Dort Essen, mundet. Pottküche search&rescue

Pfefferpotthast&Co In und rund um das Stadion des großen BVB, herrscht das Catering. Die Küche um Dortmund hat aber mit Pötten zu tun. Potthast und Panhas, sagt ihnen das was?

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Dort Essen, mundet. Auf der Suche nach der Küche aus dem Pott

Urteile und Vorurteile zum Essen aus ´em Pott

Zunächst noch eine meinungsbloggende Fiktion. - Samstagnachmittag. Gerade hat Borussia Dortmunds Matts Hummels, eine Minute vor dem Halbzeitabpfiff die beruhigende 3:0 Führung gegen Bayer Leverkusen sicher gestellt. Das Westfalenstadion, der Firmenname sei geschenkt, kocht. Trainer Jürgen Klopp stößt sich zum ersten Mal aus purem Enthusiasmus den Kopf an der Überdachung der Auswechselbank. Jetzt ist Pause. - In der VIP-Lounge prostet sich der Präsident mit einigen Sponsorenmanagern des „Rote Erde Clubs“, - es gibt auch noch die „Stammtische“, den „Business Club 09“ und das „Borussia Park Catering“-, kräftig zu. Dortmund steht kurz vor dem Gewinn der Meisterschaft.

Es darf gegessen werden, zu solchen Anlässen, in und um das Stadion herum, bei den VIPs, den Firmen und den Fans. Neben den Buden gibt es auch ein großes Restaurant im Westfalenstadion, das die ehemalige Vereinsgaststätte „Kuckkuck“ , jenes Curry-, Siedewurst-, Stullen-, Wurstsalat-, Bier- und Raucher-Paradies, was Authentizität und Bescheidenheit angeht, niemals nachahmen oder ersetzen kann ( www.die-kirsche.com/front_content.php?idcat=47&;idart=5674 ).

Das Fanzine „Kirsche“, der Name leitet sich vom legendären Ausspruch eines der „Terrible twins“, des Stürmers Lothar Emmerich ab, der den Ball, unbedingt immer als „Kirsche“ zugespielt bekommen wollte, berichtet nicht allzu traurig dazu. Schließlich kann sich wohl keiner der jetzigen Magazin-Macher an den „Kuckkuck“ noch persönlich erinnern, der schon seit fast 15 Jahren Geschichte ist. Vielleicht war damals ein Kuckkuck der letzte Zettel an der Tür? - Der andere „Twin“, Siegfried „Siggi“ Held, glücklich und hoffentlich immer gesund, kümmert sich derweil um die Fans der Borussia. Ihn müsste man, zum Kuckuck, einmal befragen.

Geboten wird dort, am neuen „Gastro“-Ort, neben der Curry- und der Bratwurst, neben dem „Gastro“-Schnitzel, ein Mix aus „Gastro“-Versatzstücken halb Europas und aus der US-Fast Food „Anti-Gastro“-Tradition. Also Panini (Italien), Flamkuchen (Elsaß), gigantische, so beworben, Burger (USA) und eine eher „hoteleuropäische“, als Ruhrgebiets- oder Westfalen typische Wochenküche ( www.strobels-dortmund.de/?401A0A1 ).

Bleibt noch zu erwähnen, dass das Angebot an „Incentives“ für Firmen und die VIP-Betreuung in festen Händen von „Sportfive“, einer hunderprozentigen Tochter des französischen Lagadère-Group ist. Weltweit werden da TV-Rechte z.B. für FIFA und europäische Fußball-Ligen, Media-Slots und „hochwertige“ Lounges vermarktet. Ein Multimillionen, nein, fast ein Milliarden-Geschäft. Die Lagardère-Leute sind sicher nicht umsonst zum Zuge gekommen, denn über so manches Geschäftsessen hat sich sehr wahrscheinlich auch die Entscheidung, Dortmund zu einem der Europaliga-Stadien zu machen, leichter in den europäischen Verbandspitzen durchsetzen lassen.

