HIV in Afrika und die böse Homöopathie

Jeremy Sherr Kaum ein Streit, neben der Rauferei ums alltägliche Sprachbrunzen und die Welt der Braunungeistigen, wird so absurd verbissen ausgefochten, wie jener um die Homöopathie

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HIV in Afrika und die böse Homöopathie

Jeremy Sherr, Homöopath - Das Gespenst der heiligen Heilwissenschaft?

(Kleine Ergänzung zu des Freitags größtem Pharmaconcern, http://www.freitag.de/autoren/merdeister/potenzierte-ignoranz-der-aerztekammer-berlin , aus Fairnessgründen)

Hat der Homöopath Jeremy Sherr tatsächlich HIV-Patienten in Afrika mit homöopathischen Präparaten behandelt, an Stelle einer wirksamen antiretroviralen Therapie? Hat er Patienten in den Hospitälern seiner Stiftung homöopathisch behandelt und sie damit in ihrer Gesundheit beeinträchtigt oder gar zu Tode gebracht? Hat Sherr eine Studie durchgeführt, oder war er an einer Studie beteiligt, die behandlungsbedürftigen HIV-Patienten eine adäquate antiretrovirale Therapie verweigerte?

Liest man den SPIEGEL-Online und unseren Mit-Kommunauten Merdeister, sowie einige dezidiert homöopathiekritische Blogs, dann behandelt in Afrika der Teufel in Heilergestalt höchtspersönlich und die Berliner Ärztekammer hatte eine "Hexer" eingeladen.

Sogar Wikipedia-Deutschland enthält (enthielt?) einen eher negativen Eintrag zu dem israelisch-südafrikanischen Heilpraktiker und doch recht anerkannten Homöopathen, der weder für Fehlbehandlungen, noch für ungewöhnliche Todesfälle, irgendwo auf der Welt angeschwärzt wird oder einem Richter Rede und Antwort stehen muss.

Mäßigung in der Berichterstattung und Prüfung wäre angesagt, statt Nachrichten irgend welcher Quellen zu übernehmen. Selbst der SPIEGEL-Online (Nicola Kuhrt) schreibt nur ab und auch noch verfälschend auf. - Die ewig schlechten Rezepte für den Journalismus und das Bloggertum, heißen Einbildung, Überheblichkeit, Einseitigkeit und mangelndes Leseverständnis. Dagegen ist kein aufklärerisches Kraut gewachsen, denn diese „Elchhaftigkeit“ kennt eben kein Maß und das Volk findet es langweilig, wenn es nüchtern sachlich zugeht.

Vorwürfe und Anschuldigungen aus dem Nichts

Aus den im Internet zugänglichen Berichten lassen sich keine Belege dafür finden, Jeremy Sherr habe jemals getan, was ihm nun immer wieder unterstellt wird, nämlich eine Monotherapie behandlungsbedürftiger und behandlungswilliger HIV-Patienten mit homöopathischen Präparaten durchzuführen oder auch nur zu propagieren. - Unterstellungen bleiben aber hängen, schreiben es renommierte Zeitungen ab. Einige ganz notorische Kritiker tarnen ihre Schadenfreude kaum. - So ist es eben, im Reich der frei flottierenden Meinungen.

dFC-Mitblogger Merdeister zitiert Sherr mit dem Satz: >>"Ich weiß, so wie alle Homöopathen wissen, dass man AIDS in vielen Fällen heilen kann. Aber psst... Ich darf das nicht sagen, also habt ihr es nicht gehört." J. Sherr <<, abgeschrieben von der Webseite des Netzine „Telepolis“ (Hanno Böck).

Wer nun da im entsprechenden originalen Link nachschaut, der liest: „I have decided that the main aim is to get out there and cure as many people as possible. I know, as all homeopaths do, that you can just about cure AIDS in many cases. But shhhh… I'm not allowed to say that, so you didn't hear it.“ - Nun, da steht das Verbum „to cure“. Das bedeutet in englischer Sprache sowohl „heilen“, als auch schlicht „behandeln“ (http://semiskimmed.net/woo/jeremy_sherr_AIDS/arriving-in-tanzania.html ).

