Geblütsfragen I

Diskriminierung Die Lust wächst, wieder strenge Unterschiede zwischen uns und anderen zu kennen. Toleranz und Akzeptanz werden abgelehnt. Liegt es an den wütenden Verlierern der Nation?

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Geblütsfragen oder die Rückkehr der haarigen Affen, Teil I

Das ewige Gesetz der Diskriminierung

In vielen, durchaus sehr unterschiedlich strukturierten und politisierten Gesellschaften, wächst derzeit der Wunsch wieder mehr zu diskriminieren. Die Lust hat fast gleichzeitig Konjunktur in paradiesischen, ökonomisch stabilen Kleinstaaten, wie Österreich und in, von brutalen Verteilungskämpfen geprägten, Transformationsstaaten, wie Brasilien.

Es verhält sich damit, wie mit der speziellen Form der Diskriminierung, dem Rassismus. Für den gibt es weder eine biologische Begründung, noch eine kulturelle Berechtigung, wie man nun schon länger weiß und nicht nur glauben muss. Trotzdem blieb er immer eine Realität, seit Menschen ihre Geschichten umfänglich aufschreiben und lange bevor das heutige Schlagwort für die unfeine Ideologie und grausame Praxis, aus dem nationalen Fundus des neunzehnten Jahrhunderts auftauchte.

Allgemein wird die neue Hausse auf die ökonomische Unsicherheit breiter Schichten der Bevölkerung und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich zurückgeführt. Das Prekariat, die "Deplorables", die Abgehängten, seien zugleich Hauptzielgruppe und selbst Akteure der neuen Propaganda. - Kann das stimmen? Eher nicht, betrachtet man, wie unterschiedlich die befallenen Kulturen und Gesellschaften aufgestellt sind, wie sozial gemischt sich Wortführer, aktive Unterstützer und Wähler präsentieren.

Einzig zwei immer wieder erfragte soziale Kritierien, zeigen stabil deutliche Differenzen: Männer lassen sich eher auf die radikalen Predigten ein und schreiten eher zur Tat. Frauen erweisen sich als resistenter. Sehr gut gebildete BürgerInnen genießen ebenfalls ein wenig mehr Schutz vor der süßen Versuchung, aus Wut und "zivilisierter Verachtung" (Carlo Strenger), ganz realer Ausschließungspolitik zuzustimmen oder in diesem Sinne selbst aktiv zu werden.

Lauter Auserwählte

Diskriminierungen knüpfen an gesellschaftliche Auserwähltheits- und Besonderheitsvorstellungen an. Diese sind tief eingesunken, in die Zivilisation, in das kollektive Unbewusste und Vorbewusste. Zur immer wiederkehrenden Blüte trägt besonders deren Homogenitätsversprechen bei: Einheitlichkeit, Übersichtlichkeit und vermeintliche Vorhersehbarkeit sichern eher zivilisations- und kulturunsicheren Bürgern einen ruhigen Schlaf.

Wir wachen auf, und alle Welt um uns herum spricht die gleiche Sprache, lebt wie wir, sieht aus wie wir, huldigt den gleichen Göttern und Leidenschaften, pflegt die gleichen Wohn-, Konsum- und Freizeitwünsche, denkt die gleichen Gedanken. Wir sind eins, mit uns, mir unseren Nachbarn, mit unserer Gesellschaft, mit unserer Herkunft und gar mit der Zukunft unserer Kinder, die wir, wider besseres Wissen, nicht nur vorhersehen, sondern vorbestimmen wollen. Wir sind nicht anders und wollen nicht von anderen umgeben sein. Schon die Möglichkeit schreckt allzu sehr.

In seinem satirischen Roman "Kingsblood Royal" (1947), lässt Sinclair Lewis die Hauptfigur, Hauptmann Neil Kingsblood, der weißer als weiß, hinkend, aber in jeder Hinsicht besser situiert und weniger versehrt als Ernst Tollers "Hinkemann" des Ersten Weltkriegs, aus dem zweiten Großkrieg heimkehrt, diese Sicherheit verlieren.

Zunächst ist alles in Butter. Eingebunden in sein natürliches Netzwerk aus Verwandten, Bekannten und Schulfreunden, den Ein- und Mitgeborenen, wird der Soldat für die gute Sache wieder in die angesehene und angenehme Gesellschaft seiner großen Kleinstadt, Grand Republic/Minnesota, aufgenommen, deren einzige Attraktion der "Fiesole Room" im größten Hotel am Platz ist, so, als sei die Stadt tatsächlich Erbin der florentinischen Renaissance. Aus dem Krieger wird ein Banker, mit Aspiration auf einen Direktorenposten.

