Henriette Davidis-Kinder, Küche, Kirche und trotzdem mehr

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Henriette Davidis - Kinder, Küche, Kirche und trotzdem mehr

Eine kleine Würdigung der Köchin der Deutschen

Zeitenwende:

Juni 1844, Eulengebirge, Peterswaldau, Langenbielau. Die Schlesischen Weber stehen auf und werden blutig niedergeschlagen. Elf Tote. Es protestierten die besser bezahlten Baumwollweber, für mehr Lohn und für die Freilassung eines ihrer Petendenten, des Wilhelm Mädler . Sie schlugen viel kaputt, aber schonten die Leute. „Verleger“, die sich in ihren Augen korrekt verhielten, blieben unbehelligt, ebenso solche, die sich „frei kauften“. Die ganz Armen, z.B. die Leineweber, allesamt von Wasser-und Biersuppen ohne Einlage lebend, blieben stumm. - Das kennen wir doch!

Vorher und nachher gab es weitere Aufstände, auch welche mit noch mehr Gewalt, aber keiner ist so in das kulturelle Gedächtnis der Deutschen als Zeichen für die, sich zur Wehr setzende, arbeitende Unterschicht eingegangen. Heinrich Heine dichtete, Hauptmann schrieb Jahrzehnte später sein weltberühmtes Theaterstück, der Arzt Rudolf Virchow, später „Vater der Zellpathologie“, zeigte, was es bedeutet die Lebens- und Sterbeverhältnisse in Oberschlesien objektiv und sachlich zu beschreiben. Karl Marx nahm den Aufstand zum Anlass, endlich die „Arbeiterfrage“ und die „soziale Frage“, als politische Frage zu behandeln und nicht länger davon auszugehen, es sei Alles nur ein Organisationsproblem, es seien Misstände im aufkommenden Industrie-Kapitalismus.

1844 arbeiteten nur ca. 5 -7% der „Working poor“ in einer Fabrik. Die meisten saßen zu Hause und arbeiteten, mit Kind und Kegel in Heimarbeit, für „Verleger“-Fabrikanten denen man ein festes Warenpensum gegen die niedrigst mögliche Entgeltung abzuliefern hatte. Einkaufen konnte man ebenfalls nur beim jeweiligen Verleger, oder der Lohn wurde gleich mit Brot und neuem Grundmaterial für die Arbeit (Baumwolle, Lein, Geräte) von ihm „verrechnet“. - Das war die reine „Zuhälterrei“ der Arbeit, die derzeit auch wieder modisch wird.

Die Stadtbürger, spalteten sich in solche, die gegen Pressionen und die Zensur, die Ideen des Vormärz, und später der gescheiterten Revolution, voran treiben und solche, die in Gartenlauben und bei Hausmusik, geistlich geleitet vom römischen und evangelischen Pfarramt, beschützt von der „Obrigkeit“, lieber spießig sein wollten und den „Peubles und Paupers“ mit der Armenküche und dem Armenarbeitshaus beizukommen trachteten. Das nannte sich eine „gute Policey“. - Zukunftsvisionen für heute, auf einer anderen Ebene?

Nur ein Kochbuch:

1845 veröffentlichte Henriette Davidis ihr „Praktisches Kochbuch. Zuverlässige und selbstgeprüfte Recepte der gewöhnlichen und feineren Küche. Practische Anweisung zur Bereitung von verschiedenartigen Speisen, kalten und warmen Getränken, Gelees, Gefrornem, Backwerken, sowie zum Einmachen und Trocknen von Früchten, mit besonderer Berücksichtigung der Anfängerinnen und angehenden Hausfrauen“. Ein wahrlich allumfassender Titel, den sie später um die „Rossfleischbraterei“, zu der sie ein eigenes Büchlein verfasst hatte, Tischstandards, sowie Regeln für die Hausmädchen erweiterte.

