Germania, Rakete mit unberechenbarer Flugbahn

Denkmale Die Republik hat noch wenig eigene Denkmale und renoviert derweil auffällig häufig Historismus und Wilhelminismus. Das bedeutet was und wirft historisch Fragen auf

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Germania aus dem Niederwald. Rakete mit unberechenbarer Flugbahn

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Witz und Wahnwitz der Geschichte

Dass Wahnwitz sanierungsfähig ist, beweisen nicht nur Deutsche, es ist ein Weltphänomen. - Da, am Rhein, gleiten die Seilbahngondeln durch den Glast, weil auch die Inkarnation der nationalen Hybris meist schön gelegen ist. Auf der Höhe, auf dem Berge, wartet Germania. Wäre es doch Bianca mit den schönen Augen, aus diesem Film über den berüchtigten Prüfstand 7*. - Manches wäre leichter zu ertragen, käme die Wahrheit wandlungsfähig und schön daher.

An anderer prominenter Stelle, flussabwärts, lockt der Neubaukaiser**. Er wurde erst spät nachkriegszeitlich, von einem Zeitungsverleger am Rhein in Bronze ewig und schussfest gemacht. Überall im ganzen Land stehen eiserne Bronzekanzler, bis in den höheren Norden hinauf. Arminius, ganz ohne sein Latein, wird zum Hermann aus Teutoburg. Das klingt provinziell, ist aber von der zuschlagenden Sorte, und es klingt irgendwie massenhaft tödlich.

Nicht nur Raketen beschreiben Parabelflüge. Nein, auch Wurfhölzer, Pfeile, Bälle, die Steine die geworfen werden, überhaupt schlicht alles, was gegen die Schwerkraft weg muss, abhebt, dazu von uns gezwungen wird, beschreibt diese Bahn und wird auch die Krümmung unkenntlich, subliminal.

Der Parabelflug

Damit sie nicht auf uns zurück fällt, müsste Germania in einer Sekunde mindestens elfkommazwei Kilometer in den erdnahen Weltraum hinein vorwärts kommen. Irgendwann finge sie die Sonne ein und schmölze die Bronze, wie die sprichwörtliche Butter. Unterhalb der zweiten Kosmischen kommt jede stolze Rakete irgendwann zurück und bringt potentiell eher Unglück.

Die meisten Raketen dieser Erde existieren immer noch ausschließlich zu diesem einen Zweck, im Bedarfsfall ausreichend unglücklich machen zu können. Erklärt das die besondere Liebe zur Rakete? Ist das der heimliche Grund ihrer Verehrung? Sie soll abschrecken, sogar die faszinierten und fixierten Besitzer der Geschosse selbst. - Wer es glaubt wird selig und opferbereit. Was vorhanden ist, wird irgendwann verschossen. Das gilt nicht nur zu Silvester-Neujahr.

Der Mensch im All, auf dem Weg zu neuen Welten: Diese Vorstellung kann sich nur mit hoffnungslos ideologischem Denken aktuell halten, das sogar die Gesetze der Physik ablehnt.

Die Formel dafür lautete immer schon, wir wissen nicht genau zu welchem höheren Zweck, allein, wir wollen es ganz unbedingt, aus Ehrengründen. So stehen Fahnen und Nationen an den Polen, Flaggen und Standarten auf dem Mond und rechtfertigt sich wenigstens eine national zuordenbare Einschlagpunze auf dem Mars.

Was für die Technik gilt, stimmt für den Geist noch viel mehr. Er möchte sich erheben und kann es meist nicht. Schafft es ein kräftiger Gedanke vom Startturm, dann reicht der Parabelwurf trotzdem nicht weit genug. Sein Rückschlag, der Rückfall ins Alte, ist meist fataler als das Desaster eines Raketenabsturzes.

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Germania steht Wache auf der Berghöhe am Rhein. Sie dreht sich stoisch mit dem Globus und hebt nicht ab. Ein paar Tauben, Elstern und Krähen trafen sie im Laufe der Jahre mit ätzendem Auswurf. Der Wind, ein- oder zweimal im Jahr mit ein wenig Feinstkorn aus der Sahara angereichert und leicht säuerlicher Regen schliffen an ihr und ihrem steinernen Sockel. - So ist sie nun außerplanmäßig eingerüstet.