Der Krieg bringt viele schwarze US- Amerikaner in den Norden, in dem es Segregation nur inoffiziell, informell und illegal gibt, während der Süden, der schon damals mächtigsten Nation der Erde, bis in die späten 1960er Jahre verfassungswidrig bleiben durfte. Sie werden, trotz guter Bildung und der Kriegsbeteiligung der Männer, als Fremde und als Konkurrenten wahrgenommen. Sie wohnen in eigenen Vierteln. Sie beten, bis zum Umfallen, in eigenen Kirchengemeinden. Sie amüsieren sich an Orten, die in der weißen Gesellschaft als verrufen gelten, aber in der Hitze der Nacht gefragt sind.

Die Mittelstadtgesellschaft auf dem Lande,will sie weghaben und braucht sie doch, damit es in den Fabriken läuft und die Sphären der Dienstleistung überall reibungslos funktionieren. Zumindest aber, soll der soziale Abstand zwischen Weißen und Schwarzen, privat und am Arbeitsplatz, erhalten bleiben. Die samtene Segregation funktioniert still, alltäglich, ohne systematische Absprache und ohne offene Gewalt, dafür ewig, bis heute.

Captain Kingsblood, selbst voller Vorurteile, zum Beispiel gegen seine schwarze Haushälterin, selbst voll der Sprache der Diskriminerung, zweifelt: >>I mean, up North here, we been proceeding on the idea that a Negro is just as good as we are and has just as much chance to be President of the United States. But maybe we've been on the wrong track. (Ich denke, hier im Norden, halten wir an der Idee fest, dass ein Schwarzer so wertvoll ist, wie wir und genau die gleiche Chance hat, Präsident der Vereinigten Staaten zu sein. Aber vielleicht waren wir auf dem falschen Weg?)<< - Der schwarze Cockerspaniel der Familie hört nur auf "Nigger", selbst wenn es dem Captain manchmal peinlich ist.

Zum endgültigen Aufstieg des jungen Kingsblood, fehlt ein bisschen renommierte Abkunft. Sein Vater, ein angesehener Zahnarzt, glaubt an einige Spritzer blauen britischen Blutes, im Kolonistenstammbaum der Familie. Man sei irgendwie verwandt, mit den alten Königen Englands. Sein Sohn soll das aufklären und dazu Ahnenforschung betreiben. Statt des königlichen Blutes, entdeckt Neil jedoch einen Tropfen Schwarzes, in der Reihe seiner Vorfahren.

Die reine Seele Neil Kingsblood, ein entfernter Verwandter des Fürsten Myschkin, beschließt sich öffentlich zu bekennen: "Ich bin Schwarz, ein weißer "Neger", unter Umständen ein "Nigger"". Rührend eifrig, müht es sich dem "schwarzen Blut", der schwarzen Kultur, näherzukommen, derweil sich sein weißes Umfeld von ihm löst, seine Karriere beendet und ihm sein Haus in einer rein weißen Wohngegend wegnehmen will, weil er Unruhe bringe und Umgang mit Schwarzen pflege.

Detailversessen und mit beißender Ironie, malt Lewis jede erdenkliche Alltagsdiskriminierung in den Dialogszenen seines Romans aus. Eine verfassungsgemäß antidiskriminatorisch organisierte Wohlstandsgesellschaft, die gerade gegen die Macht mit den größten Unterscheidungs- und Eliminationsabsichten einen Weltkrieg gewonnen hat, zeigt ihre widersprüchliche Realität.

Am Ende wird Kingsblood, mitsamt seiner Frau, die nun ebenfalls als "Tarbaby" ("Teerkind", Schwarze) gilt, von den Ordnungshütern der Gemeinde verhaftet. Da sie Aufrührer und Vorkämpfer der schwarzen Sache geworden sind, ohne je etwas getan zu haben, gehören sie zu den üblichen Verdächtigen.

1945 - Der Antidiskriminierungskrieg beendete nicht das Faktum

Diskriminierungen aller Art erweisen sich als notorisch, historisch, fundamentalistisch und politisch hochgradig wirkungsvoll.

