Kunst, Kopien, Comics & Kuratoren

Kunstzeitung im Mai Die "Kunstzeitung" Gariele Lindingers und Karlheinz Schmids ist ein monatliches Lesevergnügen zur aktuellen Kunst. Im Wonnemonat Mai geht es auch um gute und böse Kopien.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Kunst, Kopien, Comics, Kuratoren

Die Parallele zur Natur heißt Kunst. In der „Kunstzeitung“ Gabriele Lindingers und Karlheinz Schmids, wird dieser gemachten Menschennatur regelmäßig auf eine sehr demokratische und soziale Art gehuldigt. Hier malen nicht die Affen, auf das wir es wunderbar künstlerisch finden.

Das Blatt auf dem Filth-Zeitungspapier, mit erstaunlich guter Druckqualität in den Fotos und Abbildungen, ist im allerbesten Sinne eine „Wimmelstrecke“ für den Kunst- und Ausstellungsbetrieb. Wer einen Überblick zur Austellungs- und Museumskunst, nebst ihren Randgebieten, wünscht, der greife getrost monatlich zu diesem Gratisblatt. - Ich weiß was ich tue (m.Einf., die Formel ist geklaut). Nur ausgebildete Berufgrantler können am bewährten Konzept allzu viel Kritik üben.

Im neuen, im Vergleich zur Vergangenheit ruhigeren, Layout unter dem schlichten blauen Blockschrift-Zeitungskopf wird fundiert und vor allem verständlich berichtet, was aktuell sehenswert, nachdenklich und bedenklich am sonst eher unübersichtlichen Kunstbetrieb ist.

Kopie

Matthias Kampmann eröffnet auf der Titelseite mit „Die Kultur des Kopierens läuft auf Hochtouren“ und versucht die Frage zu beantworten, warum Künstler sich an einer Vergangenheit abarbeiten. - Wieder abarbeiten, sich wieder vermehrt abrackern, müsste es genauer heißen.

Die Künstlerin Jakob Lena Knebl trägt ihre Mondrian-Kopie auf dem eigenen, massig-runden Körper (http://www.jakoblenaknebl.com/Piet.html ).

„Piet“ heißt nicht nur Mondrian mit seinem Vornamen, sondern „Piet“ ist auch eine, so genannte, esoterische Programmiersprache, erfunden von David Morgan-Mar aus deren Codewelt mondrianische Abbildungen der Programmierbefehle entstehen, die nicht nur, -nach ein wenig Training-, gelesen werden können, sondern auch ästhetisch wirken. - Schade, dass Matthias Kampmann diesen Bezug, der selbst schon wieder bezüglich ist, den die Künstlerin durchaus mitbedenkt, gar nicht im Blick hatte.

In einem anderen Zusammenhang, drapiert sich Jakob Lena Knebl als Beuyssche „Fettecke“ (http://umprintscreen.tumblr.com/post/10127897188/jakob-lena-knebl-fettecke ). „Ich bearbeite bewusst renommierte Werke. So mache ich meine Bezüge sichtbar.“

Bezüge herzustellen, das ist eine alte Künstlerhaltung und insofern reizvoll, als nun, mit der Perfektionierung der Kopier- und Vervielfältigungstechniken, mit der digitalen Virtualisierung, die Möglichkeiten unendlich gesteigert wurden. Das Design und die Werbung kopieren seit langem bekannte Kunstwerke auf Teller, Tassen, T-shirts, Autos und Möbel, allerdings ohne allzu viel Nachdenklichkeit. Sie wollen den Bekanntheitsgrad der Künstler und Kunstwerke ökonomisch auszunutzen: Kein Souvenir- und Choserieladen ohne die Raffael-Putti, jenes Detail am Unterrand der Dresdner Sixtinischen Madonna, kein Museumsshop, ohne Mondrian-Tassen und -Kannen und Rembrandt in der Aufglasur!