Das Catering in Dortmunds Stadion betreibt die „Aramark“-Deutschland, der Ableger eines weltweit operierenden Catering- Unternehmens, das von Hotels, über Krankenhäusern, von Kindergärten und Großbetriebe, bis zu Events, alles mit Küche und Dienstleistungen abdeckt. Auch in diesem Berich gibt es kaum etwas firmenmäßig Größeres. Auf der Homepage der deutschen Regionalfiliale bekommt man sogar einige Kochrezepte angeboten ( www.aramark.de/index.htm ) , die zwar essbar, aber völlig durchglobalisiert klingen.

Also, bei so viel „Gastroindustries“, so viel französischem und amerikanischem Geschäftssinn, da muss man wohl an anderer Stelle nach der Küche des Ruhrgebiets, ein wenig ist es ja auch eine Westfalenküche, suchen. - Am Stadion geht es derweil um viel Geld, und um noch mehr Geld, und vielleicht auch noch um großen Sport. -Wer weiß das schon?

Pfefferpotthast - Kann man ein Gericht solchen Namens überhaupt essen?

Aus Dortmund stammt ein wichtiges Gericht des westfälischen Ruhrgebiets, das auch bei der Nationalköchin aller Deutschen im In- und Ausland, bei Henriette Davidis, gnädige Aufnahme fand: „Pfefferpotthast“.

Henriette hat nicht die Ruhrgebietsküche ihrer Zeit erfunden, sie hat sie nicht einmal umfänglich beschrieben. Als sie in Dortmund 1876 starb, da war sie berühmt in Deutschlands Bürgerhaushalten. Sie etablierte einen Standard für bürgerliche Küchen, vorwiegend für jene mit Dienstpersonal, nicht aber für die Küchen der Arbeiter. Mit der Zeit wurde die Küche der Arbeiter bürgerlich und die Bürgerlichen von heute sehnen und wähnen sich schon von neuem Adel, wenn sie Kochmützen und Kochlöffel sammeln und einmal im Vierteljahr 100 oder 200 Euro für ein „Candle-light diner“ ausgeben. Was weit darüber liegt, mit Verlaub, ist meist Fressalie und Angeberei und hat mit der Küche nicht viel, aber mit Luxusmarketing eine Menge zu tun.

Das ewige Fräulein Davidis aus dem Pfarrhaus, eher eine Westfälin mit holländisch-calvinistischem Einschlag, war klug genug, einige Rezepte aus der Ruhrgebietsküche, bzw. aus dem was ihre Umwelt dafür hielt, in ihre Kochlehre aufzunehmen. So erging es dem Potthast, genauer, dem Pfefferpotthast. Er gelangte 1862 in das Buch der Köchin der Deutschen.

Wie es sich für dieses eher unbürgerliche Küchengericht gehört, ist das Rezept bei der Davidis eine Reminiszenz. Es gemahnt an die Zeiten, als die Küchenkunst sich vornehmlich in einem Topf, dem Pott, in diesem Falle einem aus dem Westfälischen Ruhrgebiet, abspielte.

Trojaner und Archaer an der Ruhr:

Die Geschichte um den Pfefferpotthast ist eine dunkle Angelegenheit. 1378 taucht der Name erstmals urkundlich auf. Eine „Kriminalstory“ lieferte den Anlaß. Frei erzählt, wird es sich in etwa so zugetragen haben. -Wer es genau wissen will schaue bei der Stadt Dortmund vorbei ( de.wikipedia.org/wiki/Agnes_von_der_Vierbecke , www.huckarde.de/id20.htm ) :

Die „Agnes“ oder auch „Agneta“ von der Vierbecke, eine Dortmunder Patrizierwitwe, hatte sich mit ihren Angehörigen verschworen, eine der vielen Adelsfehden um die Stadtherrschaft, zu Gunsten ihrer Partei, ein für alle mal zu entscheiden. Sie rollte zur Tarnung mit einem Holzwagen, auf dem sich die bewaffneten Männer des Grafen von Berg versteckten vor das Haupttor der Stadt und wollte die Torwächter durch eine List überreden, mit ihrem bewaffneten Fuhrwerk in die Stadt rollen zu dürfen.