Acht Jahre lang entstand, neben ihrer Tätigkeit als Erzieherin an der Sprockhöveler Mädchenarbeitsschule, ihre Haushaltskochlehre. Die Verleger Velhagen und Klasing aus Bielefeld, später selbstverständlich mit Dépendance in der Buchhandelsstadt Leipzig, hatten ihre Unwissenheit ausgenutzt und für 450 Taler alle Rechte gekauft. Bei späteren, - die erste Ausgabe wurde gerade einmal tausendmal gedruckt -, endlos und kurz hintereinander folgend Auflagen, die in die Zehntausende gingen, erhielt Henriette eine Art Ehrengeld. Ganz spät gab es ein angemessenes Honorar. Für 1000 Talern bedankt sie sich dann auch artig beim Verleger. Da hatte die Davidis aber schon viel mehr, als nur das eine Kochbuch verfasst und aus den Verhandlungsfehlern schnell gelernt. Mehrfach wechselte sie nun ihre Buchpartner, wenn ihr einer für das Projekt nicht passte. Natürlich schrieb sie für Velhagen und Klasing weiter, z.B. in deren Konkurrenz zur „Gartenlaube“, dem Magazin „Daheim“.

Es ist nicht so, dass es vorher keine Kochbücher gegeben hätte und danach keine besseren. Aber Davidis „Practische Anweisung“ traf den Nerv der Zeit, weil das zu erstem Wohlstand gekommene Bürgertum Anleitung brauchte, wie denn die Hausangestellten von der zweiten Stellvertreterin Gottes auf Erden, der Hausfrau, zu lenken und zu leiten wären. - Diese Menschen im Dienst brauchten auch Anleitung, keine Frage. Viele kamen aus Schichten und Verhältnissen in die Tischtuchfamilien, in denen noch mit Holzlöffeln aus einer gemeinsamen Schüssel Graupensuppe und Brei gegessen werden musste. Das Kochen blieb dort wesentlich ein Ab- und Garkochen in einem einzigen großen Topf. Die Garzeiten lagen regelmäßig bei Stunden, manchmal sogar bei Tagen. Der spärliche Zukauf oder die alltäglichen Essensfunde wurden einfach in den, mit Glück, ewig köchelnden Topf dazu gelegt. Weder gab es feste Essenszeiten, -wie auch, wenn täglich 12- 16 Stunden von Allen, einschließlich der Kinder gearbeitet wurde-, noch konnten sich viele Abgearbeitete selbst etwas kochen. Sie hatten weder die Zeit, noch die Energie, sondern behalfen sich bei einer „Garköchin“. Eine eigene Familie zu gründen, ohne eine zumindest gesicherte bürgerliche Existenz, blieb ein gefährliches Wagnis.

Henriette hatte Konkurrenz und direkte Vorläuferinnen. Eine, die Berlinerin Sophie Wilhelmine Scheibler, betrachtete sie selbst, als „eine etwas gefährliche Concurrentin”. Die „Scheiblerin“ schrieb seit 1818/1819 an ihrem „Allgemeinen deutschen Kochbuch für bürgerliche Haushaltungen“, das schon 1823 in fünfter Auflage erschien und um 1850 eine Auflage von 150.000 Exemplaren erreicht hatte. Eine andere, die schwäbische Hausfrau Friederike Louise Löffler, verfasste das „Neue Kochbuch“, erstmals gedruckt 1791, mit 38 (!) Auflagen bis ins 20. Jahrhundert.

Brotberuf und Anliegen, Skizzen aus einer bürgerlichen Vita

1876 stirbt Henriette Davidis, im fünfundsiebzigsten Lebensjahr. Kinderlos geblieben, zweimal verlobt, -die Männer sterben jeweils weg, bevor es ernst werden konnte-, liegt sie in Dortmund begraben. Die kleine Grabstelle ist vom Bodendeckern überwuchert, sehr bescheiden. An ihrem Geburtsort Wengern im Westfälischen, errichtete man ihr ebenfalls ein bescheidenes Denkmal, dessen Inschriftplatte aus einer ihrer eisernen Kochplatten gefertigt sein soll. Bis zu ihrem Ableben hatte die Köchin der Deutschen elf Bücher verfasst, vom Tod und Sterben handelt keines. Alle drehen sich um den "richtigen", das hieß anständig-gesitteten und für "natürlich" erachteten Lebensweg der Mädchen und Frauen, in der ihnen vom männlichen Hausvorstand zugewiesenen Sphäre. Henriette kommt aus dem evangelischen Pfarrhaus. Sittenstrenge und Sparsamkeit herrschen und bilden.

