Noch mehr, vom Meer-Was Zeitungsdruck kann

Print&Online Die wechselseitige Verachtung die Web und Pressedruck trennt, schadet beiden Seiten. Die Unterschiede produktiv zu nutzen, wäre vernünftiger. Ein "der Freitag"-Beispiel.

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Noch mehr, vom Meer - Was die gedruckte Zeitung wirklich kann

I

Ich hätte nicht geglaubt, dass ausgerechnet bei der avanciertesten Kommune auf den Seiten einer deutschen Online-Presse, die gegenseitigen Ressentiments, was die alten, hölzernen Medien nicht, schlecht oder doch viel besser können, fast so viele Aufreger Kommentare und eigene Anstrengungen erzeugen, wie der „Fall Gauck“.

Dem Herrn Gauck, in Tagen medial durchgekaut und nun zumindest für eher zäheres, denn wirklich wohlschmeckendes Sauerkraut befunden, gebe ich trotzdem gerne eine Chance, sich im Amte als Heilpflänzchen in homöopathischer Dosis zu bewähren. - Ein bisschen Purgatio mentis kann hilfreich sein.

Nachdem ich mir nun also nicht mehr viel erwarte und sowieso nicht dazu neige, der Personalisierung, dem allgemeinen Wunsch nach einem großen Geistesheiler, noch irgend etwas abgewinnen zu können, vergesse ich ihn einfach, bevor er mir unter Garantie am 18. des nächsten Monats, also fast zu den Iden des März, und danach ganz bestimmt fünf Jahre lang, samt seiner großen Wählerkoalition, wieder in die Augen fällt und mir in die Ohren geblasen wird, die man so schlecht verschließen kann. - Viel Heilmittel, das sollte doch jeder wissen, ist am Ende ein Gift und ganz tödlich lähmend, prompt oder chronisch. Zumindest endet es häufig, wie mit dem Alkohol, im Geisteskoma.

Die zweite Diskussion ist da nun schon spannender, weil viel leib- und geistnäher. Ich lese ja schließlich den „der Freitag“, gedruckt und digital, und rotze ihn eigentlich jeden Tag Online und ganz ohne Scham und Zeilengrenzen, -nicht einmal meine Romane passen in das blöde Textfeld-, digital voll, mit Sachen die keiner liest, keiner braucht und nicht einmal einer besingt. - Achtung Ironie! In Wahrheit ist alles ganz anders!

II

Nun gibt es ja nicht nur die „Textwüste“, die so sehr gehasst wird, dass im Umkehrschluss und in der Abwendung von ihr, sogar mit passend bösartigem Kommentar-Aplomb, leicht verborgen werden kann, wie sehr komplexe Sachverhalte, komplexe Erklärungen und Berichte verlangen, und eine Buchrezension, die nur aus Bemerkungen besteht, wie, „Habe ich gerne gelesen, fand ich so sensibel“, „hat Den(n)is“ the Menace oder dieser aspektelose „Redakteur auf dem blauen Sofa“, der nicht so spricht als kenne er überhaupt Wunder und die blaueste Bläue , „gelobt oder abgeurteilt“, eher für die Füße ist, wenn nicht ein paar Zitate aus dem Original ausweisen was man denn überhaupt meint.

Es gibt auch „Bildstrecken“, an denen abzuhandeln wäre, warum es mit der Gleichberechtigung der Medien, die zwar Gleiches aufnehmen, aber trotzdem zu ganz unterschiedlichen Erkenntnissen führen, besser im Miteinander ginge, als ihre Feindschaft beständig auszurufen.

In allen modernen medialen Formen bliebe dann immer noch genug Mist, Bullshit und einfachste Falschmeldung übrig, die sich ob ihrer Vielzahl gar nicht leicht wieder einfangen und korrigieren lässt, wie z.B., die Erde kühle seit zehn Jahren aus und die nächste Eiszeit stehe an, Gauck sei eine politische Gefahr, der Mensch allgemein, sei kein vernünftiges Wesen, er müsse durch die Verhältnisse zum Vernünftig-Sein gezwungen werden, usw., usw..... - Da muss man sich nicht noch beständig gegenseitig vorwerfen, schon der Andruck einer Zeitung sei ein Nachhaltigkeitsverbrechen, oder die Laien aus dem Web-Ozean, unter denen immer mehr Kenner und Könner sind als überhaupt in Zeitungen passen, seien entweder eine Hetzmeute oder aber gar schwarmintelligent.