Für Künstler kann eine solche Aktivität aber gefährlich werden, denn ihre Originalität zerfällt zu einem Rest von Nichts, findet beim Abkupfern und Kopieren nicht gleichzeitig eine Tranformation statt, mit der eine neue, originäre Bedeutung verknüpft ist. - Jakob Lena Knebl gelingt das.

Wenn auch der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich Originalität zukünftig gänzlich zu einer Obszönität erklären möchte, - So weit wird es nicht kommen, da hat Matthias Kampmann völlig Recht.-, beweisen die originelleren Beispiele des Umgangs mit Kunstzitaten und Kopien eher ein neues Bewusstsein für Kulturentwicklung und Geschichte unter den Künstlern, die es offensichtlich satt haben, unverbunden und irgendwie losgelöst von der vorhandenen Kultur zu produzieren.

„Woher haben wir alle unsere Ideen? Was wäre zum Beispiel die Klassische Moderne ohne die Abstraktion des Körpers, ohne die Kunst-Masken und Objekte afrikanischer Herkunft!, fragt Jakob Lena Knebl.

Comics

Auf der letzten Seite der Maiausgabe der Kunstzeitung widmet sich Armin Schreiber der Zukunft des Comics in der neuen Webwelt. Beschert eine kluge Nostalgie derzeit der Langspielplatte und dem gedruckten Comic in allen erdenklichen Formaten weltweit einen Boom, so erweitert das Web die Möglichkeiten des zeichnerischen Geschichtenerzählens mit filmischen Mitteln. Animierte GIFs, Ton und Musik lassen sich auch in sehr kleinen Studios, im Alleingang am Computer produzieren.

Wie kommen die neuen Comic-Künstler zu ihrem Publikum? Homepages muss man kennen. Leichter geht es, gibt es dafür gute Plattformen. So z.B. „Graphicly“ auf der, gegen eine Gebühr von 150 $ „spezielles Online-Werkzeug zur Selbstveröffentlichung“ bereit gehalten wird (http://graphicly.com/ ).

Deutschland bleibt trotz des Booms ein Comic-Entwicklungsland, ob nun digital oder gedruckt. 50.000 regelmäßige Käufer grasen eine Wiese mit jährlich 1500 Neuerscheinungen ab. Trotzdem gibt es erstaunliche Projekte, wie z. B. die Produktion einer Graphic Novel, „Alice in Sussex- Frei nach Lewis Caroll und H.C.Artmann“ des Österreichers Nicolas Mahler ( http://www.suhrkamp.de/graphic-novel/nicolas-mahler/alice-in-sussex_1016.html ). Die FAZ holte sich jüngst diese Geschichte als Fortsetzungs-Comic ins Blatt ( http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/cartoons/nicolas-mahler-alice-in-sussex-11950186.html ).

Mein persönlicher Favorit sind jedoch die Produktionen der Büchergilde Gutenberg und des Maco-Verlags, die mit den „Tollen Heften“ seit Jahren an der Schnittstelle Literatur und Bildkunst arbeiten.

Der 2012 verstorben „Kurator“, in diesem Falle Herausgeber, Armin Abmeier, war seit 1990 der kongeniale Betreuer für diese Art des „Bilderlesens“. Seine Frau, Rotraut Susanne Berner, kann hoffentlich fortsetzen, was ihrem Mann so gut gelang.

Wie es in den „Tollen Heften“ zugeht, das erschließt die Webpage (http://www.tolle-hefte.de/ ). - Passend zum heimlichen Titelthema der „Kunstzeitung“, das sich durch viele der aktuellen Artikel zieht, -"Die Tollen Hefte“ werden aber nicht erwähnt-, fand die glanz- und verdienstvolle Idee der außergewöhnlichen Broschuren ihr Vorbild in der Buchreihe »Die Tollen Bücher« des Elena Gottschalk Verlages aus den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Kunst, das ist Wols

Christoph Zuschlag widmet sich auf Seite 17 der Kunstzeitung dem weithin vergessenen, aber von Künstlern als Bezugsquelle und Vorbild geschätzten, Informellen Alfred Otto Wolfgang Schulze, das ist Wols.

