Neurotische Suche nach dem Neuro-Verstärker

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Neurotische Suche nach dem Neuro-Verstärker

Kathrin Zinkant (Wissenschaftsredakteurin,dF) nahm sich jüngt eines wirklich aktuellen Verbraucherschutz-Themas an. Sie berichtet in ihrem Blog über Neuroenhancement ( www.freitag.de/community/blogs/kathrin-zinkant/thema-drogen-welchen-kick-brauchen-wir ) und in der Print-Ausgabe des „der Freitag“, Nr.27 schrieben Jörg auf dem Hövel zum Gebrauch von Amphetamin-Derivaten und Felix Hasler zum Neuroenhancement mit Modafinil und anderen Substanzen sehr lesenswerte Artikel (Seiten 6 und 7, die über diesen Links auch Online zu lesen sind: www.freitag.de/community/blogs/kathrin-zinkant/thema-drogen-welchen-kick-brauchen-wir , www.freitag.de/wochenthema/1027-kann-auch-mal-gr-ndlich-daneben-gehen ).

Selbsttäuschungen, so groß wie die Mär von der Rettung des Regenwaldes

Tatsächlich glauben viele Menschen daran, es gebe tatsächlich irgend welche Stoffe, die ohne sonstige, vor allem ohne negative Folgen, die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns, vom Wahrnehmungsvermögen, über die Aufmerksamkeitsspanne bis zur Denk- und Assoziationsfähigkeit und dem Empfindungsvermögen zu steigern vermögen. Kurzfristig, zielgerichtet und situationsadäquat, aber auch langfristig und prophylaktisch, sollen diese Substanzen helfen.

Ein Memorandum deutscher Wissenschaftler und Experten (www.gehirn-und-geist.de/memorandum , vollständige Fassung: https://www.wissenschaft-online.de/sixcms/media.php/976/Gehirn_und_Geist_Memorandum.pdf ), die zwar grundsätzlich dazu raten, die Idee des Neuroenhancement nicht zu verteufeln, andererseits aber klar bekunden, derzeit gebe es überhaupt keinen Wirkstoff, der die Bezeichnung wirklich verdiente, bildete den Aufhänger. - Diejenigen Substanzen, aus der Medizin, aus dem weiten und dunklen Feld des Suchtmittelgebrauchs, aus der Naturheilkunde und Pflanzenmedizin, die seit langem immer wieder verdächtigt werden, produzieren nach einiger Zeit meist einen Haufen Unheil und eine Menge Neben- und Folgewirkungen. Derzeit ist gerade Modafinil, ein Medikament zur Behandlung schwerer Schlafstörungen (Narkolepsie, etc.), diskussionswürdig, weil Sportler, Schüler, Ärzte und Soldaten es „Off-label“ nutzen.

Gedopte Schüler und Studenten, unsere geistigen Leistungssportler

Tatsächlich schlucken deutsche Schüler zunehmend Stoffe von denen sie sich vom Sieg über die Angst- und Furcht vor dem Schulalltag und den anstehenden Prüfungen, bis zum besseren Gefühl bei den Freizeitaktivitäten, alles Mögliche versprechen. Oft haben die eingenommenen Mittel nicht einmal den gewünschten Effekt. Oft bewirken sie genau das Gegenteil, nämlich eine Verstärkung unerwünschter körperlicher Sensationen und eine Verschärfung der Probleme, weil statt der notwendigen sozialen und pädagogischen Lösung, Pillen eingenommen werden. Nur wissen das Schüler, Eltern und sonstige Beteiligte nicht, oder sie leugnen es. Wer will für das Scheitern an der Klausur, an der Schule überhaupt verantwortlich sein, wenn sich Söhne und Töchter mit Medikamenten wohler fühlen?

Neben dem vielleicht irgend wann einmal möglichen Neuroenhancement, müsste also über die nur vermutete positive Einwirkung, also das Pseudo-Neuroenhancement, eine ultimative Placebowirkung, ebenso gesprochen werden, wie über den Gebrauch von ganz normalen Suchtmitteln, denen immer noch sehr naiv, überwiegend positive Wirkungen zugesprochen werden.

