Letzte Wohnstätte Heim, teure Notwendigkeit

Wohnkosten in Heimen Früher einmal, waren Altenheime überwiegend eine öffentliche und soziale Aufgabe. Heute unterliegen sie der privaten Bewirtschaftung. Die Wohnkosten steigen deutlich.

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Letzte Wohnstätte Heim, teure Notwendigkeit

Foto: Christopher Furlong / Getty Images

Letzte Wohnstätte Heim, eine teure Notwendigkeit

Unterbringung nach Businessplan

Tante Käthe* ist alt, allein und dement und aufgrund ihrer Hirnerkrankung voll pflegebedürftig. Sie liegt in einem größeren Altenheim. Das gehört der Konzerntochter eines in Deutschland und Berlin bekannten Dienstleistungs-Großunternehmens. Jedes Jahr baut die Firma mindestens zwei, drei neue Heime in Deutschland, zu den schon weit über Einhundert bestehenden Einrichtungen hinzu. Altenpflegeheime sind der Wachstumsmarkt. Das selbsterklärte Geschäftsziel lautet, in Europa der Branchenführer am Markt zu sein und es zu bleiben.

Die Unternehmensgruppe verkauft im großen Stile auch andere Dienstleistungen und Waren, zum Beispiel Büroleistungen, Reinigungsarbeiten, Gebäudemanagment, Catering, Sicherheitsdienste und Geschäftsführungsdienste, die angeblich besseren Kindergarten- Ideen und unser gedrucktes Kulturgut, die Bücher, sowie alles was darum herum an verkäuflichen Medien entstanden ist. - Ihr Geschäft der Zukunft ist jedoch der Wachstumsmarkt der Alten- und Pflegeheime.

Alles an diesem, einmal als Selfmade-Unternehmen gestarteten Konzern mit Sitz in Berlin, entsprungen der Idee, mobile Reinigungs- und Hilfsdienste für Privatleute anzubieten, umwebt heute ein Fluidum des Erfolgs, der Kultur, der Mildtätigkeit und des gesellschaftlichen Engagements. Das zieht die Politik und den Finanzadel verstärkt an. So sind Prominente als Werbeträger in Stiftungen und in Aufsichtsgremien tätig: Von Wolfgang Clement bis Tessen von Heydebreck. Der derzeit noch amtierende Berliner Bürgermeister ließ sich gerne ein, das Unternehmen für seine kluge Firmensitzwahl in seiner Stadt zu loben.

Bezogen auf die Pflege heißt das Geschäftskonzept schlicht: Wir machen etwas auf überregionaler Ebene, nach unseren betriebswirtschaftlichen Wünschen und bald schon global, was früher einmal eine genuin lokale und zudem öffentliche Aufgabe in den Kommunen und Landkreisen war. Vor Ort wurde lokal und politisch kontrolliert, sowie staatlich beaufsichtigt, manches Mal sogar das Heim städtisch oder von einem Landkreis geführt. - Wir betreiben das zukünftig als überregionales Business und schöpfen die gesetzlichen Möglichkeiten als privates Unternehmen aus.

Wohnen ist teuer, Seniorenwohnen doppelt

Was zahlt nun Tante Käthe für ihr ungefähr 15 qm großes Zimmer, plus Nasszelle? - Wohlgemerkt, nur dafür, denn sämtliche andere Leistungen, zum Beispiel die Kosten in der Schwerstpflege, Stufe 3, die tägliche Verpflegung und sogar die Ausbildung neuer Pflegekräfte, zahlt sie, ob sie das noch wissen kann oder schon lange davon nichts mehr mitbekommt, extra und gesondert! Bei den reinen Pflegeleistungen unterstützt sie ihre gesetzliche Pflegeversicherung mit einem ca. 55%igen Anteil.

Für das Zimmerchen, es ist beileibe kein Luxusappartement, das die schicksalgeplagte Seniorin bewohnen muss und außer zu Krankenhausbesuchen, zu manchen Mahlzeiten und kurzen Zeiten in einem Spezialrollstuhl, nicht mehr verlässt, sind täglich 14,30 € fällig. Auf 30 Tage gerechnet, kommen so 429,- € zusammen.

Aber damit nicht genug! Der Gesetzgeber erlaubt ausdrücklich, dass jeder Heimbewohner an den Investitionskosten für die Einrichtung „angemessen“ beteiligt wird.

In Tante Käthes Fall sind das zusätzlich zu den Kosten der Unterkunft, für jeden Tag 18,50 €. Das heißt, für 30 Tage 555,- €. Sie zahlt also deutlich mehr für die Investitionskosten ihres Heimträgers, als für die Unterkunft, die mit deutlich über 400 € /Monat schon recht happig ausfällt. Diese „zweite Miete“ der Altenpflegeheime, entwickelt sich nicht analog der zweiten Miete auf dem Wohnungsmarkt, die über die Nebenkosten läuft, sondern hat diese in der Dynamik längst überholt.

