Jesus- Die Utopie vom letzten Menschenopfer

Kreuztod Wenn Atheisten die Heilsgeschichte auslegen, wird der Kreuztod Jesu zu einer kategorischen Aufforderung, es doch bei diesem letzten Menschenopfer zu belassen. Ecce homo.

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Jesus – Die Utopie vom letzten Menschenopfer

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Jesus am Fensterkreuz, Dr.Geiersche Manganerzmine, Waldalgesheim

Atheisten als Glaubenshelfer?

Als Atheist in einer vorgeblich christlich geprägten, sich zumindest so häufig bauchpinselnden, modernen Gesellschaft, lebt man in großer Freiheit die freilich eine klägliche bleibt, weil Abermillionen Bekennende jede Einrede und Ausrede nutzen, dem nicht Gottesfürchtigen die Berechtigung abzusprechen, über den Glauben und seine realen Auswirkungen intensiv zu sprechen oder zu schreiben, selbst wenn es nötig wäre.

Atheisten sind nirgendwo auf dieser Welt in der Mehrheit. Auch wenn von manchen streng Gläubigen behauptet wird, die durchökonomisierte Betrachtung und Abwicklung des Weltgeschehens sei schon der reinste Unglaube, und die völlige Anhänglichkeit an den Sachgott Mammon beweise gar die Existenz des Teufels. Jedoch befleißigen sich viele Bekennende im Alltag damit, schiedlich, friedlich, selbstgerecht, genau diesem gefallenen Engel täglich Zucker zu geben.

Die bürgerliche Religion von der dritten Hand

Gipfelpunkt der Narretei ist dann die abgrundtief sophistische und zynische Lehre, es existiere in allem weltlichen Tun, selbst dem der allerübelsten Sorte, eine böse, jedoch fast neutral wirkende Kraft, jene ökonomietheoretisch geschätzte, dritte Hand, die selbst aus niedrigsten Motiven stets das Gute schaffe. - Hand gehört zu Mensch. Der aber, hängt meist noch an diesem obskuren, kommunen dritten Körperteil und ist folglich immer die Ursache. - Wenn die Vogel- und Narrenfreiheit des Atheisten schon so weit geht, dann ist die Vorweihnachtszeit (Adveniat) genau der richtige Zeitpunkt über ein eigentlich österliches Thema zu schreiben.

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Jesus am Fensterkreuz 2, ehemalige Dr. Geiersche Mine, Waldalgesheim

Der Fall Jesus

Es geht um den Tod der Tode, den Kreuztod dieses merkwürdigen Jesus von Nazareth. Das ist recht eigentlich ein Karfreitagsthema, dem glaubensmäßig alljährlich schon mit dem Ostersonntag wieder der blaue Himmel in Aussicht steht, jenes Krönungswetter für Christus als Gottesohn, als Teil der Dreifalt, als Pantokrator, als Richter, irgendwann zu Armageddon (1) , am Ende der Zeiten. Trost und Fürsprache kommen von der ebenfalls heiligen Maria mit ihrem Schutzmantel, von den zahlreichen Heiligen und Engeln. Pfingsten kommt dann die Erleuchtung und Erlösung für alle, denn der heilige Geist wird unter uns ausgegossen. - Gut, dass gestandene Physiker nicht von der praktischen Suche nach zahlreichen Gottesteilchen lassen wollen, wo es doch die christliche Theologie schon bis zur Dreierteilung des einen Gottes schaffte.

Friedrich Nietzsche, der einsame Hyperboreer (2), übte in seiner wilden Schrift vom Antichristen, härteste Kritik am christlichen Glauben, der die Menschheit in eine furchtbare Sündenmythologie verstrickt habe und nun beständig Jesus als das vorbildlich selbsteinsichtige Opfer eines doch eher perversen, grausamen, quälenden Gottvaters und dessen Überwillen missbrauche.

Der Jesus der Schrift ist für ihn kein Übermensch, sondern ein rechter Zwitter. Gottes Menschensohn, Sohn Gottes unter den Menschen, der für den Erhalt der Theologie in den Himmel aufsteigen und zurückkehren muss, an die Seite des Vaters, oder als eine jener sprachlichen Inkarnationen des Begriffes „Gott“, dessen Namen man vielleicht ein wenig klüger und weiser, besser nicht festlegt und nicht ausspricht, sondern nur beständig, gedanklich und ganz konkret in der Schrift, immer wieder umschreibt, um ihn herum dichtet, ihn beständig anredet und wieder ausredet, bis zur Erschöpfung. Nie können die Leser der Worte Gottes ganz sicher sein, ob es nun ein goldenes Kalb, Katzengold, Gold oder doch viel mehr ist, was davon bei ihnen im Geiste hängen bleibt und dann die Lebenspraxis prägt.