Kapitel aus der Geschichte der Murti-Bing-Pillen

Nach theoretischen und praktischen Murti-Bing-Glückspillen wird schon lange gesucht und immer mal wieder bricht eine Euphorie aus, die schnell in sich zusammenfällt, werden die bedauerlichen Resultate der Selbstversuche und massenhaften Selbstexperimente mit der Zeit öffentlich bekannt. Selbst die Literatur und Kulturgeschichte ist voller kreativer und mythischer Beispiele für solcherart Selbstbetrug ( community.zeit.de/user/colon/beitrag/2008/08/14/august-14-und-der-murtibingismus ).

Es ist unmöglich die ganzen realen Stoffgeschichten abzuhandeln. Aber zwei Beispiele sollen erläutern, was von dem Traum den Geist und die Seele fliegen zu lassen um jegliche Hindernisse zu überwinden, real übrig bleibt.

Pervitin in der Schokolade des mannhaften Soldaten:

Neuroverstärkung brauchen Leute, die andere totschießen sollen, dabei aber über das eigene Risiko getötet zu werden und über das Grauen des eigenen Tuns, hinweg gebracht werden müssen. Soldaten sind also ideale Adressaten für vermutete Neuroenhancer aus dem Fundus der Pharmakologie, die die kognitive Leistungsfähigkeit steigern, die eine Ermüdung bekämpfen und die so weit emotional abstumpfen, dass Handlungen, die Menschen normalerweise abschrecken, möglich werden.

Während des zweiten Weltkrieges verabreichten daher deutsche und alliierte Militärärzte den besonders belasteten Frontsoldaten Pervitin ( www.allpositiveoptions.com/APOMeth25.htm ), teilweise in schokoladeartig aussehenden Tablettenrollen (Panzerschokolade) und Tafeln ( www.nzz.ch/2005/04/16/sp/articleCO9N4.html , www.tagesspiegel.de/sport/mit-der-kraft-der-panzerschokolade/779268.html ).

Pervitin ist nichts anderes als Methamphetamin. Heute heißt das Zeug im Jargon „Meth“, „Crystal-Meth“ oder „Tik“, auch Y(J)aba. Es gibt noch ein halbes Dutzend weiterer inoffizieller Bezeichnungen. - Wir sehen sofort, wie modern und aktuell Geschichte sein kann.

Allerdings gab es die Durchhaltedroge nur in den ersten beiden Kriegsjahren standardmäßig und rezeptfrei. Bald wurden die Folgen des Pervitins zu offensichtlich und die ärztliche Verschreibung entsprechend streng limitiert. Selbst die NVA (Nationale Volksarmee der DDR) legte noch Pervitintabletten dem „persönlichen Verbandmittelsatz“ für den Einsatz, als Mittel zur „Kampfsteigerung“ bei.

Ob in den bekannten „Scho-Ka-Kola“- Rundlingen, die hohe Dosen an Koffein enthalten, während des letzten Weltkrieges wirklich Pervitin für die Soldaten beigefügt war, kann ich nicht mit Sicherheit ausschließen. Ich glaube jedoch, vereinzelte Beschreibungen verdanken sich einer Verwechselung mit den relativ große Pervitin-Kautabletten in Rollenform, die an Flieger ausgegeben wurden.

Die Methamphetamin- Wirkungen die erwünscht waren, nämlich Ermüdung zu überwinden, die Aufmerksamkeit über Totpunkte hinaus zu steigern, die Wahrnehmung für Umweltgeräusche und Hintergrundgeräusche zu verbessern, andererseits die Soldaten gleichgültig gegen das eigene Schicksal, das der Fremden und Feinde zu machen, fanden ihre Grenze da, wo Pervitin-Soldaten auf einen durchgeknallten Trip gingen, weil sie sich für unverwundbar, reaktionsschnell und überlegen hielten, aber in Wahrheit arme Würstchen blieben. Solche Soldaten wurden nicht nur für sich selbst zur Gefahr, sondern für ganze Truppenteile. Was an diesem Beispiel klar wird: Der angeblich so positiven Wirkung stehen die massiven persönlichkeitsverändernden und realitätsverschiebenden Wirkungen der meisten, zu irgend einer Verstärkung gebrauchten Mittel entgegen.

