Keine Nase für niemand

Crystal Meth Der Fall Volker Beck zeigt: In der Öffentlichkeit dominiert der Wille zur Ausgrenzung und Bestrafung – wie altmodisch!
Ausgabe 10/2016

Keine Frage: Crystal Meth ist ein lang bekanntes, illegales und gesundheitsgefährdendes Suchtmittel. Allerdings bleiben die Zahlen der gesundheitlich und psychisch chronisch Geschädigten, allemal die der verursachten Todesfälle, meilenweit zurück hinter denen für die Volkssüchte: Alkohol und Rauchen. Trotzdem schlägt die öffentliche Erregung Wellen, werden prominente Fälle oder eindrückliche Einzelschicksale von Crystal-Meth-Konsumenten bekannt. Jetzt wird über den Grünen-Politiker Volker Beck diskutiert, bei dem angeblich 0,6 Gramm der Droge gefunden wurden.

Crystal Meth ist billig im Vergleich zu anderen Drogen und wird von Bürgern aller sozialen Schichten konsumiert. Der toxische Stoff kursiert unter Sexdienstleistern, unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf der Suche nach Selbstsicherheit in endloser Amüsierfähigkeit. Auch leistungsorientierte und beruflich gestresste Menschen suchen danach. Sie glauben an die stoffgebundene Lockerung ihrer rigiden Pläne und Selbstverpflichtungen. Sie wollen, selbst in ihrer Freizeit, unbedingt erfolgreich sein, niemals versagen. Für die meisten Nutzer und für ihre Umgebung erscheint die Droge subjektiv nicht als leistungsmindernd, und sie verspricht die bewusst gesuchte Entgrenzung und Erregung. So gesehen ist Crystal Meth die Modedroge der Jetztzeit. Äußerst selten dient der Stoff auch als Notnagel in der ärztlichen Therapie, etwa bei krankhaften Schlafattacken oder beim Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom.

Die Horrorbilder im Internet und in den Medien verzerren die Wahrnehmung. Man starte zum Vergleich einmal die Bildsuche zu den Stichworten „Crystal Meth“ und „Schnaps“ in einer Suchmaschine. Ja, solche Fälle des Meth-Konsums gehören zur Wahrheit – genauso wie die Leberzirrhose zum Alkoholismus, wie der Lungenkrebs zum Rauchen.

Vorrang der Rehabilitation

Überraschend ist der unbedingte Bestrafungs- und Ausgrenzungswille der medialen Öffentlichkeit gegenüber Personen, die beim Kauf oder Konsum illegaler Drogen ertappt wurden. Vor dem Gesetz herrscht mittlerweile mehr Gnade. Eingeleitete Verfahren werden oft wegen Geringfügigkeit eingestellt (teilweise mit Auflagen oder Geldbußen), die Grenze liegt seit den 80er Jahren bei fünf bis zehn Gramm. Schließlich gelten Sucht und Drogenmissbrauch offiziell als Krankheiten oder krankhafte Störungen. So steht es im deutschen Sozialgesetzbuch, im Katalog der Weltgesundheitsorganisation und der UN-Behindertenrechtskonvention.

Das Sozialgesetzbuch betont ausdrücklich den Vorrang der Rehabilitation und die Pflicht aller Institutionen, auf die Erhaltung und Verbesserung des sozialen Status sowie aller bürgerlichen Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Betroffenen hinzuwirken. Strafrechtlich wird das längst berücksichtigt. Nur die Öffentlichkeit will davon nichts wissen. Abhängige werden abgeurteilt. Die Nutzer illegaler Drogen gelten nicht als Täter geringfügiger Delikte, die sich vor allem selbst schädigen. Man hält sie vielmehr für ungeeignet, ihren Beruf auszuüben und gar ihre Bürgerrechte wahrzunehmen, erklärt sie voreilig ihrer Sachkompetenz und Intelligenz verlustig.

Bei Wiederholungstätern und bei größeren Mengen droht Gefängnis. Die Strafen reichen bis zu fünf Jahren Haft, möglich ist auch der Maßregelvollzug, die sogenannte Therapie statt Strafe. Meist trifft es Konsumenten und nur sehr selten die Profi-Dealer, die Profite statt Persönlichkeitsveränderungen anstreben und die leicht greifbaren Endglieder ihre Verteilerzweige mit willigen Abhängigen besetzen.

Eine strengere Haltung gegenüber Drogenabhängigen wäre kontraproduktiv. Für Alkohol- und Medikamentensüchtige wurde, zum Glück vieler Betroffener, über Jahrzehnte eine eng verzahnte Hilfestruktur aus niederschwelligen Angeboten aufgebaut. Es gibt voraussetzungslos zugängliche Einrichtungen, Ambulanzen, Kliniken. Oft haben Arbeitgeber und Sozialversicherungsträger beim Aufbau mitgeholfen. Sie verpflichtet nicht nur das Gesetz, sondern auch ein gehöriges Eigeninteresse. Nach den Sozialgesetzbüchern und dem bisherigen Sachstand der Suchttherapie zielen alle erfolgreichen Bemühungen darauf ab, die berufliche und soziale Existenz der Betroffenen zu erhalten und sie nicht durch staatliche, juristische und gesundheitsfürsorgerische Eingriffe, schon gar nicht durch die Öffentlichkeit, weiter zu gefährden. Warum gelingt das nicht in gleichem Maß bei illegalen Drogen, obwohl auch dafür ein beachtliches und vorbildliches Hilfenetz entstanden ist?

Meth-Abhängige haben weder schlechtere Gesundheitsprognosen noch schlechtere Rehabilitationschancen als Alkoholkranke. Ihr Image in der Bevölkerung hängt vielmehr zusammen mit der Kriminalisierung, dem Zwielicht des Beschaffungsumfeldes und seiner Darstellung in den Medien. Die öffentliche Meinung passt weder zu den medizinischen Fakten noch zu den ethischen Ansprüchen unserer Gesellschaft.

Christoph Leusch bloggt unter dem Namen Columbus auf freitag.de

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