Die Wächter sollten ihr einen Topf Pfefferpotthast von den Fleischbänken der Stadt holen, denn nach getaner Arbeit, sie habe doch, als vorsorgliche Dortmunder Witwe das Winterholz für ihr Herrenhaus rechtzeitig eingekauft, sei sie nun kräftig hungrig. Sie, die Wächter, seien herzlichst zum Schmaus eingeladen. - Selbstverständlich hätte da der mittelalterliche Wachdienst, chronisch unterbezahlt wie heute, gerne mit gegessen. Allein, die Stadtsoldaten rochen den Braten und nahmen Agnes und ihre Begleiter fest. - In Wahrheit hatte sich die übereifrige Dame wohl selbst verraten, weil sie, schon durch das erste Tor eingefahren, flux auf den Stadtturm kletterte und laut die übrigen Angreifer herbei rief. Hinter dem ersten Tor lag jedoch ein Zweites, und das blieb zu. - Also eher Kafka, als Homer in diesem Falle.

Ihr Sohn und der Graf Conrad von Dortmund wurden mit ihr abgeurteilt. Den Männern gewährte man die „Vergünstigung“ enthauptet zu werden. Agnes brannte, der Stadtgeschichte zufolge, auf ihrem Holzwagen lichterloh und rauchend ab. Ob es wenigstens das gewünschte Henkersmahl gab? - So erfuhr die Nachwelt aus den Gerichtsakten und den Annalen der Stadt Dortmund von der Existenz eines westfälischen Urgerichts. Die Dortmunder feiern aus diesem, offensichtlich positiv aufgefassten Anlass, jährlich das Pfefferpotthastfest auf dem Alten Markt.

Das Rezept für einen Topf aus dem Pott - Potthast:

Der seltsame Name verlangt eine Erklärung. Pfeffer macht dabei zwar keine Mühe. -Oder doch?- Ist das Gewürz gemeint oder sind es eher die streifig geschnittenen Fleischteile, wie beim Hasenpfeffer, der bei der Davidis in der Rezeptsammlung dicht anbei aufgeschrieben steht. Der scharfe Pfeffer muss an das Rezept, wie die Paprika ans Gulasch. Pott ist Topf, wir wissen es, und das seltsame „Hast“ heißt schlicht das gesottene, das geschmorte Stück Fleisch. Selbstverständlich schmeckt ein Potthast auch vom Reh!

Bitte nehmen Sie, wollen Sie zur Tat schreiten und das letzte Pfefferpotthast der Agnes von der Vierbecke nachkochen, ein Stück vom Rinderkamm, auch „Zungenstück“. In Süddeutschland wird es „Halsgrat“ oder „Siegelstück“, am schönsten jedoch in Österreich, „hinteres Ausgelöstes“, genannt.

Vom Kopf her gedacht, erst kommt der Nacken, dann der Kamm beim Rind. Das ist schon ein sehr kräftiges und durchwachsenes Stück Fleisch, weil hier die Haltemuskeln für den Rindskopf ansetzen. Gut verteilte Fetteinlagerungen sorgen für den besseren Geschmack ( www.lebensmittellexikon.de/h0000150.php , kochmuetzen.net/koch-warenkunde-13-28-43.de.html).

Wer sich für das kulinarische Geschehen in und um die Ruhrorte interessiert, der stößt immer wieder auf einen Namen, Heinrich Wächter. Der Gelsenkirchener Koch gilt als der Antreiber bei der Wiederentdeckung der Westfälischen- und der Ruhrgebiets-Küche. Er lehrt das Kochen an einer Fachschule und ist mit seinen Kollegen und Freunden vom Köche-Club Gelsenkirchen e.V. unermüdlich für eine moderne Lokal- und Regionalküche aktiv. Zu „Ruhr 2010“ kocht er mit seinen Kollegen und Freunden, mit Prominenten und Laien, mit Schülern und im TV, vor allem aber an besonderen historischen Orten.