Der Golan und das Westjordanland waren schon immer jüdisch. Relikte und alte Dokumente belegen es. Die gewonnenen Kriege verlangen nach einem großen und endgültigen Mehrwert. Die Orts- und Namenstafeln müssen eindeutig sein. Die ewige Sicherheitslage erfordert es: "Nur wir, in Einklang mit unserer vorbestimmten Geschichte, haben es verdient, das sich an uns das Versprechen erfüllt, wenn wir fest zu unserem Wissen und Glauben von der eigenen Überlegenheit stehen, die sich sichtbar jeden Tag manifestiert. In aller Überlegenheit, sind wir jedoch immer von anderen bedroht. Seht nur, wie sie sich fremd kleiden, anders beten, anders reden und aus ihrem kümmerlichen Anteil gar nichts machen. Bei uns grünt, blüht und boomt es, dort staubt es. Wir keltern Wein, sie werfen Steine und schießen Raketen. Sie hassen uns." - Das sehen offenbar auch die weniger entschlossenen, sich unbeteiligt fühlenden, manchmal sogar Mitleid oder gar Scham empfindenden, BürgerInnen einer Musterdemokratie in ihrer Mehrheit ein.

Die brutalsten und konsequentesten Diskriminierer von Staats wegen, die Nationalsozialisten, die Maoisten und die Stalinisten, wickelten ihre Säuberungswellen gegen je unterschiedliche Zielgruppen ab und nutzten eifrig die Gunst historischer Stunden. So mussten, um nicht immer nur an Hitlers Deutschland hängenzubleiben, in der Ära des Sowjetkommunismus die Aristokraten und Kulaken, die sozialistischen Minderheitler und Anarchisten, die Sozialrevolutionäre und Sozialdemokraten, später die "linken Oppositionellen" und "Versöhnler" dran glauben.

In böser Regelmäßigkeit wurde die alte "Intelligenzia" verfolgt, um einer neuen, bürokratischen Intelligenz von Jugend an streng erzogener Kader Platz zu machen. Es kam zu Massenmorden an Ärzten, Priestern, Wissenschaftlern, Juden und zu "Säuberungen" von allen jenen Parteileuten und Sympathisanten, die die letzte Wendung der Staatsführung gerade nicht mitmachten oder denen schon länger das Misstrauen galt. - Einem solchen, dem sowjetischen Chefmeteorologen und Stalingläubigen, Alexei Wangenheim, hat jüngst Oliver Rolin ein geschriebenes Denkmal gesetzt.

Fast schon selbstverständlich, endeten auch viele Exekutoren und Liquidatoren irgendwann als Opfer. - Heute macht die türkische Regierung weltweit Jagd auf Gülen- Anhänger, die noch wenige Jahre zuvor als verlässliche und tatkräftige Verbündete im Kampf gegen oppositionelle, liberale, linke, kurdische und säkular orientierte TürkInnen galten.

Es ist nicht die Wirtschaft, so dumm das ist

Wirtschaftliche Prosperität, schützt nur sehr bedingt vor dem Wiedererwachen allgemeiner Tendenzen stärker zu diskriminieren. - Nie war die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten niedriger, in den letzten Jahrzehnten. Selten hat ein anhaltender Boom fast aller Wirtschaftszweige, nach einer schweren Rezession, nachhaltiger angehalten. Niemals vorher, wurden die Ernten der US-Farmer großzügiger staatlich vor Gewinnausfällen geschützt. Nie vermehrte sich die Schicht der Vermögenden und Wohlhabenden schneller, als zur aktuellen Zeit, in der nun wieder offen, fast schon amtlich, von der "White supremacy" gesprochen werden darf.

In Gesellschaften die medial und sozial kommunizierend eher Schwarmverhalten aufweisen, während sich ihre Bürger privat äußerst individualistisch wähnen, taucht der Hang kategorische Unterschiede nach Gruppenmerkmalen zu machen immer dann auf, wenn Unsicherheit oder auch nur das Gefühl von Unsicherheit und mangelnder Überschaubarkeit herrscht. In dieser situierten Unsicherheit, die so gar nichts von einer revolutionären Stimmung hat, aber auch nicht von Not geprägt ist, wächst die Lust zu sichtbaren und wirksamen Taten. Selbst in Gesellschaften die Rassismus und Diskriminierungen aller Art durch ihre öffentlichen Eliten, die Medien, Intellektuelle und PolitikerInnen, mehrheitlich und entrüstet von sich weisen, bleibt offensichtlich ein breites Fundament erhalten, das jederzeit reaktiviert werden kann.