Aus dem hier nun angegebenen Link geht auch recht eindeutig hervor, dass die ominöse Studie nie stattfand. Die einzig fragwürdige Behauptung Sherrs bleibt, dass er glaubt, eine Infektion durch Erreger müsse zwingend eines der klassischen Entzündungszeichen produzieren. - Gut, wir, ärztlich verbildet, wissen, dies ist nicht der Fall.

Bloggerkollege Merdeister muss aus Sherr, ohne ausreichende Belege für dessen „Schädlichkeit“, zur Bekräftigung der eigenen Sicherheiten, einen Clown machen: >>„Und jetzt darf besagter Clown vor berliner Ärztinnen und Ärzten "in einer klaren, humorvollen und vitalen Weise Einblick in seine homöopathische Philosophie" geben. Seit wann fragt man sich, ist Ignoranz eine Philosophie?<<

Aber all dies macht eine komplementäre, also ergänzende, Behandlung von HIV mit den Mitteln der Homöopathie noch lange nicht zu einer Gefahr.

Nun können sich die Kritiker, unter denen sich ebenfalls erstaunlich viele Nicht-Mediziner (z.B. Physiker) tummeln, ungestört mit den Anhängern der Homöopathie herum balgen, ob z.B. Sherrs Wille, neue Präparate über die so genannten „Prüfungen“ einzuführen, wissenschaftlich ist oder eben nicht. Gerne dürfen sich Kritiker und Befürworter der Homöopathie weiterhin gepflegt streiten, warum rund um den Globus die Zahl der Globulianhänger beständig steigt. Ist es nur Verführung durch „Wunderheiler“ und das Placebo des guten Glaubens, oder nicht doch etwas mehr?

Wann behandelt man HIV antiretroviral?

Normalerweise finden sich im Blut eines gesunden Menschen 500-1000/mm³ CD-4- T-Lymphozyten. CD-4 steht für Immunglobuline, Zelleiweiße des Immunssystems, auf der Zelloberfläche dieses T-Helferzelltyps. Die Zahl der CD-4-T-Lymphoztyen ist ein gutes Maß für den Status der Immunsuppression, z.B. durch HIV-Viren. HIV-Viren zerstören u.a. bevorzugt die CD-4-T-Lymphozyten.

Die Richtlinien der staatlichen amerikanischen Gesundheitsbehörde empfehlen eine antiretrovirale Therapie, wenn die Lymphozytenzahl unter 350 T-Zellen/ mm³ abgefallen ist. Unter dieser Anzahl treten vermehrt die HIV-typischen, opportunistischen Infekte auf.

Bei Kindern und Jugendlichen, bei Schwangeren und bei Menschen, die schon anderweitig, z.B. durch Tuberkulose und/oder Malaria geschwächt sind, sowie bei einem aktuen retroviralen Syndrom stärkerer Ausprägung, behandelt man unter guten medizinischen Versorgungsbedingungen, in der Regel ab dem Zeitpunkt, zu dem die CD4-T-Zellen unter die Norm von 500 Zellen/ mm³ abfallen.

Die WHO empfiehlt für Afrika eine antiretrovirale Therapie nach dem klinischen Befund (ohne Labor!) erst ab Stufe 4 (sehr schwere Ausprägung) und in Stufe 3 (schwere Ausprägung) fallweise. In den Stufen 1 und 2 der klinischen Zeichen (milde Symptome), soll nur dann antiretroviral behandelt werden, wenn die CD4-T-Lymphozyten unter 200 Zellen/ mm³ gefallen sind. Für Säuglinge und Kleinkinder existieren spezielle Vorschriften.

(Korrektur, 03.12.2012: Die neueste Empfehlung der WHO von 2010, ich hatte mich im Beitrag auf eine Zusammenfassung der 2006er Version für "The Lancet" (siehe Link unten) bezogen, lautet: Behandlung, wenn die CD4-T-Lymphozyten unter 350 Zellen/mm³ abfallen)

Warum ist die WHO so vorsichtig?

