Der Ödiossiwessi-Gegensatz

Scheinkonflikte Claudia Roth spürt den Atem der piratischen Konkurrenz und keilt aus. Jana Hensel, Embedded-Journalist des dF, möchte darin Wessi-Überlegenheit und Dünkel erkennen.

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Bei Feuer aus allen Rohren, stumpfen die Sinne ab

und liefern höchstens Anreiz für hastige Reflexe

Einige Überlegungen zu Jana Hensels „Unter Feuer aus allen Rohren“

( www.freitag.de/politik/1218-kommentar )

Jana Hensels Artikel ist für mich ein sehr schönes Beispiel, wie man sich als Kommentaristin schwer angreifbar machen kann, indem zwei Sachverhalte, die miteinander gar nicht in einem Kausalzusammenhang stehen, so verknüpft werden, dass jede Gegenargumentation aus psychologischen Gründen schwer fällt. Sagt man was gegen die kruden Ost-West-Gegensatzthesen, dann klingt es fast so, als lehne man auch die völlig berechtigte Kritik an der Grünen aufgeregtester Stimmfarbe, dem feschen Dirndl Claudia Roth, ab.

Die Grünen wenden an, was sie politisch gelernt haben, selbst wenn es Mist ist

In der Sache, dass vor allem Grüne, Rosarote und Rote auf den Piraten unfair herum hacken, dabei Grüne und Rote, weil sie ihre neue Freibeuter-Politkonkurrenz viel direkter am Halse spüren, stärker auskeilen, als ihre bräsige Konkurrenz von den C-Parteien, die sich seit geraumer Zeit auch Volkspartei für ältere Feministinnen (Schwarzer- Merkel, Roth- Beckstein) und karrierebewusste, feminine Jungunionistinnen (Ministerin Schröder) nennen dürften, hat Frau Hensel völlig Recht.

Selbst die SPD, diese mittlerweile programmatisch kaum noch erkennenbare, einem amorph-elastischen Mü-Schwefel ähnelnden Partei, wird leiden müssen, wenn auch eher still. - Schon wieder geht ein Schwung möglicher Aktivisten und Wähler der linken Mitte für sie verloren!

Die Grünen halten sich immer noch für eine Partei, die langfristigen Konzepten folgt, weil sie einmal als richtig erkannt wurden. Auch aus diesem Grunde ist der Ärger über die Piraten besonders groß. Es wird in jenem Tonfall gegiftet den Grüne einst selbst ertragen mussten. Grundsätzlich geht es dabei, wie vormals bei ihnen selbst, um die Äußerlichkeiten einer jungen Partei, die so unprofessionell, unprogrammatisch und diskontinierlich im Personal antritt, wie die aus den Bürgerinitiativen (Anti-Bewegungen) erstandenen Grünen in ihrer Gründungsphase. - Ich erinnere mich, als „Westler“ in regionaler Nähe zu vielen Startbahnen und einigen AKWs entlang des Rheins, dass die Grünen auch versprachen mit einem anderen „Style“ in der großen Politik anzutreten. Davon blieb nichts.


„Embedded“, kategorische Unterschiede in der Kriegsberichterstattung?

„Man fühlt sich als Ostdeutsche in der Bundesrepublik ja immer wieder wie eine Art teilnehmende Beobachterin und würde den eigenen Status als embedded beschreiben.“ - „Man“, also Jana Hensel als Autorin/Journalistin, spricht für jene die sie kennt, mit denen sie sich identifiziert. Das seien die eingebetteten Ostdeutschen.

Teilnehmende Beobachtung, war einmal eine sozialwissenschaftliche, ethnologische, ganz und gar westliche Forschungsmethode, z.B. bei den beiden Fenglers (Alltag in der Anstalt) oder beim Urvater Clifford Geertz, in seinem Konzept der „dichten Beschreibung“.

Wir erinnern uns, -“Wir“ ist hier, auf das grobe „man“ folgend, sprachlich erlaubt! -, der „eingebettete“ Journalist nimmt einseitig teil. Dieser Terminus bezog sich einst auf die Kriegsberichterstattung in modernen Zeiten, selbst wenn schon Alice Schalek im ersten Weltkrieg, eine Art Antischweikjanerin der Publizistik, das prächtig konnte.

„Embedded“ bewegt man sich auf der Seite jener, die sich die erlaubten erzählbaren Situationen und die passenden Orte für den Journalisten vorher schon ausdachten. Es entsteht kein gerader Blick auf die Verhältnisse. Jana Hensel ist also vorwiegend eingebettet zwischen kriegerischen, besserwissenden und intoleranten Wessis unterwegs. - Die Statistik sagt uns, dies müsse in Deutschland so sein, weil nun einmal Dreiviertel-West mit Einviertel-Ost zusammen kamen.