Die Rückkehr eines starken, auch öffentlich immer mehr in Erscheinung tretenden Willens, strenge Unterschiede zu machen, verweist auf die mangelnde Fähigkeit moderner Gesellschaften, materiell und ideell wesentlich wichtigere Fragen, geradezu lebenswichtige Fragen, zum Beispiel die nach der Verteilungs- und Chancengerechtigkeit und dem noch erträglichen Maß der Unterschiede, auf die politische Tagesordnung zu setzen und dort zu halten. Es fehlt dafür der Politik, aber auch der öffentlichen Kultur und damit den Medien an Haltung, an Durchhaltefähigkeit und Gedächtnis, kurzum, an einer Moral. Es fehlen zunehmend aber auch Bürger, vornehmlich Männer, die diesen Themen überhaupt Bedeutung beimessen, neben den neuen ersten Grundsätzen des vermeintlich ureigenen, starken und identitären Auftritts.

Jeder diskriminiert wie er kann, wenn es es nicht lassen kann

Diskriminierungen sind nicht schicht- und nicht intelligenzabhängig. Sehr wohl aber, ist es die Art und Weise ihrer alltäglichen Ausübung. Hausbesitzer und Vermieter, Arbeitgeber, Banken oder Behörden diskriminieren formal und materiell anders, als protestierende Wutbürger, notorisch gewaltbereite Gruppen, ideologisch durchtrainierte PolitikerInnen oder Intellektuelle, die Presse, die sozialen Netzwerke oder der Stammtisch.

Intellektuelle suchen nach historischen oder kulturellen Differenzen, die sie für unüberwindlich halten. Manchmal verfallen sie sogar auf ästhetische Motive! Man erinnere sich an Ralph Giordano und seine, laut eigenem Bekunden, ihm unerträgliche, visuelle Konfrontation mit einigen verhüllten Muslimas, auf den Ringstraßen-Trottoirs der Domstadt zu Köln. Ideologen und Dogmatiker glauben immer noch an Blut und Gene, also an Zuchtmerkmale. Man denke an Thilo Sarrazins Pferderrassen- Analogien, im Vergleich der Deutschen mit anatolischstämmigen Türken und Deutschtürken, die das gute "Blut", die guten Gene, unserer Nation unaufhaltsam verwässerten.

Die Presse diskriminiert Gruppen, die sich nicht ausreichend formatadäquat präsentieren können oder wollen. Daran ändert auch der lobenswerte Hashtag- Versuch des "der Freitag" nichts. Wer da nicht passt, wird schnell zum Demonstrationsmaterial.

Der einkalkulierte soziale Schaden

Diskriminierung und Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus, sind unberechtigt, falsch und moralisch verwerflich, zudem sozial und ökonomisch schädlich, für die Entwicklung moderner Gesellschaften. Das steht außer Frage. So wird es vom Kindergarten, über die Schulen, bis zu den Hochschulen gelehrt. So lautete die implizite Programmatik der besten Kultureinrichtungen unseres Landes.

Diese Vermittlung weicht aber nicht den Kern und Antrieb diskriminiernden Denkens und Verhaltens auf. Im Gegenteil! Kultur und Bildung, die sich in diesem Sinne positioniert, erntet, neben offensichtlicher Verspottung, immer mehr Misstrauen und ist dem Verdacht ausgesetzt, z.B. nicht national und deutsch genug zu sein, oder gar jenen belehrende Vorschriften machen zu wollen, die glauben ihre Ansichten müssten zukünftig einmal für alle gelten, weil sie das Volk seien und es so erlebten und zutiefst fühlten.

Diskriminierungen sind also sozial erfolgreich. Sie stellen sich oftmals als einzige wirklich bindende, fast ersatzreligiöse Gemeinsamkeit ihrer Vertreter und Anhänger heraus. Sie sind der entscheidende Teil in deren individueller und gruppenbezogener Selbstdefinition, von höherwertig, wichtig, zusammengehörig, stark, erfolgreich, anerkannt, spürbar wirksam und zugleich geordnet.

Nur keine Schwäche- Die Meinung, die zu erkennbaren Taten führt

Die unterscheidende Auswahl und Ausgrenzung, Selektion und Exklusion, erweisen sich als ausgesprochen tatorientierte, aktivierende ideologische Vorgaben, während ihr Gegenteil, Akzeptanz und Toleranz, kein aktives und kein zielorientiertes Potenzial repräsentieren. Vom Wort zur Tat soll es schneller gehen, als es die "Schwatzbuden"- Mechanismen der als elitär verschrieenen Demokratie hergeben können, in denen beständig Rücksicht auf irgendeine Minderheit genommen werden muss. Eine Gesellschaft der Kompromisse wirkt kraftlos und tatenlos.