Unfreiwillig lieferte Jesus ein weiteres, aufgeschriebenes Vorbild für die ewige Opferbereitschaft und das Märtyrium der Anhänger der monotheistischen Religionen, für ihre missionarische Theologie auf dieser Erde, die vollständig zur Herrschaft unter den Menschen kommen will, um dann das Himmelreich schon früher ausrufen zu können.

Am Ende des Antichristen wird Nietzsche allerdings selbst seelenkrank und erlässt Gesetzestexte für den Gegenglauben. Das heißt, er verfällt der Theologie, noch mit seinem kategorischen Widerspruch gegen sie. Ähnliches exerzierte jüngst auch ein superindividueller, norwegischer Wahnsinnsterrorist. - Das ändert nichts an Nietzsches Feinsinn und leider gar nichts an seinem kruden Antisemitismus, gerade in dieser Anti-Schrift.

Himmelreiche für opferbereite Erdlinge

Aus dieser maßlosen Fehlkalkulation des christlichen Glaubens speist sich die gnadenlose und stoische Selbstgenügsamkeit eines großen Teiles der Gläubigen, die mit dem Verweis auf das Danach, die schlimmsten Verhältnisse erdulden und hinnehmen, während die Pyramidenspitze der Auserwählten dieses Glaubens beständig Wert- und Welturteile fällt, ohne die es keine Aufnahme in die Gemeinschaft geben kann, ohne die die tatsächliche Aneigung der realen Welt nicht so problemlos, so ganz ohne schlechtes Gewissen und ohne Gegenwehr, verliefe.

Bis zur Bedingungslosigkeit der Brüderschaft der Gleichen wagte sich nämlich bisher kaum jemand theologisch und religiös vor. Wenn das geschah, dann war es um den Heilsbotschafter meist schnell geschehen. Aber auch nur wenige ohne Gottglauben trauten sich bisher, die Welt so frei zu denken.

Die großen Epen der Weltliteratur kennen die Funktion des willigen Opfers. Ohne das Opfer der Iphigenie auf Aulis fahren die Griechen nicht gegen Troja. Da sind die Götter, besonders Artemis, dagegen. Ohne Beowulfs Tod, der den gewaltigen Drachen trotzdem vorher besiegt, gibt es keine glaubwürdige und aussagekräftige Saga. Ohne den Willen Abrahams, den Isaak, sein Lachen, seine Freude, die Zukunft Israels, zu opfern, weil er beständig diese imperative Stimme hört, gäbe es keinen Fortgang der Verheißung.

Ohne jene grausame Gottesfurcht, die eine ganz weltliche und menschliche Grausamkeit als Treuebeweis möglich macht, gäbe es die Vision, jenen einen, ganz zarten Hoffnungsschimmer des Opferlammes allerdings auch nicht!

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Jesus am Fensterkreuz, Dr.Geiersche Mine, Waldalgesheim

Abraham und Isaak, der didaktische Opferverzicht

Abraham steht gebeugt vor Gott und unterwirft sich. Das heißt, er glaubt, und will sein Liebstes, zum Beweis dafür hergeben. Dann geschieht das Wunder. Es kommt der bessere Engel, den wir in uns suchen sollen und spricht mit seiner Flammenzunge, was wiederum ein Bild für das individuelle Stimmenhören Abrahams ist, in etwa diesem Sinne: „Nun ist es aber genug mit dem Menschenopfer als Glaubenserweis!“

Es genügt, im realen Leben einen Widder zu schlachten, -zu Iphigenies Zeiten, eine Hirschkuh-, und es reicht das rituelle Gedenken zum Zwecke der Konzentration, sowie über einige Zeiten, als Glanz zwischen all´ dem Staub, den Steinen, den Hammelherden und der Brennglassonne, später einmal tief unten, im Dunkel der Katakomben, unter der ewigen Stadt.

Es genügen Gebete und die Einhaltung der goldenen Regeln und Gesetze. Mehr verlangt der gütige Gott nicht, mehr braucht es unter Menschen, wenn sie ganz bei sich sind, ebenfalls nicht. Setzt euch also zum Festmahl und freut euch am Bratenopfer, dessen nur einmal eingedenk! Gott braucht gar keine Opfer für sich, dafür aber die Religionen und Theologien von ihm, als Menschenwerke erdacht und ausgeführt, sehr wohl. Zumindest sind sie beständig in der Versuchung, den Opferaspekt zu betonen.