Sein Artikel „Wunderbares Entsetzen“ ist mir sehr lieb, weil Zuschlag ganz offensichtlich verstanden hat, dass ein Publikum nicht etwa zuerst eine Wertung braucht, sondern vor allem auf Informationen angewiesen ist, die begründen was gemeint ist.

Wols wurde nur 38 Jahre alt und sein Hauptwerk ist kleinformatig im besten Sinne. Nur für die Galerie und den Überlebensmarkt arbeitete er auch in Öl.

Der gebürtige Berliner, Jahrgang 1913, in Dresden aufwachsene und dort musikalisch, wie bildkünstlerisch ausgebildet, ging mit einer Empfehlung Lázló Moholy-Nagys, 1932, nach Paris. Er wird Fotograf der Künstler und Intellektuellen und verdient damit seinen Lebensunterhalt. 1933 übersiedelt er ins republikanische Spanien und gerät, durch eine Intrige von Nazi-Spionen, zeitweilig in Haft. 1935, nach Frankreich abgeschoben, wird er bei Kriegsausbruch, als Staatsangehöriger einer kriegführenden Nation interniert.

Nach der Niederlage Frankreichs kommt Wols im so genannten „freien Frankreich“ der Vichy-Regierung an die Côte d´Azur und muss sich, 1942, nach der völligen Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen, in Dieulefit bei Montélimar, in der unzugänglichen Provinz verstecken.

1945 kehrt er nach Paris zurück und freundet sich mit Sartre an. Für dessen Texte, so wie für Jean Paulhan (z.B. Le Berger d'Écosse, 1948), den Herausgeber der Nouvelle Revue Française(NRF), für den Surrealisten Artaud und zu Kafka Texten entstehen zahlreiche Illustrationen, kleinformatige Zeichnungen und Aquarelle. „Das Maß der Handfläche ist heilig“, zitiert Christoph Zuschlag den Künstler. 1951 stirbt Wols an einer Lebensmittelvergiftung.

Über die leidvolle und zugleich spannende Biografie des Künstlers und die sehr wahrscheinliche, umfangreiche Fälschertätigkeit seiner Ehefrau Gréty Wols, gerät dessen Beitrag zur Entstehung der Kunst des Informel, gemeinsam mit Jean Dubuffet und Jean Fautrier in Vergessenheit, obwohl Wols Arbeiten posthum dreimal, 1955, 1959 und 1964, auf der Documenta in Kassel vorgestellt wurden und er 1958 ein verspäteter und nur mit Werken anwesender Gast der Biennale in Venedig war.

Seine im Leben „überaus wichtige Mitarbeitrin“ Gréty, -wer denkt da nicht an manche Äußerungen Brechts zu den „Factory"-Frauen-, gestaltete von den ca. 1500 überlieferten, ursprünglich ihm zugeschriebenen Werken, wohl mindestens ein halbes Tausend ganz eigenhändig.

Im Jahr seine 100. Geburtstags würdigen nun die Kunsthalle Bremen („Wols, die Retrospektive“, http://www.kunsthalle-bremen.de/ausstellungen/wols-retrospektive/, auf dieser Seite gute Abbildungen, u.a. von „La dernière“ (Composition) aus dem Sterbejahr 1951 und ein Porträtfoto des Künstlers, sowie ein beeindruckendes surreales Kopfsteinpflaster-Foto ) und das Dresdner Kupferstichkabinett („Wols Photograph. Der gerettete Blick“, ) das Schaffen des Künstlers. Anfang 2014 folgt noch das Museum Wiesbaden, -ein eher geheimer Hauptort des Wissens um das Informel-, mit „Wols: Das große Mysterium“.