Die geforderten politischen Taten tragen meist den Stempel der Endgültigkeit, ein Beschleunigungsmotiv und klare, möglichst permanent vemittelte Drohungen: "Es kommt der Tag, es kommt die Stunde,...." Mit Akzeptanz und Toleranz hingegen, so das Empfinden, so der Glaube, geschehe nichts, bleibe alles soziale und öffentliche Verhalten folgenlos und passiv. Akzeptanz und Toleranz signalisieren Schwäche.

Diskriminierungen erlauben, anders als Individualisierung und Differenzierung, nicht nur einen eigenen Blick, sondern setzen soziale Maßstäbe durch, um weiterhin nicht zustimmende Personen, Bürger, Konkurrenten, erklärte Gegner, Feinde und Fremde unter Druck zu setzen und gegen sie zur Tat schreiten zu können, sie zu zwingen, sie zu nötigen. Auf dieser Grundlage, wird einfach, schnell und entschieden gehandelt. Starke politische Medizin muss schlecht schmecken und unerwünschte Wirkungen produzieren. Gerade darum aber, wird sie überhaupt für erfolgreich gehalten und geschätzt.

Der autoritäre Kern der Diskriminierung, nämlich mit Entschiedenheit zu sagen, wer dazugehört und wer nicht und welche Bekenntnisse zukünftig verpflichtend abzulegen sind, kommt ans Licht, wenn er von Antiautoritären, deren Welt einfach nicht einfältig und entschieden genug sein kann, weil sie selbst nicht einfach und entschieden, also nicht durchsetzungsfähig sind, herausgefordert wird oder aber eine historische Situation, wie zum Beispiel die Aufnahme vieler Flüchtlinge, sie zutage treten lässt. Aus- und Abgrenzung braucht immer Objekte, braucht sie als Opfer.

Diskriminierung muss befriedigen und Spaß machen

Unterschiede machen, stärkt vor allem das eigene Selbst und das der Gruppe, der man sich zurechnet. Je beschädigter das Selbstbewusstsein, desto deutlicher, direkter und brutaler muss diskriminiert werden. Dezidierte Diskriminierung löscht schnell Zweifel und erzeugt ein gutes Gefühl, oftmals sogar individuelle psychische Erleichterung.

Allerdings ist dieses Glücksgefühl nur wirklich etwas wert und dauerhaft, wenn es in einer Gruppe entsteht, dort geteilt wird und sich regelmäßig einstellt. Die größte Befriedigung herrscht, wenn die alltäglichen Akte der Diskriminierung als herrschende öffentliche Meinung gelten, also der oben beschriebene Idealzustand, sich ausschließlich in einer Eigenwelt zu bewegen, als Zustand der gesamten Gesellschaft gelten kann. Ausgrenzende Ansichten erlauben dafür auch eine zeitweilige Suspendierung des Schamgefühls. Schließlich reicht es nicht immer, wenn man in Demokratien Führungsfiguren an die Macht bringt, von denen man fest glaubt, dass sie die beschämenden Akte stellvertretend und mit Staatsmacht übernehmen.

BürgerInnen, Politiktreibende, Medien, die das noch ablehnen, aber von sich immer glauben die Motive zu verstehen und die Ursachen zu kennen, haben noch nicht ausreichend verstanden: Es muss auch individuell befriedigen, zu diskriminieren! Die ätzende Sprache, die Herabwürdigungen, die Beleidigungen und die Hetze, bringen regelmäßig Anhänger und auch einige Gegner in einen geistestrunkenen Zustand, auf welchem Niveau auch immer.

Identitäre Kulturetter, Totengräber der Zivilisation

Intellektuelle Anhänger der These, Diskriminierungen seien nötig und produktiv, führen an sie seien spezifische und starke Kulturbewahrer oder gar Kulturschöpfer, gegen die herrschende Multikultur, gegen Mischkulturen, gegen eine Beliebigkeitskultur, gegen den indifferenten Individualismus und vor allem, gegen einen allumfassenden, sozialen Kollektivismus. Sie stünden für eine originale, eindeutige und echte Eigenkultur, für eine einzige wahre und wertvolle Identität des Volkes und der Nation. - Die gesamte Buchliste des rechten Antaios- Verlags präsentiert solche Predigttexte, von Altherren, Altvätern und strammen Altburschen. Wenige Frauen dienen als Alibi, sofern sie ideologisch noch gefestigter auftreten, als ihre männlichen Pendants. Die Webseite der Identitären Deutschlands versammelt eine Schar besonders zackiger Jungmänner, die ihre "ethnokulturelle Identität" bedroht fühlen.

