Kunst, Kennen, Kommerz, Können, Kochen

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Kunst, Kennen, Kommerz, Können, Kochen

Was zu Marina Abramovic und der aktuellen bildenden Kunstszene mit der KUNSTZEITUNG, 3-2010, noch zu sagen wäre.

Wieder einmal gibt es eine Monatsausgabe der KUNSTZEITUNG, kostenlos in fast jedem Museum, jedem Kulturhaus, vielleicht sogar im Foyer irgend so einer Disco, genannt Berghain. Eine Chance für den gemeinen (gewöhnlichen) Leser, denn bezahlt ist diese gut gemachte und fast immer kompetent geschriebene Zeitung auf jeden Fall und das Lesen dieses Blattes macht sich geistig und faktisch bezahlt. Die Profis und Edeldilettanten, -nicht böse gemeint, eher goethisch- abonnieren sicher eher das KUNSTFORUM und andere Magazine, die auf Kunstdruck-Papier und viel stärker visualisiert daher kommen oder aber ellenlange Essays zu Einzelwerken und Gesamtschauen, mit noch längeren Verweislisten abdrucken. - Das nennt man dann in der Fachwelt „Absicherung“ von Bedeutungen.

Auf 10.000 Metern Flughöhe liest man allerdings in Business- und First class „Monopol“:

„Monopol, das Magazin für Kunst und Leben, hat sich als innovatives Kunst- und Lifestyle-Magazin etabliert. Jeden Monat präsentiert Monopol ideenreich und kompetent die aktuellen Themen der Kreativ- und Lifestyle-Elite und begeistert seine Leser durch seine großzügige Optik und herausragende Bildsprache. Dabei betrachtet Monopol nicht nur die Entstehung zeitgenössischer Kunst, deren gesellschaftliche Bezüge, die Rolle innerhalb des Marktes, sondern auch die Berühungspunkte zu anderen Genres wie Design, Architektur und Mode.“

( www.monopol-magazin.com/media ).

Marina Abramovic

Den Aufmacher der Hauptseite liefert Marina Abramovic, eine Konzept- und Performance Künstlerin, die mittlerweile ein „Kunststar“ ist und ihren Ruhm vorzüglich dadurch erwarb, sich dem Eingriff des Publikums „auszusetzen“, indem sie sich ihm vorsetzte, anbot, oder auch dadurch, sich in aller Öffentlichkeit selbst zu verletzen.

In der Masse finden sich immer recht böswillige Besucher ein, die ausleben was in ihnen steckt. Besondes dann, wenn sie dazu noch offiziell an einen Kunstort oder Kunsttempel eingeladen werden. So durften einst, im Rahmen einer Performance, mit allerlei Schneidegeräten und unangenehm wirkenden Gegenständen, Besucher Frau Abramovic traktieren, gar verletzen. Ihnen stellte sie sich zur Verfügung. Frau Abramovic lieferte natürlich Vorlagen, weil sie sich, das war bekannt, selbst gerne verletzt, Wunden herstellt, sich damit her zeigt.

Unter den Besuchern sind Nachahmer und grundsätzlich Übergriffige, die sich immer dann einfinden, wenn es keine dicken Verbotsschilder gibt. Die Vorgabe lautete damals: „Macht was ihr wollt mit mir.“

Fast wie im richtigen Leben, das in Serbien häufig in der Geschichte, vor allem aber im 20.Jh., nach dem Motto ablief, „Serben und Serbien, müssen sterbien!“ und daher auch Serben machten, was sie wollten, wenn sie nur konnten, vorzüglich, aber nicht ausschleißlich mit Nicht-Serben. - Aus Serbien kommt Frau Abramovic.

Weil es so gut passt, zum Quälmaß der Menschheit, sei hier an den Niederschrieb Karl Krausens erinnert, den er in den ersten Akt, erste Szene, seines Stückes, „Die letzten Tage der Menschheit“ einbaute. Kriegsbeginn 1914 in Wien:

„(...)Ein Wiener: ….Die Sache für die wir ausgezogen wurden, ist eine gerechte, da gibts keine Würschteln, und darum sage ich auch, Serbien – muß sterbien!

STIMMEN AUS DER MENGE: Bravo! So ist es! – Serbien muß sterbien! – Ob's da wüll oder net! – Hoch! – A jeder muß sterbien!

EINER AUS DER MENGE: Und a jeder Ruß –

EIN ANDERER (brüllend): – ein Genuß!

EIN DRITTER: An Stuß! (Gelächter.)