Kuratoren

Was wollen und sollen die Kunstmuseen Deutschlands leisten. Die „Kunstzeitung“ diskutiert auch programmatisch. - Wie das gut und weniger gut geht, das zeigen zwei Artikel, die gegensätzlicher kaum verfasst sein könnten.

Bernhard Schulz erhellt, mit vielen Zitaten aus den Gesprächen mit Berliner Museumsleuten, u.a. dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Herman Prazinger, dass zukünftig Museen, Kunshistorische und Kunstwissenschaftliche Universitätsinstitute, sowie Wissenschaftsstiftungen enger zusammenarbeiten müssen. Die Museen sind dafür sogar bereit, sich einer ständigen Evaluation durch die Wissenschaftsbeiräte zu stellen, wie das jüngst die Staatlichen Museen Dresdens taten. - Zukünftig werden große Museen zu „außeruniversitären Forschungseinrichtungen“ - Sitzen die Forscher im Haus, so wie das für den Museen in Berlin schon der Fall ist, dann entfallen lange Antrags- und Behördenwege und die Ergebnisse selbst kommen den Sammlungen zugute.

Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, katalogisiert Hessen gerade seine mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Altarretabel, wie Jochen Sander, Professor an der Universität Frankfurt und zugleich Kurator der „alten Meister“ am Frankfürter Städel zu berichten weiß. Wer nichts tut und nicht wissenschaftlich dokumentiert, der kennt von seinen Schätzen auch nichts! - Dass diese neue Sicht auf die Leistungsfähigkeit der Museen nicht unbedingt schon eine gefestigte und reale Vorstellung in den maßgeblichen Köpfen ist, beschrieb vor einem Jahr die „Denkschrift zur Lage der Museen“ des Deutschen Museumsbundes.

Ärgerlich ist hingegen der Beitrag Meinrad Maria Grewings, „Die Potentiale für die Zukunft ergreifen“, der sich mit dem Museum des 21. Jahrhunderts beschäftigen soll, jedoch eher zu einer Art Eigenwerbung des Generaldirektors des UNESCO-Welterbes Völklinger Hütte missrät. Schon die Sprache verrät, dass sich hier einer für besonders frisch, würzig und bekömmlich hält. Vorbild ist ihm nichts weniger, als der Louvre zu Paris, mit seinen 9,7 Millionen Besichtigern und dessen „Outgoing“ nach Abu Dhabi, das sich die Scheichs des Golfstaates 800 Millionen Euro haben kosten lassen.

Im Orignialtext kommt Grewing zu folgendem, aufgemotzten Fazit:Zukünftig verwandeln sich Museen noch stärker zu Emotionstankstellen unseres Alltags und permanenten Inspirationsorten unserer Fantasie. Dieser Veränderungsprozess erfordert neue Museumsdirektoren und neue Kurtatoren. Sie müssen -Trüffelschweinen gleich- den Weg des Museums in die Zukunft aufspüren, ihn als Haltung kultivieren und leben.“

Nach allzu vielen „Trüffeln“ dürfte es auch dem belastbarsten Kunst- und Kulturliebhaber vor dieser direktorialen Zutat als zukünftigem Haupt-, Leib- und Magengericht eher grausen. Viele Trüffeln, täglich Trüffeln, Trüffelchen hier und immerda und sie schmecken unter Garantie nicht mehr!

Christoph Leusch

PS: In der aktuellen "Kunstzeitung" steht natürlich noch viel, viel mehr geschrieben. Aber das soll jeder, dem diese Zeitung in die Hände gerät, selbst erkunden.

Lindinger+Schmid, "Kunstzeitung", Mai 2013,Nr.201. Eine fast regelmäßig monatlich erscheinende Zeitung zur Bildenden Kunst und sämtlichen Nebenschauplätzen. Empfehlung: Immer lesenswert, auch wenn man sich ´mal an einem Artikel reibt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden