Goethe, Mr.Chancey und Schanze der Gärtner

Naturenschauspiel Die aufgeklärte Melioration der Welt setzte lange vor dem zuständigen Beamten Goethe ein. Wir aber, treiben es derzeit auf die Spitze. Ein kleines Naturenschauspiel.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Goethe, Mr. Chancey und Schanze der Gärtner

Eine kleine, mysteriöse Gartengeschichte

Ein überschaubarer Garten am Ortsrand Ilmenaus, späte Nacht. Es regnet, blitzt und donnert, aber gemächlich. Das Gewitter zieht ab. Im Regen sehen wir drei mittelalterliche Herren. Der Minister Goethe, ohne Bedeckung, ein Gärtner, er soll Schanze heißen, mit einem seltsamen Knotentaschentuch über dem schütteren und nassen Haar, und Mr. Chancey, einen Engländer, der seinen Zylinder à la Brummell trägt.

Alle drei stecken in unförmigen Pelerinenmänteln. Eine auf dem Boden abgestellte Sturmlaterne wirft fahles Licht. Die Überwürfe wirken darin wie Kegelhütchen.

Goethe: Mein Fürst schickte mich. Die Ilm hat die Silberstollen unter Wasser gesetzt und Ilmenaus Gärten sind weg. Für dieses Jahr kein Erz, keine Birne, keine Goldforelle, keinen Forellenschluss, keinen Giganten und keine Rehzunge. Die Diligence steckt im Matsch auf der Straße nach Weimar fest. Sonst hört man solche unangenehmen Neuigkeiten nur von der Mulde aus Sachsen! - Was schlagen Sie vor, Schanze?

Chancey: Sire, wie Sie das wieder formuliert haben. Sie sind einfach der Sonne näher (Blitz und Donner).

Schanze: Wollen wir nicht erst einmal hinein gehen. Heute Nacht ist hier draußen nichts mehr zu tun, als das Unheil anzuschauen und dabei nicht in Trübsal zu verfallen. Ich koche uns Kamillentee.

Goethe: Die Natur zeigt uns die Grenzen. Hier gräbt sie gerade die Landschaft um.

Chancey: Entwässern, Sire, wir werden alles trocken legen. Die Flüsse und Bäche umleiten, große Sammelteiche schaffen (Macht eine ausladende Handbewegung ins Dunkle hinein). Die Ilm zähmen.

Schanze: (Fasst sich an den Kopf, zieht das Zipfeltuch herunter und wischt sich das nasse Gesicht) Die Kamille wächst wieder aus dem Boden, noch nach Jahrzehnten. Mein Garten ist im nächsten Jahr wieder schön, glauben Sie es mir, Herr Minister. Gleich Morgen fange ich von vorn an. Kommen Sie doch, wir gehen hinein. - Tee, das wäre jetzt passend.

Goethe: Nein, bleiben wir noch einen Moment. Das Gewitter ist bald fort und richtig kühl wird es diese Nacht nicht mehr. Ich will die Böschung hinunter zur Ilm. Sie reißt und beißt den Boden weg. Vor dem Ort hat sie sich schon ein neues Bett gesucht und nun ist es hier, wie einst in meinen jungen Tagen, als ich nach Italien fuhr. Leuchten Sie Chancey!

Chancey: Meine Schuhe, Sire! Sie sind schon ganz durchfeuchtet und ich fühle, ich rutsche.

Schanze: Ach, Herr Minister, lieber Goethe, ich hab´ das Jahr über selten festes Schuhwerk an. Nehmt zur Not die Holzpantinen, sie stehen am Gemüsebeet. Das heißt, auf der Mauer vor dem Beet, das nicht mehr ist. - Gleich Morgen fang´ ich wieder an.

Goethe: Das hier ist das Welttheater, und mein Fürst will immer eines auf der Bühne.

Chancey: Sire, sollen wir das Aufschreiben?

Goethe: Wenn Sie wollen, dann tun Sie ´s!

Chancey: (Kramt unter der Pelerine mühsam ein Notizheftchen hervor, an das ein angespitzter Bleistift angeheftet ist) Ach, es ist alles nass, welches Elend, und der Bleistift bohrt nur Löcher ins Papier.

Goethe : Ich merk´ es mir, ich merk´ es mir, Chancey.

Schanze: (Hat die Laterne aufgehoben und geht voraus) Vorsicht hier! Da sind die schlammigen Stufen, jetzt geht es zum Wasser hinab. Haben die Herren denn gar keine Lust auf einen Kamillentee? Ich seh´ die Ilm fast jedes zweite Jahr so und bin schon dreißig Jahre der Gärtner hier.

Chancey: Wir werden das ändern, ein für alle Mal! Wenn der Fürst mir eine Audienz gewährt und meinen Ratschlägen folgt, dann steigen seine Einnahmen aus Silber und Kupfer in den nächsten fünf Jahren und Ilmenau wird ein ganzjährig lieblicher Ort. (Rutscht fast aus, nimmt aber trotzdem nicht eines der Holzschuhpaare, während der Minister eines gegen seine kurzen Stiefel und die Seidenstrümpfe eintauscht und Schanze barfuß schnell hinein kommt) – Exzellenz, Sie nehmen mich doch mit zum Fürsten?

Goethe: Wenn Sie darauf bestehen. Aber jetzt kommen Sie!

Schanze: Nicht weiter, die Herren, hier bricht das alte Ufer ab und ein neues ist noch nicht erkennbar. Morgen ist Zeit dafür, und jetzt können wir doch nichts machen. (Reicht Chancey die Laterne)

Goethe: (In Gedanken) Leuchten Sie Chancey! Da kommt die Kutsche getrieben. Nicht auszudenken, wir wären weitergefahren. Niemand drin. Die Straße muss auch weg sein. Das ist ein Schauspiel!

Chancey: Ah, beinnahe wäre ich abgestürzt! Es ist gefährlich hier, das muss sich ändern. Ein sicherer Weg von der Quelle bis zur Mündung, nein, bis zur Residenz!

Goethe: Ich will hier bleiben, es ist so lehrreich und gewaltig.

Chancey: Wollen wir nicht doch zurück? Ich fürchte, wir werden bald weg geschwemmt, wenn die Ilm weiter steigt oder unter unser Restchen Ufer kriecht.

Goethe: Wie im Gebirg. Wir hatten uns angebunden, damals.

Schanze: (Hat pötzlich einen alten Strick in den Händen) Da kann ich helfen. Stellt Euch an die Weide da. Ich mach´ euch fest.

Goethe: (In Betrachtungen und Gedanken) Ja, ja, hier bleiben. - Ein Naturschauspiel.

Chancey: Was macht der Kerl? Er schnürt uns fest!

Goethe: Ich muss mir das anmerken. Wie sich im Wetter gar die Schwärze der Nacht verändert!

Chancey: Hilfe!

Schanze: Schreit nicht so laut, Herr! In dieser Nacht hört Euch sowieso keiner. (Windet das Hanfseil einige Mal um Goethe und Mr. Chancey, zieht fest an und macht hinter der Weide einen festen Knoten)

Chancey: Wir werden fortgespült!

Schanze: Nein! - Ich gehe jetzt und mache mir Kamillentee.

Goethe: Ja, ja, nein, nein!

Christoph Leusch

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden