Kein Verständnis für "Versteher"- Necla Keleks Gutmenschenbashing

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„Solidarität, wie Necla Kelek sie versteht“, ansonsten Unverständnis für „Versteher“

Das verstehe wer will, ich verstehe es nicht. - Magnus Klaue gibt den „Freitag“-Autor als harten Hund und protestiert mit Necla Kelek gegen die „verstehende Soziologie“. - Ich frage, was kommt bei Klaue und Kelek statt dessen und danach?

Wenn die Begriffe rutschen, wird die fundierte Erörterung von sozialen Problemen völlig unmöglich. Wenn nicht einmal die Zuordnungen von Personen stimmen, dann kann jeder vom anderen behaupten was er will. Ein wenig macht sich der Rezensent genau diese schlechte Praxis zu eigen, in dem er dem ersten Nebel der Autorin, einen zweiten Nebel hinzu fügt. Nur nicht konkret werden und immer schön Fernziele beschießen, man trifft immer was.

Es ist sachlich nicht sein Thema, das merkt man. So gerät die Kurzrezension des neusten Buches von Necla Kelek, die hat ihr Thema lange schon und bis zum Abwinken im Griff, ins Affirmative.

Schon die Einleitung des Artikels beginnt mit einer Verdrehung. Frau Kelek und einige andere Islamkritiker und Islamkritikerinnen, -mittlerweile sind wir ja nicht mehr bei der Islamismuskritik, die sich noch als Kritik gegen Radikalität und Dogmatismus bestimmter Strömungen und bestimmter Personen im Islam ausgab- , treten faktisch und praktisch in jeder überhaupt dazu zur Verfügung stehenden TV-Sendung, in jedem populären Medium auf. Jede Woche können die „Kritiker“ einen beliebig großen Beitrag bei den Print-Medien einbringen und ihre oftmals reichlich undifferenzierten Texte finden dann auch noch eine Heerschar von Interpreten, Adepten und Kommentatoren, die sich im Nachbeten fleißig üben.

„Diejenigen, die längst die realpolitische Diskursherrschaft innehaben, inszenieren sich als risikofreudige Tabubrecher,....“ Das meint Herr Klaue nicht etwa gegen Necla Kelek gewendet, sondern gegen jene die sich gegen die Übertriebenheit, gegen das Überzogene, in den Thesen der Soziologin zur Wehr setzen!

Wenn überhaupt ein Diskurs zwischen ihr und den hier angeschwärzten Soziologen und Kulturanthropologen, den Islamwissenschaflern und den Theologen stattfindet, meist ist es ja ein monologisches aneinander vorbei Reden, dann wäre es zumindest hier einmal notwendig, die Namen zu nennen, denen aktuell die Diskursherrschaft attestiert wird. - Nichts dergleichen findet sich.

Dem Artikel beigegeben, findet sich aber ein Logo, "Minarett-Kirchturm", mit der Unterschrift: „Kelek gegenüber kann nur gelten, was sie selbst einfordert, unverbrüchliche Solidarität“. Es ist das „letztes Wort“ Herrn Klaues. - Wenn es denn schon wieder so weit ist, dass „nur gelten“ kann, was „unverbrüchlich“ solidarisch ist, wer will denn dann wirklich an eine Diskursherrschaft?

Wer Hans Küng als Liebhaber einer „verstehenden Soziologie“ beispielhaft anführt, statt die Gründungsväter und Stichwortgeber zu nennen (z.B. Max Weber, Alfred Schütz, Mead und Garfinkel), Frau Kelek ist ja Soziologin, bei dem muss man andere Triebkräfte vermuten, als die, man wolle ernst gemeinte, bei Frau Kelek könnte man hinzu setzen, fundamentale, Kritik üben. - Was Magnus Klaue und wohl auch Frau Kelek meinen, das ist ja eher eine (Ver-)Schmähung der Kulturwissenschaften, des „Kulturalismus“, auch der religiös möglichen Verständigung über ein „Weltethos“, zu dem Küng, gerade nicht relativierend, sich bekennt, und zu dem er aufruft.

Diese ganze Kritik an der vorgeblich herrschenden „verstehenden Soziologie“ die ja überhaupt erst einmal vorgestellt werden müsste, -Wo ist sie denn beheimatet, hier bei uns , wer vertritt sie? -, um sie zu kritisieren, die nichts mit den hundert- und tausendfach in den Medien aufgeführten journalistischen Pro- und Kontra- Stückchen fürs Publikum zu tun hat, verschleiert doch nur, das eigentliche Anliegen.

Nämlich, im öffentlichen Bewusstsein einige ursprünglich eng begrenzte und auch soziologisch gut belegte Thesen zur Sozialisation von jungen Türken und Kurden, sowie deren Familien, zur Fundamentalkritik am Islam aufzublasen.

Sind die mit heftigem Kopfschüttleln bedachten Kulturwissenschaftler etwa vom Schlage eines Narvid Kermani oder gar des Anthropologen Werner Schiffauer? Meinen Kelek und Klaue, all´ das, was sich in einer Tradition mit dem Kulturalismus Edward Saids entwickelt hat? Oder geht es gar um die Vielen, die sich in Gemeinden, in Organisationen, kulturell und sozialarbeiterisch vor Ort, um Verständnis und um Lösungen mühen?

„Postmoderne Gender Theoretiker“Innen würden vielleicht sagen, junge Berliner Frauen mit Migrationshintergrund tragen ein Kopftuch oder eine Kopfbedeckung, nicht etwa, weil sie dazu repressiv gebracht wurden, sondern gerade aus Eigenwillen, eigener Entscheidung und eigenem Antrieb. Dadurch werden sie zwar weder schlechtere, noch bessere Bürgerinnen dieses Landes, aber das "schlechter Werden durch Kleidung", die fatale Gleichung, Kleider seien analog mit Geist und Seele, machten also die Leute, die wird ihnen ganz offen und allgemein unterstellt. Es ist eine tief eingebrannte Überzeugung in der Volksseele, eine Dominate auch in der heutigen Diskussion.

Multikulturalität wird so entschieden abgelehnt, dass Mark Terkessides jüngst lieber von "Interkulturalität" sprechen wollte.

Aber, all´ die äußeren Merkmale, die Kaftane, die lange Zottelbärte, die Pejes-Locken, seltsamen Hüte und Kappen, die Schnurrbärte, die Schlipslosigkeit, das Transenoutfit, das Love-parade Kostüm, die Gebetsteppiche und Ornamente, die kalligrafische Koranzitate, selbst türkisches Fernsehen in den eigenen vier Wänden, selbst die Minarette in jeder Stadt, machen keine guten oder schlechten Bürger, keine moralischen oder zynischen Menschen. - Die jeweiligen Motive so in Erscheinung zu treten, die können und müssen erfragt und erforscht werden. Sie sind gar nicht im Dunklen und zumeist auch überhaupt nicht anstößig. - Das ist der Ansatz der „verstehenden Soziologie“.

Wenn ich weiß, welche Funktionen bestimmte Verhaltensweisen haben und wo sie her kommen, kann ich auch sagen wie der Funktionsverlust, der bei einer Migration auftritt, auftreten kann, sinnvoll aufgefangen wird.

Postmoderne Gender-TheoretikerInnen würden vielleicht anmerken, man müsse zumindest in Erwägung ziehen, dass die Lösung der Geschlechterfragen, so wie wir sie mehrheitlich bei uns vorleben, vorziehen und einfordern, nicht gerade ein unkritisierbares Sitten-„Gesetzbuch“ liefert, nicht gerade einen Aufweis von Individualität und Freiheit produziert, der allzu viel Eindruck hinterlassen könnte. - Die vermeintliche Freiheit und Individualität hat ihre Schatten und Gegenseiten, sie neigt zu einigermaßen idiotischen, unsensiblen und dogmatischen eigenen Glaubenssätzen. Ein aktuelles, nicht mit der Islamdebatte verbundenes, Beispiel liefert die derzeitige Diskussion um den Zölibat der katholischen Kirche.

Postmoderne Soziologen und Kulturwissenschaftler würden sagen, dass z.B. die jugendlichen „Abzieher“ und Gangmitglieder in den einschlägigen Vierteln der Großstädte, meist schädigen sie sich untereinander, weder was vom Salafismus, noch vom Koran, noch von sonst einer religiösen Distinktion verstehen, dass ihnen das Religöse schlicht „am A..... vorbei“ geht.

Diese Jugendlichen leben nämlich längst schon ein westliches, postsozialstaatliches Großstadtmoderne-Leben, häufig den Looser-Teil davon. Sie leben das genau so vehement, wie ihre bürgerlichen Pendants landauf- landab, vom „Berghain“ zu Berlin bis zu den Talksesseln der Republik, ihr prominent privates Glück und Unglück als allgemeines Lebensmodell vorstellen und missverstehen, und sich an entsprechender Stelle anderweitig zukoksen, zusaufen und zuprivatisieren, einschließlich der Seeuferwege, wo es eben möglich ist. - Aber, wem erzähle ich das eigentlich? Sie müssten es doch wissen, Herr Klaue.

„Multikulturalistische Grüne“, wenn es die denn, zumindest prominent, d.h. in der Öffentlichkeit wahrnehmbar, überhaupt gibt, -die Vokabel hat so etwas Marsmännchen-artiges-, die könnten vielleicht auf die Idee kommen, Necla Kelek, zu einer Darstellung ihres Kulturalismus aufzufordern.