Kein Wunder also, dass seine Vereinsmühen seit 1979 dem Tenor des „Manifests für eine kulinarische Bewegung im Ruhrgebiet“ mustergültig entsprechen. Nachzulesen zum Beispiel auf der Webseite der „Ruhrbarone“ ( www.ruhrbarone.de/manifest-einer-kulinarischen-bewegung-im-ruhrgebiet/ ). - Leser des „Der Freitag“ kennen diese hervorragende journalistische Webseite zum Ruhrgebiet schon, denn einer ihrer Betreiber gab jüngst bereitwillig Auskunft, warum man als professioneller Journalist, auch noch im Team, ein solch aufwändiges Blog betreibt. -Vor allem, aus Spaß an der Freude.Weiter so! - Selbstverständlich haben sich die „Slow-food Bewegung“ und andere Initiativen für die Ruhrgebietsküche, z.B. die Initiative „Die Neue Ruhrgebietsküche-FC Ruhrgebiet“- längst zusammen geschlossen, um zum Kulturhauptstadtjahr 2010 etwas beizutragen ( www.fcruhrgebiet.de/rm/gut-essen-in-der-naehe ). Spitzenergebnis der erheblichen Mühen ist die Mutter aller Landkarten für Gourmets und Leute, die an der Ruhr einfach nur gut essen wollen und immer noch verzweifelt suchen. Von der Regionalküche bis zum Restaurant auf internationalem Niveau ist hier sehr Vieles eingetragen. Dazu lässt sich die Karte noch nach den eigenen Bedürfnissen, -ich persönlich, würde nach den regionalen Angeboten fahnden-, sortieren ( portal.ruhrmenue.de/ ).

Die Unterzeichner des "kulinarisch-futuristischen" Ruhrmanifests verpflichten sich auf gute Grundsätze. Einer lautet, das Erbe der Henriette Davidis nicht als ein verstaubtes Puppenstubenvermächtnis auf zu bewahren, sondern es als Ermutigung für eine moderne Ruhrgebietsküche anzunehmen.

Von HeinrichWächter stammt die Version des Pfefferpotthasts, die nun vorgestellt wird. Sie ist im Vergleich zum Rezept der Henriette Davidis leichter nachkochbar und unseren heutigen Essgewohnheiten angemessen. Sie nehmen also ein Kammstück, so um ein Kilogramm schwer, das reicht für vier Personen. Dann würfeln Sie das Fleisch in größere, aber mundgerechte Stücke und braten es mit Schmalz (drei kräftige Esslöffel, ca. 70g, Schmalz ist hier viel besser als Butter oder andere Fette) in einem großen Topf an. Sie müssen die Fleischstücke dabei häufig wenden und dem Tipp folgen, sie nicht allzu lange mit der übergroßen Hitze zu traktieren. Also geschwind die Zwiebelscheiben, das ist die breitere Version der Zwiebelringe, die auch mit einem stumpfen Messer gelingen, im Pfund (!) dazu, und dann schauen Sie zu, wie diese langsam goldgelb ziehen. Dazu kommen sofort zwei Lorbeerblätter, zehn zerstoßene schwarze Pfefferkörner, zwei Nelken und schon einmal eine gute Prise Salz. - Immer gut wenden. -Wenn die Zwiebeln goldgelb glänzen, gerade beginnen anzusetzen, dann löschen Sie mit 1/2-1 Liter Fleischbrühe ab. - Eine gute Fleischbrühe können Sie sich nach einem Grundrezept aus der Davidis oder aus einer anderen Kochlehre selbst zubereiten. Sie wird aus Fleisch- und Knochenresten (Rindsbeinscheiben, Rinderknochen) hergestellt, die man mit wenig Würze auskocht und dann absiebt. Wenn Sie sich die Knochen vom Metzger aufspalten lassen, dann ist Brühe kräftiger. Sie müssen aber abschließend ein sehr feines Sieb verwenden, um kleine Knochensplitter auszufiltern. - Es geht, wenn auch mit einem weinenden Auge, mit der „Brieh“ aus der Tüte, der Dose und dem Glas auch. Fragen sie doch den Metzger ihres Vertrauens, wann er im großen Stile kocht, und bitten Sie ihn um einen Liter Fleischbrühe.

Sie lassen das Fleisch im Topf, mild köchelnd, eineinhalb Stunden in Ruhe. Gut, ab und zu dürfen Sie einmal umrühren und noch etwas von der Brühe angießen. Probieren Sie am Ende ruhig ein Stückchen und wenn es noch nicht schön weich ist, lassen Sie es noch ein wenig länger ziehen. Ist das Fleisch gar, holen sie die Stücke aus dem Sud und binden den verbleibenden flüssigen Rest mit Paniermehl ab. Das Ergebnis muss eine sämige Konsistenz haben. Mit Zitronensaft, ich verwende zunächst immer die abgeriebene Schale einer Zitrone, ein wenig Bier und ein bis zwei Esslöffel Kapern, einer Brise (braunem) Zucker, Salz und noch ein wenig gemahlenem schwarzen Pfeffer stellen Sie die richtige Würze und Schärfe ein.

Zum Schluß, -Dortmund ist jetzt Meister, das Spiel längst abgepfiffen-, fischen sie die Lorbeerblätter heraus, geben das Fleisch wieder dazu, rühren gut, aber nicht heftig um und servieren dann den Potthast in einer Ragoutschüssel. Wenn Sie wollen, geben Sie noch einigen, sehr grob gemahlenen Pfeffer obenauf (www.ruhr-guide.de/rg.php/left/menu/mid/artikel/id/5339/kat_id/51/parent_id/185/kp_id/0/kp_titel/Pfefferpotthast%20f%C3%BCr%204%20Personen ).

Als Beilage reichen Sie Salzkartoffeln, -Wissen Sie noch wie die gekocht werden? In 20 Minuten! Das ist zweimal die berühmte Stoiber-Fantasia, also hin- und zurück, also, äh, ohne Einkaufen, ohne Vorbereitung, München, Hauptbahnhof - München, Flughafen Franz Josef Strauß, und, äh, das Salz, das Salz nicht vergessen.-, und Salzgurken.

Wenn Sie es festlicher mögen, dann servieren Sie Rote Beete, als kräftges Mus, oder in Scheiben, dazu. Die nötige Zeit haben Sie allemal. Das Fleisch braucht ein Fußballspiel lang und die Pause ist Ihre Garreserve! - Womit wir wieder beim Ausgangspunkt dieses Textes wären.

Nun will ich Ihnen aber eine zweite Ruhrgebietsspezialiät nicht vorenthalten.

Einmal Panhas und zurück:

Das Paradies nach einem Tag auf der Kohlenhalde, in der Kokerei oder unter Tage, das war noch vor Jahren ein „Panhas“. Sogar angebraten und kalt, gab es den auf der Zeche oder im Hafen zur Pause aus dem Henkelmann, oder als spezieller „Dubbel“ (eine mehrlagige Stulle) zwischen Pumpernickelscheiben, verpackt in Butterbrotpapier oder eine alte Zeitung. - Der Name hat was Panhellenisch-olympisches , finden Sie nicht? - Rezepte aus der Ruhrgebietsküche klingen erdig, geheimnisvoll und kaum je so, dass erraten werden könnte, was sich hinter den Gerichtenamen tatsächlich verbirgt.

Der „Panhas“ ist kein Hasenfleisch aus der Pfanne. Ob er zu einem Spaziergang am kulinarischen Parnass (1) taugt, das hängt doch sehr von der Sorgfalt in der jeweiligen Küche, bzw., von den liebevollen Mühen des Metzgers, Schlachters oder Kochs ab.

Ursprünglich gab es den „Panhas“ nur, wenn Schlachtungen anstanden. - Das Rindfleisch des Potthasts war etwas für Festtage. Das liebe Schwein jedoch, vor Ort geboren und groß gezogen, vom Kopf bis zum Hinterschinken, vom Darm bis zur Schwarte verwertbar, ein anspruchsloser Reste- und Allesfresser, galt als Grundnahrungsmittel. Schlachten war also, direkt neben der Arbeit und nahe bei der Wohnung, ein alltägliches Geschehen. - Der Panhas ist ein solches Schweinegericht und es geht blutig, aber nicht rünstig zu.

Ganz urtümlich kocht er sich wie folgt: Sie stellen eine Scheinfleisch-Brühe her, indem Sie ein halbes oder ganzes Kilo Schweinebacken- und Schweinskopfteile zwei geschlagene Stunden in Wasser gar- und auskochen. -Das Salz nicht vergessen!- Dann schneiden sie die Fleischstücke in kleine Würfel, die viel kleiner ausfallen müssen als jene, die Sie beim Potthast verwenden würden. Zusammen mit dem passierten Sud, frischem Schweineblut und Buchweizenmehl, mit schwarzem Pfeffer, Nelkenpulver, gerebeltem oder frischem Majoran und ein wenig Thymian, mit geriebenen Zwiebeln (grob, fein, nach Gusto) und einer Prise Zucker oder einem Löffel Melasse (Molasse), entsteht eine fließfähige, aber zähe Masse, die Sie nun in allerlei Terrinen-oder Puddingformen, - ich verwende auch große Plätzchen-Backformen auf einer Küchenfolie , „großes Herz“, „Glückskleeblatt“, und sonstigen Förmchen-Nippes, für den ich eine Schwäche habe-, abgießen und glatt streichen.

Es geht zu wie beim Hochofenabstich. - Bitte vergessen Sie nicht das Salz, Sie sind verpflichtet vor dem Formguß abzuschmecken, die Legierung muss stimmen! Die Masse soll nun ruhen, kalt und fest werden. Sie lässt sich dann stürzen, oder von der Folie mit einem Bratenwender abheben.

Der „Panhas“ oder „Pannas“ ist also ein deftiger und dunkler Verwandter der Grützwurst, im niederländischen „Balkenbrij“ genannt, und des überall in Deutschland verkauften Blutkuchens. Enge Verwandtschaften besteht zu den Fleisch-Presssäcken und natürlich zum Fleischkäse. Die Davidis vermerkt es und rubriziert, fast wie in einem Linnéschen System, nur ist es bei ihr eine Küchenlehre.

Bitte nehmen Sie unbedingt Buchweizenmehl. Das ist kräftig im Geschmack und entspricht dem Charakter des Gerichts. - Sie kochen also, wie Musiker auf alten Instrumenten, alte Arrangements spielen, nach der historischen Aufführungspraxis. - Mein Lieblingsschriftsteller Robert Burns, der das schottische Haggis besang, der hätte seine Freude an diesem sättigenden Pannas für die Armen und die Hungrigen ( www.freitag.de/community/blogs/columbus/haggis-neeps-and-tatties ) gehabt.

Die Böden an der Ruhr waren für den edlenWeizen viel zu mager, vertrugen aber die Anpflanzung dieses „Pseudogetreides“, das in Wirklichkeit zu den Knöterichgewächsen zählt und keine Körner, sondern „Nüsschen“ produziert. Über diese sagenhafte, und vor Zeiten einmal weit verbreitete Nussmehl-Pflanze gäbe es viel zu erzählen und mit ihr, noch viel mehr Köstliches zu kochen, übrigens völlig glutenfrei.

Keine Angst, Sie müssen es mit dem Panhas nicht selbst versuchen. Vom späten Herbst, bis ins Frühjahr bekommen Sie in jeder gut geführten und traditionsverbundenen Orts-Metzgerei im Ruhrgebiet, sogar bei einigen Lebensmittelhändlern an der Fleischtheke, den fertigen, haltbar gemachten „Pannas“, und selbstverständlich bekommen Sie in dieser Zeit ein passendes Gericht in der traditionellen Gastronomie. In der Stadt Hattingen können Sie sogar ein Panhas-Fest mitfeiern.

Die Panhas-Scheiben müssen Sie nun für manche Gerichte noch einmal kurz von beiden Seiten in der Pfanne anbraten. Nehmen Sie Schmalz! Wenn Sie sich das nicht trauen, gutes Pflanzenfett oder Öl, das sie heißer machen können, ohne es gleich ab rauchen zu lassen.

Bei Heinrich Wächter, dem „Zechenkoch“, erfahren wir auch, was heute Frau Kasunke an der Discounter-Kasse sofort mit fristloser Kündigung bedrohen würde. Der „Kumpel“ nahm zur Panhasküche und überhaupt zur warmen Mahlzeit, immer ein Stück Grubenholz mit nach Hause. -Unglücke gab es damals wohl auch, wie heute beim U-Bahn Bau im heiligen Köln am Rhein, obwohl die Bergleute doch wohl mehr um ihr eigenes Überleben besorgt waren und tragende Teile sicher stehen ließen. Trotzdem, ohne das „Mutterklötzchen“ gab es kein Feuer zu Hause unterm Herd (www.heinrichwaechter.de/revier.html ) .

Zum Panhas passt das dunkle Pumpernickel-Brot, es passt Stielrübenkompott; „Kohlräbchen“, die Endsilbe sagt wie die Kohlrabi aussehen müssen um zu schmecken, frisch und klein, ganz, oder halbiert. Bei den kleinen Stielrüben dürfen Sie auch die Stengel mitkochen. Es passt die rote Beete in allen Variationen, auch Sauerkraut geht gut. Bratkartoffeln, Ofenkartoffeln und Kartoffelstampf sind natürliche Begleiter der fleischernen und bluthaltigen Kochmasse.

Eine sehr schöne Gegenvariante zu Fast-Food und Convenience-Produkten ist das „Endvien-Durcheinander“ an Rhein und Ruhr, mit einer dicken Scheibe Panhas. Dort, z.B. in Mühlheim an der Ruhr „Endivien dore-in“ genannt ( www.muelheim-ruhr.de/cms/endivien_dore-in_endivien_durcheinander1.html ).

Dazu müssen sie einen Kartoffelstampf mit Milch und Sahne herstellen, in den Sie den frisch geschnittenen Endiviensalat einheben. Ein paar geröstete Zwiebeln, vielleicht noch mit Grieben und/oder gerösteten Graubrotwürfelchen verfeinert, kommen obenauf, nachdem Sie eine von beiden Seiten angebratene Scheibe Ihres Pannas in das dafür vorzüglich passende „Bett“ legten.

Aus dem Stegreif

Wer jetzt genug von Kochrezepten hat, dem kann ich das ehrlich nachempfinden. Aber, wie immer, schaffen „wir“ mit dem „Panhas“ auch die Kurve zur Kultur. Denn eine der traditionsreichsten Stegreiftheatergruppen, ins Programm der „Ruhr 2010“ einbezogen, heißt so und feierte jüngst mit vielen Gästen ihr fünfzehnjähriges Bestehen im Gelsenkirchener „Consol-Theater“.

Die Stegreifbühnen sind sicher eines der Highlights der Kultur an Rhein und Ruhr. Fast aus jeder Stadt kommt mindestens eine Gruppe und die "Pötter" holen auf, im Vergleich mit der etablierten Kölner Szene ( www.emscherblut.de/ ; impro.theaterblogs.de/index.php?tag=vorgaben ; www.hottenlotten.de/home_set.htm ).

Wie die Leute an der Ruhr beim Kochen improvisieren lernten, praktisch alles Essbare kam in den und dann wieder aus dem einen „Pott“, so hat sich eine weit verzweigte freie Theaterszene entwickelt, die vom klassischen Bühnenrepertoire, über das Experiment, bis zum Improvisationstheater wirklich keine Einschränkungen kennt.

Bevor jetzt noch mehr Frust entstehen kann, mir am Ende jemand mit „Panhas am Schwenkmast“ droht, mache ich hier Schluß, denn es ist, ich sehe es ein, „Pannas am Letzen!“ ( www.mitmachwoerterbuch.lvr.de/detailansicht.php?Artikel=Panhas&;Eintrag1=1774 ).

Christoph Leusch

1-Parnass, der Musenhügel des Apoll. Obwohl das Kochen bei den Griechen mehr dem Schmiedegott zugeordnet wird, das würde für das Ruhrgebiet vor dem Strukturwandel wie die Faust aufs Auge passen, sehe ich die Kochkunst eher hier, unter den anderen Musen.

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