Steuerfahnderskandal & Gefälligkeitsgutachten

Reichenschutz Wer als Steuerfahnder nach den großen Hinterziehern sucht, der ist für den hessischen Staat ein "Bekloppter" im Amt. Dagegen helfen psychiatrische Gefälligkeitsgutachten.

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Der hessische Steuerfahnder Skandal: Der Staat am Abgrund zum Willkürstaat

Steuerfahndung schwer gemacht

„Bekloppt“ ist, wer gegen den Willen seiner Vorgesetzten und den Widerstand der Politik, die Steuern des Bürgerstaates eintreiben will. - Was wie ein "Strafsatz", ehemals auf jedem DM-Schein aufgedruckt, klingt, ist in Hessen Wirklichkeit geworden. - Solche Leute werden mit psychiatrischen Gutachten kalt gestellt.

Achteinhalb Jahre nach dem Beginn der eigentlichen Affäre kommen Tag um Tag neue brisante Informationen zur Zwangspensionierung der hessischen Steuerbeamten ans Licht, die ihren Vorgesetzten deshalb nicht mehr genehm waren, weil sie sich grundsätzlich und entschieden einer Weisung widersetzten, bei den aufgedeckten Finanz-Transaktionen nur noch oberhalb von Gesamtsummen von 500.000 DM (255.000 €) und mehr von einem Prüfauftrag ausgehen zu sollen. Sie sahen das deshalb nicht als zielführend an, weil die Transaktionsbeträge von Steuerhinterziehern in großen Stil geschickt gestückelt werden und einige deutsche Großbanken dabei halfen das Geld ins nahe Ausland zu schaffen.

Besonders ihre Ermittlungen in der Commerzbank und bei der Deutsche Bank störten die obersten Vorgesetzen und die politischen Dienstherren der Beamten, obwohl sie dem Staat Millionen an Steuernachzahlungen und Strafzahlungen einbrachten. Ihre Recherche nach den scheuen „DM-Euro-Rehlein“ auf lichtensteinischen Konten macht sie verhasst. Schließlich lagerten dort auch die ca. 30 Millionen Euro illegaler „Stiftungsgelder“ der hessischen CDU (1).

Nach dem Regierungswechsel zum ersten Kabinett Roland Koch, wurden die Beamten zunächst mit Zwangsversetzungen, gegen die sie sich wehrten, dann über ein Verfahren zur Zwangspensionierung aus den allzu sensiblen Milieus und Fällen „abgezogen“. Noch heute gilt das gewählte Verfahren den Behördenleitern und der Regierung als notwendiges und effizientes Behördenhandeln. - Nun drohen das Finanzministerium und die Oberbehörden der Steuerverwaltung den nicht still schweigenden, frühpensionierten Fahndern (2) mit weiteren Maßnahmen.

Lebenslange Dienstunfähigkeit zum "Sonderpreis"

Die Geschassten beschwerten sich an höchster Stelle, sogar bei Ministerpräsident Roland Koch. - Man kam auf eine geschickte Idee:

Ein Psychiater und Neurologe wurde mit der Überprüfung der Diensttauglichkeit beauftragt. er sollte die vier Beamten aus der Steuer-Abteilung V des Frankfurter Finanzamtes begutachten. - Alle Viere vom gleichen Gutachter, alle auf ihren psychischen Gesundheitszustand hin, alle auf ihre weitere Dienstfähigkeit, alle für den gleichen Pauschalbetrag von 406 € . - Es ging um eine schwerwiegende Angelegenheit. Nämlich, ob diese Beamten psychisch oder neurologisch krank sind. Wenn ja, ob sie rehabilitiert werden könnten, oder ob es sich dabei um irreversible Erkrankungen oder Störungen handelte, die die Frühpensionierungen in allen Fällen rechtfertigen würde.

Zum Glück lässt sich böses Tun nicht auf ewig vertuschen.- Für 406 € schreiben sich keine, der Frage angemessenen, psychiatrischen oder nervenfachärztlichen Gutachten! Eine Effizienzmaschine der knappen Begutachtung tat trotzdem willig ihren Dienst. Gegenwert der zerstörten Karrieren, Gegenwert für „Ruhe im Karton“, jeweils 406 €.