EIN VIERTER: An Schuß!

ALLE: So is! An Schuß! Bravo!

DER ZWEITE: Und a jeder Franzos?

DER DRITTE: A Roß! (Gelächter.)

DER VIERTE: An Stoß!

ALLE: Bravo! An Stoß! So is!

DER DRITTE: Und a jeder Tritt – na, jeder Britt!?

DER VIERTE: An Tritt!

ALLE. Sehr guat! An Britt für jeden Tritt! Bravo!

EIN BETTELBUB: Gott strafe England!

STIMMEN: Er strafe es! Nieda mit England!

EIN MÄDCHEN: Der Poldl hat mir das Beuschl von an Serben versprochen! Ich hab das hineingeben in die Reichspost!

EINE STIMME: Hoch Reichspost! Unser christliches Tagblaad!

EIN ANDERES MÄDCHEN: Bitte, ich habs auch hineingeben, mir will der Ferdl die Nierndln von an Russn mitbringen!

DIE MENGE: Her darmit!

EIN WACHMANN: Bitte links, bitte links.

EIN INTELLEKTUELLER (zu seiner Freundin): Hier könnte man, wenn noch Zeit wär, sich in die Volksseele vertiefen, wieviel Uhr is? Heut steht im Leitartikel, daß eine Lust is zu leben. Glänzend wie er sagt, der Glanz antiker Größe durchleuchtet unsere Zeit. (...)“

(gutenberg.spiegel.de/?id=5&;xid=4066&kapitel=12&cHash=c5574dd4f82#gb_found )

Aber, bei Marina Abramovic gibt es auch eine ganz starke autobiografische Komponente als Grundlage ihrer Arbeiten. Denn ihre Familiengeschichte ist voller Gewalt, Einschränkung, Unterordnung, Zwang und Missverstehen. Sie ist die Tochter einer Majorin aus Titos Partisanenarmee und eines serbischen Nationalhelden aus dieser Zeit, des Komandanten Vajo. Nachdem der Vater 1964 die Familie verließ, stand die Künstlerin, so wie sie es selbst schildert, noch stärker unter der Fuchtel ihrer sehr dominanten und autoritären Mutter. Schläge und Missachtung müssen aber auch schon vorher wesentlicher Teil der Erziehung gewesen sein. Ein Ende gab es wohl erst, nachdem die Künstlerin aus diesem Bannkreis ebenfalls entfloh. - Hier ist kein Platz und bei mir kein Interesse, eine Kunst-Biografie Abramovics und ihrer Lebensgeschichte zu schreiben, aber als Hinweis mag das erst einmal genügen.

Ihre neuste Performance ist ein ebenso anstrengender wie ambitionierter Versuch des „Aussitzens“. Inszeniert im Museum of Modern Art New York (MOMA), begleitet von einer Retrospektive ihres Schaffens.

Keine leichte Aufgabe zu einer Performance Künstlerin eine Retrospektive zu zeigen, auf das, was mit der Kunstaktion letztlich vergeht und Vergangenheit bleibt. Das läuft also über die medialen und realen Reste ihrer Arbeiten, über „Reperformances“, die Marina Abramovic autorisiert. Das heißt, die möglichst exakte Wiederholung alter Aktionen und nun über das aktuelle, präsente Schweigen der Künstlerin, über 600 Stunden, auf einem Stuhl, an einem Tisch, gut ausgeleuchtet, in der Museumsöffentlichkeit, mit Gästen die sich trauen und vielen Gaffern, die nur schauen.

Wer will und in der Schlange dran ist, der kann sich zu ihr setzen und so lange mit am Tisch sitzen, wie er es als Besucher dort aushält. - Nicht auszudenken, was passierte, ein Besucher-Gegenüber bliebe ebenfalls dauerhaft sitzen, und fordere, z.B., jede Stunde einen Hamburger und ein Glas Wasser, um die 600 Stunden ebenfalls mit durch zu halten. Die Reaktion des Publikums gehört wesentlich zur Performance. - Wäre das nicht fast schon ein Heiratsantrag? - Wer es hier hin geschafft hat, der gilt als berühmt, erfolgreich und vor allem als Schmiermittel für den Kunstmarkt, jedenfalls den mit den zahlreichen Nullen hinter den richtigen Zahlen.

Frau Abrahmovic kämpft natürlich damit, dass Perfomance- Kunst kein Werk im klassischen Sinn erstellt, das den Besitzer wechseln könnte, so wie es im Bereich der bildenden Kunst meist noch üblich ist. Sie muss von Ausstellung zu Ausstellung, von Veranstaltungsort zu Veranstaltungsort ziehen, inszenieren, präsent sein, oder aber ausreichend Surrogate und Sekundärprodukte ihrer Performances vertreiben.

Nach gediegender Ausbildung an den Kunsthochschulen ihres Herkunftslandes hat sie aber auch Einzelwerke geschaffen, die sich zu den Spielregeln des real existierenden Kunsthandels verkaufen lassen und sie hat die Performance Arbeit so professionalisiert, wie andere ihre Fernsehauftritte, ihre Reden für jede Art von Gesellschaft und jedermann seine sonstigen Geschäfte. Die höchste Stufe der Konzeptkunst ist damit erreicht, der Künstler selbst wird zur „Marke“. Höher geht es im kapitalgetriebenen Kunstgeschehen keinesfalls mehr.

Claudia Steinberg beschreibt das Grundkonzept von „The Artist is Present“ und sie weist sehr sensibel darauf hin, dass Frau Abramovic keinesfalls ihr Publikum missachtet oder veralbert. Ganz im Gegenteil, wer sich seinen Besuchern so aussetzt, sich auch mit Risiken zur Verfügung stellt und sich gleichzeitig mit der Geschichte und den Absichten der Performance Kunst an das Publikum wendet, der hat tiefen Respekt für die Betrachter und, so sagt es die Künslerin selbst, der sucht sogar die angstvolle, risikobesetzte Begegnung mit dem unbekannten Gast. - Frau Abramovic ist auch Professorin, Lehrerin und Künderin der „ewigen Wiederkehr“ des Individuums. Bedeutungs- oder aussagelos ist das Werk dieser Künstlerin keinesfalls.

Als kleiner Hinweis, für jene die immer noch nicht verstehen, mag hier eine Abbildung auf "Artfacts" dienen:

www.artfacts.net/en/artist/marina-abramovic-7066/artwork/untitled-16904.html#Gallery

Kommerz: Die real existierende Macht, die vorschreibt was Kunst ist

Passend zu diesem Auftakt, schreibt Frau Steinberg auf Seite drei gleich weiter in der KUNSTZEITUNG. Dieses Mal über die Neubesetzung des Direktoriums im MoCA (Museum of Contemporary Art). - „Los Angeles: Jeffrey Deitchs Kür zum MoCA-Direktor wirft ein grelles Licht auf die Kommerzialisierung des Museumsbetriebs“, so der Teaser.

Die Geschichte ist deshalb so erwähnenswert, weil nun, mit der „Hilfe“ eines einflussreichen Mäzens, die Stadt Los Angeles zu einem neuen Medina der modernen Kunst ausgebaut wird. - Das Mekka bleibt New York. - Während schlechtes Management, Größenwahn und zunehmend immer mehr betriebswirtschaftliche und Kunstmarkt- Kriterien zu einer massiven Entlassungswelle beim Personal des Getty Museums führten, stellen „aufstrebende“ Mäzene und Stiftungsboards ihre Direktoren nicht als Wissenschaftler und kulturwissenschaftlich Gebildete ein, sondern kaufen sich lieber Leute mit dem Wirtschafts- oder Jurastudium einer Eliteuniversität in der Tasche, ausreichend Kontakt zu Geldgebern und möglichst reichhaltiger Erfahrung im Auktionshandel, dem kommerziellen Galeriesektor, oder gar aus einer eigenen, privat wirtschaftenden Galerietätigkeit.

Arme Kirchenmäuse:

Wohin das führt, steht auf Seite Fünf: „Arme Kirchenmäuse mit Bildungsauftrag“. In dem namentlich nicht gekennzeichneten Artikel, vielleicht schrieb ihn ja eine „arme Kirchenmaus“, geht es um die Senkung der Personalkosten in öffentlichen und privaten Kunsteinrichtungen, vom Museum bis zur Galerie. Krass sind die Gegensätze, krass die Gehaltsunterschiede. Während sich die Vereine und Klubs der Freunde und Förderer die Häppchen schmecken lassen, die Einnahmen der Direktoren und Galeriebesitzer, der Kunsthändler und Vermarkter längst weit übertariflich geregelt werden, aus der Kunst ein hochprofitables und sicheres Geschäft wird, gilt das für die Gehälter und Löhne der Kunstvermittler, der Organisatoren und Historiker, der „Absicherer“ und Kunstlehrer in den Einrichtungen, ob privat, öffentlich oder bei einer Stiftung, nicht.

Offenbar wächst auch hier der Trend, wirkliches Wissen, Kenntnisse und Fähigkeiten zur Vermittlung möglichst günstig ab zu schöpfen. Ein Prekariat mit Bildung verrichtet die Arbeit. Verdient wird mit Netzwerken und Kontakten auf einer anderen Ebene. Das dies die „Macher“ entweder toll finden, oder aber als ökonomisch zwangsläufig betrachten, das ist klar. - Ihnen wird es aber auch leicht gemacht, weil die vielen Arbeitenden sich weder gut organisieren, noch gerne über Gehälter knapp um oder unter Hartz IV reden, noch je im Team auftreten.

Timm Ulrichs:

Einen Künstler, den jeder kunstinteressierte Deutsche einmal in seinen Werken kennen lernen sollte, stellt Karlheinz Schmid auf Seite 15 vor. „Totalkünstler Timm Ulrichs wird 70“ und dazu gibt es im Museum Ritter, Waldenbuch, in der Nähe von Stuttgart, eine große Werkschau.

Schön, dass Herr Schmid auf das derzeit so aktuelle Thema „Plagiat und Ideenklau“ eingeht. Timm Ulrichs, lange Jahre Professor an der Universität Münster, geht gegen jeden vor der von ihm klaut und entlarvt damit eine allgmeine gesellschaftliche Haltung, nämlich, ohne Verehrung, Würdigung und Nennung der Schultern auf denen man zu stehen pflegt, das geistige und kulturelle „Copy and paste“ zu betreiben.

Mir ist dieser knappe Hinweis auf einen der wirklich wichtigen deutschen Nachkriegskünstler doppelt lieb, weil Ulrichs auch ein radikal auf den öffentlichen Raum ausgerichtetes Kunstkonzept vertritt. Wer mit Ulrichs denkt, sieht und fühlt, dem wird bewusst, warum wir uns die Lebenswelten und Lebensorte oftmals lieber zuplätteln und zubetonieren, sie mit Versatz anfüllen, als dort kreativ zu werden. - Nicht einmal die Ornamentkunst (so guter Kontrast !) an einer winterversalzenen Ausfahrtstraße bleibt ohne harsche Kritik. Am Ende glauben Zeitgenossen gar, die Kunst müsse platt wiederspiegeln, schön sein und dürfe keinesfalls schädigen. Dabei macht das Salz den Bäume eher den Garaus, als jede Schablonenmalerei ( www.freitag.de/community/blogs/magda/kunst ).

Sporteln

Dass es in einer Kunstzeitung auch um Sport gehen kann und die Begegnungen von Kunst und Sport nicht unproblematisch sind, handelt dieses Mal in der KUNSTZEITUNG ein eigenes „Extrablatt“ ab. Jörg Restorff, Elfi Kreis, Nicole Bröhan, Klaus Honnef und Karlheinz Schmid beackern das Feld von allen Seiten. Was lesen bildende Künstler in der „Sprache des Körpers“, wenn sie ihren Blick auf Sportler und den Sport richten? Tatsache ist, dass namhafte Künstler sich sehr oberflächlich, aber durchaus populär, mit Fussball und vor allem mit dem Golfsport (!) auseinander setzten. Da wo es kritisch wird mit dem Athleten und mit dem Körper, wo Kritik und tiefere Interpretation angesagt wäre, da bleiben Werke doch eher selten. So schreibt es Jörg Restorff sehr schlüssig in seinem Beitrag.

Gut, aktuell werden auch die ausgelaugten, die „Müden Helden“, so der Titel seines Beitrags, von der Antike, -der „Faustkämpfer“ aus dem Quirinalspalast aus dem letzten vorchristlichen Jahrhundert dient als Beispiel-, bis zur vergangenen Gegenwart (Duane Hansons "Football Player", 1981) stärker beachtet und Geschlagene, "Ausgeknockte", sind mit eines der Brotthemen in der Kunst.

Erhellend, wenn auch in der Sprache leicht zur Überhöhung neigend, sind Hans-Joachim Müllers Betrachtungen zur „Schönheit der Beschleunigung“. „Tempo,Tempo,Tempo“, lautet der Titel seines Artikels, der sich hauptsächlich mit den Futuristen und ihren Versuchen, die Geschwindigkeit in ein statisches Kunstwerk zu bannen, beschäftigt. Sehr gut ausgewählt und schlagend, das passende Archivbild dazu: Giacomo Ballas „Dynamismus eines Hundes an der Leine“, von 1912. - Ein sportlicher Rauhhaardackel in voller Vorwärtsbewegung, nur durch seine grauschwarze Silouette angezeigt, mit einem Dutzend Bein- und acht Schwanzwedelschatten.