1. Es existieren keine Belege für die bessere Wirksamkeit der antiretroviralen Therapie ab der Erstdiagnose HIV, ohne begleitende schwere Symptome oder deutlichen T-Zell-Abfall.

2. Die antiretroviralen Medikamente haben häufig massive Nebenwirkungen, die in Afrika viel schlechter zu beherrschen sind, als hier bei uns. Diese unerwünschten Wirkungen können für die Patienten lebensbedrohlich sein.

3. Gerade bei Kindern und älteren Patienten finden sich weitere, sowohl HIV-abhängige, als auch HIV-unabhängige Tropenkrankheiten (z.B. Würmer, Malaria). Eine Mehrfachtherapie mit antiretroviralen und jeweils krankheitsspezifischen Medikamenten verkraften diese Patienten oft nicht.

4. Wegen der hohen Mutationsraten der HIV-Viren, entwickeln sich bei längerfristigen Therapien Resistenzen gegen die Anti-HIV-Medikation. (http://www.who.int/hiv/events/artprevention/gilks.pdf )

Was macht Jeremy Sherr wirklich?

Es ist kein Fall bekannt, bei dem Jeremy Sherr mitgewirkt hätte, um eine rein homöopathische Behandlung bei solchen, behandlungsbedürftigen Patienten durchzuführen. Beschrieben sind allerdings Fälle, bei denen er Patienten, die ihre Therapie gegen HIV aufgrund massiver Nebenwirkungen absetzten, mit homöopathischen Präparaten weiter behandelte. Ansonsten entsprechen alle Fallbeschreibungen der Praxis der komplementären Therapie. D. h., die meist jungen Patienten erhalten ihre antiretroviralen Medikamente und zusätzlich eine homöopathische Behandlung. Die Verläufe dieser Behandlungen schildert Sherr (z.B.: http://www.interhomeopathy.org/three-cases-of-hivaids-felician-esther-and-mary ).

Eine ursprünglich von einer südafrikanischen Klinik geplante Studie, unter Sherrs Beteiligung, bei der tatsächlich ein Studienarm als Monotherapie konzipiert war, ist nie durchgeführt worden. Über das mögliche Studiendesign ist nicht viel bekannt. Ethisch vertretbar wäre eine solche Studie nur, wenn die T-Lymphozyten-Zahlen bei den diagnostizierten HIV-Patienten in dem Bereich liegen, der noch als vertretbar gilt und bei dem daher eine antiretrovirale Medikation gar nicht erst eingeleitet wird.

Noch einmal zur Gedächtnisauffrischung: Ein fehlender, massiver CD4-Helferzellabfall, beziehungsweise, nicht ausreichend schwere HIV-typische Krankheitszeichen bedeuten, die Patienten erhalten in Afrika keine antiretrovirale Medikation!

SPON im aufrechten Kampf gegen den „Wunderheiler“?

Nicola Kuhrt (SPON) lässt Sherr wenigstens zu Wort kommen und berichtet dazu: „Die Homoeopathy for Health in Africa wolle die Behandlung von Menschen mit dem HI-Virus, die die herkömmlichen antiviralen Mitteln erhalten, doch gar nicht ersetzen, schreibt Sherr SPIEGEL ONLINE. Die Homöopathie sei dazu da, den Kranken zu helfen.“

Sherr bestätigt hier, was aus seinen Fallbeschreibungen und Blogs auch hervor geht. Er hält sich an die grundsätzlichen medizinischen Gepflogenheiten der HIV-Behandlung und therapiert keineswegs ohne die notwendigen antiretroviralen Medikamente.

Trotzdem schlägt SPON sofort zu! „Dennoch werden auf der Website der Homoeopathy for Health in Africa detailliert Heilerfolge geschildert, etwa der einer jungen HIV-Patientin - nach zwei Monaten Behandlung à la Sherr ist das Virus plötzlich verschwunden.“

Im zitierten, sehr kursorischen, keineswegs „detaillierten“ Fallbericht, steht tatsächlich, es gelinge kein Virusnachweis mehr. - Das kommt vor, mit Homöopathie, ganz ohne sie, mit und ohne antiretrovirale Medikamente! Diese Patientin, „Lady Age 39“, hat seit 2006, weiter oben in dem stichwortartigen Bericht wird es ausdrücklich erwähnt, eine antiretrovirale Therapie erhalten! Außer der profunden Besserung ihrer Krankheitszeichen, teilt Sherr aber weder einen Heilungserfolg, noch einen Bezug zur homöopathischen Behandlung mit. - Man lese doch bitte genau und ganz, was da in Stichworten geschrieben steht.