Neben der ausführlichen Exploration (Befragung) der Betroffenen, einer gründlicher körperlicher und neurologischer Untersuchungen, psychologischer und psychometrischen Testung und einer ausführlichen, psychopathologischen Befunderhebung, - in Letztere wird die eigentliche Abweichung von einer Norm, „krank-gesund“, im Denken, Fühlen, Erleben und Handeln festgehalten- , gehört dazu die biografische Anamneseerhebung bei den Betroffenen und bei Dritten, sowie die Recherche nach entsprechenden Vorerkrankungen oder eindeutigen Hinweisen darauf.

Ein Psychiater muss Rechenschaft ablegen, wie Eigenauskünfte der Betroffenen, Fremdauskünfte und seine Befunde zusammen passen. Er muss seine „Kausalkette“ wissenschaftlich schlüssig belegen und am Ende nicht nur eine Diagnose, die sich an fachliche Spielregeln hält, sondern auch eine Prognose treffen.

Seine Diagnosen hielt der Gutachter der vier Beamten für so treffsicher, dass er, ganz entgegen aller Gepflogenheiten, eine Überprüfung nach einem gewissen Zeitraum für nicht mehr notwendig erachtete. Die „chronischen Anpassungsstörungen“, bzw. die „paranoid-querulatorischen“ Persönlichkeitszüge der Probanden, seien „irreversibel“, heißt es auffällig wortgleich in den jeweiligen Passagen der Gutachten.

So geht das natürlich nicht! - Nach zermürbenden Jahren stellten sich die Gutachten jetzt allesamt als ärztliche Fehlurteile heraus. Die Beamten sind bisher nicht wieder in ihren alten Stand eingesetzt. Ihre Vorgesetzten können juristisch nicht belangt werden. Eventuelle Straftaten sind mittlerweile verjährt (3,4).

Wir sollten uns keiner Illusion hingeben und glauben, dies sei nur in Frankfurt und Umgebung so.- Nein, aus Zeitnot, Budgetdruck und einfach stumpfer Gläubigkeit an die Macht des routinierten Ablaufs, sind mittlerweile manch´seltsame Sitten bei Gerichten, Staatsanwaltschaften und Behörden eingerissen. Immer die selben Gutachter, justizbekannt und schnell urteilend, gehen da ans Werk. Niemand schaut ihnen auf die Finger, es sei denn, es kommt einmal die nachfragende Öffentlichkeit ins Spiel. Dann nämlich, wenn sich Betroffene trauen der Zermürbungstaktik entgegen zu treten und die schlampigen Atteste nicht auf sich sitzen zu lassen.

Manche, wie z.B. der erfahrene Mainzer Gutachter, Professor Johann Glatzel, geben ihre „Auftraggeber -Affinität“ offen zu (5). Gerade dieser Gutachter ist für sprachlich besonders gelungene Gutachten , bei gleichzeitig "effizientem" Anamnese und Untersuchungsaufwand, seit langer Zeit bekannt (6,7).

Die erstellten fachärztlichen Gutachten für die vier Frankfurter Steuerfahnder wurden mittlerweile allesamt als nicht fachgerecht angefertigt eingeschätzt.Der Nervenarzt erhielt eine 12.000 € Geldstrafe und einen Verweis der Landesärztekammer Hessen. Dennoch ist er weiterhin als Gerichtsgutachter tätig und wurde jetzt vom zuständigen Landgerichtes im heiklen Fall des Kindesentführers und Mörders Markus Gäfgen gegen das Land Hessen, es geht um Schadenersatz wegen Folterandrohung, erneut als Gutachter des Gerichts eingesetzt (8). Auch wenn das Gericht ihn mittlerweile aufforderte, sein Mandat „ruhen“ zu lassen, beunruhigt doch die Beharrlichkeit der Behörden und Gerichte.