Die Buttermassen und der schockweise Gebrauch von Eiern in vielen ihrer berühmten „Man nehme“- Gerichte, täuschen Oppulenz nur vor. Das Meiste ist einfach, schlicht, für den, dem Luxus noch abgneigten, aber Dienstboten und Mamsells beschäftigenden Bürgerhaushalt zusammen gestellt. - Schnelle und routinierte Handarbeit bei der Zubereitung ist gefragt und wird genauestens beschrieben.

Sie selbst wird in höheren Töchtersschulen erzogen und lebt zur Ausbildung, getrennt von der Familie, in Schloss Martfeld bei Schwelm, da ist sie noch eine Teenagerin. Eine ihrer Schwestern hatte dort den Schlossverwalter geheiratet. Später ist sie selbst Erzieherin, gleichzeitig Hauswirtschafterin und Gärtnerin. Selbstverständlich schreibt sie später ein überaus erfolgreiches Gartenbuch. Wer es genau nehmen möchte, für den ist dieses Buch eher eines über den essbaren, den nutzbaren Garten, der auf des Bürgers kleiner Parzelle eine Entlastung für den Haushalt bringen soll. Was gepflanzt und geerntet werden kann, das muss nicht gekauft werden. Folgerichtig lautet der Titel 1850, „Der Gemüsegarten“. Später, ab der fünften Auflage, so, als ob sie es sich, nun endlich erfolgreich, persönlich vom Zweck abzuschweifen erlauben könne, lautet der Titel dann, „Der Küchen und Blumengarten für Hausfrauen“.

Ingeborg Weber Kellermann verweist in ihrem Buch, „Frauenleben im 19.Jahrhundert“, auf Henriette Davidis Anleitungsbuch, „Die Hausfrau“ das im Todesjahr 1876 erschien. Keinesfalls, so unsere Köchin, dürfe diese selbst tätig werden, sie müsse anleiten und das Personal sittlich formen und führen. Die Arbeitsteilung in der bürgerlichen Familie mit einigem Einkommen, bedingt jedoch auch eine Entfremdung der Familienmitglieder voneinander. Die Kinder werden aufgezogen und erzogen vom Dienstpersonal, von Kinderfräuleins, Hauslehrerinnen und Gouvernanten und in Töchterschulen. - Henriette war eine solche, sogar "höhere", Tochter, aber ohne höhere Bildung, denn die wurde an den Töchterschulen nur halb gelehrt.

Deren persönliches Schicksal ist oft die eigene Beziehungs- und Kinderlosigkeit und die beständige Verfügbarkeit für die Dienstherrschaften. Bürgerliche Ehen wurden wieder Zweckehen, so, als habe es weder die Revolutionen, noch die Aufklärung, noch eine Romantik je gegeben. Eine „gute Partie machen“, ist das erklärte Ziel. - Mit Ironie schildert Fontane im Roman „Frau Jenny Treibel“ oder später Thomas Mann in den „Buddenbrooks“, genau diesen Sachverhalt und die Konflikte romantisch Liebender damit. - Die Zeiten gewinnen oft gegen die Menschen.

Zwischen diesem späten Buch und den frühen schriftstellerischen Anfängen der Davidis liegen Jahrzehnte und die neue Diktion kennzeichnet den Übergang vom Vormärz und dem Biedermeier zu harten, zweckorientierten und neuen „Gründerzeit“. Organisation ist alles und die Funktion der Personen steht über ihrer Persönlichkeit und auch über jedem Gefühl. Deutschland war nun Kaiserreich, Militär- und Industriemacht. Manche Zeitgenossen ersannen „Streckapparate“ für junge und vor allem sittlich unreife Menschen. Es wurde beständig an der steifen Haltung der gesamten Gesellschaft gearbeitet, Neurosen präförmiert, der Paranoia ein bequemer Anlass zum Ausbruch gegeben.

