Dunkle Geistesblitze vor hellem Leben

Schnelle Kurzdenker Physiker, Aphoristiker, Politiker, Kolumnisten und Blogger, gelten als Denkzeitsparer und Aufklärer. Viele Dunkelblitze, zum Beispiel die Lichtenbergs, übersehen wir.

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Kalenderblatt zu Ostern: Dunkle Geistesblitze vor dem hellen Leben

Stornoway, "We are the battery human", aus dem Album Beachcomber´s Windowsill, ( http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=tj-QXey3gPk ):

>>(...) We’ve got the whole world at our fingers, we’ve got the whole world in our hands
But we get the blues as we grow richer
Cos we need to fix our loose connection, out in the natural world-wide web
Where humans evolved in three dimension
We were tuned in by natural selection, and we need to go on-line each day
Cos inside we don’t get no reception (...)
<<

Einmal Erster sein

Ich wollte auch immer einmal so selbstsicher und witzig, so schlagfertig in Wort, Bild, Ton und Person daher kommen, wie der Berliner mit Schnauze, der bayrische Derblecker, ohne Hopfen und Malz, wie die allgemeine, sächsische Gedankenpolizei, die lange ahnungslos übte, wie alle Oberpolemiker und Weltaphoristiker, wie erstwichtige Kolumnisten und zweitwichtige, politische Hirnartisten, aus den Wirbelkreisen der ständig beweglichen Bärenhauptstadt.

Allein, ich bin schwer von Begriff. Obwohl vom Rheine, denke ich langsam, trotz aller guten Weine. Die lösen bei mir weder Zunge, noch Scham, sondern nur fiese Migräne aus, sonst nichts.

Keine Droge will recht helfen, meine Hirntätigkeit zu beschleunigen. Nichts wirkt, nichts verhilft mir zu mehr lockerer Beweglichkeit, bei der Verfertigung meiner Meinungen. Absolut gar nichts verschafft mir jene überzeugende Spontanität, zu plappern und zu plaudern, wie mir der Schnabel gerade gewachsen ist, über dies uns das, mit fester Überzeugung. - Ich bin dafür einfach nicht sensitiv-sensibel genug.

Selbst neueste Geschmacksverstärker, vom rosaroten Hells Angel-Banker Thilo S. bis zum Katzenromancier, vom Islam- bis zum Kreml-Coloproktologen, helfen mir nicht.

Ein Klotz im Denken, ständig von Alternativen, Konjekturen und Refutationen, Widersprüchen und Selbstzweifeln bedrängt und festgehalten, der bin ich. Stattdessen wird mir regelmäßig übel, von jeglichem Punsch, mehr noch, von jenem geistigen Bolzenschuss-Zeugs, das uns beim kleinsten Streitanlass zu stammhirngesteuerten Ideologen werden lässt und heute Bestseller füllt. Noch mehr verplombt sich mein Hirn, wenn es von jenem Kram tagesbörslich viel hören oder lesen muss.

Vom wahren, guten und schönen Licht der Aufklärung

Schließlich hatte ich ein Einsehen mit mir selbst und nahm mir ganz fest vor: Du liest nur noch zur Kur!

Du ratterst und knatterst ab sofort in deinem Tempo. Das ist gesund und macht viel Spaß, das ist dein Teil der Erlösung im richtigen Leben. Lese also, wie du schlafen willst, so, als sei es sanfte Medizin, Einschlafhilfe, beständig nur vom Wahren, Guten und Schönen. - Ab in den Traum davon!

Mir kommen nur noch die hellsten Lichter der Aufklärung, die reinsten Gewissen und wahrhaftig Wissenden über die Hirnschranke. Leute, die täglich tiefe Gedanken haben und vor sich hin repetieren, wie andere Leute sie in Monaten, gar Jahren, ja, im ganzen Leben, nicht zusammen kriegen.