Die Politik

Nach dem ganzen Hickhack um eine erneute Regierung Koch, mittlerweile sitzt die FDP mit an Bord, erinnert sich die "kleine gelbe Staatspartei" nur noch mühsam, wie sehr sie sich noch vor wenigen Monaten für die Aufklärung der Affäre stark gemacht hatte. Der Stellvertreter des Ministerpräsidenten und Justizminister Hessens, Herr Hahn (FDP), hält sich, es ist ein weiterer Freundesdienst des getreuen Eckhart in der hessischen Rechtskoalition, bedeckt. Die Fachminister, Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) und Arbeitsminister Jürgen Banzer (CDU) finden nichts Schlechtes am behördlichen Vorgehen. Alles sei doch mit rechten Dingen und nach dem Dienstrecht legal zugegangen (9).

Mittlerweile weiß die Öffentlichkeit in Hessen, dass der Arzt auch vorher schon den Finanzbehörden gefällig war. -Mindestens ein missliebiger Beamter wurden mit der Prüfung seiner psychischen Gesundheit durch genau diesen Arzt bedroht, wenn er nicht einer Versetzung zustimmen würde. - Gleiche Prozedur, jedoch schnelles Einschwenken des Betroffenen, und plötzlich war von einer Überprüfung der seelischen Gesundheit nicht mehr die Rede.

Wie in jedem besseren Skandal, kennen sich die anordnenden und Aufsicht führenden Personen. Sie kennen, auch das wird klar, Ärzte mit denen sich entsprechend Arrangements treffen lassen.

Die kleinen Exklusivlisten der "erfahrenen" Gutachter, die vermeintliche Expertise aus schon zahlreichen Fällen, die Bekanntheit bei Gericht und Behörde, erzeugen erst den "geschlossenen Zirkel". Erst wenn man sich der Personen sicher und vertraut ist, kann sich das "Titularwesen" und die amtlich angeordnete Oberflächlichkeit so richtig auswirken. Erst dann wird der Gutachter zu einem scharfen bürokratischen und juristischen „Instrument“.

Dass damit schwerwiegende Entscheidungen im Berufs- und Arbeitsrecht (Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit), im Verkehrsrecht (Führerscheinentzug), im Strafrecht (Schuldfähigkeit) verbunden sind, die eine Folge von Weiterungen auslösen, geht im zügigen gutachterlichen Ablauf für den „Pauschbetrag“ allzu schnell verloren.

Die Medien und der Steuerfahnderskandal:

Zwei Presseorgane haben in dieser Sache gehörig Alarm geschlagen und öffentlichkeitswirksam auf die Geschehnisse in Frankfurts Steuerbehörde hingewiesen: Das Magazin „Stern“ veröffentlichte eine umfangreiche Reportage zu den Steuerfahndern (10). Die Frankfurter Rundschau, dort besonders Matthias Thieme, berichtete bisher regelmäßig und konsequent über den Stand der Affäre. Thieme schreibt weiter über den „Wahn der Macht“ (11).

Beim Verhalten des „Stern“ dürfte sicherlich nachwirken, dass das Magazin selbst einst aktiv und sehr unglücklich in einen spektakulären Fall eingriff. Auf Betreiben seiner Anwältin und des „Stern“-Magazins hatte 2001 der psychiatrische Gutachter, Professor Dr. Johann Glatzel aus Mainz, einen Häftling der forensischen Klinik Neustadt (Schleswig-Holstein) oberflächlich untersucht, kurz befragt und ihm dann bescheinigt, er sei keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit (12,13). Nach seiner Haftentlassung vergewaltigte und misshandelte der Mann erneut eine Frau schwer, war also sofort rückfällig geworden. Damals stellte sich heraus, dass der Gutachter weder die jahrelang mit dem Probanden vertrauten Ärzte und Psychologen befragt hatte, noch eine ausführliche psychiatrische Untersuchung vollzog. Christoph Leusch

Anmerkungen:

(1)„Kontrolle unerwünscht“, von Matthias Thieme, FR, 21.09.2009, www.fr-online.de/top_news/1846719_Steuerfahnder-Affaere-Kontrolle-unerwuenscht.html , ein Überblicksartikel zum Stand der Affäre und zu den Hauptpersonen.

