches. In der Zahl der Gedenktafeln und ihrer Auswahl fällt jedoch auch auf, dass, im Hang nur nichts auszulassen, auch nicht unbedingt für das heutige Demokratiemodell vorbildliche Persönlichkeiten geehrt werden. Freiherr vom Stein, die "Turner". Die Arbeiterbewegung bleibt ein bedauerliches Anhängsel, bei allem Gedenken.
Aber Denkmale und Kunst reichen nicht, wenn die Geschichtserzählung da, im Vergleich mit anderen Themen der deutschen Geschichte, zu wenig anbietet. Der EU wird es ähnlich ergehen.
Wenigstens aber, regt sich Widerstand dagegen, bei dem Versuch, Denkmale und Orte der Darstellung der Demokratie zu schaffen, sich der gleichen, nur abstrakter gestalteten, Monumentalität, analog dem Historizismus, zu bedienen.
Letzlich aus Verlegenheit, stellte die Bundesrepublik vor ihren Kanzlerämtern große, freie Formen (Moore) und Cor-Ten-Stahl "Windharfen" (Chillida), die nun Berlin symbolisieren sollen, auf.
Die beiden Ausleger mit Armen, sollen heute auch gedeutet werden, als Kräne, die zusammenbauen, was geteilt war.
Die Kunst-Geschichte dazu ist bekannt. Die Deutung der Objekte, deren künstlerische Ideen ursprünglich für ganz andere Orte entstanden, musste nachträglich geliefert und verändert werden. Das erinnert dann wieder an den Umgang mit den Denkmalen des Historizismus.
Nationaldenkmale, im neogotischen und neoromanischen Stile erbaute Schloss- und Burganlagen, die zudem oftmals ausdrücklich als Privatanlagen konzipiert waren, erhalten heute populäre und kunsthistorische Auszeichnungen, gelten ohne allzu viel Differenzierung, als Erinnerungsorte der Deutschen.
Ganz peinlich wurde es, als es Privatleuten gelang, den Neubaukaiser, dieses Mal aus bombensicherer Bronze, statt des dünnen, getriebenen Kupfers, auf das Deutsche Eck in Koblenz zu hieven.
Aus dem Gedächtnis hingeschrieben, steht da groß am Sockel: "Niemals wird das Reich zerstöret, wenn ihr einig seid und treu".
Das Deutsche Eck, ohne den Reiter (kurz vor Kriegsende herunter geschossen), galt als Denkmal für die verlorene und wieder angestrebte deutsche Einheit. Ebenso stand es für die deutschen Länder (Föderalismus), die ja nicht aus Mangel an Nibelungentreue und absoluter Einheit der "Volksgenossen" verloren und verspielt wurden, sondern gerade aus der Maßlosigkeit des Anspruchs, bis in den Untergang.
Heute ist es wieder ein wilhelminisches Nationaldenkmal, mag man noch so viele bunte Flaggen dort aufziehen. Heute ist der historische Denkmalort allerdings populär wie nie.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Sehnsucht nach Wurzeln, die doch noch irgendwo in einem tiefen kollektiven Gedächtnis überdauern. Es geht dabei nicht um Rückbesinnung, es geht um Besinnung
Sie liefern mir die Stichworte, meine Überlegungen im Vorkommentar an Columbus zu komplettieren. Da habe ich auf die kapitalistische Strategie der Enthistorisierung hingewiesen, an die Stelle der absoluten (qualitativen) tritt die (quantitative) Relativgeschichte der Profitrate, die Wachstumsgeschichte ist geradezu die Religion des Kapitalismus. Aber der Kapitalismus parzelliert dia- wie synchron. Das letztere ist die bürgerliche Form der Individualisierung. Man stelle sich mal vor, wir würden uns nicht das mathematische Kollektivwissen aneignen, sondern müßten es uns je individuell erarbeiten. Dann würden wir alle heute noch mit unseren 10 Fingern zählen. Nun, im Bereich unserer technischen Fähigkeiten wäre das für das System dysfunktional. Die sich von den Einzelinteressen lösende gesellschaftliche Verständigung und Willensbildung dagegen stört das reibungslose Funktionieren. Das isolierte Individuum ist ja schon konstitutiv als Wirtschaftssubjekt, als konkurrierender Einzelner, es sichert die Asymmetrie von Macht und Ohnmacht. Dem dient die Einschränkung des öffentlichen Raums auf Markt (mall) und Vergnügungspark.
Damit haben wir die zwei Formen, in denen die Individuen von der Geschichte und von der Gemeinschaft isoliert werden. Nicht, daß geschichtliche und soziale Bindungen automatisch mündig machen, im Gegenteil, Traditionen und Sozialstrukturen können schwer erträgliche Fesseln und lähmende Lasten sein, die gesprengt und abgeworfen werden müssen, aber das Abschneiden von Geschichte und Kommunikation macht Mündigkeit unmöglich.
Übrigens hat einmal Susan Sontag die Kooperation der diachronen, den Europäern zugeschriebenen, und der synchronen, den Amerikanern attestierten Kompetenz angemahnt, aber das ist ein weiteres großes Thema, das an anderer Stelle zu erörtern wäre.
Ich bitte um Entschuldigung, Sie haben schon recht mit Ihrem Einwand. Ich mache es mir hier oft einfach mit Fachausdrücken, die auf theoretische Debatten verweisen und mir ersparen, die dort vorgebrachten Argumente im Einzelnen zu wiederholen. Natürlich können solche verborgenen Argumente schlecht infrage gestellt werden, aber ich kann Ihnen zumindest versichern, daß ich damit keine Strategie verfolge, mich unangreifbar zu machen. Es ist nun einmal so, daß ohne solche Begrifflichkeit meine Überlegungen sehr viel umfangreicher, komplizierter werden müßten, was auch dem Verständnis abträglich wäre – so ist man in einem unlösbaren Dilemma. Ich werde versuchen, weniger voraussetzungsvoll zu argumentieren. Der Kommunikation in der FC würde es übrigens guttun, wenn mehr nachgefragt würde, was mit einem Wort oder einer Aussage denn gemeint sei, statt über Verständnisprobleme hinwegzusehen und aneinander vorbei zu reden.
Erst einmal vielen Dank für Ihr Interesse.