Licht, mehr Licht, Lichtgestalten und Leuchten der Weisheit, Leute vom Schlage, weiß alles und daher nichts, Weisheitsgöttinnen und Mantiker, Athene mit Eule, Apoll mit der Leier und Dionys mit der Beule unten, ohne Hose. Kurzum: Edelste Gedankenblitzer, menschliche und eventuell gottgegebene Lichtungen glücklicher Erkenntnis, die suche ich, die staple ich, über dem Nachttopf auf dem Beistelltischchen.

So griff ich denn, bei meinem halben Namensvetter Lichtenberg zu, der in diesen Angelegenheiten einen Ruf weg hat, -potz Blitz-, wie Donnerhall, am Abend, bevor bei mir das Licht ausging.

Schlechte Träume und das Gefühl, es könnte menschlich was nützen, brachten mich dazu, es hier doch einmal, zum Gedanken-Abfuhrtermin, für die weltweit tätige und abgehörte Webtonne aufzuschreiben. - Schließlich naht Ostern, das Ende der Fastenzeit, der Beginn der Erlösung.

Was mich so schrecklich weckte, war gar kein Traum, kein böser Nachtmahr. Ich hatte es wirklich gelesen!

Georg Christophs dunkle Gedanken

Aus den „Sudelbüchern“ (Aphorismen und Gedanken) Lichtenbergs:

>>L 590 Juden. Daß man einige Familien aus Göttingen verbannt hat, ist ja kein Eingriff in den großen Plan zu ihrer Verbesserung, es ist ja bloß ein untergeordnetes Verfahren gegen sie, während die große Absicht immer fortdauern kann. Ja dieses kann dazu dienen jenen Plan zu befördern. Überhaupt begreift man nicht, was eine so große Empfindlichkeit gegen den Zustand der Juden bei uns bedeuten soll. Ist denn dieses Volk so wichtig und so genievoll, so fruchtbar für uns, daß wir es mit solcher Gewissenhaftigkeit hegen sollen? Dieses sehe ich nicht ein. Warum wollen wir unsern Boden anders bearbeiten um eine sehr unnütze Frucht zu nähren, die unter unserm Klima nicht gedeiht, und sich auch nicht nach ihm bequemen will? – Jetzt erklärt der erbärmlichste Betteljude seinen traurigen Zustand durch Christendruck. Koalisiert man sie mehr, öffnet ihnen alle rechtliche Wege zu Handel und Wandel, wobei jene Entschuldigung wegfällt, so werden sie finden, was für ein erbärmliches Volk sie sind. Mendelssohn ist viel zu viel erhoben worden. Hätte er in einem ganz jüdischen Staat gelebt, so würde er ein sehr gemeiner Verbreiter ihrer abgeschmackten Zeremonien usw. geworden sein. – Berlin ist es und nicht Judäa oder Jerusalem was ihm einigen Vorzug gab. Es müßte ja mit dem Teufel zugehen, wenn ein Geschöpf, das wenigstens Menschen-Gestalt hat, nicht hier und da für Wahrheit empfänglich sein sollte. Er war empfänglich dafür, und das gereicht ihm zur Ehre.- Ich sehe nicht warum wir mit vielem Aufwand eine Pflanze bauen sollen, die sich nicht für unser Klima schickt und die uns wahrlich nichts einträgt, bloß aus dem empfindsamen Prinzip, daß das Pflänzchen nicht verloren gehe. <<

>>L 567: Eben weil die Juden sich an Nichts anschließen können und dürfen, als an sich selbst, so ist ihnen jede Art von Subsistentz erwünscht. Als Bonaparte in Aegypten landete, und man ihm allen Proviant abschnitt, waren es Juden, die ihm welchen verschafften, weil dabey zu gewinnen war. Ein solches Volk, das zu Allem taugt, taugt eo ipso zu Nichts.<<