Sehr auffällig ist, wie lange der Anlauf ist, den unsere „unentdeckte Heldin“ bis zum Erscheinen ihres Kochbuches nimmt. 1845 war die Davidis 44 Jahre alt und hatte, nachdem sie mehrfach als Erzieherin in Stellung war, an der Sprockhöveler Mädchenarbeitsschule, von 1841- 1848, ihre erste eigenverantwortliche Stelle mit mehr Freiraum. Viele Kinder musste sie wohl nicht unterrichten. In Sprockhövel selbst hatte niemand den Eindruck, die Haushaltung und Hauswirtschaft der Davidis sei irgendwie besonders. Sie fiel, das ist bemerkenswert, nicht weiter auf! - Trotzdem muss sie in diesen Jahren fleißig gesammelt und probiert haben. Wahrscheinlich stand ihr ein heute verschwundener „Backes“ (Dorfbackstube) zu Verfügung. Ob die Küche im Haus „Heine“, dort wohnte Henriette, nach den Schilderungen der heutigen Besitzer und Bewohner ein dunkles, sechs Quadratmeter „Kabuff“, ihr ausreichte, das darf doch bezweifelt werden.

Neben dem Ausprobieren, -es ist erstmals alles was empfohlen wird, auch vorgekocht, ausgekocht und probiert, nicht einfach woanders abgeschrieben-, ist es vor allem die einheitliche Form, mit der Rezeptur- und Arbeitsabläufen beschrieben werden, die Henriette Davidis Kochbuch schnell zum Bestseller machen. Jeder kann das lesen und verstehen und mit den Angaben, die selbst bei groben Maßen noch genau genug sind, gelingen die Speisen auf Anhieb. Anregungen zu eigenen Experimenten, wie wir es aus modernen Kochschulen kennen, waren nicht das Anliegen der Küchenerzieherin. Ihr ging es um einen gutbürgerlichen Standard.

„Man nehme“, was?

Was steht nun an Rezepturen und Ratschlägen drin, im „Kochbuch der Deutschen“, das in Übersetzungen und Nachdrucken bis nach Nordamerika vordrang?- „Die Zubereitung der Speisen ist schon der Gesundheit wegen nicht als Nebensache zu betrachten.“ - Ein vollkommen positivistischer Satz. Hier folgt keine Kochphilosophie oder Geschmackslehre. Es geht prosaisch und praktisch voran. Die Küche ist zu kontrollieren, damit sie nicht den „Untergebenen zu stark in die Hand falle.“ Was für eine Einleitung eines Kochbuchs!

Es folgen vier Grundregeln des hausfraulichen Kochens und Haushaltens: Reinlichkeit, Sparsamkeit, Achtsamkeit und Überlegung (alle Zutaten vorher am Platz, Bevorratung), dann eine Lehre zu den Fleischportionen, vom Puterhahn bis zum Wildschweinkopf. Da steht, wie viele Gäste man satt bekommt. Die „Fettlehre“ der Henriette Davidis ist gar nicht so butterlastig. Aber, wer „fein“ kochen will, braucht gute Butter und sollte die Ersatzfette, z.B. Nierenfett, Rübenöl und Schmalz meiden, so die Köchin. Alle Braten werden mit dem passenden Fetten beschrieben. Weiter geht es mit Gemüsen und den Schmorfetten dafür.

Lange lässt sich Davidis über die Bevorratung und Lagerung aus. In einer Zeit ohne wirkliche Kühlmethoden, eine absolute Notwendigkeit. Ein Beispiel: Ganz frische, „nicht bebrütete“, Eier werden in einem Steintopf der mit Kalkwasser gefüllt ist „monatelang“ aufbewahrt. - Wohl bekomms. Gut das Alles später, bei der Zubereitung, kräftig erhitzt wird.