Solchen Gedanken und Träumen, wenn auch immer den falschen, eignet eine zähe Klebrigkeit im kollektiven Gedächtnis. Ganz besonders dann, wenn sie sich aus Alb- und Nachtmaren zusammenfantasieren lassen und freischwebend bleiben, an jede kapitale und fatale Tatabsicht beliebig anknüpfbar. - Die Kindheitserinnerungen, das sind das Ausflugeis, die Gondelfahrt, die schiere Größe und Einfalt, die vielen Einheit-, Einigkeits- und Treueschwüre rüstiger Männer auf großen Bronzereliefs eines aufgelösten Reiches, weit unter der erfundenen Nationalgöttin. Germania, wer ist das? Erinnerungsgewichte, schwerer als zweiunddreißig Tonnen Bronze. - Bianca komm´ und du Germania, wache meinetwegen weiter im Reperaturzustand.

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Gangenwart (Heinz G. Hahs) und demokratische Zukunft

Dein bronzenes Haar, Germania, dein Schwert aus Legierung, dein tausendjährig gedachter, fest gefügter Steinsockel, sie überdauern doch nicht ewig. Heute wird selbst die stumme Wacht schon überwacht. Du alterst sichtbar, wurdest daher verhüllt. Dein Parkplatz ist gebührenpflichtig und die Aussichten zu deinen Füßen, gerade noch kostenfrei. - Der steile Blick nach oben, zu Krieg und Frieden, Krone und Schwert, er produzierte mehr Schlaganfälle aus der Geschichte, als unbedarfte Chiropraktiker je Kranken und Geplagten aufhalsen könnten.

Was schießt weiter? Dein Geist ohne Prüfstand, so, als reichten weder Zeiten, noch Orte, dich endlich zu vergraben, mitsamt deinen ehernen Regeln, vom Reich, vom Rhein als Grenze, von der Nation als Begriffsgarantie für den Wert soldatischer Taten und all´ ihrer Opfer. Jenem treuen, sturen, stumpfen Volk, das nur so gerne ist, wie es nun einmal ist, wären Flüge in kosmischen Gedanken und ozeanischen Gefühlen heute wohl eher peinlich. - In feineren Kreisen erlaubt man sich allerdings wieder, von Interessen zu sprechen***.

Ist das nicht ein Parabelflug****? Fünfundzwanzig Sekunden geistige Schwerelosigkeit, ohne Endhirn und Assoziationen. Du lächelst sogar, irgendwie. Das steht fast schon unter Genverdacht und gilt als angeboren. Das ist idiotisch! - Tausendmal ist nichts passiert, krächtzt es irgendwo unter der Kalotte. - Nein, das kam vom Parkplatz her. Der ist kostenpflichtig.

Deine Schwere, Germania, sie wurde schon beim Augenaufschlag zur Last. - Die größten Denkmale des Landes, diese Nacken- und Faustschläge in Landschaften, sie waren nicht nur groß, sondern immer auch sehr teuer. Kaum eines, von privat erwünscht, von eingetragenen, gemeinwohlorientierten und steuerbefreiten Bürgervereinen liebevoll gefördert, kam ohne staatlichen Nachtragshaushalt zustande. Die Kostenrahmen wurden dabei immer grandios überschritten.

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Was wäre eine zeitgemäße, eine schöne Aussicht für das Kennzeichen D, an die sich andere Erinnerungen und eine gewisse, ewige Leichtigkeit des Seins knüpfen könnte? Auf keinen Fall wieder so viel Bronze und Stein und weniger heroisches Liedgut bitte! Die mögen in der Geschichte bleiben.

Was aber, bleibt von Demokratien, wenn alles an ihnen entweder Abschreibungsobjekt oder liquide wurde? Es drohen zu viele Opfer und die vorzeitige Aufgabe des Planeten.