Die berauschten Krieger des Universums:

Zwei häufige, völlig unberechenbare Reaktionen auf die Einnahme von Pevitin/Methamphetamin ließen sich beobachten. Ein Typus reagierte mit einer Augen zu und durch Mentalität. Die Steigerung der Konzentration und die Steigerung des Antriebs, zusammen mit dem Gefühl, besonders viel und intensiv wahr zu nehmen, führt zu einer Art Selbstprogrammierung, die weder durch das Umfeld, noch durch die Befehlsgeber, noch durch die reale Situation kontrollierbar war. Einmal eingegeben, lief das Programm unerbittlich ab. Die andere Reaktion ist einer recht häufigen, paradoxen Wirkung geschuldet, bei der das Amphetamin- Derivat zwar die Wachheit steigert, aber die Vielfalt der einströmenden Eindrücke zu einem inneren und realen Rückzug führt: „Ich bleibe hier und rühre mich nicht, ich helfe nicht, ich tue nichts, ich höre keine Befehle, wer will mir schon was sagen, ich bin und bleibe nur Beobachter bei diesem völlig überwältigenden Geschehen“.

Kein Wunder also, das bald selbst die Junkies unter den Nazis (z.B. Göring) und die anfänglich so begeisterten Generalärzte, von dieser Art Ertüchtigung ihrer Truppe wieder absahen. Privat wurden natürlich Nasen, Venen und sonstige sensible Körperoberflächen mit allem gefüllt, gepudert und benetzt, was damals für den besonderen Kick verfügbar war.

Natürlich bergen gerade Amphetamine ein schnell einsetzendes, dann vor allem psychisch wirkendes Abhängigkeitsrisiko. Ohne Methamphetamin fühlt sich der Nutzer ausgelaugt, antriebsschwach und wenig assoziationsfähig, die Normalität wird zur Qual. Erneute Einnahmen, Dosissteigerungen und häufige Wiederholungen des Gebrauchs sind die regelmäßige Folge. - Das kann sich bis zu einer im Delir (Delir, Delirium; organische, d.h. durch Medikamente, Krankheiten und Unfallfolgen verursachte, Psychose) manches Mal tödlich endenden Einnahmeorgie steigern, so wie man das z.B. auch bei Ecstasy (einem Verwandten der Amphetamine), bei Kokain- und langjährigem Alkoholmissbrauch, nach extremem Fasten, bei Flüssigkeitsmangel und Medikamentenüber- oder Fehldosierungen beobachten kann.

Amphetamine und Derivate lösen bei psychisch Kranken oder dazu prädisponierten Personen Depressionen oder Schzophrenien erst aus. Sie können eine Serie unkontrollierter Handlungen anstoßen, oder einen Krampfanfall provozieren. Bei Mehrstoffgebrauch und zusätzlichem Konsum von Alkoholika steigt das Risiko schwerwiegende Nebenwirkungen und paradoxer Wirkungen nochmals deutlich an.

Nutzer von Amphetaminen sind gezwungen, deren steigernde Effekte durch den Missbrauch anderer Substanzen, z.B. von ß-Blockern, Tranquilizern, Opiaten, Calciumantagonisten, Alpha-Rezeptoren- Agonisten , sowie sedierenden, bzw. beruhigenden psychiatrischen Medikamenten zu regulieren, weil sie sonst im Alltag nicht funktionieren. Die Medikamente und Stoffe die die Nutzer privat zur Stabilisierung einsetzen, entsprechen den Mitteln , die in der akuten Entzugs- bzw. Entgiftungstherapie eingesetzt werden, vom Blutdruckmedikament, über die Tranquilizer, bis hin zu den Antiepileptika.