Es folgen genaue Angaben zu Geschirr und Töpfen, zur Qualität von Geflügel und Wild, über das Parieren (Zuschneiden) von Fleisch aller Art. Einen Hasen abzuziehen, das ist nach dem entsprechenden Hinweisen der Davidis, ebenso kein Problem mehr, wie der Umgang mit Geflügel. Unsere Köchin macht genaueste Angaben, in welchen Monaten welche Speisen besonders geignet sind. Die Haushaltsküche ist eine Jahreszeitenküche.

Anfangs 64, später 85 Grundrezepte gehören zu den allgmeinen „Vorbereitungsregeln“. Diese Grundpräparationen von Fleisch und Gemüse, nebst Soßen und vor allem Fleisch-Füllungen (Farcen), sowie eine knappe Materialkunde, sind die eigentliche Kochschule der Henriette Davidis. Hier zeigt sie, was sie unter den Prinzipien der Küche verstehen möchte, wie nach ihrer Meinung, und die hat sich weitgehend durchgesetzt, gekocht werden sollte. Das Spicken von Braten und Kochfleisch ist eine Kochmode der Zeit und selbstverständlich steht hier das Rezept für die berühmte „Sardellenbutter“: Ein Pfund Butter, ein Pfund Sardellen, fein gehackt, zusammen durch ein Sieb gepresst und dann in einem Steintopf ab in den Kühlkeller. „Zucker zu läutern“ geht so, Zuckerkegel oder Würfel werden kurz in kaltes Wasser getunkt, dann in einem Messing Topf „über dem Feuer“ schaumig, zuletzt klar gerührt. Dauert das zu lange!- Bitte, nach Davidis setze man Eiweis hinzu und der Schaum fällt in sich zusammen. Es folgen Suppen und Kaltschalen, vor allem auch eine Menge Wein- und Biersuppen und die nun für Bürgerliche angereicherten Wasser- und Milchsuppen. Gemüse und Kartoffelspeisen landen in einem Kapitel, das wiederum allgemeine Kochregeln und dann Rezepte nennt. Unmöglich, auch nur einen Teil hier sinnvoll zu beschreiben. Vom Sauerampfer bis zum Chinakohl, Frau Davidis kennt sich aus in Feld und Garten.

Ein Begriff fällt auf „gestovt“. Die Biedermeier-, dann Gründerzeitküche verwendet Zwiebacke, die völlig zerstoßen, nach dem halbgar Kochen der Gemüse, zur Anreicherung mit diesen in der Soße ziehen. „Gold und Silber“, ist ein Gericht aus verschiedenem Wurzelgemüse, mit Speck oder Mettwurst, ganz weich gekocht, vermischt mit ebenso weich gekochten, weißen Bohnen. Kartoffeln werden auf mindestens zwanzig Weisen zubereitet.

Es folgt, schier unendlich, die Beschreibung von Fleischgerichten, wiederum, es ist die Regel, mit einer allgemeinen Einleitung, dann vom Ochsen und Rind, bis zu Tauben, Krammetsvögeln (Drosseln) und Schnepfen reichend. Danach geht es zu den heute eher selten im Haushalt hergestellten Pasteten, groß und klein. Gänseleberpasteten kennt Henriette nur aus Straßburg. Praktisch und gewiss schön auf dem Teller, sind die „Fleurons“, halbmondförmige Blätterteigbeilagen zu Ragouts aller Art, anstelle der handwerklich schwierigeren Pasteten. Aal- und Hechtgerichte machen einen Gutteil des Fischkapitels aus, ebenso der Lachs. „Häring“, damals keine Delikatesse, sondern der Brotfisch der Armen, findet nur wenig Beachtung und die Rezepturen wirken ziemlich lieblos.