Muslime und Juden könnten es vielleicht einfacher wissen, als ihre christlichen Brüder und Schwestern, dass die Vorstellung und Grille vom grausamen Gott, der von Menschen schier Unmögliches verlangt, eher eine Konzession an die ganz altgläubigen, an die ganz konkretgläubigen, an jene alten Nomaden ist, die noch keine gerechten Gesetze kannten, außer dem Recht des Stärkeren. Abraham war noch Nomade und wurde dann ans Gesetz gebunden.

Søren Kierkegaard kümmert sich in „Furcht und Zittern“ um Abraham, diesen schwachen Typ. Ein Vater im fortgeschrittenen Alter, die Autorität des Stammes, weil ihm die Gnade der späten Geburt zuteil wurde, führt er seinen Lieblingssohn der ersten Stammesfrau Sarah auf den Berg Moriah. Die Stimme sprach, opfere ihn, und was die Stimme sagte, das tat Abraham. Er wirkt in der äußerst eindrücklichen psychologischen Schilderung Kierkegaards wie eine Gottesmaschine, ein gelenkter Apparat, ein fatal Kranker. Er ist unzurechungsfähig, schichtet aber ordentlich das Scheiterholz!

Kein Wunder, dass an solchen Figuren der Heilsgeschichte gezweifelt werden muss und ein jeder Mensch mit Verstand fast verzweifelt, denn Isaak, sein Sohn, ist jenes humane Gottesgeschenk, welches doch die Tradition, die Generation, fortsetzen soll. Gerade der muss nun geschlachtet werden? Weiß das der Stimmenhörer Abraham in seinen lichten Momenten, in seiner Rolle als Stammesführer, als Mensch? Dann wird selbstverständlich dem Isaak nichts geschehen, selbst wenn der Vater gehorsam das Messer zückt.

Angesichts so mancher Realität mag mir, dem armen Atheisten, der Zweifel zustehen, ob die frohe Botschaft überhaupt verstanden wurde, von all´ diesen Anhängern der drei vernünftigen Religionen. Ein wahrhaftig allmächtiger Gott braucht keine Menschenopfer zum Beweis der Glaubentreue, auch nicht von den verrückten Einhunderprozentigen. Das sind alles schräge Selbstvergewisserungen und Machtspiele unter, vor und bei noch nicht sicheren Gemeinden, sowie vor dem versammelten Heidenvolk und vor sonstigen Ungläubigen, die man sich in der großen Unsicherheit der Welt überall auf der Lauer liegend, vorstellt. Sie begründen das falsche Priestertum, das glaubt ein höheres Auslegungsrecht zu besitzen und die Opfer bestimmen zu dürfen.

Die großen Religionen der Welt leben aber von der Liebe die den Menschen leiten soll und sind nicht vom göttlichen Zorn und der Strafe her zu denken. - Die Schriftgötter können nicht wirklich zornig sein, denn sie kommen über die Einflüsterungen, das Papier und die Bücher niemals hinaus. Das schaffen nur Menschen, die wahnhaft überzeugt, einem großen Missverständnis folgen.

Sie, die Liebe, ist ja gerade darum göttlich, für Atheisten und Gottgläubige gleichermaßen irdisch, und doch so schwer erreichbar, aber genau dasjenige Menschenmögliche, welches dem ewigen Einen am besten entspricht. Erreichbar nicht einfach durch Nichtstun, und schon gar nicht durch die Hinnahme des Bösen.

Die Christen müssen es vielleicht erst noch mühsam, durch eine ganz eigene Art des rationalen Diskurses über diesen neuen Bund mit dem Gottmensch-Christus lernen, ihren Jesus als letzten Versuch zu verstehen, nachdem es mit der früheren Botschaft des schönen Knaben Isaak und seines Stammvaters in jeder Hinsicht, mit diesem wirklich alten Abraham und seinem langlebigen Nachkommen, nicht so recht geklappt hat mit dem religiösen Verständnis. Sie brauchen dazu vielleicht noch einmal zweitausend Jahre und leisten dabei ihren monotheistischen Nachbarreligiösen und jenen verbohrten, säkularen Ideologen Gesellschaft, die immer schon die Strafe für den Nächsten kennen, wenn er dem Heilsplan partout nicht folgt, oder ihnen konkret im Wege steht. Kein Römer, kein Pontius Pilatus, müsste zukünftig als Ersatzbuhmann herhalten, den nur deshalb keiner mag, weil seine Reaktion auf Jesus und die Pharisäer so wenig fantastisch ausfiel.