>>L 657 (ad pag.73 Col. I (544) Ueber die Juden) Selbst wenn man den Entschluß gefaßt hatte sie künfftig zu bessern, so mußten sie pro nunc weggeschafft werden, so lange bis sie gebessert sind, wozu wenig Hofnung war. Die Besserung dieses in unserm als ihrem eignen Sinn unverbesserlichen Geschlechts konnte hier nicht unternommen werden. Der Universitäts-Acker ist nicht das Feld Versuche anzustellen ob sich aus Nesseln etwas machen lässt, dazu wähle man andere Felder. Warum sollen wir ihnen entgegen kommen? laßt sie uns entgegen kommen, das werden sie am Besten verstehn, da sie so sehr viel Kopf haben sollen. Ein Berlinischer Jude (Ben David) hatte einmal die Artigkeit mir bey einem Besuche ins Gesicht zu sagen, daß in dubio der Jude mehr Kopf habe als der Christ. Ich glaube sie haben eigentlich gar das nicht was man Kopf nennt. Das Platten polieren bey Klindworth. Große Groschen Stücke aussuchen um sie dem Unwissenden und Unerfahrnen einmal für doppelte Groschen hinzuhalten. Hat wohl je ein Jude eine Erfindung gemacht? Der eintzige Jude von Kopf war Spinosa, und den erkannten sie für keinen Glaubensgenossen und wolten ihn ermorden.<<

Je mehr ich lese, finde ich.

Heureka

Nun kenne ich mich wieder besser bei mir aus!

Lieber bleibe ich der Idiot der Familie, ein eher gemütlich dahindenkender Verlangsamer. Lieber lese ich mit dem Finger auf der Schrift, in alle Richtungen, dafür genau. Lieber zweifele ich, an den lauten Urteilen und an jenen würzigen, kurzen, der Tagesaktualität und meinen eigenen Launen entsprungen. Lieber lasse ich meine geistigen Kellerkinder schlichtweg verhungern, als in Gedanken je so fest und sicher zu sein.

Meine Kalenderblätter bleiben unbekleckert. Mein Ehrgeiz diesbezüglich, war immer schon gestillt. Meine Gedanken sollen sich, ein Leben lang, ganz in Ruhe entfalten, meinetwegen bis ans Ende aller Tage. - Aber so was, habe ich mir dann wenigstens, nie und nimmer ausgedacht!

Ich bin vom Wahn befreit, es Größen nachzumachen und auch nicht den vielen Kleinen, die das, mit weniger geschliffenen Worten, ebenso so gut und täglich können.

Das fiel mir nun ein, weil es in meinem kleinen Oberstübchen, zum großen Glück, Hallelujah, Hossana, Hoh, ganz langsam und bescheiden zugeht. Jeder Gedanke, handzermahlen sozusagen, auf mindestens einem Reibstein dagegen. Das nenne ich mein kleines Glück, mein Seelenheil vorm Weltgerücht.

Es stinkt mir nämlich in diesen Tagen allzu oft, da, wo es öffentlich bei uns zugeht, reichlich verbrannt und eher menschenfeindlich. - Alles ist übertragbar, seien es nun Juden, Muslime, Christen, Atheisten, Schwule, Lesben, Russen, Ukrainer, Israeli, Palästinenser, Europäer oder Inder, die sich mit solchen oder ähnlichen Begriffsschachteln, immer noch gegenseitig und mit Vergnügen durch die kehrwochensaubren Gassen ihres kleinen Geistes treiben lassen.

Einige fühlen sich gar wieder, durch solche starken Sätze und viele andere, moderne dazu, zu Taten aufgefordert.

Für mich aber, kann das Frühjahr kommen, ich bin von manchem Eise, der Eile und allem Eisen befreit.

Christoph Leusch

Die Lichtenberg-Zitate stammen aus: Georg Christoph Lichtenberg, „Die Aphorismen- Bücher“, nach den Handschriften, herausgegeben vonn Albert Leitzmann, 1902-1908, Neuauflage, F.a.M., 2005.

Die Abteilung L aus den Aphorismenbüchern enthält jene des Jahres 1796.

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