Ein Kapitel zu besonderen Anlässen fällt knapp aus, wobei Frau Davidis die Zubereitung der „Schildkrötensuppe“, vom Preparieren und Ausweiden der Tiere, bis zur Unterscheidung in klare und gebundene Suppe, sehr genau beschreibt. Sind „Kenner“ bei Tisch, empfiehlt sie „Schildkrötenwürstchen“ im gereinigten Darm der Tiere und dazu Schildkröteneier. Sie liebt den Auerhahn, heute nicht mehr jagdbar, weil vom Aussterben bedroht, und bereitet daraus eine kalte Auerwild-Pastete.

Puddings wurden, entgegen heutiger Gepflogenheit, heiß und kalt serviert, süß und salzig, mit allem zubereitet, was in der Küche zu finden ist oder anderweitig übrig blieb. Hier ist die Verwertung, wie bei den Mehlspeisen und beim Fleisch auf ihre rationale Spitze getrieben. Nichts was essbar ist, -wenn es denn die Köchin überhaupt kennt, die ja nur einmal wirklich weiter reiste und eine alleinstehende Frau in die Schweiz begleitete-, bleibt ohne Kochrezept. Nichts ist, was am Ende nicht in einer Suppe oder einem Pudding landen könnte. Gleiches ließe sich von den Aufläufen berichten. Macaroni und Nudelgerichte bleiben schwach beleuchtet, im Vergleich mit anderen Kapiteln. Wer bei Basel umkehren musste und Schwaben ausließ, allenfalls das Schwelmer Land kennt, der kocht so etwas nicht gern.

Wie die Küche, auch weit weg von Wien, mit Omletts, Pfannkuchen, Plinzen und Kartoffelpuffern, mit Milch und Mehlspeisen gesegnet ist, das entfalten die nächsten Kapitel. Allein um die einhundert Rezepturen bietet Henriette Davidis an. Wie üblich eingeleitet von allgemeinen Anmerkungen, z.B. zur richtigen Pfannkuchenpfanne aus Stahl! „Plinzen“ sind kleine Pfannenkuchen zur Beilage und man kann mit ihnen alles machen, was auch mit den dicken Runden möglich ist. Liebevoll wird die „Ohrfeige“ beschrieben. Kein Prügelrezept, sondern eine Art „Entschädigung“ für eine solches Seelen- und Körpergewitter. Es ist ein Pfannkuchen der nur halbseitg kross gebacken wird, in dem man eine angewärmte Deckelplatte in die Pfanne stülpt. Auf der anderen Seite bleibt es bei einem leichten Gelb. Dazu müssen Pfanne und Deckel zusammen gehalten und einige Male in der Luft gedreht werden. Eine saubere Methode und einfacher als die heute insszenierten luftakrobatischen Wurfübungen mit Dreh. Nachher wird der Pfannkuchen mit Marmelade bestrichen oder mit Einmachobst belegt, Zucker und Zimt darüber gestreut. Ganz einfach, ganz schlicht.

So könnte es weiter gehen, wenn Zeit und Platz reichten. Aber, ich glaube, die Leser können einen Eindruck gewinnen, wie es in der Davidisküche zu ging.

Längst ist nicht alles gesagt und so sei auf das Henriette-Davidis Museum in Wetter-Wengern, auf das Deutsche Kochmuseum in Dortmund ganz besonders, und natürlich auf irgend einen guten Nachdruck des „Practischen Kochbuches“ verwiesen. Häufig hilft, einfach bei Onkeln und Tanten, sofern alleinstehend, oder bei Omas, Urgroßomas und Müttern nachzufragen. Irgendwo steht immer ein Davidis Kochbuch herum.

Liebe Grüße

Christoph Leusch

PS: In den nächsten Tagen folgt ein Artikel zu Henriette Davidis und Aktivitäten zu ihren Ehren während des europäischen Kulturhauptstadtjahres „Ruhr 2010“, sowie ein wenig Literatur und Quellenmaterial, dem dieser Artikel in tiefer Schuld verbunden ist. Dann gibt es noch ein oder zwei meiner subjektiven Rezepthöhepunkte aus ihrem Werk, z.B. die Beschreibung des „Pfefferpotthast“, den sie abschrieb, wie ich beständig abschreibe .

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