Dass „Westdeutsche sich zwar für wahnsinnig tolerant halten, es aber eigentlich nicht mögen, wenn jemand wirklich mal etwas anders machen will.“, das kann schon stimmen. Solche Westdeutsche gibt es tastsächlich und nicht zu knapp. Aber Frau Hensel verkündet damit im Umkehrschluss, sie sei als Ostdeutsche wahnsinnig tolerant. Angesichts des selbst definierten Status als eingebettete Kriegsreporterin, bleiben zumindest Zweifel.

Warum lässt sich Frau Hensel „einbetten“? - Das heißt doch, sie will, was den Kommentarartikel angeht, gar nichts grundlegend anders schreiben, denken, fühlen, als ihre Kollegen und Kolleginnen aus dem Westen, aber trotzdem als spezielle abweichende Meinung, Typus Ost, anerkannt sein.

Unterschiede die Unterschied machen

Gerade was das Thema „Piraten“ angeht, kann gelten, dass sie im Osten, unter den dortigen Landesverbänden der anderen Parteien, die gleichen ablehnenden Reflexe hervorrufen.

Fehlende Professionalisierung, fehlende Programme, fehlende Kontinuität bei den Personen, sind nun einmal in einer Demokratie in der nach der Verfassung theoretisch jeder gewählt werden kann und jeder wählen können sollte, keine irgendwie notwendigen Vorbedingungen! - Der Professionalismus wuchs bei neuen Parteien immer während des Tuns, das Programm entwickelt sich bei der ersten parlamentarischen Arbeit. Die Personen, die dauerhaft ein Profil der Piraten vertreten , die werden sich ebenfalls erst noch finden müssen. - Mit einem Ost-West-Gegensatz hat das alles nichts zu tun!

Was sich allerdings in Ost und West unter Umständen noch scheiden lässt, das sind die jeweiligen Themen, bei denen sich, eher regionaltypisch, die Toleranz deutlich reduziert. Das Maß der allgemeinen Intoleranz bleibt gleich im vereinigten Mutterland, trampelt da nun ein Ostdeutscher oder ein Westdeutscher durch die Zivilisation. Die Ergebnisse sehen auch materiell, im Osten und Westen, hauptsächlich einheitlich aus, wenn die Intoleranten zu sehr öffentlich wirken durften.

So ist, mit ein paar städtischen Ausnahmen abgesehen, die Feindlichkeit gegen das offensichtlich Fremde im Osten vielleicht stärker. Es liegt aber einfach an der Verteilung der Fremden im Land und nicht an einem grundsätzlich eingeborenen oder anerzogenen Unterschied. Die Toleranz sinkt ab, je seltener wirklich Fremde in der eigenen kleinen Lebenswelt auftauchen.

Wer eingebettet ist, der sieht sich als Teil der Truppe und gerade nicht als Radwechsler im Sinne Brechts, der an der Böschung zweifelnd, staunend und mit Ungeduld zuschaute, weil 1953 tatsächlich was entscheidend Einschneidendes passierte, dessen Wirkung erst 1989 allgemein und auch für den letzten Neuigkeitenmuffel sichtbar wurde.

Der Radwechsel geschah damals nämlich nicht, er fiel glatt aus. Es ging mit den alten Pneus, ein bisschen ausgeflickt, holprig weiter, und das Endergebnis gab es am Ende der Laufleistung des einzigen, wirklich massenhaft produzierten Fahrzeugs, so knuddelig-töffig es trotzdem für manche immer noch ist. Es hatte einen grundsätzlichen Motorschaden. - Dann kauften fast alle die neuen Modelle. Nun ist das mittlerweile längst Banane!

„Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
mit Ungeduld?“

Das Juste milieu

So ist, mit ein paar städtischen Ausnahmen, der Glaube an die gute alte Schichtung kommunaler Gesellschaften im Westen viel ausgeprägter als im Osten. Ganze Städte werden in Westdeutschland von kleinen politischen und wirtschaftlichen Gesellschaftsrunden beherrscht, die es dort schon lange gibt. Deren Haltung ist prinzipiell intolerant und konservativ, weil Änderungen und Öffnungen sie schlicht viel Geld, Einfluss und Freiheitsgrade kostete. Eine Wende trat da nie ein, die regionalen und lokalen Honoratioren kennen sich teilweise seit Jahrzehnten, was sich in manchen In-Gruppen, auch unter dem Medienvolk, in zu vielen falschen Du und Bussi-Bussi ausdrückt. Und sie schieben sich die Posten, sogar parteiübergreifend, gegenseitig zu. Mittlerweile wissen sogar Grüne wie man das gut macht und erscheinen so pflichtgemäß beim bayrischen Derblecken.