Die zweite Geschichte- „Put my daddy on Prozac“ (Joseph Arthur, „Big City Secrets“(CD), 1995 ):

( il.youtube.com/watch?v=Dl5FclARrg0&;feature=related )

„(...)Put my daddy on Prozac,

I don´t think I want him back (...)“

Der Songwriter Joseph Arthur lässt in seinem Lied „Daddy´s on Prozac“ (1985), einen Sohn förmlich um die Verordnung des eventuell aggressionshemmenden Antidepressivums an den übergriffigen Vater betteln, um selbst wieder gesund zu werden. Im Film „Prozac Nation“ (2001), der nach dem autobiografischen Bericht „Prozac Nation -Young and Depressed in America: A Memoir“ (1994,1995) , der in Harvard ausgebildeten Journalistin Elisabeth Wurtzel entstand, wird das Medikament geradezu als wichtigstes Heilmittel auf dem Weg zur Genesung ausgelobt.

In Wahrheit ist der Film, wie auch das Buch, eine einzige Kaufempfehlung für dieses Antidepresssivum und hat sicher, neben der Behandlung einiger schwerer Depressionen, vor allem des so genannten atypischen Musters (diese Menschen erscheinen ihrem Umfeld zumeist nicht depressiv), mit zu einer millionenfachen Verwendung der Substanz ohne korrekte psychiatrische Diagnose beigetragen.

Prozac, ist immer noch eines der weltweit am meisten verkauften Antidepressiva. Der Substanzname lautet Fluoxetin. Berühmtheit erlangte dieses Medikament, welches ursprünglich als nebenwirkungsärmeres Mittel zur Behandlung schwerer Depressionen, sonst nicht beherrschbarer Zwangsneurosen, für Patienten mit Eßstörungen, selbstschädigendem Verhalten und Borderline-Persönlichkeitstörungen entwickelt wurde, weil es in einer Modewelle hauptsächlich Gesunde einzunehmen begannen. Die glaubten fest an die stimmungsaufhellenden Wirkungen. Prozac wurde zur Modedroge der Manager, der Medienaffinen, der Schüler und Studenten.

Das Medikament ist ein Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und blockiert in höherer Dosierung auch die Noradrenalin Wiederaufnahme. Das heißt, es bleiben zunächst mehr Neurotransmitter im synaptischen Spalt bestimmter für die Stimmung zuständiger Hirnareale. Wie alle bis heute entwickelten, häufig durch Zufälle entdeckten Psychopharmaka, wirkt es aber unspezifisch auf sämtliche Areale der Gehirns, die Serotonin-sensible Synapsen tragen. Der Körper reagiert mit einer Gegenregulation, die Nebenwirkungen und paradoxe Wirkungen, bei Kranken auch die Hauptwirkung, in Gang setzt.

Mittlerweile ist die Euphorie gewichen, denn Gesunde werden keineswegs wacher, aufmerksamer und weniger emotional gedrückt, wenn sie unter dem Einfluß von Prozac stehen und schwierige persönliche oder berufliche Situationen meistern müssen. Sie denken das oftmals nur.

Im Gegenteil, die ganze Stoffgruppe der SSRI kommt derzeit sogar bei denen unter Verdacht, die damit meist Gutes im Sinn haben, die heilen und helfen wollen, und vorher klare Diagnosen stellen. In niedriger, nicht-ärztlich kontrollierter und indizierter Menge, hat Prozac vielleicht überhaupt nur Nebenwirkungen und kaum Hauptwirkungen, genau so, wie die anderen Präparate dieser Stoffgruppe, die mit Millardendollaraufwand seit den späten 80er und frühen 90er Jahren des letzten Jahrhunderts auf den Markt geworfen wurden und heute im Internet wie Schnäppchenware beworben werden ( www.hoops101.com/ , ein Beispiel, es wimmelt nur so im WWW ).

Was ist aber mit den Millionen Leuten, die sich seit Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, nach der Einahme dieses Medikaments, plötzlich weniger gedrückt, wacher und leistungsfähiger in jeder Beziehung fühlten? Sie hätten das Zeug ja nicht genommen, wenn es nicht auch geholfen hätte. - Der Teufel steckt im Detail.

Medzinisch ist Fluoxetin anderen Antidepressiva weder überlegen, noch unterlegen. Die gute psychiatrische Praxis verabschiedet sich aber auch rechtzeitig und schnell, wenn empirisch ein Medikament, bei den Kranken nicht wirkt. Die Wirkung muss von einem Kenner (Psychiater, klin. Psychologe, Fachpflegekräfte, etc.), besser von mehreren in einem Team und nicht von einem Laien, überprüft werden.

Es gibt bei den Hauptindikationen nur diesen Weg, denn Vorhersagen über die Wirksamkeit einer Stoffklasse oder Stoffgruppe bei einem speziellen Patienten oder Klienten gelingen immer noch nicht überzeugend sicher anhand von Labordaten (Hormone, Metabolite, Spiegelbestimmungen) oder EEG-Auswertungen, auch wenn hier in Zukunft bahnbrechende Neuerungen zu erwarten sind.

Das Alltagsgeschäft einer psychiatrischen Behandlung, ist die grundlegende Akzeptanz dieser empirisch kontrollierten Trial- and-error- Vorgehensweise. - Wer handelt aber in seinem persönlichen Alltag schon so? Wer handelt so, wenn so genannte Experten, Werber, das ach so gescheite Umfeld, immer einen Menschen nennt und kennt, bei dem Zoloft, so der Namen eines der Haupt-Konkurrenzprodukte, ebenfalls ein SSRI, oder Prozac, oder heute, eines der vielen Generika-Präparate, doch gewirkt hat oder gewirkt haben soll?

Ruhe vor und während der Prüfung

Prüfungsangst und Prüfungsstress ist ein großes Thema, seit Schulen und Hochschulen sich vom Verfahren der individuellen Prüfung verabschiedeten, um häufiger die größte Zahl an Schülern, in kürzester Zeit, mit möglichst interindividuell vergleichbaren Prüfungsthemen zu traktieren.

Das Gleiche gilt für viele Arbeitstellen, deren Effizienz und Erfolg zunehmend an wenigen, gut messbaren Parametern festgehalten werden und strenge vergleichende Standards eine große Rolle spielen. Das gleiche gilt für Arbeitsplätze, die keine ausreichende Abgrenzung von Arbeitsbelastung und freier Zeit mehr gestatten (immer erreichbar, immer ansprechbar, abrufbereit, hohe Entscheidungsdichte, mangelnde Verantwortungsverteilung, die immer eine Ja/Nein-Entscheidung einiger weniger Mitarbeiter und Leiter erfordert).

Eltern sind häufig nicht mehr in der Lage ihnen sachlich, das heißt bei faktischen Lernrückständen, und emotional, das heißt durch Anwesenheit, einfach dabei sein, Ruhe und Wertschätzung, eine Absicherung zu verschaffen. Erstens, weil sie schlicht nicht mehr anwesend sind, und zweitens, weil sie von den Schulstoffen ihrer Kinder keine ausreichende Kenntnis besitzen können. In der Schule selbst haben sich viele Lehrer auf die Herstellung der Vergleichbarkeit und Anpassung der Lernleistung an vorgegebene externe Standards konzentriert. Die Qualitätszirkel und Evaluationen, die dann auch noch ausreichend belastbar dokumentiert werden müssen, kosten einen erheblichen Anteil der Arbeitskraft und ziehen persönliche Resourcen für die individuelle Betreuung ab.