Heiden und Opfer

„Ni dieu, ni maître“. - Das wäre ja jetzt zu schön um wahr zu sein, lautete die frohe Botschaft der großen französischen Revolution und der atheistischen Menschheitsbeglückungsbotschaften in ihrer Folge tatsächlich so. Das Hauptscheitern der säkularen Glaubensbotschaften mit (pseudo)wissenschaftlicher Expertise, liegt mindestens ebenso sehr in deren Unfähigkeit begründet, auf den scheinreligiösen Opferanspruch an ihre Gläubigen zu verzichten, wie in jener unglückseligen Annahme, jene die nicht dafür sind, müssten also Feinde oder Gegner sein.

Ich glaube nicht und gerade darum kann mir der Kreuztod Jesu als eine einzigartige und wunderbar erzählte Geschichte dienen, es solle nun des Gottes Menschensohn das letzte Schlachtopfer gewesen sein. - Jesus ist zuletzt nichts passiert. Er ist bei Gott, auf ewig. Er sitzt garantiert auf seiner fantastischen Himmelswolke, denn nur so wird er wirklich glaubwürdig. Aber hier auf Erden, so seine utopische, seine geradezu revolutionäre Botschaft, -dazu hat er als Mensch doch gesprochen, gehandelt und gelitten-, sollte die Abwendung vom ewigen und wiederholten Opfertod das menschenwürdige Ziel sein. Ecce homo.

Man täusche sich nicht. Nicht nur Religionen opfern gewissenlos den je Anderen, das können auch die Ökonomen des Bewusstseins, die mit Markt und Macht ganz simple, ungerichtete und ziemlich leere Kategorien, sozusagen die vitalen Reduktionen jeder wahrhaftigen Geistigkeit, ausleben. Das Predigen halten diese Leute, angesichts ihrer realen Macht und des alltäglichen praktischen Vollzuges, meist gar nicht mehr für nötig, auch wenn sie gerne als gute Christen zur Weihnacht in die Kirche eilen, um dort einmal gesehen zu werden. - Das ist gut fürs Geschäft. - Sie sind so furchtbar gesund, dass sie weder Glauben noch Gründe brauchen, sondern tatsächlich nur vom Vollzug der gegebenen Macht leben.

Bisher gab es säkular erst einige wenige Lichtblicke, nach einem ganz düsteren 20.Jarhundert und der weitläufigeren, viel älteren Vorgeschichte, von der meist, neben den Verwaltungsakten und einem Haufen gefälschter Verträge, nur die Gewaltakte in die Bücher eingetragen wurden, weil sie mehr Tremendum, Furcht und Zittern, unter den Menschen auslösen.

Es soll sich auch niemand hinstellen und sagen, es gäbe doch tatsächlich schon weniger Gewalt in dieser Welt. Wer die gedankliche und emotionale Meisterleistung fertig bringt, wirklich an einen Gott zu glauben, der sollte auch in der Lage sein, das Bild vom Opfertod nicht rein wörtlich zu verstehen, sondern sich als Nachkomme Isaaks und Rebekkas, genetisch und historisch sind wir über fünf Ecken mit ihnen verwandt, für die Abschaffung aller Opfer einsetzen. Das wäre bestrickend.

Christoph Leusch

Dieser Text verdankt seine besten Gedanken einer Frau, Claire Elise Katz, und einem Mann, Emmanuel Levinas.

Ich widme ihn Mustafa Celebi ( www.freitag.de/community/blogs/muhabbetci/christentum-vs-islam-wie-verschieden-sind-wir-eigentlich ), der die Gleichheit der Religionen sucht, um Frieden zu stiften, dabei aber nicht die Atheisten vergessen sollte.

(1)Armageddon, Schlacht am Ende der Zeiten, auf einer Ebene, die sich die Bibel wohl nur im Zweistromland oder im geloben Land vorstellen mochte.

(2) Hyperboreer: Mythische Nordmenschen, über den nördlichsten Wäldern Thrakiens lebend, die als Lichtmenschen rund um die Uhr die Sonne genießen dürfen, aber auch ein halbes Jahr im Schatten, also umnachtet, leben. - Der zweite Teil wird gerne verschwiegen.

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