III

„Noch Meer“ heißt es im Druck und „Ocean City“ online. „Ocean City - Egmond aan Zee“, lautet Sylvia Meises Gedicht zu einer dreißigjährigen, regelmäßigen Wiederbegegnung mit dem niederländischen Strandort an der Nordsee, der heute ein Teil der Gemeinde Bergen ist. Pat Meises Fotos wecken Sehnsüchte und alte Erinnerungen, denn die Luft wird auch hierzulande lauer. Der Winter geht mit jedem Tief und jedem Hoch aus dem Westen noch ein Stückchen weiter fort, nach Osten, bis er für Monate am Pol verschwindet.

Allein, mir geht es hier um die Unterschiede in der Darstellung, im Druck und digital. Jeder kann das vergleichen. Online wird eine Bildergalerie präsentiert, die Pats Bilder linearisiert (www.freitag.de/alltag/1208-ocean-city-egmond-aan-zee ). So fehlt der Überblick, der nicht nur eine eigene Ästhetik entfaltet, sondern die Bilder einander in passenden Größenverhältnissen und passender Verteilung zuordnet. Dem Gedichtext Sylvia Meises, diesem schönen Gedicht, tut der Online-Abdruck ebenfalls kaum Gutes an. Denn nun passt die Korrespondenz zur Bildgeschichte nicht.

http://2.bp.blogspot.com/-xaSnBVJ7GFQ/T0t2k6XUv5I/AAAAAAAAAxA/Kx3tLqZ1Rss/s640/100_7311.JPG

Im Druck ist das Ganze eine Komposition und reizt sofort, selbst Gedanken nachzuhängen, Kindheitserinnungen aufzurufen, diese Urlaubserlebnissen von den einfachen, den schönen Dingen, die so zeitlos sind, dass dreißig, vierzig und gar fünfzig Jahre Leben sie nicht klein kriegen. Online funktioniert das nur sehr mühsam und erfordert Distanz-Energie, die ich vor dem Bildschirm häufig gar nicht mehr aufbringe.

Die Zeitung mit der besseren Gestaltung allerdings, die bringt selbst mein müdes, abgestandenes Gehirn, dem doch manches Mal nur noch nach Ablästern und Ableichtern ist, in Schwung, weil ihre gestaltete Materialität mich dazu zwingt. - Sonst heißt es, bitte um- und weiterblättern, einfalten, nicht aufschlagen und den Kaffeesatz drin unterbringen. Das geht schnell und wäre doch so schade.

IV

Was kann eine solche Doppelseite verottbaren Papiers bewirken? Nun, Fantasien freisetzen und die Schubladen öffnen, in denen liegen bleibt, was Anstrengung forderte und eigentlich nicht bezahlbar sein kann. - „Noch Meer- Ocean City“ kann das und dann kommt, zunächst nur einmal nur für mich, den ersten Leser und ersten Betrachter, dabei etwas heraus:

Ostwestsee

See Ost

Am Bernstein soll es liegen,

dass die See, ostwärts,

rötlich schimmert.

Die Zehen Sandmus schieben,

den Blick kielwärts,

der Harzfunke glimmert.

See West

Am Norddeich liegt das Watt,

die See steht auswärts,

braundunkel-schlammig,

die Beine schlickmatt.

Eine Strandperle, schön wär´s,

Ahnung auf Hallig.

V

Wer sich nun angesprochen fühlt, der schreibe mehr vom Meer, oder teile mit, ob tatsächlich heute schon die Papierauflagen ins Feuer sollen, damit Platz für das Meer werde. Ich fürchte, ohne ein paar Lotsen und Leuchtfeuer auf Papier, denen man sich auch einmal anvertrauen darf, kommt da kaum noch eine Flaschenpost an.

Christoph Leusch

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