Was ist denn die Alternative zur „verstehenden Soziologie“? Folgte man Kelek, dann kämen wir doch wieder in die Gefilde einer dezisionistischen Denkweise, bei der Postulate und Vorgaben, z.B. was deutsche Kultur, was Kultur überhaupt ist, entscheiden was diese Gesellschaft, die sich selbst immer noch eine Offene nennt, ausmacht.

Am schönsten daneben, liegt aber die Vorstellung des „protestantischen Pfarrers“ als Multikulturalisten. - Multikulturalismus ist dem protestantischen Pfarrhaus weder eigen, noch wesenhaft verbunden. Ganz im Gegenteil! Gerade in den protestantischen Kirchen Deutschlands musste um den Multikulturalismus, es sei denn es geht um Diplomatie, beträchtlich und in jeder Generation neu, gerungen werden.

Diese Kirche hat unter der Ägide Bischofs Hubers, aber auch aus eingefleischter und alter Tradition heraus, sich fremden Kulturen gegenüber als ziemlich unzugänglich und abweisend erwiesen. So gewinnt in der Mission ja auch nicht der deutsche Protestantismus, sondern eine Unzahl evangelikaler „Freikirchen“.

Die Botschaft lautet seit geraumer Zeit wieder: Wir verkünden die „Wahrheit“, auch in Abgrenzung zu anderen Glaubensrichtungen. Wir bewegen uns nicht nur staatstragend, nahe an den politisch Verantwortlichen , sondern wir wollen die gesellschaftliche Praxis als Kirche an wichtiger Stelle mit bestimmen, selbst wenn die Mehrzahl unserer Gläubigen weitgehend einer individualistischen Privatreligion frönt. - Frau Käßmann wagte einen Schritt aus der festen Lutherburg, allein, sie kam nur bis zur nächsten Kreuzung.

Wie viele der muslimischen Schüler in Deutschland, nehmen denn nicht am Schwimmunterricht teil? Wie viele Schülerinnen und Schüler fahren nicht mit auf Klassenfahrt? Wie viele Burka-Trägerinnen mit deutschem oder türkischen Pass können wir bei uns in den Straßen zählen? Wie viele Moscheen fallen wirklich auf? Wie viele sind es, im Vergleich zu den je ca. 24.000 Gotteshäusern der großen christlichen Kirchen? - Da, wo die Soziologie und die Kenntnis der sozialen Fakten real entängstigend und entradikalisierend, direkt aufklärend wirken könnte, kommt Frau Kelek mit solchen alten „Ladenhütern“.

Das ist auch genau der Vorwurf, den man ihr machen muss. Sie zieht ins Allgemeine, was trotz aller berechtigter Kritik und trotz aller notwendigen Problemanalyse (z.B. das „Männlichkeitsverhalten“ türkisch- und kurdischstämmiger Jugendlicher), eine klare Sonderheit ist. Zumeist haben die Probleme nicht einmal etwas mit der Religion und der angeschwärzten islamischen Theologie zu tun, auch nichts mit den dort entwickelten Vorstellungen von Familie und Moral.

Wovor Kulturalisten, Kulturwissenschaftler, aber auch Sozialpsychologen warnen, das ist ja gerade diese Idee des Kreuzzugs, der Mission, der Bekehrung zum bekannten jeweils vorgestellt Besten und moralisch Richtigen, die auch in unserer vorgeblich freien Gesellschaft herrscht. - Dafür kann man nur dankbar sein, anstatt das zu verteufeln und sogar zu behaupten, diese Position sei an der Macht, sie dominiere. Das Gegenteil ist der Fall. - Wo denn, darf ich fragen, herrscht den der Multikulturalismus unter uns Deutschen?

„Kapitulationserklärung vor jeder Freiheitsenteignung“, schreibt Magnus Klaue mit Keleks Worten. - Dabei hat doch die Freiheit dann schon abgedankt, wenn Sie überhaupt keinen Eigenwert in einer anderen Kultur erkennen kann. Dann bleibt, bis auf ein wenig Folklore in der Kultureinrichtung unseres Vertrauens, kein Mensch neben mir, der anders riecht, anders isst, anders tanzt, auch anders aussieht und anders auf die Knie fällt vor seinem Gott oder seiner eigenen, eingebildeten Idee. - Das steckt nämlich, immer gut getarnt letztlich dahinter, wenn statt der „Kapitulation“ (Kelek, Broder, Giordano) so laut Mitsprache und Gehör für die nicht-verstehende Soziologin Kelek und ihre Kritikerfreunde, für die nicht--verstehenden Teilmuslime und Säkularmuslime und die christlichen Kritiker verlangt wird.