Bei unseren rechten Intellektuellen, wird das heute häufig mit dem bekundeten Hass und einer entschiedenden Frontstellung gegen alles verbunden, was irgendwie mit 1968 in Verbindung gebracht werden kann. 1968 ist dabei eine Art symbolische Wasserscheide, die nun, geradezu generativ- biologisch gedacht, abgelöst werden müsse, durch einen Pendelschlag nach Rechts und rückwärts, zur identitären, nationalen, originären und eigentlichen, ja echten, Kultur, die immer schon vorhanden, von konspirativen Eliten verdrängt worden sei und vor allem in einer spezifischen Art der Heimat, bevorzugt auf dem Lande, weiterlebe. Es ist ein Schlag, ein Rückschlag, nicht einmal ein artistischer Salto, hin zu einer alten Daseinsform der Staaten, Nationen und Völker. Es ist die Rückkehr des 19. Jahrhunderts.

Keine "Bewegung" dieser Art, kommt übrigens ohne verborgen wirkende Sponsoren aus der bekämpften und rhetorisch abgelehnten Elite aus, die auf den passenden Augenblick ihres persönlichen und öffentlichen Bekenntnisses, durchaus kalkuliert, noch zuwarten.

Einmal abgesehen, von wieder gesellschaftsfähigen, antihumanistischen Ansichten, die manchmal sogar Linke teilen, wie die Freund- Feind- Kennzeichnung, die Verachtung für die freigestellte Gattung Mensch an sich, die Sehnsucht nach der Rückkehr in eine strengere soziale, ja aggressive, dafür aber überschaubare Ordnung, die Wiederkehr einer seltsam verklärten Vorzeit, mit angeblich klaren Verhältnissen, fällt der kulturelle Fundus arg begrenzt aus.

Das gilt, analysiert man historische Vorläufer, trifft jedoch auch auf die neue Rechte und einen Teil der neuen konservativen Traditionskultur zu.

Die neue "Leitkultur", noch ist nicht endgültig entschieden, ob sie nur eine Mode mit entsprechendem Online- Läden und einigermaßen seltsamen Freizeitaktivitäten in Tarnuniform ist, bezieht sich fast ausschließlich auf festgelegte Rituale, mit denen man sich untereinander zu erkennen gibt und einen, wenn überhaupt vorgestellt, eher engen, nationalen Traditionskanon pflegt. Fahnen, Wappen, Runenzeichen, Lieder, strammes Auftreten und Gruß reichen fast schon wieder, als Vergemeinschaftungssignale. Dazu schnitzt man sich, es ist komisch, seltsam und erschreckend zugleich, Odinsfiguren, die ethnisch und kulturell für Krieg, Ekstase und Todeskult stehen.

Die wortwörtliche Schlagkraft der Diskriminierung

Diskriminierungsthemen erweisen sich, aufgrund ihrer Einfachheit, als hochgradig kommunikationsfähig, fast ohne Klassen- und Sozialschranken, bezüglich der eigenen und der entschieden abgelehnten oder gehassten fremden Kultur. Sie erlauben einige wenige, dafür feste Werturteile, die mit ihnen verbunden werden und täuschen so eine Sicherheit vor, die aus der Abtrennung und Elimination des Fremden, der Anderen erwachsen soll. Es ist die einzige Art konsequent aufrechterhaltener Gläubigkeit an ein eigenes, überlegenes Wissen, an eine eigene bessere Überzeugung, eine bessere Biologie oder Kultur und ein tieferes, echteres Empfinden.

Der Antrieb zu Rassismus und anderen Diskriminierungen kommt nicht hauptsächlich aus eigenen sozialen Sorgen, Nöten und Befürchtungen, sondern zu allererst aus einer persönlichen Befriedigung in der Willensäußerung und im Anschluss an eine Gruppe, dann einer größeren Bürgerschaft, die ähnlich denkt, die, das ist ebenso klar, bald auch so handelt. Das Wort nimmt konsequent die Tat voraus. An den Worten könnt ihr sie erkennen!

Davon mehr in Teil II.

Christoph Leusch

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