(2)„Oberfinanzdirektionwill gegen „Verleumdung“ vorgehen“, von Helmut Schwan,FAZ-NET, 20.11.2009, www.faz.net/s/Rub5785324EF29440359B02AF69CB1BB8CC/Doc~E3C5572E5B1814455B8E9907C4FCE0165~ATpl~Ecommon~Scontent.html (3) „Finanzminister wegen Untreue angezeigt“, Matthias Thieme und Pitt von Bebenburg, FR,18.11.2009, www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=2088919&;em_loc=1231

(4) „Vorwürfe gegen Vorgesetzte von Steuerfahndern verjährt“, FAZ-Net, 19.11.2009, www.faz.net/s/Rub5785324EF29440359B02AF69CB1BB8CC/Doc~E54B8CA500D4D473199E84363760F3D5B~ATpl~Ecommon~Scontent.html

(5) “(...)Glatzel, der sich vom Stern vereinnahmen ließ, kritisiert, dass sich Gutachter von Gerichten vereinnahmen lassen. "Man ist ein Gehilfe der Strafvollstreckungskammer", sagt er. Gutachter könnten nur dazu beitragen, psychisch kranke Rechtsbrecher zu "identifizieren". Indem sie "hellhörig" sind. Für Spuren von Abnormitäten, für Gesten, für "Signale des Abweichenden". Doch letztlich, räumt er ein, sei man nicht völlig frei davon, die Erwartungen der Gerichte erfüllen zu wollen („Der Risikoprophet“, von Barbara Bollwahn de Paez Casanova, taz, 22.04.2003, www.taz.de/nc/1/archiv/archiv-start/?ressort=sw&;dig=2003%2F04%2F22%2Fa0163&cHash=2eac4bc66b). (...)“

(6) „Einige Psychiater machen es Glatzel zum Vorwurf, dass er diese prognostischen Instrumentarien nicht nutzt. Zum Beispiel der Leiter des Gutachteninstituts in Nordrhein-Westfalen, Rainer Gliemann. Er kennt über 50 Gutachten des Mainzer Professors. Bei einigen habe er "total daneben gelegen", bei anderen "ins Schwarze getroffen". (Zitat s.o, (5))

(7) „ (...)Zwei Psychiater, Professor Johann Glatzel aus Mainz und Professor Helmut Ehrhardt aus Marburg, haben das nach entsetzter Lektüre dieser Akten breitbeinig hingeschrieben, der eine mehr, der andere weniger. Beide haben den Anwalt Friedrich Schmidt nicht körperlich untersucht, sich nicht mit ihm unterhalten, keine Tests gemacht - er hat verständlicherweise seine Mitwirkung an den Gutachten verweigert. Sie aber hielten an ihren für Schmidt folgenreichen Beurteilungen fest. (...)“, aus: „Wer sich nicht anpasst“, von Hanno Kühnert, DIE ZEIT ,49, 28.11.1986, www.zeit.de/1986/49/Wer-sich-nicht-anpasst

(8) „Der Nervenarzt und die Justiz“, von Matthias Thieme, FR, 09.11.2009, www.fr-online.de/top_news/2068328_Der-Nervenarzt-und-die-Justiz.html

(9) „Weimar gibt kontra“, Pitt von Bebenburg, FR-Online, 19.11.2009, www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=2091702&;em_loc=1231

(10) Eiskalt abserviert“, von Frauke Hunfeld, Stern, 19.12.2008,

www.stern.de/politik/deutschland/steuerfahndung-frankfurt-eiskalt-abserviert-649420.html

(11) „Der Wahn der Macht“,M.Thieme,FR,23.11.2009,

www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/meinung/?em_cnt=2099209&;em_loc=1775

(12) „Die Macht der Gutachter“, Artikel von Ralf Nehmzow, Hamburger Abendblatt,01.08.2002,

www.abendblatt.de/region/norddeutschland/article377801/Die-Macht-der-Gutachter.html

(13) www.michael-grumann.de/informationsdienst-kindeswegnahme/sbsch.html . Was man damals gutachterlich für belegt hielt.

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