Die bildende Kunst der Bewegung hat es schwer, weil der Film, das Video und der Computer mittlerweile fast alles beherrschen, was einst noch mit gemalten Bildern und Fotos ausgedrückt werden musste.

Das Herz eines Boxers

(Lutz Hübner, Max Schmeling, Hugo Fischer-Köppe)

Witzig und geistreich führt Beate Depping ein Gespräch mit Jan Hoet (S.21). Der Austellungsmacher (Gent, Documenta IX, MARTa Herford) lernte bei den Jesuiten boxen. Er ist von den Parallelen zwischen dem Leben, dem Boxen als Metapher dafür, und der Kunst als Konfrontationstechnik in Analogie zum Boxkampf überzeugt, und erzählt in dem schönen Gespräch vom realen Boxkampf Joseph Beuys mit seinen Studenten. „Plastischer Dialog- so hat er das genannt“. - „Das wäre heute nicht mehr denkbar.“

So, als ob es zum Thema und zur Aktualität der bundesweiten Diskussion passte, kommt Hoet auch auf das Tabu des Sexuellen zu sprechen. „Aber ist es nicht so, dass die Aggressivität jetzt vielmehr hinter dem Rücken stattfindet statt frontal? Ähnlich verhält es sich mit der Sexualität: Es ist kein Tabu mehr, und es ist trotdem tabu. Es ist doppelt tabu. Damals war es deutlich tabu. Und man musste seine Phatasie kultivieren, um Einsicht zu bekommen in diese komplexe Welt von Sexualität. Und heute ist es Porno, verstehen Sie, hinter dem Rücken von allen.“

Hoet beklagt auch, was der Konzeptkunst aus ihrem Selbstverständnis heute häufig anhaftet:

„Konzeptkunst ist viel theoretischer, das andere (z.B., die „materiell aufgebaute Spiritualität“ z.B. der Impressionisten und Expressionisten, wie Hoet es sieht, m. Einf.) war physisch spürbarer. (…)Der Widerstand besteht nur noch auf gedanklicher Ebene,...(....) Da ist es gut, sich hin und wieder einen Boxkampf anzusehen, um sich klar zu machen, worum es in der Kunst geht.“

Kochen

Wenn schon der Sport so viel Aufmerksamkeit bekommt, dann ist es nur konsequent, wenn sich die KUNSTZEITUNG gleich im Anschluss mit der „Großmutter der Künste“ (S.24), dem Kochen auseinander setzt.

Karlheinz Schmid schreibt über seine Lust am Kochen und Essen. Einige Schwarzweiß Fotos aus dem Familienalbum zeigen den Autor als kleinen Mann beim „Küchendienst“, bei der Weißkohlernte, -Der Kohl ist deutlich größer als ein Kindskopf!-, und bei der Kartoffelernte.

Selbstverständlich erzählt er noch einmal die Geschichte von Peter Kubelka (Kochprofessor) und Hermann Nitsch (Blutorgien- Mysterienkünstler), die Geschichte von der Frankfurter Städel-Kunstschule, der Kochkunst und dem zelebrierten Kochen als Kunstwerk und Mysterium.

Mir kommt zu viel Feinschmeckerisches und Geschmäcklerisches hier zum Tragen. Das Kochen erfährt eine Aufwertung und Überwertung, die Herr Schmid nur mühsam durch einige kritische Anmerkungen dämpft. Das setzt sich auch im folgenden Artikel Jürgen Dollhases, editorisch eingeführt als „Feinschmecker“, fort. - Was soll ich sagen, es ist ein Trend und eine Mode und offensichtlich ein Verlangen.

Die Großmutterküche, die Kindheitserinnerung, sie ist bei Karlheinz Schmidt eher eine „Tantenküche“ und eine „Hundert-Prozent-Butter-Küche“ . Bei all´ meiner Kritik, gelesen habe ich es trotzdem bis zum Ende, weil ein süffiger Wein oder ein gut gekochtes Gericht eben gut schmecken und das für einen gut geschriebenen Artikel ebenso gilt.

Ende:

So viele andere Beiträge in diesem Gratiswerk blieben nun unerwähnt. Wer zur Kunst geht, der findet auch die KUNSTZEITSCHRIFT auf schlechtem Papier (Hoffentlich bleibt das so!), mit durchweg klugen Artikeln.

Grüße

Christoph Leusch

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