Christoph Leusch

PS: Wer die Fotoserie sehen möchte, der bewege sich auf http://haendlerundheldenmbh.blogspot.de/

Die Sterne:

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*Prüfstand 7: Das ist der Raktenprüfstand für die V2 (A4) -Rakete in Peenemünde (http://www.speerpyro.de/Geschichte/V2/3.jpg ). Ebenso ein beachtlicher, gegen den allgemeinen TV - Retrorealismus gerichteter, Film des Regisseurs Robert Bramkamp, aus dem Jahr 2001 (http://www.pruefstand7.de/download/download.html ), der sich genau aus diesem Grunde ausdrücklich auf Thomas Pynchons Roman „Die Enden der Parabel“ (Gravity´s Rainbow) beruft und das Buch zitiert.

Wer die Zeit hat und mehr erfahren will, der lese Pynchon und schaue sich Bramkamps Film an. Wer wenig Zeit hat, lese die akribische Dokumentation zum Film, wer keine Zeit hat, der las nun zumindest bis hierher. Das ist auch schon was!

Kleine Nebenbemerkung zur Zahlenmagie: Die einzige Rakete, die sich erfolgreich der Verwendung als Waffe entzog, obwohl man es mit ihr versuchte und sie dafür plante, sie war zu langsam startklar und zu groß, jeder Gegner konnte sie entdecken, hieß R-7.

Die erste Interkontinentalrakete weltweit, liebevoller „Semjorka“ genannt, ein russischer Lastesel für jede Art der erdnahen Raumfahrt, wollte technisch bedingt, einfach nicht abschrecken (Ich danke Wikipedia für diese Raketen-Information).

**Neubaukaiser: Das Reiterstandbild Kaiser Wilhelm des Ersten, von 1897. Ursprünglich aus Kupferblechen getrieben, dünnwandig und so, noch vor Kriegsende 1945 abgeschossen, wurde durch den Nachbau (die „Rekonstruktion“) aus Bronze dickwandig gegossen, nun verewigt (1993).

Urbau und Neubau, vorgeblich kostenneutral und eher privat im öffentlichen Raum platziert, waren nie kostenlos. Was kostet auf Dauer mehr? Die Ideologien die daran hingen und immer noch hängen, oder ihr reales Symbol, jenes historistische und heute touristische Denkmal am Deutschen Eck? - Opfertechnologie ist beides und auch Zeichen dafür, dass Bürgerinitiativen der großen Mehrheiten nicht unbedingt die Folgewirkungen ihrer enthusiastischen Mühen im Auge haben. Geschichte muss immer gegen Vereine geschrieben werden, sonst verfestigt sie sich zur Doktrin.

***Deutsches Interesse: Verklausuliert bisher auch schon durch zwei Präsidenten vorgetragen, die ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden wollten. - Eigentlich eine Ausgeburt und Inhalt der strategischen Überlegungen in der Weise-Kommission (Mein Mensch, so lange ist das schon her und wirkt immer noch zersetzend. Parteiübergreifend). - Der eine, Köhler, eher vorbewusst, daher ein wenig ungeschickt, niemand hatte ihn gebeten; der andere, Gauck, weil er glaubt es sei schon große Freiheit das Unverschämte aussprechen zu dürfen. Mehr Deutschland hat seinen Preis, die Freiheit habe Tote einzukalkulieren. - Böswillig könnte man vom Gewöhnungseffekt sprechen.

****Parabelflug: Erdnahe Raumfahrt und Höhenflug erzeugen so Schwerelosigkeit für 20-30 Sekunden. Die zweite kosmische Geschwindigkeit, auch Entweichungsgeschwindigkeit genannt, verlegt den Umkehrpunkt der Parabel rechnerisch ins Unendliche. Mit der dritten kosmischen Geschwindigkeit verwandelten sich die Flugbahnen in Hyperbeläste und es ginge aus dem Sonnensystem hinaus. Die vierte Kosmische beförderte eine Rakete aus der Galaxie. - Das sind Zustände die frei von humanen Erlebnismöglichkeiten und humanen Seins-Zuständen bleiben müssen. Trotzdem denken wir sie!

Zum Ende: Für unfreiwillige Anregungen danke ich Amanda, Merdeister, Wolfgang Wippermann (Historiker+dF-Autor), Jakob Augstein (Salonlöwe), Katrin Zinkant (Wissen beim dF) und Maike Hank, sowie den Beteiligten Communauten am Pynchon-Projekt des dF.

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