Die Tante zahlt also zusammengerechnet für ihre sehr bescheidene, letzte Unterkunft, 984,- € in den Monaten mit 30 Tagen und bei jenen mit 31 Tagen, gar 1016, 80 €.

Prüfung nur wenn öffentliche Gelder fließen

Bei jenen Heimen, die noch eine staatliche Unterstützung erhalten oder erhielten, meist sind es Heime in gemeinnütziger Trägerschaft, haben die Behörden zumindest ein Prüfrecht für die Angemessenheit der Investitionskosten. Sie sollen diese in einjährigen Intervallen kontrollieren. - Wie das allerdings die jeweiligen Landesbehörden, denen diese Aufgabe mit dem Sozialgesetzbuch und der Neuaufteilung der Bund-Länder-Zuständigkeiten zuwuchs, fachlich überhaupt bewältigen könnten, z.B. in den Landesversorgungsämtern, das bleibt derzeit ein Geheimnis des Gesetzgebers und der beauftragten Behörden. Die Komplexität der Materie kommt regelmäßig bei den wenigen Verfahren ans Licht, die vor einem Gericht landen.

Der Anteil der privaten Träger, die auf Fördergelder oder Beihilfen des Staates nicht zurückgreifen, wächst. Für sie gilt nur eine allgemeine Meldepflicht der bei den Heimbewohnern einverlangten Investitionskosten, aber für die Behörde keine Prüfpflicht, was denn in diesen Fällen mit „angemessen“ gemeint sein könnte.

Glaubt nun ein Heimbewohner oder dessen gesetzlicher Betreuer, die Investitionskostenbeteiligung, in Wahrheit die vollständige Kostenübernahme der Investitionskosten, sei zu hoch, muss er dies zivilrechtlich überprüfen lassen.

Er oder seine Betreuer könnten die Unangemessenheit vor einem Gericht aber nur beweisen, wenn sie Vergleichszahlen erbrächten und in der Lage wären, die tatsächlichen Investitionskosten gerichtstauglich abzuschätzen. Das Zivilgericht hätte aber auch dann, entlang solcher Zahlen, nur in jenen Fällen eine Möglichkeit die Angemessenheit anzuweifeln, wenn der Tatbestand der Sittenwidrigkeit der erhobenen Forderungen erfüllt wäre.

Dieser Zustand stellt sich aber regelmäßig erst ein, wenn die Beträge deutlich, mehr als 50 -100%, über denen der Konkurrenz lägen oder massiv über den ortsüblichen Wohnungs-Mietkosten, sofern die als Vergleichsmaßstab in foro überhaupt akzeptiert würden.

Ob zu hohe Investitionskosten anfallen, das will der Gesetzgeber bei privaten Trägern gar nicht so genau wissen. Er geht hier von der Fiktion der Vertragsfreiheit gleicher Partner aus, in die er sich zukünftig auch im sozialen Bereich nicht mehr einmischen möchte. - Wie die Verhältnisse derzeit liegen, hat ein Heimbewohner oder sein gesetzlicher Vertreter, kaum eine Chance, die Berechtigung der Kosten mit Chancen auf Erfolg überprüfen zulassen und er erhält nach dem Sozialgesetzbuch XI auch von den dafür zuständigen Landesbehörden, z.B. den Versorgungsämtern, die zudem für diese Zwecke dürftig mit Personal und Erhebungsmitteln ausgestattet sind, keine hilfreiche Unterstützung.

Etwas besser steht es, wenn die Heimkosten öffentlich geförderter Heimeinrichtungen von den Sozialämtern zu tragen sind. Dann müssen die privaten Heimträger mit den staatlichen Kostenträgern über die Unterkunftskosten und die Höhe der umgelegten Investitionskosten verhandeln. Offenbar sind sie nur nach Rechtsstreiten dazu bereit, darauf zu verzichten, unter „Angemessenheit“ praktisch alles, sogar die Grundstückserwerbskosten (die ja keinem Wertverfall unterliegen) und Vorfinanzierungskosten, einschließlich der Zinsen für das Altenheimgeschäft an sich, zu verstehen.

Gerichte, unter anderem das Bundessozialgericht, verboten zuletzt die Einforderung pauschalierter Investitions- und Instandhaltungskosten. Es dürften nur die tatsächlichen Investitionen angerechnet werden. - Alle von Gerichten korrigierten Forderungen, betrafen bisher jedoch nur Heime mit öffentlicher Förderung, bei denen staatliche Stellen klagten.

Desinteresse der Pflegekassen, fehlende Forschung, politische Absicht

Die Pflegekassen, bzw. die da geschäftsführenden Krankenkassen, die die nötigen juristischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnisse zur Prüfung durchaus besäßen, interessieren diese Sachverhalte kaum, denn der Pflegeaufwand wird separat über die Pflegesätze zwischen Leistungsanbietern, Pflegekassen und Landesbehörden ausgehandelt. - Auch das, hat der Gesetzgeber unbedingt so gewollt!