Bleibt die einzig wirklich wichtige Frage, ob die Toleranz insgesamt in unserem Land unterentwickelt ist. Beispielhaft in den Medien, die weiterhin das wichtigste Ausdrucksorgan der populären Politik stellen. Dafür könnte man durchaus Belege anführen. Z.B., dass selbst die vom Tagesgeschäft etwas abständigen Medien, sich gegenseitig auf einige wenige Themen die sie dann gemeinsam beackern, selbst „streamlinen“.

So glotzt man mittlerweile gemeinsam die Hauptfernsehsendungen, jedenfalls die mit den größten Einschaltquoten. Ganze Redaktionen schauen gemeinsam die Fußball-WM und den Eurovision- Songkontest, und produzieren danach daraus etwas, das zwar irgendwie als „Content“ gilt, aber eher Containerbefüllung heißen sollte. Um den Aufwand zu senken, beobachten sich die Medien dabei häufig noch gegenseitig.

„Aus Angst vor den immer rechthabenden Eltern zogen sich die um 1970 in Westdeutschland Geborenen oft in die hedonistische und ostentativ unpolitische Pose der Ironie zurück – während wir im Osten den Gegensatz von Politik und Style immer lächerlich fanden.“ - Neben der Frage, was denn nun dieser „Style“ überhaupt sei, -die „Generation Golf“ ist nur in den Medien und bei Medienschaffenden wirklich eine Größe und sammelt mittlerweile lieber still das 19. Jahrhundert-, die Ökologiebewegtheit, die mittlerweile jeder im Munde führt, aber letztlich nicht einen Krümmel am eigenen Material- und Energieverbrauch ändert, ist ein Thema, aber nicht die aktuelle Methode des bürgerlichen Verhaltens.

Selbst wenn das irgendwie bei Schmidbauer steht, bleibt die Frage was damit in diesem Zusammenhang gemeint ist? Und was soll das „Wir“ für den Osten? Wer ist denn das, als öffentlich in Erscheinung tretende Personen oder als Multitude, die angeblich nicht Politik von „Style“ trennt?

Ostdeutsche dieser jüngeren Generation, also Wendekinder und Wendejugendliche, könnten doch auch massenhaft erlebt und daran erkannt werden, dass sie nicht so genau wissen wollen warum sie was, wie, eingebettet tun. Was jedoch schlimmer ist: Sie scheuen sich anzuschauen, was ihr starker Wille, den sie wie jede andere jüngere Generation durchaus haben, so anrichtet.

Es bleibt der seltsame und eher kostenlose Mut, ständig ein „man“ und ein „wir“ zu formulieren, das eigentlich nur „ich“ meint und höchstens sicher stellt, endlich einmal nicht prekär, sondern gesichert „embedded“ journalistisch tätig sein zu dürfen.

In diesem Stile argumentiert Jana Hensel im aktuellen Artikel, obwohl sie doch eigentlich nur sagen wollte, die dauererregte und sich häufig entrüstende Claudia Roth, die damit ein Rollenfach in den Hauptmedien besetzt, -mehr nicht-, solle sich an ihre eigenen Anfänge erinnern und daher ihre politische Kritik an den Piraten differenzieren, statt sie zu verschlagworten.

Dem Voluntarismus wenigstens unter das Blümchenkleid und die Hoodies schauen

Ich lehne das ab und mache garantiert nicht den Versuch, den Spieß einfach umzudrehen, das Bauprinzip diese „Wir“, welches ein ausschließendes, alleiniges Ost-Wir sein will, nun westlich zu übernehmen.

Es mag vielleicht noch eine Weile „In“ sein, diese künstliche Gegensätzlichkeit „Ossi-Wessi“ zu pflegen, weil das Viertel der angesprochenen „Wir“, die vielleicht auch dF lesen, sich irgendwie angesprochen fühlt. Aber neben der erkennnbaren Inhaltsleere, könnte es sogar gefährlich werden, wenn es diesem künstlichen Gegensatz nicht so ergeht, wie so mancher Kampfformel des Feminismus, die in der Sprache der Kriegsreportage daher kommt.