Frau Kelek und Sie, lieber Herr Klaue, denken und schreiben in Bildern des Krieges. Erst Krieg, dann Kapitulation. Die polemischste und unterste Schublade dieser Schwundart der Argumentation bespielen dann Broder und Co. , von der „Achse des Guten“.

„Während das „Verstehen“, das kulturalistische Dialogfreunde predigen, immer darauf hinausläuft, für sich selbst als Exemplar der eigenen „Kultur“ Verständnis einzufordern,....“, schreiben Sie. - Genau das Gegenteil ist aber das Anliegen des Kulturalismus. Dieser fordert Vertändnis für das Fremde, auch für das Fremde in uns. Die „kulturalistischen Dialogfreunde“ haben ja gerade die Position des Fremden schon lange für sich entdeckt und verinnerlicht. Daher wirken sie auch im Umgang mit den Problemen gelassener und entspannter, nicht so verbiestert und verbissen.

„Gegen den Begriff des „Respekts“ etwa, der nicht auf Toleranz ziele, sondern auf bedingungslose „Hingabe“ im Namen der „gegebenen Machtverhältnisse“.“ - Das glauben Sie, Herr Klaue, doch selbst nicht, dass der Begriff des Respekts in den orientalischen Kulturen aus der Hingabe an Machtverhältnisse erwachse. Auch hier hilft der Praxistest. Gerade in den muslimischen Ländern, in denen eine starre idelogische Festlegung der Herrschenden die allgemeine Lebenspraxis bestimmen möchte, bewahrt der „Respekt“ als Grundidee aus dem Koran doch vor der totalen Gewaltanwendung und schafft Verständnis bei durchschnittlich zwanzig Jahre jüngere Menschen, die außer über TV- und Radio-Surrogate, kaum eine andere Welt außerhalb kennen lernen. Das schreiben die religiösen Gebote, die „goldenen Regeln“ aller Weltreligionen, ausdrücklich vor. Habe Respekt vor jedem Leben. An Stelle der Willkür tritt ein Gesetz, welches die "goldenen Regeln" als oberstes Prinzip anerkennt. Das ist der Ursprung aller drei monotheistischen Religionen, das war der Ursprung bei Mohammed, der nicht unbedingt ins Beduinenzelt zurück wollte.

Der Vorwurf an die Kulturalisten, sie kennten nur Freiheitswerte, Moral und universelle Normen, wenn es um Kulturen oder Kollektive gehe, sie dächten nicht vom Einzelnen her, ist nicht haltbar. Kulturalisten plädieren gerade für die Nicht-Festgestelltheit von sozialen und kulturellen Traditionen und plädieren für mehr Gelassenheit mit den Fremden, welche sich, bei genauer Betrachtung, als gar nicht so fremd heraus stellen. Sie haben einen integrationsförderlichen Vorzug, weil sie dem zunächst Fremden einen absoluten Eigenwert zubilligen. Dazu müsste die „nicht-verstehende Soziologin“ Necla Kelek erst einmal ein positives Gegenbild entwickeln. - Sie hat keines und will auch keines.

„Während das „Verstehen“, das kulturalistische Dialogfreunde predigen, immer darauf hinausläuft, für sich selbst als Exemplar der eigenen „Kultur“ Verständnis einzufordern, appelliert Kelek an die Musliminnen und Muslime, den „fremden Blick“, für den sich ihre multikulturalistischen Verteidiger so begeistern, auch auf sich selbst anzuwenden.“ - Dazu gehörte, dass Kelek endlich einmal den „fremden Blick“ auf sich selbst risikierte.

„Oder gegen den Begriff der „Ehre“, der allein durch die kulturelle Gemeinschaft garantiert, aber nicht durch individuelle „Leistung“ erworben werden könne.“ - Auch das ist eine Behauptung ohne Beweis. Denn es gilt lange schon in den muslimischen Kulturen als Ehre, wenn man individuell etwas für die Gemeinschaft leisten kann. Hierauf beruht doch die alte und ehrwürdige Tradition, die Schriftkundigen, die Kalligrafen, die Ärzte und Wissenschaftler, die Ingenieure und Techniker zu ehren. Nirgendwo sonst auf der Welt genießen die mehr Respekt.

Teilhabe erwächst durch Übernahme von Verantwortung und Aufgaben. So werden sich „bekennende Muslime“, „säkulare Muslime“ und türkischstämmige Deutschen, sowie die Türken in Deutschland, nur dann leichter integrieren, -dass die Integration letztlich funktioniert, das glaube ich mit großer Sicherheit-, wenn sie überall in der Gesellschaft mitreden, mitwirken und mitwählen.

Christoph Leusch

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