Die mittlerweile häufig angebotene Hausaufgabenhilfe und der Nachmittagsunterricht funktionieren nicht ausreichend als Entängtigung, mit dem Schulstoff doch nicht klar zu kommen, oder mit dem immer möglichen Versagen fertig zu werden. Die Lerninhalte wurden, wie die Arbeit in vielen Branchen, in den letzten Jahren verdichtet, was die Lernkurve verschlechterte, das Vergessen steigerte und zu einem Dauerlernstress beitrug. Oft müssen Schüler der Mittelstufe Stoffe der Orientierungsstufe auffrischen und immer wieder Gelerntes erneut aufnehmen. Schüler brauchen in erschreckend hoher Zahl Nachhilfe (Baden-Würtemberg, fast ein Drittel). - Das erzeugt weitere soziale Ungleichheit. Wer zahlen kann ist immer im Vorteil und wer nicht zahlt, bleibt mit seinen Problemen allein. - Im wahrsten Sinne billige, aber auch am weitesten von wirklichen Lösungen entfernte Hilfeversuche, viel günstiger als jede Psychotherapie, klientenzentrierte Gespräche oder helfende Pädagogik, weil da ja Menschen bezahlt werden müssten und kein Profit entsteht, sind dann die entsprechenden Medikamente.

Was nehmen Schüler in solchen Situationen

Zunächst einmal gilt es, sich die besondere biologische Situation der betroffenen SchülerInnen klar zumachen. Die Körperwahrnehmung und körperliche Befindlichkeit vermittelt die diffuse Angst und die konkrete Furcht. Was sprachlich nicht ausgedrückt werden kann, oder aus vielerlei sozialen und psychologischen Motiven nicht ausgedrückt wird, -manchmal gilt das für das Selbst des Schülers und für sein Umfeld , als ausgemachte Schwäche-, wird körperlich erlebt und durch Symptome präsentiert.

Vom Kopfschmerz, bis zum Herzrasen, vom Puddingknie, bis zur Unpässlichkeit, vom regelrechten gedrückt und antriebslos sein, bis zu Aggression gegen Sachen und Personen im Umfeld, kommt als Reaktion alles vor. Das gestörte Körpergefühl oder das Gefühl seiner Störung treten an die Stelle der Sprache. Sehr oft fehlt überhaupt das Vokabular, der Selbstauskunft eine Färbung zu geben, die auf die belastete Seele hinweist. Sehr oft dokumentieren Schüler ihre eigentliche Not geheim. - Da herrscht ein quantitativer, aber kein qualitativer Unterschied zur Erwachsenenwelt.

Tage vor den Prüfungen läuft die Zeit weg, und zusätzliche Lern-Zeit soll und muss gewonnen werden. Also werden die Stunden in Anspruch genommen, die dem lebensnotwendigen Nichts, dem Schlaf, der Muße und der Langeweile gehören sollten. Das geht nur mit mehr Wachheit und verkürzter Schlafzeit, die für Jugendliche in der Pubertät eigentlich unphysiologisch und nicht normal ist. Die Wachheit zu erhalten, das ist dann genau so eine Geisel, wie das Bedürfnis, aus der Überwachheit wieder zur Ruhe zu kommen ( www.team-andro.com/phpBB3/modafinil-im-klausurstress-dauertest-ueber-10tage-t34640.html ) .

Zu den Prüfungen gilt es, die körperlich spürbaren Symptome der Stress- und Furchtreaktion in den Griff zu bekommen. Erstaunlich ist, wie genau Schüler die Mediamentenschränke und Hausbars der Familie und der nächsten Bekannten kennen. Sie wissen wie ß-Blocker, Benzodiazepine (Tranquilizer), wie Alkoholika bei denen wirken die ihnen nahe sind, und sie nutzen dieses Wissen für sich selbst. Gut ist es nicht, aber gemacht wird es trotzdem! Wer die Wachheit künstlich erzeugt, der muss auch für den Schlaf im Moment kunstvoll sorgen. Also nimmt man zusätzlich die beruhigenden und schlafanstoßenden Mittel, die sich finden oder kaufen lassen .

Häufige Spannungskopfschmerzen werden mit der an sich untauglichen Schmerztablette bekämpft. Naiv und ohne Anleitung, wird diesen Tabletten sogar eine präventive Wirkung zugesprochen und die Einnahme erfolgt losgelöst von einer realen Schmerzsituationen.

ß-Blocker reduzieren die vegetativen Symptome (Herzrasen, Zittern, innere Unruhe, Ablenkbarkeit, Schweißausbrüche) vor und während einer Stresssituation. Alltäglich und ohne ärztliche Indikation genutzt, führen sie aber, genau so, wie das auch für die Antidepressiva gilt, zu Gegenreaktionen des Körpers . Das gilt für Gesunde noch viel mehr, als für Personen, die tatsächlich an einer behandlungswürdigen psychischen oder körperlichen Krankheit leiden.

Die Mär vom kreativen Enhancement

Unter kreativen Menschen, aber auch bei jenen, die zu viele Zeitungen lesen und zu viel im Web surfen, hält sich das Vorurteil, bestimmte Drogen, aber auch Alkohol und die neuartigen Neuroenhancement-Versuche mit Medikamenten die für Kranke gedacht sind, hätten tatsächlich einen positiven Effekt auf die kreative Produktion. - Dem ist nicht so!

Selbst bei den vermeintlichen Paradefällen, z.B. bei Jim Morrison von den Doors, Hans Fallada, Klaus Mann, Joseph Roth, den Beatles, den Rolling Stones, bei Ernest Hemingway oder William Faulkner, lässt sich entlang der Biografie leicht nachvollziehen, dass unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol, buchstäblich nichts mehr entsteht oder zu einem Ende gebracht wird.

Zwei besonders drastische Schicksale:

Modest Mussorgski (Mussorgsky), unbestreitbar der genialste und begabteste Musiker des „mächtigen Häufleins“ russischer Musiker des späten 19. Jahrhunderts, brachte aufgrund seiner Alkoholsucht kaum ein Werk zum Abschluss. Freunde und Bekannte, die seine besonderen musikalischen Fähigkeiten schätzten, bearbeiteten und ergänzten die Kompositionen oder entwickelten daraus aufführungsfähige Stücke. Mussorgski starb, völlig verarmt, unfähig in seinem Brotberuf oder in seiner persönlichen Passion, der Musik, dauerhaft und selbsterhaltend arbeiten zu können, an seiner Alkoholsucht, wenige Tage nach seinem zweiundvierzigsten Geburtstag. Der Maler Ilyia Repin hat seinen Freund kurz vor dessen Tod gemalt. Sein Bild verschleiert den Zustand Mussorgskis nicht (de.wikipedia.org/wiki/Datei:RepinMussorgsky.jpg ).

Die wohl populärste Musikerin Südafrikas in der jüngeren Vergangenheit, Brenda Fassie, starb 2004 an den Folgen einer langjährigen Polytoxikomanie, vor allem aber am Kokainexzess. Sie wurde gerade einmal 39 Jahre alt. Ihre ganze Karriere ist ein einzges Auf- und Ab, in einem sich gemeinsam selbst schädigenden Umfeld aus ebenfalls drogenabhängigen Musikern, Bekannten und tragischen Lieben ( „Ich gehe meinen Weg, auch wenn er nicht gut ist.“, Zugleich etwas zu einem globalisierten Presseproblem, www.youtube.com/watch?v=AGrJWLfiYf8&;feature=channel , die Teile I-V lohnen sich ebenfalls; Carpe diem und feiere Hochzeiten wie sie fallen, auf (süd)afrikanisch: www.youtube.com/watch?v=UzR65dj-8Ns&;feature=related , www.youtube.com/watch?v=vXFLJk8b8LY ).

Christoph Leusch

PS: Off topic. Lesen Sie die kleine Musikbetrachtung zu aktueller südafrikanischer und afrikanischer Populärmusik, von Verena Reygers ( www.freitag.de/community/blogs/verena-reygers ).

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