„Jetzt aber hat der alte Westen einen neuen Feind gefunden: Die Piraten.“, schreibt Jana Hensel. Das ist so ein Satz, den man am Feierabend schluckt, einfach hinnimmt und erst einmal denkt, Donnerwetter, die ist aber mutig so was einfach hinzuschreiben. - Dann aber, fällt auf, dass die Verunglimpfung der „Piraten“ durch die grüne Vorsitzende gar keinen Bezug zu Ost-West hat, also dazu ob nun der imaginäre deutsche Westen mit solchen Feindbildern lebt und eventuell der imanginäre deutsche Osten diese bösen Ansichten gar nicht erst hegte, nichts aussagt.

Die „Piraten“ als Bundes- und Länderpartei, werden auch der noch starken Linken in den östlichen Bundesländern Stimmen kosten. Solche der Protestwähler, solche der jungen Wähler, die mehr politischen Voluntarismus schätzen. - Wobei immer unklar bleiben wird, ob der Rückgang der Linken dort, nicht doch eher demografische, mehr noch, selbstverschuldete, parteiinterne Ursachen hat.

Von dort kommt jedenfalls das gleiche Lamento gegen die „Piraten“, nur sind die Personen die was sagen weniger mediennah als die Grüne Claudia Roth. Die Grünen waren im Osten nie stark und selbst in der Hauptstadt doch eher nur Mehrheitsbeschaffer, wie auch die Linke für ein paar Jahre. - Es wird aber nichts nutzen, gegen die Piraten in dieser oberflächlichen Form zu agieren! Auch das lehrt die Parteiengeschichte aller Zeiten.

Mit Bezug auf den politischen Aufstieg der „Piraten“ ließe sich aber der deutlich zu Tage tretende, eben nicht nur bei ihnen auffällige und gefährliche Trend zum Voluntarismus diskutieren. Das müsste gerade die intelligenteren Zeitungsmedien zu verstärkten Überprüfungen der eigenen Haltung anregen.

Mein freier, individueller Wille sagt mir heute, ich finde die Piraten knorke, morgen vielleicht mal wieder die Occupy-Aktivisten und Attac. Dafür sind mir derzeit die UN, die Menschenrechte und Amnesty sowas von egal. Die Ökos, weil ich eventuell aus dem Osten komme, waren allenfalls gestern noch wichtig, als sie ein paar Solarfabriken, die nun schließen und die Windräder ins Land brachten. Heute ist es die piratische Cloud die mich anzieht. - „Ei Wei Wei, Au Wau Wau“, würde man bei uns im Rheinland an frohen Tagen singen. Man kann auch mit eingebettetem Widerspruch sehr locker umgehen.

Eigentlich will keiner mehr so genau wissen, wofür er morgen streitet und heute schreibt, was er heute in die Pfanne haut und morgen mit Wertungsnoten bepunktet. Die Wünsche sind allzu groß, die eigene Rolle schon als Erfolgserlebnis vor anderen zu präsentieren, nämlich an diesem medialen und politischen Kurzzeitgedächtnisspiel überhaupt teilnehmen zu dürfen. Es bleibt nur, was momentan gerade auf den Schirm passt.

Das ist jene inverse gesellschaftliche Alzheimererkrankung, bei der bekanntlich zuerst das Kurzzeitgedächntnis leidet. Das ist wirklich sozial gefährlich, gerade weil es sich so toll liquide anfühlt, aber gar keine Energie für längerfristige Haltungen und Projekte mehr abwirft!

Schon morgen denken ich was Neues und glaube es sei besondes widerständig. Ob es längerfristig nutzt, seien wir ehrlich, wird kaum noch gefragt. „Schon morgen bin ich wieder anders innovativ!" Das ist in Wirklichkeit, ob digital vernetzt gesendet oder immer noch grauhaarig analog aufgeschrieben, häufig das glatte Gegenteil davon, nämlich schlicht eine Ausrede für Beliebigkeiten, die sich auch, vielleicht sogar besser, verkaufsförderlich eintüten lassen.

Folgt man den nun anstehenden Bedeutungsspielen in der medialen Sprache, dann fällt doch auf, dass mit zuviel Verve fast ein Zustand erreicht ist, bei dem sich, ein >>Hoch, re:publica! <<, ein >>Hoch, Piraten!<<, wie die Trinkliedsprüche in Auerbachs Keller ausnehmen. In der Tat eine feine bacchantische Szenerie, mit zusätzlicher böser Neckerei des Teufels, die beim gebildeten, beim verbildeten und beim gänzlich ungebildeten Theaterpublikum gleichermaßen gut ankommt, die aber auch nicht wichtig ist, für den Gang der Handlung.

Christoph Leusch

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