Warum sich der Zustand dieser Patientin nun, nach einer massiven Krise, erneut deutlich verbesserte? Das wissen wohl weder Sherr, noch seine Kritiker zu sagen. Allerdings dokumentiert Sherr den Erfolg der antiretroviralen Behandlung („Before ARV she suffered from diarrhoea, itching skin, eruptions and itch“)! - Und was wissen wir über den weiteren Verlauf nach ein paar Monaten? Nichts!

Fazit:

Gelassenheit ist angesagt. Sherr ist kein Scharlatan, er ist kein Totmacher, er handelt nicht unverantwortlich, er ist kein Patienten- oder Klientengefährder, wie z.B. der ominöse Matthias Rath, und er ist kein Clown!

„AIDS heilen mit Homöopathie?“, so wie es „Telepolis“ polemisch fragt, das geht nicht und wird auch gar nicht von ihm behauptet! AIDS behandeln, das geht allerdings, auch homöopathisch.

Die Homöopathie ist nicht wissenschaftlich widerlegt, wie es SPON gerne sehen möchte, sondern es ist bisher kein überzeugender positiver Wirknachweis, im Sinne der klassischen, wissenschaftlichen Medikamentenprüfung, erbracht worden. - Das dürfte, mit den Vorgaben der kritischen Kritiker, für immer recht schwer bleiben, weil schon das Therapieprinzip der Homöopathie dagegen spricht.

Aber Homöopathie wird rund um den Globus recht erfolgreich betrieben und wissenschaftliche Kritiker oder Journalisten die „Alpha“ sein wollen, sollten nicht zu unfairen Methoden greifen, um eine eher harmlose Nische der Heilbehandlung herunter zu putzen.

Auffällig ist auch, selbst für einen überzeugten Nicht-Homöopathen und völlig überzeugten Schulmediziner, dass diese unbedingte Rechthaberei und üble Nachrede, ohne wirkliche Belege, eine ziemlich deutsche Angelegenheit ist. Wie man aber Polemik („ AIDS-Wunderheiler Jeremy Sherr betreibt Fortbildung für die Berliner Ärztekammer “, Jörg Rings) unter der Bezeichnung Science-Blogs betreiben kann und darauf hofft, Menschen die sich den Naturwissenschaften verbunden fühlen, erkennten diese Taktik nicht, wird mir immer ein Rätsel bleiben.

Mit freundlichen Grüßen

Christoph Leusch

PS: Einen kleinen Film der Sherrs, der ganz gut beschreibt um was es in manchen Gegenden Afrikas geht, wenn es vom Staat und den großen internationalen Geldgebern nichts gibt, wollte ich hier noch besser zugänglich machen. Ich bin Ed2murrow für den Hinweis auf diesen Film sehr dankbar ( ed2murrow 28.11.2012 | 17:58 ).

Die Hilfe Sherrs und seiner Frau, sowie die Leistungen derer Stiftung, bleiben ein sehr bescheidener Beitrag zur Besserung an ein paar wenigen Orten. Was die beiden zur antiretroviralen Therapie und der Ernährungsproblematik sagen, das ist auch unter Ärzten anerkannt. Nun kann gestritten werden, ob es die Globuli, die basalen, aber wirkungsvollen Formen der Hilfe oder gar Geld waren, die die Menschen vor Ort in die Kamera singen ließen.

http://www.youtube.com/watch?v=DQ3pULQg--0&list=UL

(Um den Clip zu sehen, funktioniert leider nur die Methode diese Linkadresse zu kopieren und dann in das Befehlsfeld des eigenen Browsers zu kopieren)

Irgendwie Schädigendes, wird in diesem Filmclip jedoch nicht gezeigt und auch nicht propagiert.

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