Anerkannte und vor allem unabhängig ermittelte Maßstäbe für die tatsächlichen und angemessenen Investitionskosten und deren Umlage gibt es nicht. Die letzten öffentlich geförderte Studien zu den tatsächlichen Investitionskosten, die nicht von den Anbietern selbst oder in deren Auftrag, z.B. für Anlageberater und Vermögensverwalter erstellt wurden, um abzuschätzen ob sich Investments in diesem Bereich lohnen, stammen aus den frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Eine Beforschung des Themas und die Erarbeitung verläßlicher Zahlen liegen zudem weder im Interesse der Politik, noch der dynamisch wachsenden Branche. Darin, im Schleier der Geschäftstätigkeit, liegt die Chance zum Profit im Sozialbereich!

Die mangelnde Transparenz und die Schwammigkeit des entsprechenden Paragraphen 82, SGB 11, erlaubt, dass zukünftig die Träger privater Pflegeeinrichtungen sogar noch besser kassieren können und so die Investitionskosten-Umlage weiter in die Höhe treiben, wenn sie dazu übergehen, die Grundstücke und Immobilien für die neuen Heimeinrichtungen nicht mehr selbst zu erwerben, sondern von selbstständigen Töchtern in ihrer Firmengruppe anmieten, leasen, pachten oder in Erbaurecht erstellen lassen. Diese Kosten können gerichtsfest und im vollen Umfange als Investitionskosten auf die Heimbewohner umgelegt werden, auch auf jene, für die das Sozialamt zahlt. - Für die Ausgestaltung des Rechtsrahmens bieten mittlerweile Anwaltskanzleien ganz offen ihre Dienste an.

Wir sehen, wie mit Hilfe der Sozial- und Wirtschaftpolitik des sogenannten Sozialgesetzbuches, ganz neue Wirtschaftszweige erschlossen und zur Blüte gebracht werden. An die Sozialität hat man bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Rahmens für die Finanzierung von Pflegeeinrichtungen jedoch erst zuletzt gedacht. Das ist eine Entwicklung, die aus der Politik kommt, die von allen größeren und bisher für regierungsfähig gehaltenen Parteien lange schon beabsichtigt ist. Sie muss unter der Überschrift Privatisierung und Individualisierung der Lebensrisiken eingeordnet werden. - MegagroKo, eben!

Christoph Leusch

*Der Fall „Tante Käthe“ existiert und er ist kein Einzelfall, sondern die Regel. Alle Zahlen sind real. Nur die Person wurde aus naheliegenden Gründen anonymisiert.

Ergänzung am 12.02.2014:

Um zur Diskussion um mein Hauptthema, Wohnkosten ("Hotelkosten", so der Fachbegriff) und Investitionskosten in Heimen, noch ein wenig Material beizutragen, einmal ein paar Vergleichszahlen:

Im freigemeinnützigen Pro Civitate gGmbH Haus Meißen, das im Jahr 1993 von der Stadt Meißen an den Träger verkauft wurde, beträgt der Posten „mittlere Investitionskosten“: ca. 441,- €.

Im Heim der Stadt Radeberg, Träger ist die Gemeinde, beträgt der Posten „mittlere Investitionskosten“: ca. 183,- €.

Ist das kein Unterschied?

Zum Verbrauch des angesammelten Vermögens bei Heimbewohnern: Nach dem Gesetz muss das Vermögen des Bewohners bis auf einen Betrag von 2600,- € aufgebraucht werden. Vor der Sozialhilfe treten Angehörige ersten Grades, nach ihren jeweiligen Möglichkeiten, auch hier gelten noch Sozialklauseln, ein.

Was nun aber Verfahren gegen Heimträger angeht, so schwindet die Chance, erstens Einblick in die erforderlichen Unterlagen nehmen zu können, mit dem Grad der Privatheit des Träger und mit dem eigenen Grad der sozialen Abhängigkeit oder Unabhängigkeit. In letzterem Fall sind, das stimmt zwar, die Verhältnisse meist auch so, dass ein paar Hundert Euro an den Wohnkosten nicht ganz so viel ausmachen. (;-))Aber für die große Mehrheit der Heim- und Pflegebedürftigen trifft das nicht zu. Die leiden unter den Kostensteigerungen, so, wie auch die öffentliche Hand, die leisten muss, darunter leidet, deren Einspruchsmöglichkeit nur de jure besser ist.

Christoph Leusch

Zum Wortlaut des § 82, SGB 11, vom Server des BM für Justiz und Verbraucherschutz: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_11/__82.html

Zu Vergleichen von Wohn- und Pflegeheimen, zur groben Orientierung sehr gut geeignet, wenn auch nicht vollständig. Eine große Dienstleistung! - Das Seniorenportal des SPIEGELs: http://seniorenportal.spiegel.de/pflegeheim/

Christoph Leusch

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